Ueber die Urvölker von Amerika, und die Denkmähler welche von ihnen übrig geblieben sind. Vorgelesen in der Philomathischen Gesellschaft. Erstes Fragment. Wenn auch, dem Beruf meiner früheren Jugend getreu, während meines fünfjährigen Aufenthalts in dem neuen Kontinent mein Hauptaugenmerk auf die wundervollen Naturerscheinungen der Tropenländer gerichtet gewesen ist, so habe ich dennoch jeden Augenblick der Muße benutzt, dem langsamen und dabei so geheimnißvollen Gange der sittlichen Bildung der Amerikanischen Stammvölker nachzuspüren. Untersuchungen dieser Art flößen ein allgemeines, rein menschliches Interesse ein. Aber einen vorzüglichen Reiz gewinnen sie da, wo, neben einander stehend, die fremde Europäische Kultur gegen die einfache Rohheit der alten, in ihrem moralischen Fortstreben gleichsam gehemmten, Urbewohner absticht. Eine Neuspanische Stadt, welche 68000 Einwohner zählt, und mit vielen Kuppeln geziert ist, la Puebla de los Angeles, erhebt sich am Fuß der Piramide von Cholula welche uns unbekannte Nazionen, in den dunkelsten Zeiten des Alterthums, fast astronomisch-genau nach den vier Weltgegenden orientirt haben. In Mexiko selbst, in dem alten aus den Seen aufsteigenden Tenochtitlan, wo noch vor drei Jahrhunderten Priester sich an dem Anblick der geschlachteten Menschen weideten, und wo christlicher Fanatismus nachmal oft ähnlichen Blutdurst geäußert hat: in der Bergstadt Mexiko ist der alte Opferstein von Basaltporphyr, mit dem Triumph eines Aztekischen Königs geziert, vor dem Hauptthor der Spanischen Domkirche aufgestellt. Ueberall sind die ungleichartigsten Monumente an einander gränzend, und die entferntesten Epochen menschlichen Kunstfleißes berühren sich hier, wie die Naturprodukte fremder Welttheile welche der Europäische Ansiedler in einem Erdstrich zusammendrängt. Wenn ein aufmerksamer Beobachter den Nil vom Delta aufwärts, bis gegen Assuan (das alte Syene) schift, so ruht sein Blick überall auf ungeheuren Ueberresten von Schleusen, Dämmen, Pallästen, und Tempeln. Die niedrigen Ufer sind vegetazionsleer, und nur hie und da mit zerstreuten Dattelpalmen und Sykomorfeigen bewachsen. Fast erscheint die Natur dort kleinlich, gegen die aufgethürmten Riesenwerke untergegangener Kunst. Der Drang nach Geschichte, das Interesse an den Ereignissen welche solch eine Kultur hervorrufen und zerstören konnten, unterdrückt jede Frage über die natürliche Bildung des Flußthals, über die alten Wasserbedeckungen, in denen der Flötzkalk bei Gize, der Sandstein bei Theben, der Gneis bei Elephantina und den Katarakten sich niederschlug. Wie tief der Eindruck ist welchen in Niederägypten die Kunst macht, wie herrschend daselbst diese über die Natur ist, lehrt uns die von Strabo aufbewahrte Priestersage, daß der Oolithenkalk der Piramiden ein Werk der Menschen, Zement mit eingestreuten Saamenhülsen sei. Nur in den Ebenen von Sakara, nur im Angesicht so großer Werke der Baukunst, konnte solch eine Hypothese ersonnen werden. Strabo lib. 17, pag. Casaub. 808. Wie ganz anders ist der fühlende Mensch gestimmt, wenn er auf den ungeheuren Strömen von Südamerika 800 oder 1000 Meilen weit ins Innere des Kontinents eindringt, oder die wilden Berggehänge der Andes durchforscht! Hier verschwinden, gegen die mächtigere Natur, alle schwache Werke des aufkeimenden Kunstfleißes der Menschen. Am Fuß schneebedeckter Vulkane, verbergen dichte Gebüsche von baumartigen Farrenkräutern, saftstrotzende Helikonien und hohe Fächerpalmen, den Boden. In menschenleeren Strecken von einigen tausend Quadratmeilen, leben nur Affen, Viverren, Tigerkatzen, und Krokodile. Verwilderte Pisangstämme und Melonenbäume sind die einzigen Spuren, welche der durchziehende Wilde, falls er je diese Einöden betrat, zurück ließ. Wenn der Anblick des sternenvollen Himmels in unsern Regionen die Phantasie mit Bildern von Welten füllt, in denen Menschen wohnen, so erwacht dagegen in den einsamen Waldungen am Cassiquiare und Atabapo die Idee einer Natur, in der die lebendigen Kräfte sich nur erst in zahllosen Pflanzengeschlechtern entwickeln, ohne sich schaffend zum Gebilde des Menschen zu erheben. In unserm Kontinent, in Aegypten, und auf den Inseln des Griechischen Meeres, haben die alten Reste prachtvoller Baukunst alle Reisende, und leider selbst diejenigen welche am wenigsten zu diesem Studium vorbereitet waren, auf historische Untersuchungen geleitet. In dem Neuen Kontinent dagegen, ist bei dem Mangel von Denkmählern, und der imponirenden Größe der Naturerscheinungen, fast alles Interesse ausschließlich auf diese letzteren gerichtet gewesen. Amerika hat unter denen die es besuchten, einen Hernandez, einen Plumier, Jacquin, Swarz, und viele andere vortrefliche Naturforscher aufzuzählen. Aber