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Alexander von Humboldt: „[Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden]“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1807-Jagd_und_Kampf-4-neu> [abgerufen am 18.04.2024].

URL und Versionierung
Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1807-Jagd_und_Kampf-4-neu
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Titel [Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden]
Jahr 1809
Ort Innsbruck
Nachweis
in: Innsbrucker Zeitung 11:66 (23. Oktober 1809), S. [3–4]; 11:67 (9. November 1809), Beilage, S. [5–6].
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Spaltensatz; Antiqua für Fremdsprachiges.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.52
Dateiname: 1807-Jagd_und_Kampf-4-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 4
Spaltenanzahl: 4
Zeichenanzahl: 11471

Weitere Fassungen
Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden (Halle, 1807, Deutsch)
О ловлѣ Електрическихъ угрей. Изъ путешествія Барона А. Гумбольда [O lovlě Električeskich ugrej. Iz putešestvija Barona A. Gumbolʹda] (Sankt Petersburg, 1807, Russisch)
[Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden] (Stuttgart; Tübingen, 1808, Deutsch)
[Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden] (Innsbruck, 1809, Deutsch)
Waarnemingen van Alexander von Humboldt Over den sidderaal of den gymnotus electricus, In Amerika zelve gedaan (Haarlem, 1817, Niederländisch)
Over den beef-aal, of sidder-visch (Amsterdam, 1818, Niederländisch)
Baron Humboldt’s Description of the Mode of Catching the Gymnotus, or Electrical Eel (London, 1833, Englisch)
Baron Humboldt’s description of the mode of catching the Gymnotus, or Electrical Eel (Philadelphia, Pennsylvania, 1834, Englisch)
|3| |Spaltenumbruch|
  • Folgendes Bruchſtuͤck, aus Alexander von Hum-boldts neueſter Reiſebeſchreibung, uͤber denelektriſchen Gymnotus (Zitter-Aal) duͤrfteunſern Leſern intereſſant ſeyn.
Dieſe elektriſchen Fiſche finden ſich am haͤufigſtenin den kleinen Fluͤſſen und in den ſtehenden Ge-waͤſſern oder Suͤmpfen, welche hier und da inden ungeheuern meiſt duͤrren Ebenen vorkom-men, die ſich zwiſchen dem Orinoko und derKuͤſtenkette von Venezuela ausbreiten. Je ſeich-ter dieſe Suͤmpfe ſind, deſto leichter wird es dieGymnoten zu fangen; denn die großen Stroͤme,der Meta, der Apure und der Orinoko ſind zutief, zu waſſerreich und zu reißend, als daßdie Indianer ſich dieſer Fiſche bemaͤchtigen koͤnn-ten. In der Guyana kennen die Indianer ſehrgut die Geſahr, der ſie ſich ausſetzen, wenn ſiein Gewaͤſſern ſchwimmen, wo die Gymnotenzehlreich ſind. Es iſt dort leichter, ihre ſchaͤd-liche Wirkung zu empfinden, als den Fiſch ſelbſtzu ſehen. Indem wir durch die ungeheuern Ebenen (Clanos) der Provinz Caraccas reisten, umzu San Fernando de Apure unſre Fahrt aufdem Orinoko zu beginnen, verweilten wir fuͤnfTage lang in der kleinen Stadt Calabozo. Wirwollten uns hier mit den Gymnoten beſchaͤfti-gen, deren es eine unzaͤhlige Menge in dieſereinſamen Gegend gibt, im Rio Guarico, inden Cannos del Raſtro, de Berito, de la Pa-loma, und in etlichen fuͤnfzig kleinen ſtehendenGewaͤſſern, welche zwiſchen der Stadt Calabozo,den beyden Miſſionen de Arriba und de Aburo,und den Meiereien von Raſtro, von