Ueber die Urvoͤlker von Amerika, und die Denkmaͤhler welche von ihnen uͤbrig geblieben ſind. Vorgeleſen in der Philomathiſchen Geſellſchaft. Erſtes Fragment. Wenn auch, dem Beruf meiner fruͤheren Jugend getreu, waͤhrend meines fuͤnfjaͤhrigen Aufenthalts in dem neuen Kontinent mein Hauptaugenmerk auf die wundervollen Naturerſcheinungen der Tropenlaͤnder gerichtet geweſen iſt, ſo habe ich dennoch jeden Augenblick der Muße benutzt, dem langſamen und dabei ſo geheimnißvollen Gange der ſittlichen Bildung der Amerikaniſchen Stammvoͤlker nachzuſpuͤren. Unterſuchungen dieſer Art floͤßen ein allgemeines, rein menſchliches Intereſſe ein. Aber einen vorzuͤglichen Reiz gewinnen ſie da, wo, neben einander ſtehend, die fremde Europaͤiſche Kultur gegen die einfache Rohheit der alten, in ihrem moraliſchen Fortſtreben gleichſam gehemmten, Urbewohner abſticht. Eine Neuſpaniſche Stadt, welche 68000 Einwohner zaͤhlt, und mit vielen Kuppeln geziert iſt, la Puebla de los Angeles, erhebt ſich am Fuß der Piramide von Cholula welche uns unbekannte Nazionen, in den dunkelſten Zeiten des Alterthums, faſt aſtronomiſch-genau nach den vier Weltgegenden orientirt haben. In Mexiko ſelbſt, in dem alten aus den Seen aufſteigenden Tenochtitlan, wo noch vor drei Jahrhunderten Prieſter ſich an dem Anblick der geſchlachteten Menſchen weideten, und wo chriſtlicher Fanatismus nachmal oft aͤhnlichen Blutdurſt geaͤußert hat: in der Bergſtadt Mexiko iſt der alte Opferſtein von Baſaltporphyr, mit dem Triumph eines Aztekiſchen Koͤnigs geziert, vor dem Hauptthor der Spaniſchen Domkirche aufgeſtellt. Ueberall ſind die ungleichartigſten Monumente an einander graͤnzend, und die entfernteſten Epochen menſchlichen Kunſtfleißes beruͤhren ſich hier, wie die Naturprodukte fremder Welttheile welche der Europaͤiſche Anſiedler in einem Erdſtrich zuſammendraͤngt. Wenn ein aufmerkſamer Beobachter den Nil vom Delta aufwaͤrts, bis gegen Aſſuan (das alte Syene) ſchift, ſo ruht ſein Blick uͤberall auf ungeheuren Ueberreſten von Schleuſen, Daͤmmen, Pallaͤſten, und Tempeln. Die niedrigen Ufer ſind vegetazionsleer, und nur hie und da mit zerſtreuten Dattelpalmen und Sykomorfeigen bewachſen. Faſt erſcheint die Natur dort kleinlich, gegen die aufgethuͤrmten Rieſenwerke untergegangener Kunſt. Der Drang nach Geſchichte, das Intereſſe an den Ereigniſſen welche ſolch eine Kultur hervorrufen und zerſtoͤren konnten, unterdruͤckt jede Frage uͤber die natuͤrliche Bildung des Flußthals, uͤber die alten Waſſerbedeckungen, in denen der Floͤtzkalk bei Gize, der Sandſtein bei Theben, der Gneis bei Elephantina und den Katarakten ſich niederſchlug. Wie tief der Eindruck iſt welchen in Niederaͤgypten die Kunſt macht, wie herrſchend daſelbſt dieſe uͤber die Natur iſt, lehrt uns die von Strabo aufbewahrte Prieſterſage, daß der Oolithenkalk der Piramiden ein Werk der Menſchen, Zement mit eingeſtreuten Saamenhuͤlſen ſei. Nur in den Ebenen von Sakara, nur im Angeſicht ſo großer Werke der Baukunſt, konnte ſolch eine Hypotheſe erſonnen werden. Strabo lib. 17, pag. Caſaub. 808. Wie ganz anders iſt der fuͤhlende Menſch geſtimmt, wenn er auf den ungeheuren Stroͤmen von Suͤdamerika 800 oder 1000 Meilen weit ins Innere des Kontinents eindringt, oder die wilden Berggehaͤnge der Andes durchforſcht! Hier verſchwinden, gegen die maͤchtigere Natur, alle ſchwache Werke des aufkeimenden Kunſtfleißes der Menſchen. Am Fuß ſchneebedeckter Vulkane, verbergen dichte Gebuͤſche von baumartigen Farrenkraͤutern, ſaftſtrotzende Helikonien und hohe Faͤcherpalmen, den Boden. In menſchenleeren Strecken von einigen tauſend Quadratmeilen, leben nur Affen, Viverren, Tigerkatzen, und