mit der Geschichte der Urvölker und den übriggebliebenen Spuren ihrer Kultur haben sich in neuern Zeiten nur wenige Reisende beschäftigt: Ich sage: in neuern Zeiten; denn die früheren Werke Spanischer Abenteurer und Mönche, die eines Ojeda, Bernal Diaz, Garcilasso, Toribius von Benavent, Acosta, und Torquemada, enthalten viele nützliche aber mit unkritischem Geiste abgefaßte Nachrichten. Besonders ist ihren Messungen wenig zu trauen: denn an Zahlen (sei es Höhe der Denkmähler, oder Volksmenge, oder Verlust des Feindes) scheiterte von jeher die Wahrheitsliebe der Eroberer und der Entdecker. La Condamine, dessen lebhafter Geist, mit vielen Hülfskenntnissen ausgerüstet, Alles umfaßte was er für die Wissenschaften ersprießlich hielt, La Condamine, der neben seinen mühevollen astronomischen Beobachtungen, Pflanzen zeichnete, und die Amerikanischen Ursprachen studirte, hat uns auch genauere Beschreibungen einiger alten Peruanischen Monumente hinterlassen. Der Gegenstand der ersten Abhandlung welche er unsrer Akademie bei seiner Aufnahme als auswärtiges Mitglied übersandte, waren die Ruinen des Inkapallastes von Cannar im Königreich Quito; Ruinen, die ich 55 Jahre nach ihm wiederum, aber mit mehrerem architektonischen Detail, in ihrem gegenwärtigen Zustande gezeichnet habe, und eben jetzt in Rom in Kupfer stechen lasse. Auch die Werke der vortreflichen Spanischen Astronomen Ulloa und Don Jorge Juan enthalten Abbildungen einiger Denkmääler, allein weniger genau und oft sogar phantastisch ergänzt. Mem. de l'Acad. de Berlin, annee 1746, pag. 435. Ich habe des Italiänischen Reisenden Gemelli Careri nicht gedacht, weil, was er von Mexikanischen Alterthümern mittheilt, bloß die hieroglyphische Malerei betrift, und eigentlich seinem Freunde dem gelehrten Carlos de Siguenza, Professor der Mathematik in Mexiko, angehört. -- Es ist übrigens eine der kühnsten Wirkungen des historischen Skeptizismus, wenn Robertson und andre Schriftsteller es als eine beinah erwiesene Wahrheit ansehen, daß dieser Gemelli Careri, statt um die Welt zu reisen, nie seine Heimat, Italien, verlassen habe. Ich bin ihm durch das ganze Königreich Neuspanien, von Akapulko bis Veracruz hin, Schritt vor Schritt gefolgt, und ich gestehe (mit dem Abt Clavigero) daß ich keinen genauern und wahrhaftern Reisenden kenne als Gemelli. Durch welchen Zauber, und aus welchen Quellen schöpfend, hätte er die kleinsten Lokalverhältnisse, die Lage unbedeutender Dörfer, Zahl der Altäre in den Kirchen, und tausend ähnliche Dinge wissen können, wenn er nicht selbst in Mexiko gewesen wäre? Nur einem einzigen Manne hat die Geschichte Amerikanischer Urvölker ein solches lebhaftes Interesse erwecken können, daß er deshalb alle Familienverhältnisse aufgab, und (ein Beispiel merkwürdiger Aufopferung für die Wissenschaften) acht Jahre lang unter den dürftigsten Indianern lebte, um historische Hieroglyphen der Azteken zu sammeln. Der Cavaliere Boturini Bernaducci, aus Mailand gebürtig, begann seine historischen Untersuchungen in Mexiko im J. 1736. Niemand hat je einen größern Schatz von Materialien über die Amerikanischen Stammvölker besessen als er; aber, von einem damal argwöhnischen Gouvernement seines Eigenthums beraubt, ward er gefangen nach Spanien geschleppt, wo er nach einigen mitgenommenen Manuskripten, und leider mehr noch aus dem Gedächtniß, den ersten Band seiner Mexikanischen Geschichte ausarbeitete. Unter den hieroglyphischen Fragmenten auf Aloe- oder Maguei-Papier, welche ich für die hiesige Bibliothek mitgebracht habe, befindet sich ein 15 Fuß langer Kodex, welcher wahrscheinlich einst in dem Boturinischen Museum aufbewahrt ward. Auf der Universität Mexiko existiren, seit ihrer ersten Gründung im J. 1553, Lehrstellen für die Aztekische und Otomitische Sprache, wie für die Mexikanischen Alterthümer überhaupt. Die Gründung dieser Lehrstellen, in einem Lande wo fast der Hauptsitz der Amerikanischen Kultur war, und zu einer Zeit wo mönchischer Fanatismus noch nicht alle Denkmähler hatte zerstören oder verstümmeln können, würde von dem größten Interesse für die Menschengeschichte gewesen sein, wenn die Männer welche jene Lehrstellen ausfüllten, nicht den wahren Zweck derselben verkannt hätten. Die Professur der Alterthümer ist sogar unbesetzt geblieben, seitdem die Justiztribunale in Mexiko in Streitigkeiten über Güterbesitz, Verwandtschaft und Abgaben nicht mehr nach hieroglyphisch-gemalten Urkunden zu sprechen haben. Dazu begnügen sich die itzigen Lehrer der zwei Mexikanischen Hauptsprachen, angehende Geistliche so weit darin zu unterrichten, als für die Geheimnisse des Beichtstuhls in Indianischen Dörfern erforderlich ist. Ob die Otomitische und Aztekische Sprache mit 15 oder 18 in