Morichalund vom Caiman zerſtreut liegen. Ja, unweitUritucu mußte, wie man uns erzaͤhlte, eineehemals ſehr gangbare Straße, der elektriſchenFiſche wegen, verlegt werden. Der Weg gingdurch einen Bach, und auf der Fahrt durch den-ſelben ertranken jaͤhrlich eine Menge Mauleſel,die, von den Entladungsſchlaͤgen der Gymnotenbetaͤubt, ſinnlos niederfielen. Um unſere Verſuche mit vollkommener Ge-nauigkeit anſtellen zu koͤnnen, wuͤnſchten wir,lebendige Zitter-Aale in dem Hauſe ſelbſt zu be-ſitzen, welches wir bewohnten. Unſer Wirth gabſich alle Muͤhe, dies Verlangen zu erfuͤllen. Eswurden Indianer zu Pferde ausgeſchickt, umin den Suͤmpfen zu fiſchen. Todte Gymnotenhaͤtten wir in Menge haben koͤnnen, aber einefaſt kindiſche Furcht verhinderte die Eingebor-nen, ſie lebendig fortzutragen. Wir haben unsin der Folge ſelbſt uͤberzeugt, daß man alldings |Spaltenumbruch| in Verlegenheit kommt, wenn man ſich mitdieſen Fiſchen zu thun macht, ſo lange ſie nochbey voller Kraft ſind; bey dem gemeinen Volkeiſt aber dieſe Furcht um ſo ſonderbarer, da esdie Meinung hat, man koͤnne den Gymnotenunbeſtraft beruͤhren, wenn man Taback rauche.Wir hatten zwey Piaſter fuͤr jeden elektriſchenGymnotus geboten, den man uns lebendigbringen wuͤrde, aber es fand ſich niemand, derden Preis verdienen wollte; auch iſt das angeb-liche Sicherungs-Mittel der Indianer gegen dieSchlaͤge des Gymnotus ohne alle Kraft. DieLiebe zum Wunderbaren iſt bey den Eingebor-nen dieſer Gegenden ſo groß, daß ſie haͤufigThatſachen erzaͤhlen, an die zu glauben ſie ſelbſtweit entfernt ſind. So meint der Menſch derNatur neue Wunder andichten zu muͤſſen, ebenals waͤre die Natur nicht ſchon an ſichſelbſt groß, geheimnißvoll und wunderbar genug. Drey Tage lang hatten wir in der StadtCalabozo zugebracht, und nur einen einzigenZitter-Aal erhalten, der noch dazu ziemlichſchwach war. Endlich faßten wir den Entſchluß,uns ſelbſt an Ort und Stelle zu begeben, unddort Verſuche in freyer Luft und am Ufer derSuͤmpfe, in welchen die Gymnoten leben, an-zuſtellen. Wir begaben uns zuerſt in das kleineDorf Raſtro de Abaxo, und von da fuͤhrtenuns die Indianer nach dem Canno de Bera,einem Baſſin voll ſtehenden Waſſers, das voneiner herrlichen Vegetation, von der Clusearosea, Hymenea cour baril, dem großen in-diſchen Feigenbaum, und Mimoſen mit wohl-riechenden Bluͤten umgeben iſt. Hier geriethenwir nicht wenig in Verwunderung, als wir hoͤr-ten, man wolle in der benachbarten Grasflureinige und dreyßig halbwilde Pferde zuſammen-treiben, um ſich ihrer bey’m Fiſchen der Aalezu bedienen. Man nennt dieſe Art die Zitter-Aale zu fangen: Embarascar con caballos, das heißt, durch Pferde trunken machen. Mitdem Namen Barbasco belegt man die Wurzelnder Jacquinia, der Piscidia, und jeder anderngiftigen Pflanze, durch deren Beruͤhrung einegroße Waſſermaſſe augenblicklich die Eigenſchaftempfaͤngt, die Fiſche zu toͤdten, oder wenigſtenszu betaͤuben. Die durch dieſe Mittel vergifte-ten Fiſche (Embarascados) ziehen ſich nachder Oberflaͤche des Waſſers; und da die Pferde,welche man in dem Sumpfe hin- und hertreibt,eben daſſelbe bey den erſchreckten Fiſchen be-wirken, ſo belegt man durch eine Verwechſelungder Urſache und Wirkung beyde Arten zu fiſchenmit demſelben Namen. |4| |Spaltenumbruch| Waͤhrend unſer Wirth uns die