1. Ueber die alten Aturer am Orinoco. (Aus einem Briefe des Hrn. Kammerherrn von Humboldt. Bey Gelegenheit eines hoͤchſt ſeltenen und uͤberaus charakteriſtiſchen Schaͤdels von jenem beruͤhmten Volke, womit der Hr. Kammerherr meine Sammlung bereichert hat. Eine vorlaͤufige Nachricht von dieſem merkwuͤrdigen Kopfe iſt in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen St. 157 v. d. J. gegeben. Ausfuͤhrlicher wird er in der Decas quinta collectionis craniorum diversarum gentium beſchrieben und abgebildet.) Man nennt Alto-Orinoco die unbekannte Welt, ſuͤdlich von den Cataracten von Atures und Maypure. Atures habe ich lat. 5° 39′ 10″, Maypure 5° 13′ 4″ gefunden. In Atures ſprechen die Indianer jetzt die Sprache der laͤngſt ausgeſtorbenen Nation der Maypurer, und in Maypure ſelbſt hingegen die der Guareken. In dem Waſſerfalle von Atures und etwas ſuͤdlicher am Ufer des kleinen Bachs Cataniapo ſind die jetzt berufnen Grabhoͤhlen. Die Indianer haben ſie lange verheimlicht, aber der Franziskanermoͤnch Zea hat ſie beſucht und uns gezeigt. Man glaubt, die ausgeſtorbene Nation der Aturer habe, von Feinden gedraͤngt, zuletzt auf den Felſen im Waſſerfalle gelebt, und dort ihre Grabſtaͤtte fuͤr ſicher und unverſtoͤrbar gehalten. Wir beſuchten im May 1800 die Hoͤhle von Ataruipe . Man erſteigt faſt mit Gefahr die ſteile Granitwand. Die Hoͤhle (Cueva) iſt ein durch ehemalige Waſſerrevolutionen ausgehoͤhlter Granitfels, der weit uͤberhaͤngt. Romantiſcher iſt ſchwerlich etwas zu denken. Herrliche Palmgebuͤſche umher, das Toben und Schaͤumen der Cataracten, in der Ferne das blaue Gebirge Uniama. Ich vergeſſe dieſen Eindruck nie. — Wir zaͤhlten an 600 vollſtaͤndige Skelette; jedes in einen Korb von Palmblaͤttern, den man Mapire nennt, eingewickelt. Selbſt die kleinſten Kinder ſind ſo eingepackt. Keine Phalange fehlt. Die Knochen ſind auf dreierlei Art zubereitet. Theils naͤmlich bloß gebleicht, theils mit Onoto (Bixa orellana) roth gefaͤrbt, theils als Mumien mit wohlriechendem Harz und Blaͤttern eingeknetet. Von den letztern iſt uns ein Theil eines Skelettes in dem Schiffbruch verloren gegangen, den unſer Freund, der Moͤnch Juan Gonzales, an der afrikaniſchen Kuͤſte erlitten. Die Indianer erzaͤhlen, man habe die Leichen erſt auf einige Monate in die Erde gegraben, bis das mehreſte Muskelfleiſch verzehrt worden, dann ſey das uͤbrige deſſelben von dem Gerippe mit ſcharfen Steinen abgeſchabt worden. Außer jenen Mapires (wie Koͤrbe oder geflochtene Saͤcke) giebt es auch Sarcophagen von ungebranntem Thon, 4 Fuß lang, 3 Fuß hoch, mit Einfaſſungen von ſogenanntem à la Grecque geziert und mit Crocodillen bemalt. Dieſe Behaͤlter ſind voller Knochen; vielleicht von ganzen Familien. Alles zeigt betraͤchtliche Kultur dieſes alten Volkes an. Die Indianer ſahen mit großem Unwillen, daß wir in dieſen Knochen wuͤhlten. Mit Verwunderung fanden wir hier auch zwei Schaͤdel von der europaͤiſch-caucaſiſchen Bildung. Varietaͤten der Atures waren es nicht. Vielleicht Zamben oder Meſtiſſen, die ſich verlaufen und friedlich unter dieſen Indianern gelebt hatten. Die Atures waren verwandt mit den Macos und Piraoas, gutmuͤthige Voͤlkchen, welche noch exiſtiren und in dieſer Naͤhe hauſen. Gegenuͤber am linken Orinoco-Ufer wohnen die ungeſchlachten rohen Otomaken, Guamen und Guahiben. — So viel von der Cueva de Ataruipe , die wahrſcheinlich ihren Namen von einem alten Heerfuͤhrer hat. 2. Ein Mexikaniſcher Rieſe. (Aus eben dieſem Briefe.) Beikommende zwei Oelgemaͤlde ſind auf’s getreuſte nach den Originalen copirt, welche Don Joſe Ximeno, der Director der Malerakademie in Mexico, verfertigt hat. Sie ſtellen beide den beruͤhmten mexicaniſchen Rieſen, Martin Salmeron vor, der jetzt 34 Jahre alt, 6 Fuß 10 Zoll 2 [Formel] Linien Pariſ. Maaß hoch, und auf’s ſchoͤnſte proportionirt iſt. Er iſt ein Indianer mit etwas weißem Blute gemiſcht, alſo eigentlich Meſtiſſe, aber von aſtekiſcher Abkunft, in einer temperirten Gegend bei Chilpanzingo (auf dem Wege von Mexico nach Acapulco ) geboren. Das Portrait iſt frappant aͤhnlich, hat etwas ſehr ungeſchlachtes im Ausdrucke, auch iſt der Menſch ſelbſt ſehr energiſch, boͤſe und Haͤndel ſuchend, weshalb er oft in Arreſt kommt. Seine acht Geſchwiſter ſind ſehr klein. Er wiegt zehn Arrobas (à 25 ſpaniſche Pfund) und 15 Libras. Sein Geſicht druͤckt nicht ganz die indianiſche Phyſiognomie aus. Nationalzuͤge ſind nicht darin zu verkennen, aber ſein Geſicht iſt lebhafter, als ſonſt die amerikaniſche (faſt mongoliſche) Geſichtsbildung zu ſeyn pflegt. Da alle Meſtizen- und Mexiken-Indianer ſehr klein, von 4 F. 8 bis 11 Zoll (Pariſ. Maaß) ſind, ſo muß Sie dieſer Salmeron intereſſiren. Buckliche, Zwerge, Schielende ꝛc. ſieht man unter den Indianern nicht. Dieſe Raſſe, dem Naturzuſtande naͤher, variirt weit ſeltner, als die zum Abſpringen und Ausarten geneigtere caucaſiſche. Wer hat auch buckliche und zwergartige Neger geſehen? — Das andere Gemaͤlde mit der ganzen Figur des Satmeron intereſſirt Sie des Anzuges wegen. Es iſt das gewoͤhnliche Coſtume, welches in Mexico vornehmere Indianer oder Meſtizen (z. B. wohlhabende Schuſter, Schneider ꝛc.) tragen. Europaͤiſche Beinkleider und der alte mexicaniſche Mantel (Poncho) daruͤber. So gekleidet an Feſttagen gruppirt ſich das mexicaniſche Volk jetzt ſehr huͤbſch auf den Straßen. Sie ſehen es dem Anzuge an, daß das Thermometer (in 9000 Fuß Hoͤhe) bis zum Gefrierpunkte herabſinkt.