Neuspanien noch üblichen Sprachen verwandt ist, ob mehrere derselben (wie man oft nur zu voreilig behauptete) Dialekte einer untergegangenen sind: das kümmert sie wenig; obgleich Sprache, als das älteste und daurendste Monument menschlicher Kultur, eine wichtige Quelle historischer Untersuchungen ist. Bezeigt sich aber die Universität Mexiko selbst zu gleichgültig für die Kenntniß des Alterthums, so fühlen sich doch in allen Theilen von Amerika Privatmänner von Zeit zu Zeit zu diesem Studium berufen. Ich darf hier mehrere meiner entfernten Freunde nennen: den Doktor Duquesne, Kanonikus am Domkapitel zu Sta Fe de Bogota, von dem ich eine merkwürdige Abhandlung über einen siebenseitigen kalendarischen Interkalarstein von Kieselschiefer bekannt machen werde; in Lima den Pater Cisneros, einen ehrwürdigen achtzigjährigen Hieronymitermönch, dessen liberale Denkart sich bei der Herausgabe einer vortreflichen Monatschrift, des Mercurio Peruano geäußert hat; in Mexiko den Padre Pichardo im Kloster der Congregazion von San Felipe Neri, und mehrere Andre. An dem letztern Orte waren, nicht gar lange vor meiner Ankunft, zwei überaus gelehrte Männer Velasquez und Gama gestorben, denen man sehr genaue astronomische Beobachtungen und kritische Untersuchungen über die mythologischen Monumente der Azteken verdankt. Beide besaßen eine Fülle von Kenntnissen, welche in dem Spanischen Amerika wohl schwerlich erwartet werden. Ueberall wo die eingeengte Menschheit in ihren geistigen Fortschritten gehindert ist, erweckt in der Energie Einzelner der Zwang selbst eine moralische Reakzion, welche zu den schönsten und lebendigsten Kraftäußerungen führt. Aber, was Geisteszwang nur in einzelnen Widerstrebenden erweckt, dazu ruft Alle willig vernunftmäßige Freiheit in den Nordamerikanischen Freistaaten auf. Mühsam hat man dort jeden Grabhügel am Missisipi oder Ohio beschrieben und abgezeichnet. Mühsam haben sich dort Jefferson, Madison, und Barton, also Staatsmänner, Bischöfe, und Gelehrte, mit den Kanadischen Ursprachen, und ihrem Zusammenhange mit den Nordasiatischen , und vorzüglich mit den Kaukasischen Sprachen, beschäftigt. Leider sind aber von den wenigen Denkmählern, welche gegenwärtig von den Amerikanischen Stammvölkern übrig geblieben, die größten und wichtigsten auf der Gebirgskette der Andes in den Königreichen Peru, Quito, Mexiko, also gerade in den dem Nicht-Spanier bisher unzugänglichsten Erdstrichen, zerstreut. Englische und Französische Reisende ( Dixon, Marchand, Vancoover, und Andere) haben die ausführlichsten Zeichnungen von den geschnitzten Thürschwellen an der Nordwestküste von Amerika, besonders im Kanal Cox und in Cloak Bay geliefert; während wir nicht einmal die Umrisse von den kolossalen Ruinen der Baukunst in Cusco und Mansiche kennen. -- Doch auch in den Spanischen Kolonieen regt sich, trotz der mannichfaltigen Hindernisse, der Geist der Untersuchung. Zwar haben botanische Gärten und chemische Laboratorien, welche in den Hauptstädten mit wahrhaft königlicher Freigebigkeit angelegt sind, diesen Untersuchungsgeist mehr auf naturhistorische Gegenstände gerichtet; allein mit der Zeit wird das große und vortrefliche Institut einer Kunstakademie in Mexiko, bei den ausgezeichneten Anlagen der Einwohner, auch das Studium der einheimischen Alterthümer beleben. Schon itzt sind Zöglinge der Malerakademie durch das ganze Land zerstreut, von Guatimala an bis tief in die nördlichen Provinzen Neubiskaya's hinauf. Fast überall findet man Gelegenheit, die neu entdeckten Denkmähler abzeichnen oder ausmessen zu lassen. Auch der große Fleiß mit dem die Perspektive auf der Bergakademie in Mexiko studirt wird, trägt zu dieser Leichtigkeit bei, da diese Anstalt auf die entferntesten und isolirtesten Punkte des Königreichs wirkt. In der That sind vor weniger Zeit die Ruinen des Trauerpallastes von Mitla, mit seinen zierlichen geschmackvollen Mäandriten und Alagrecque (ein Werk der Amerikanischen Stammvölker), auf Befehl des Vizekönigs, von Zöglingen der architektonischen Klasse der Kunstakademie aufs genaueste gezeichnet worden. Ein Fragment dieser Zeichnung (denn das Ganze kann der Gegenstand eines eigenen sehr interessanten Werks werden) habe ich bereits in Kupfer stechen lassen, und es wird in einem der Atlasse welche meine Reisebeschreibung begleiten sollen, noch in diesem Jahre erscheinen. New Views of the Origin of the Nations of America, 1798, by Benjamin Smith Barton, p. XCIX. Wenn ich es wage, diese Versammlung mit den Denkmählern der Amerikanischen Urvölker zu unterhalten, so gestehe ich gern, daß mein diesmaliger Aufenthalt in Italien nicht wenig dazu beigetragen hat, mich zu diesen Untersuchungen zu veranlassen. Ich habe das seltene Glück genossen, innerhalb