ſonderbareArt erklaͤrte, wie man die Zitter-Aale faͤngt,kam der Trupp Pferde und die Mauleſel an.Die Indianer hatten eine Art von Treiben an-geſtellt; die Thiere wurden von allen Seiteneingeſchloſſen, und endlich in den Sumpf hin-eingezwungen Das intereſſante Schauſpiel,welches ſich uns darbot, dieſer Kampf der Zitter-Aale mit den Pferden, laͤßt ſich mit Wortennur unvollkommen ſchildern. Die Indianer,jeder mit langen Bambusroͤhren und Harpunenbewaffnet, ſtellten ſich um den Sumpf. Einigekletterten auf die Baumaͤſte, die ſich tief uͤberdem Waſſer ausbreiteten. Durch ihr Geſchreyund ihre langen Bambusroͤhre trieben ſie diePferde, wo ſie ſich dem Ufer nahten, zuruͤck.Die durch den Laͤrmen erſchreckten Zitter-Aalevertheidigten ſich mit wiederholten Entladungs-ſchlaͤgen ihrer elektriſchen Batterien. Langeſchien es, als wuͤrden ſie den Sieg uͤber diePferde und Mauleſel davon tragen. Mehrerevon dieſen, durch die menge und Staͤrke derelektriſchen Schlaͤge betaͤubt, verſchwanden un-ter dem Waſſer; einige derjenigen, die ſich wie-der aufrafften, erreichten, ungeachtet der Wach-ſamkeit der Indianer, das Ufer, und ſtrecktenſich hier, von der Anſtrengung erſchoͤpft, unddurch die ſtarken elektriſchen Schlaͤge an allenGliedern gelaͤhmt, der Laͤnge nach auf die Erde. (Der Beſchluß folgt.)
|5| (Beſchluß der Beſchreibung der Zitter-Aal.) Ein geſchickter Mahler haͤtte den Augenblickauffaſſen ſollen, da die Scene am belebteſtenwar. Die Gruppen der Indianer, welche denSumpf umringen; die Pferde, welche mit ge-ſtraͤubten Maͤhnen, Schrecken und wildenSchmerz im Auge den einbrechenden Ungewit-ter zu entfliehen ſuchen; die gelblichen undſchluͤpfrigen Aale, welche großen Waſſerſchlan-gen aͤhnlich auf der Oberflaͤche des Waſſersſchwimmen, und ihre Feinde verfolgen: alledieſe Zuͤge bildeten ein hoͤchſt mahleriſches Gan- |Spaltenumbruch| zes. Unwillkuͤhrlich erinnerte ich mich dabeydes beruͤhmten Gemaͤhldes eines Pferdes, dasunvermuthet in einer Hoͤhle durch den Anblickeines Loͤwen geſchreckt wird. Der Ausdruck desEntſetzens iſt hier nicht ſtaͤrker, als in jenemungleichen Kampfe der Fiſche und Pferde. In weniger als fuͤnf Minuten waren bereitszwey Pferde ertrunken. Die Aale, deren meh-rere uͤber fuͤnf Fuß lang ſind, ſchluͤpfen denPferden und den Mauleſeln unter den Bauch,und geben dann Entladungen ihres ganzen elek-triſchen Organs. Dieſe Schlaͤge treffen zugleichdas Herz, die Eingeweide, und beſonders dasNervengeflecht des Magens. Es iſt daher nichtzu verwundern, daß der Fiſch auf ein großesvierfuͤßiges Thier eine viel maͤchtigere Wirkung,als auf einen Menſchen hervorbringt, der ihnnur mit den Extremitaͤten beruͤhret, doch zweifleich, daß der Gymnotus im eigentlichen Sinnedes Worts die Pferde toͤdtet; er betaͤubt ſienur durch die wiederholten Erſchuͤtterungs-Schlaͤge, die er ihnen gibt; ſie fallen in einetiefe Ohnmacht, und verſchwinden beſinnungslosunter dem Waſſer; die andern Pferde undMauleſel treten ihnen auf den Leib, und inwenigen Minuten ſind ſie wirklich todt. Nachdieſem Anfange ſchien es, als wuͤrde die Jagdein ſehr tragiſches Ende nehmen, und die Pferdeeins nach dem andern ertrinken. Wenn ſie nichtherrenlos ſind, ſo bezahlt man jedes, welchesſtirbt, mit anderthalb bis zwey Piaſtern. DieIndianer verſicherten uns, die Jagd wuͤrdebald