weniger als einem Jahre nicht bloß die kolossalen Vulkane der Andeskette mit den feuerspeienden Hügeln Europens, sondern auch die kolossalen und vollendeten Denkmähler Römischer Kunst mit den rohen Ueberbleibseln der sich entwickelnden Mexikanischen Kultur vergleichen zu können. Diese Vergleichung entfernter Länder und entfernter Zeitepochen menschlicher Bildung, dieser Kontrast zwischen dem Beginnen der Kunst bei der sich ansiedelnden Menschheit und ihrer hohen Vollendung im goldenen Zeitalter der Griechen und Römer, hat Ideen in mir lebendig gemacht, die ich in den öffentlichen Sitzungen dieser Gesellschaft fragmentarisch zu entwickeln versuchen werde. Natürlich hebe ich nur das aus, was zu solch einem Zwecke geeignet, zu allgemeinen Resultaten führt, und in jedem gebildeten Menschen Interesse erwecken kann. Alle kleinliche Untersuchungen, und das Detail der Messungen, bleiben meinem größern Werke vorbehalten. Auch muß ich zum voraus harmonisch gestimmte Ohren für den abschreckenden Misklang Mexikanischer und Peruanischer Namen um Nachsicht bitten. Tlakatkotl, Quaquaupitzahuak, und Ixtlikoxhitl, waren tapfere und berühmte Könige von Azkapozalko. Daß ihre Namen so unlieblich lauten, ist dem Geschichtschreiber eben so wenig zur Last zu legen, als daß er oft durch treue Schilderung politischer Schwäche oder energischer Verruchtheit einen moralischen Misklang erregt. Mit dem Ausdruck Amerikanischer Urvölker bezeichne ich diejenigen Nazionen, welche vor Ankunft der Spanier am Ende des 15ten und Anfang des 16ten Jahrhunderts im neuen Kontinent angetroffen wurden. Ich sage: der Spanier; denn die frühere Entdeckung von Amerika um das J. 1000, die Schiffahrten der Normänner und Isländer nach Wineland und Grönland, welche Torfäus in einem eigenen Werke beschrieben, veränderten nichts in dem Zustande Amerikanischer Urvölker. Ein vortreflicher Geschichtschreiber des Nordens hat bereits erwiesen, daß das Wort Urvolk, wenn es von den ersten Bewohnern eines Landes gelten soll, keine historische Bedeutung hat. Wir haben über den Norden von Europa keine Gewißheit über das neunte Jahrhundert hinaus; und wir verlangen daß die Geschichte von Amerika bis zur Ankunft Asiatischer Völkerstämme verfolgt werden könne! Nur zu oft haben allgemein und mit Recht belobte Schriftsteller wiederholt: daß Amerika, in jedem Sinne des Worts, ein neuer Kontinent sei. Jene Ueppigkeit der Vegetazion, jene ungeheure Wassermenge der Ströme, jene Unruhe mächtiger Vulkane, verkündigen (sagen sie) daß die stets erbebende noch nicht ganz abgetrocknete Erde dort dem chaotischen Primordialzustande näher, als im alten Kontinent, sei. Diese Ideen haben mir, schon lange vor dem Antritt meiner Reise, eben so unphilosophisch als den allgemein anerkannten physischen Gesetzen widerstreitend geschienen. Diese Bilder von Jugend und Unruhe, von zunehmender Dürre und Trägheit der alternden Erde, können nur bei denen entstehen, die spielend nach Kontrasten zwischen den beiden Hemisphären haschen, und sich nicht bemühen die Konstrukzion des Erdkörpers mit einem allgemeinen Blick zu umfassen. Soll das südliche Italien neuerer als das nördliche sein, weil jenes durch Erdbeben und vulkanische Erupzionen fast fortdaurend beunruhigt wird? Was sind überdies unsre itzigen Vulkane und Erdbeben für kleinliche Phänomene, in Vergleich mit den Naturrevoluzionen die der Geognost in dem chaotischen Zustande der Erde, bei dem Niederschlag und der Erstarrung der Gebirgemassen, voraussetzen muß? Verschiedenheit der Ursachen muß in den entfernten Klimaten auch verschiedenartige Wirkungen der Naturkräfte veranlassen. In dem neuen Kontinent haben die Vulkane (ich zähle deren itzt noch 54) sich vielleicht darum länger brennend erhalten, weil die hohen Gebirgerücken, auf denen sie ausgebrochen sind, dem Meere näher liegen, und weil diese Nähe und der ewige Schnee der sie bedeckt, auf eine noch nicht genug aufgeklärte Weise die Energie des unterirdischen Feuers zu modifiziren scheint. Dazu wirken Erdbeben und feuerspeiende Berge periodisch. Itzt herrscht physische Unruhe und politische Stille in dem Neuen Kontinent, während in dem Alten der verheerende Zwist der Völker den Genuß der Ruhe in der Natur stört. Vielleicht kommen Zeiten, wo in diesem sonderbaren Kontrast zwischen physischen und moralischen Kräften ein Welttheil des andern Rolle übernimmt. Die Vulkane ruhen Jahrhunderte ehe sie von neuem toben, und die Idee daß in dem älteren Lande ein gewisser Friede in der Natur herrschen müsse, ist auf einem bloßen Spiel unsrer Einbildungskraft gegründet. Eine Seite unsers Planeten kann nicht älter oder neuer als die andere sein. Inseln die von Vulkanen herausgeschoben, oder von Korallenthieren allmählich gebildet worden, wie die Azoren und viele Inseln der Südsee, sind allerdings neuer als die Granitmassen der Europäischen Zentralkette. Ein kleiner Erdstrich, der, wie Böhmen und viele Mondthäler, mit ringförmigen Gebirgen umgeben ist, kann durch parzielle Ueberschwemmungen lange seeartig bedeckt sein; und nach Abfluß dieser Binnenwasser, dürfte man den Boden in dem die Pflanzen sich allmählich anzusiedeln beginnen, bildlich neueren Ursprungs nennen. Allein Wasserbedeckungen (wie der Geognost sie sich bei Entstehung der Flötzgebirge denkt) kann man sich aus hydrostatischen Gesetzen nur in allen Welttheilen, in allen Klimaten, als gleichzeitig existirend vorstellen. Das Meer kann die unermeßlichen Ebenen am Orinoko und Amazonenstrome nicht daurend überschwemmen, ohne zugleich unsre Baltischen Länder zu verwüsten. Auch zeigt (wie ich bereits in meinem geognostischen Gemälde von Südamerika entwickelt habe) die Folge und Identität der Flötzschichten in Karakkas, Thüringen, und Niederägypten, daß jene großen Niederschläge auf dem ganzen Erdboden gleichzeitig erfolgt sind. Tableau geologique des regions equinoxiales de l'Amerique meridionale, 1800. Aber, fährt der bescheidnere Theil der Gegner fort: ist der neue Kontinent auch zugleich mit dem alten aus den chaotischen Meeren der Primordialwelt hervorgetreten, haben auf beiden sich auch gleichzeitig Thier- und Pflanzenformen entwickelt; so ist doch das Menschengeschlecht in dem ersteren neuer als in dem letzteren. Große völlig menschenleere Strecken, besonders in dem Europa gegenüberstehenden Theile, Unkultur der Nazionen, Mangel politischer Verfassungen (zwei bis drei sehr neuscheinende Staaten abgerechnet), lose Bande der Geselligkeit, das Nichtdasein großer Monumente der Baukunst endlich, deuten überall in Amerika auf die Jugend der Menschheit. Vielleicht mag das Alter der dortigen Stammvölker, das heißt ihre Existenz in dem neuen Welttheil, kaum über den Anfang christlicher Zeitrechnung hinausreichen. Diese Gründe für die Annahme einer spätern Bevölkerung von Amerika scheinen auf der Hypothese zu beruhen, als habe das Menschengeschlecht, wo es seit Jahrtausenden existire, sich überall moralisch und politisch so schnell entwickeln müssen, als in den glücklichen aber engen Erdstrichen, deren Geschichte uns am meisten beschäftigt: an den Ufern des Nils, zwischen dem Mittelmeer, dem Kaspischen See und dem Euphrat, oder auf der Griechischen Halbinsel. Wer mit dem Europäischen und Asiatischen Norden bekannt ist, sieht im alten Kontinente ebenfalls ungeheure Länderstrecken ohne Denkmähler der Kunst, ohne Ruinen von Städten, ohne politische Bande unter den Bewohnern. Eigentliche Geschichte des Nordens fängt, nach Schöning und Schlözer, auch erst um das Jahr 1000 der christlichen Zeitrechnung an; und dennoch hat man es nie gewagt das Menschengeschlecht in Norwegen und Schweden als sehr jung zu verrufen. Der Schluß von der Barbarei der Nazionen auf ihre Neuheit, oder auf ihre spätere Ankunft in einem Lande, ist in der That ein Fehlschluß. Man vergißt, welch ein sonderbarer Zusammenfluß von Begebenheiten dazu gehört um die Menschheit zu sittlicher Kultur und Entwickelung ihrer intellektuellen Fähigkeiten zu erwecken. Man hat scharfsinnig erwiesen, wie aus den hieroglyphischen Malereien wahre Hieroglyphen ohne Beziehung der Charaktere auf einander, aus den Hieroglyphen Tonzeichen, und aus diesen endlich Lettern entstehen können. Aber man durchsuche alle Völker des Erdbodens; und, erstaunt, wird man (wie noch neuerlichst einer unser größten Alterthumsforscher Hr Zoega in seinem Obeliskenwerke aus einander gesetzt hat) Zerlegung der Silben in Buchstaben nur auf einem engen Raume, im südwestlichen Asien, Aegypten und dem südöstlichen Europa, entdecken. In der übrigen Welt scheint sich das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden nie zu dieser letzten Stufe der Ideenmittheilung erhoben zu haben. -- Allein die Unkultur, in der uns die Amerikanische Geschichte die ältesten Urvölker schildert, ist auch in der That weniger groß, als Diejenigen angeben welche für die sogenannte Neuheit jenes Kontinents streiten. Wie man ehemal, von der Großprahlerei der ersten Abenteurer und Eroberer verleitet, zu glänzende Ideen von der Geisteskultur der Mexikaner und Peruaner hegte, so ist man seit Pauw's und Raynal's Zeiten in den entgegengesetzten Fehler verfallen. Als die Tulteker am Ende des sechsten Jahrhunderts ihr nördliches Vaterland Huehuetlapallan verließen, finden wir schon unter ihnen ein zusammengesetztes Feudalsystem, hieroglyphische Gemälde, Piramiden mit künstlich behauenen Porphyrtafeln geziert, und ein wohl angeordnetes Sonnenjahr. Wo sieht man in Skandinavien gleichzeitig ähnliche Spuren der Menschenkultur? Der