geendigt ſeyn, und nur der erſte Angriffder Zitter-Aale waͤre furchtbar. In der Thatkommen die Gymnoten nach einiger Zeit in denZuſtand entladener Batterien; ſey es nun, daßdie galvaniſche Elektricitaͤt ſich durch die Ruhein ihnen haͤufe, oder daß ihr elektriſches Organdurch einen haͤufigen Gebrauch ermuͤdet, undzu ſeinen Verrichtungen unbrauchbar gemachtwird. Zwar iſt ihre Muskelbewegung dannimmer noch eben ſo lebhaft, als zu Anfange;ſie haben aber nicht mehr das Vermoͤgen, kraͤf-tige Schlaͤge zu ertheilen. Als der Kampf eineViertelſtunde gedauert hatte, ſchienen die Pfer-de und Mauleſel minder geſchreckt. Sie ſtraͤub-ten die Maͤhnen nicht mehr. Ihr Auge druͤckteſeltner Schmerz aus. Nirgends ſah man ſiefallen, und unter dem Waſſer verſchwinden.Auch ſchwammen die Aale mit dem halben Leibeauf der Oberflaͤche des Sumpfes, flohen vorden Pferden, die ſie vorher angegriffen hatten, |6| und naͤherten ſich dem Ufer. Die Indianerverſicherten uns, daß, wenn man die Pferdezwey Tage hintereinander in den Sumpf triebe,am zweyten kein Pferd mehr getoͤdtet wuͤrde.Die Fiſche muͤſſen Ruhe und hinlaͤngliche Nah-rung haben, um eine große Menge galvaniſcher Elektricitaͤt zu erzeugen oder anzuhaͤufen. Die Zitter-Aale, welche nach dem Ufer flie-hen, werden ſehr leicht mit kleinen, an einenStrick befeſtigten Harpunen gefangen, die manihnen in den Leib wirft; die Harpune ſpießtmanchmal ihrer zwey auf. Iſt der Strick ſehrtrocken und ziemlich lang, ſo kann man ſie da-mit an’s Land ziehen, ohne Schlaͤge zu erhal-ten. In wenigen Minuten waren fuͤnf großeGymnoten auf dem Trocknen. Wir haͤttenuͤber zwanzig haben koͤnnen, haͤtten wir ihrerſo viele zu unſern Verſuchen bedurft. Einigewaren nur leicht am Schwanze verwundet, an-dere ſchwer am Kopfe, und wir konnten deut-lich beobachten, wie die Intenſitaͤt der natuͤr-lichen Elektricitaͤt dieſes Fiſches durch die ver-ſchiedene Staͤrke der Lebenskraft modifizirt wird. Wenn man geſehen hat, daß die Zitter-Aaleein Pferd ſinnlos zu Boden werfen, ſo iſt dieFurcht ſehr natuͤrlich, ſie in den erſten Augen-blicken, nachdem ſie an das Land gezogen wor-den, nicht zu beruͤhren. Auch iſt dieſe Furchtbey den Eingebornen ſo groß, daß keiner ſichdazu verſtehen wollte, die Gymnoten von denStricken der Harpunen loszumachen, und ſiein die kleinen mit friſchem Waſſer gefuͤllten Loͤ-cher zu tragen, welche wir an dem Ufer des Canno de Bera ausgehoͤhlt haͤtten. Wir muß-ten uns ſelbſt dazu verſtehen, und ſelbſt die erſtenSchlaͤge aushalten, die in der That nicht ſanftwaren. Sie ſchienen mir ſchmerzhafter zu ſeyn,als die heftigſten elektriſchen Schlaͤge, die ichmich je entſinne von einer großen voͤllig gelade-nen Leidner Flaſche erhalten zu haben. Wirbegriffen nun ſehr wohl die Wahrheit der Be-hauptung, daß ein Indianer unfehlbar ertrinkt,wenn ihm waͤhrend des Schwimmens ein Zitter-Aal am Beine oder an dem Arme einen Schlagverſetzt. Eine ſo heftige Erſchuͤtterung kanndem Menſchen allerdings ſehr leicht den Ge-brauch ſeiner Glieder auf mehrere Minuten ent-ziehen; ja es muß ſelbſt augenblicklich der Toderfolgen, wenn der Fiſch, indem er laͤngs demBauch’ und der Bruſt hinſchluͤpft, eine kraft-volle Entladung gibt, weil dann die edelſtenTheile, und alle Nerven, die davon abhaͤngen,zugleich ihrer Reizbarkeit beraubt werden.