Ausdruck: spätere Bevölkerung eines Welttheils, setzt zudem noch das Auswandern des neuentstandenen Menschengeschlechts aus einer bestimmten Gegend voraus; sei es, daß der hohe noch ungemessene Gebirgsrücken von Tibet, oder nach Samskredanischen Sagen die Quellen des Ganges (bei Sirinagar am Himaligebirge), oder die Ufer des Tigris, oder endlich wie Diejenigen wollen die sich mit ägyptischen Alterthümern beschäftigen, die Höhen von Habesch, die Wiege der Menschheit waren. Asiatische Mythen, die allerdings einen ehrwürdigen Charakter des Alterthums an sich tragen, haben diese Idee von einer Zentralverbreitung der Völker unter uns fast allgemein gemacht. Wie können aber Mythen und Tradizion über Begebenheiten entscheiden, die nicht geschichtlich gewußt werden können, oder die, wie Alles was den Ursprung der Dinge betrift, über alle Geschichte hinausreichen! Echt historische Untersuchungen beginnen daher nie von der ersten Bevölkerung eines Landes; und so wenig ich es für unwahrscheinlich halte, daß viele Stämme Amerikanischer Urvölker über die Beringsstraße oder die Aleutischen Inseln aus dem nördlichen Asien herüber kamen, so wenig kenne ich eine einzige Thatsache, welche zu dieser Annahme apodiktisch zwänge. Die Form des Amerikanischen Schädels ist in der Gestalt der zygomatischen Fortsätze, der Nichtung der Faziallinie, und der fast hundsartigen Krista des Stirnbeins, von dem Tatarischen Schädel wesentlich verschieden, obgleich diesem mehr als dem der Neger verwandt. Der nördlichste Theil des neuen Kontinents, Grönland, Labrador, und das große Westland bis an den Mackenziefluß, ist von Eskimos bewohnt, einer kleinen kurzleibigen Menschenrace, die wir in den Europäischen und Asiatischen Polarländern, in den Lappen und Samojeden wiederholt finden, und deren Existenz, wie die Thalform des Atlantischen Ozeans zwischen Amerika und Europa, auf einen ehemaligen allgemeinen Zusammenhang aller Welttheile gegen Norden zu, hinweiset. Die Urvölker des neuen Kontinents kannten die mehlreichen Zerealien nicht, welche im alten Kontinent dem Menschengeschlecht seit seiner ersten Kindheit überall zu folgen scheinen. Die Amerikanischen Sprachen haben eine schwache Verwandtschaft mit denen der Kurilischen Inseln, um die Nordspitze von Asien, mit der Sprache der Tschuktschen, Koräken und Kamtschadalen, oder der Europäischen Lappländer. Die Aehnlichkeit welche mehrere Amerikanische Denkmähler mit Ostindischen, ja selbst mit Aegyptischen haben, eine Aehnlichkeit auf die wir in der Folge wieder zurückkommen werden, beweiset vielleicht mehr die Einförmigkeit des Ganges, welchen der menschliche Kunstsinn in allen Zonen und zu allen Zeiten in seiner stufenweisen Entwickelung befolgt hat, als Nazionalverwandtschaft, oder Abstammung aus Innerasien. So wie es in der Naturkunde Sitte war, Alles bald aus Alkalien und Säuren, bald aus Elektrizität, bald aus Wärmestof, bald aus Oxygen zu erklären; so hat derselbe Vereinfachungstrieb Veranlassung gegeben, alle Menschenkultur bald aus Vorderasien, bald aus China, bald von den Skythen, bald aus Tibet, bald aus Aegypten abzuleiten. Untersucht man die Gründe dieser Behauptungen mit ernster Genauigkeit, so sieht man, daß die ältesten Sagen der Menschheit wohl in der Form (und dies aus psychischen Gründen), keinesweges aber in der Materie selbst, in der geographischen Bestimmung des ersten Kultursitzes mit einander übereinkommen. In Aegypten zum Beispiel deutet die älteste Mythe von dem Kampf zweier Menschenracen, der Aethiopischen und Arabischen, der Zwist zwischen Osiris dem schwarzen Bakchus, und dem Pelusium gründenden Typhon oder dem blonden Fürsten Baby auf eine größere Kultur in Süden, also auf Gegenden die weit vom Euphrat und Tigris entfernt sind. Unter den Hindus geht dagegen die Sage, daß der Gott Rama Ackerbau und Künste aus dem Lande Apodya brachte, ein Land welches die Samksrit nördlich vom Himaligebirge setzt. In diesem Gebirge selbst, und in Tibet, sucht man dagegen (neueren Reisenden zufolge) den Ursprung der Menschenkultur an den südlichen Ufern des Ganges. So widersprechend ist der Glaube der Völker über Gegenstände, über welche bildliche Vorstellungen und Privatphantasieen Einzelner sich nur zu oft in das Gewand uralter Sagen gekleidet haben. Ueberhaupt, wenn von Urvölkern die Rede ist, sollte man neueren Geschichtforschern die Vorsicht des Tazitus anempfehlen, der, wo er von den verschiedenen Menschenracen auf Brittannien und von ihrer wahrscheinlichen Abkunft redet, mit den skeptischen Worten endigt: Caeterum, Britanniam qui mortales initio coluerint, indigenae an advecti, ut inter Barbaros parum compertum . Zoega de Obel. p. 577. Fra Paolino da S. Bartolomeo System. Brachman. p. 137. Tac. Agric. cap. II. Giebt es keinen historischen oder philosophischen Grund, das Menschengeschlecht im Neuen Kontinent für neuer als im Norden von Europa oder Asien zu halten, so verlieren auch alle Gründe ihr Gewicht, welche man aus der willkürlichen Voraussetzung dieser Neuheit gegen das Alter der ersten Denkmähler Amerikanischer Urvölker hergenommen hat. Mitten in den Wäldern des Orinoko um Kaikara und Uruana habe ich Granitfelsen gesehen, welche mit eingegrabenen hieroglyphischen Bildern bedeckt sind. Diese Bilder finden sich in Höhen und an Bergen, zu denen man jetzt nur mit Schwierigkeit gelangen kann. Zweihundert Meilen von der Meeresküste entfernt, weit oberhalb der Katarakten von Maypure und Atures, in der großen Einöde zwischen den vier Flüssen Cassiquiare, Atabapo, Orinoko, und Guainia oder Rio Negro, in einer Grasebene wo jetzt kein menschliches Wesen athmet, sind in den isolirten Syenit- und Gneisfelsen ebenfalls Figuren von Thieren, Waffen, Hausgeräth, und viele uns völlig unverständliche Sinnbilder ausgehauen. Umher, auf mehr als 40000 Quadratmeilen, finden sich nur nomadische Stämme, welche auf der tiefsten Stufe menschlicher Bildung, unbekleidet, ein thierisches Leben führen, und kaum von der Möglichkeit hieroglyphische Bilder in harten Felsmassen einzugraben eine Idee haben. Also waren diese Einöden einst bevölkert, und von Nazionen bevölkert, deren Kultur weit über die der itzigen Generazionen erhaben war. In welche Zeitperiode aber diese untergegangene Kultur fällt, aus welchem Jahrhundert diese Bilderfelsen oder die Grabhügel in Tenessee sind, ist unmöglich itzt zu entscheiden. Wagen es doch die Italiänischen Alterthumsforscher nicht, die Epoche der von Petit-Radel neulich erläuterten Zyklopeischen Monumente auf der Apenninenkette anzugeben! Geschichte fängt im neuen Kontinent erst mit der Nazion, welche ihre Begebenheiten in hieroglyphischen Gemälden aufzubewahren wußte, das heißt vom 7ten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung an, da die Tulteker zuerst in Anahuak (dem itzigen Mexiko) erschienen. Kein Monument Amerikanischer Urvölker das über diese späte Periode hinaus fällt, kann daher eigentlich historisch erläutert werden; und so hat die Geschichte des neuen Welttheils diese Aehnlichkeit mehr mit der des Europäischen Nordens, wo die ältesten Denkmähler die Runensteine sind, Denkmähler welche Rudbeck's Phantasie bis zur Sündfluthsepoche hinaufschob, die aber nach Schlözers Untersuchungen aus dem sechsten Jahrhundert herstammen. Doch neuerlichst angegriffen in Winteri Dissert. de Origine linguae Suecanae, part. 2, p. 37. Das Peruanische Reich, dasjenige nehmlich welches die Spanier zerstörten, hatte bekanntlich einen frühern Anfang als das Aztekische des Montezuma. Mankokapak und Mama Okollo sollen, nach Quipus-Rechnung, ihre wundervolle Erscheinung im Anfang des 12ten Jahrhunderts gemacht haben, dahingegen die Stadt Mexiko erst im J. 1325 erbaut wurde. War aber auch der Mexikanische Staat neuer als der Peruanische, so führt uns doch die hieroglyphische Chronologie der Mexikaner (freilich schwankend und dunkel, wie alle erste Chronologie der Urvölker) bis ins sechste Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung hinauf, also in eine frühere Epoche als die Peruanischen Denkschnüre. Die Sagen der Inkas, die der Muyskas im alten Kundinamarka (dem itzigen Königreich Neugrenada) zeigen uns das Menschengeschlecht in viele kleine Stämme vertheilt, doch ackerbauend, und von fremden plötzlich auftretenden Wundermännern in sehr zusammengesetzte, der Entwickelung der Individuen hinderliche, politische Verfassungen (eigentliche Theokratieen) eingeengt. Diese Gesetzgeber stiegen alle von der Andeskette herab, alle kamen von Osten, und Mankokapak erschien in der hohen Gebirgsebene am großen See von Titihaka, einer Ebene die wir in der Folge als den Sitz einer uralten aber früh untergegangenen Kultur werden kennen lernen. Der in Europa wenig bekannte, dem Manko Kapak ähnliche Bochika, der Stifter des Sonnentempels von Sogamuxi, im itzigen Königreich Santa Fe, kam über das Gebirge aus den östlichen Grasfluren des Meta: also aus einer Gegend, wo Jahrhunderte nachher das Menschengeschlecht in fast thierischer Rohheit angetroffen ward. In den Südamerikanischen Sagen wird nichts von Völkerzügen, die aus Einem Punkte ausgehen, vom Verdrängen und Vorschieben der Nazionen gemeldet. Ganz anders sieht es dagegen in der etwas höher hinaufsteigenden Geschichte Nordamerikanischer Staaten aus. In dieser geht die Fluth der Völker von Norden nach Süden. Ein Stamm verdrängt den andern, und zwingt diesen entweder die Herrschaft des Eroberers zu ertragen, oder südlicher zu entfliehen. Vom 6ten bis zum 13ten Jahrhundert, von den Tultekern an bis zu den Alkohuern und Azteken, dauert diese Bewegung fort. Man glaubt in der Mexikanischen Geschichte die Erzählung der großen Europäischen Völkerwanderung zu lesen, in welcher die nehmliche Horde vom Don bis an den Guadalquivir oder bis zu dem Afrikanischen Atlas vordrang. Da die erste Mexikanische Nazion, von welcher die durch die Spanier besiegten Azteken Nachricht hatten, die Tulteker waren, und da mit diesen zuerst hieroglyphische Jahrbücher in Anahuak erschienen, so schrieb man den Tultekern natürlich nicht nur die Erfindung dieser historischen Malerei zu; sondern auch noch itzt nennen die Eingebornen in Mexiko alle Denkmahle, die ein Gepräge des höchsten Alterthums an sich tragen, Tultekische Denkmahle. Boturini und einige andre Schriftsteller haben die Idee in Gang gebracht, daß die Tulteker, welche, nach einer großen Pest, die Gebirgsebnen von Tenochtitlan verließen und dann auf einmal in der Geschichte verschwinden, über die Landenge nach Panama zogen, und endlich in Süden als Peruaner erschienen. Die angerühmte Sanftheit ihrer Sitten, die schuldlosen Opfer von Früchten welche sie der Sonne brachten, ihr Trieb ungeheure Steinmassen zu bewegen und aufzuthürmen, die Größe welche alle Monumente haben die man ihnen zuschreibt, könnten dieser Hypothese allerdings einige Wahrscheinlichkeit geben. Sie stürzt aber völlig, wie so manche ähnliche, zusammen, wenn man sie chronologisch untersucht, und sich nicht von den zufälligen Uebereinstimmungen blenden läßt, welche sich überall bei dem Anfang menschlicher Bildung finden. Die verheerende Pest in Anahuak (vielleicht der Matlazahuatl der Indianer, ein Typhus der mit dem gelben Fieber einige Aehnlichkeit hat, sich aber nicht auf die weiße oder kaukasische Menschenrace fortpflanzt) herrschte um die Mitte des 11ten Jahrhunderts, wahrscheinlich genau ums Jahr 1051. Also verschwanden die Tulteker in Mexiko nur 100 Jahre früher als Mankokapak in der südlichen Hemisphäre das Peruanische Reich stiftete. Und lange vor diesem mystischen Gesetzgeber, welcher der neuen Welt das erste fürchterliche Beispiel von Religionskriegen gab, blühete schon im Norden und Süden zugleich eine nicht unbeträchtliche Kultur. Die großen Gebirgsebenen von Tiahuanaku scheinen der Sitz früher Menschenbildung in Südamerika gewesen zu sein. Hier fand Inka Mayta Kapak, als er unter schrecklichem Blutvergießen die Provinz Callao eroberte, kolossale Gebäude, einen von Menschenhänden aufgeführten Berg, Ruinen von Städten, und zwei unförmliche Statuen. Die Eingebornen sagten schon damal, sie wüßten nicht wer Urheber dieser Gebäude sei. Sie glaubten (wie die Araber unserm Niebuhr von den Piramiden um Gize erzählten), ein Zauberer habe in einer Nacht alle diese Wunderwerke hervorgerufen. Dies beweist, daß bereits zu der Zeit alle Spuren von dem Ursprunge dieser alten Ueberreste verloren gegangen waren. Der Spanische Abenteurer Diego de Alcobazar sah nahe bei Tiahuanaku an dem See von Chikuito ähnliche Gebäude, und zahllose ungeheuer große aber unförmliche Statuen von Männern und Weibern die ihre Kinder in den Armen trugen (fast wie die Monumente der Osterinsel). Die Peruaner erzählten, dies seien Menschen die durch rächende Zauberer in Steine verwandelt worden wären, weil sie einen armen durchwandernden Fremdling, statt ihn zu beherbergen, todtgeschlagen hätten: eine Mythe, die an ähnliche Asiatische, und nach dem großen Geschichtforscher Johann von Müller an ähnliche Schweizerische im Saanenlande erinnert, und deren Erfindung gewiß dem moralischen Gefühle dieser Völker Ehre macht. Garcilasso, dessen Familienstolz geneigt ist, alle Kultur seinen Ahnherrn den Inkas zuzuschreiben, gesteht doch selbst daß die große Festung bei Cusco die noch übrig ist, eine Nachahmung der ältern Gebäude von Tiahuanaku gewesen sei. Reisende haben mich versichert, daß um den See Chukuito noch jetzt ungeheuer große behauene Steinmassen und Mauren gesehen werden, eine Nachricht welche Alcobazar's Erzählung zu beglaubigen scheint. Bei Truxillo an der Küste der Südsee bin ich Stundenlang in den Ruinen der Stadt Mansiche umhergeritten: Ruinen, die einen Flächenraum einnehmen der nicht viel geringer als der von Berlin ist, und welche ebenfalls vor der Ankunft der Inkas existirten. -- So sieht man also, daß zu derselben Zeit als die Tulteker in Mexiko Piramiden bauten und sie mit Porphyrtafeln bekleideten, in der südlichen Hemisphäre andre Völker bereits zu einer ähnlichen Kultur gelangt waren. So ist die Menschheit im Neuen Kontinent, in den entferntesten Punkten zugleich, zu bildendem Kunstfleiß erwacht. Wie die Werke dieser Kultur gegenwärtig beschaffen sind, wird uns in einer folgenden Abhandlung beschäftigen. Berlin. Al. von Humboldt.