Krokodile. Verwilderte Piſangſtaͤmme und Melonenbaͤume ſind die einzigen Spuren, welche der durchziehende Wilde, falls er je dieſe Einoͤden betrat, zuruͤck ließ. Wenn der Anblick des ſternenvollen Himmels in unſern Regionen die Phantaſie mit Bildern von Welten fuͤllt, in denen Menſchen wohnen, ſo erwacht dagegen in den einſamen Waldungen am Caſſiquiare und Atabapo die Idee einer Natur, in der die lebendigen Kraͤfte ſich nur erſt in zahlloſen Pflanzengeſchlechtern entwickeln, ohne ſich ſchaffend zum Gebilde des Menſchen zu erheben. In unſerm Kontinent, in Aegypten, und auf den Inſeln des Griechiſchen Meeres, haben die alten Reſte prachtvoller Baukunſt alle Reiſende, und leider ſelbſt diejenigen welche am wenigſten zu dieſem Studium vorbereitet waren, auf hiſtoriſche Unterſuchungen geleitet. In dem Neuen Kontinent dagegen, iſt bei dem Mangel von Denkmaͤhlern, und der imponirenden Groͤße der Naturerſcheinungen, faſt alles Intereſſe ausſchließlich auf dieſe letzteren gerichtet geweſen. Amerika hat unter denen die es beſuchten, einen Hernandez, einen Plumier, Jacquin, Swarz, und viele andere vortrefliche Naturforſcher aufzuzaͤhlen. Aber mit der Geſchichte der Urvoͤlker und den uͤbriggebliebenen Spuren ihrer Kultur haben ſich in neuern Zeiten nur wenige Reiſende beſchaͤftigt: Ich ſage: in neuern Zeiten; denn die fruͤheren Werke Spaniſcher Abenteurer und Moͤnche, die eines Ojeda, Bernal Diaz, Garcilaſſo, Toribius von Benavent, Acoſta, und Torquemada, enthalten viele nuͤtzliche aber mit unkritiſchem Geiſte abgefaßte Nachrichten. Beſonders iſt ihren Meſſungen wenig zu trauen: denn an Zahlen (ſei es Hoͤhe der Denkmaͤhler, oder Volksmenge, oder Verluſt des Feindes) ſcheiterte von jeher die Wahrheitsliebe der Eroberer und der Entdecker. La Condamine, deſſen lebhafter Geiſt, mit vielen Huͤlfskenntniſſen ausgeruͤſtet, Alles umfaßte was er fuͤr die Wiſſenſchaften erſprießlich hielt, La Condamine, der neben ſeinen muͤhevollen aſtronomiſchen Beobachtungen, Pflanzen zeichnete, und die Amerikaniſchen Urſprachen ſtudirte, hat uns auch genauere Beſchreibungen einiger alten Peruaniſchen Monumente hinterlaſſen. Der Gegenſtand der erſten Abhandlung welche er unſrer Akademie bei ſeiner Aufnahme als auswaͤrtiges Mitglied uͤberſandte, waren die Ruinen des Inkapallaſtes von Cañar im Koͤnigreich Quito; Ruinen, die ich 55 Jahre nach ihm wiederum, aber mit mehrerem architektoniſchen Detail, in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande gezeichnet habe, und eben jetzt in Rom in Kupfer ſtechen laſſe. Auch die Werke der vortreflichen Spaniſchen Aſtronomen Ulloa und Don Jorge Juan enthalten Abbildungen einiger Denkmaͤaͤler, allein weniger genau und oft ſogar phantaſtiſch ergaͤnzt. Mém. de l’Acad. de Berlin, année 1746, pag. 435. Ich habe des Italiaͤniſchen Reiſenden Gemelli Careri nicht gedacht, weil, was er von Mexikaniſchen Alterthuͤmern mittheilt, bloß die hieroglyphiſche Malerei betrift, und eigentlich ſeinem Freunde dem gelehrten Carlos de Siguenza, Profeſſor der Mathematik in Mexiko, angehoͤrt. — Es iſt uͤbrigens eine der kuͤhnſten Wirkungen des hiſtoriſchen Skeptizismus, wenn Robertſon und andre Schriftſteller es als eine beinah erwieſene Wahrheit anſehen, daß dieſer Gemelli Careri, ſtatt um die Welt zu reiſen, nie ſeine Heimat, Italien, verlaſſen habe. Ich bin ihm durch das ganze Koͤnigreich Neuſpanien, von Akapulko bis Veracruz hin, Schritt vor Schritt gefolgt, und ich geſtehe (mit dem Abt Clavigero) daß ich keinen genauern und wahrhaftern Reiſenden kenne als Gemelli. Durch welchen Zauber, und aus welchen Quellen ſchoͤpfend, haͤtte er die kleinſten Lokalverhaͤltniſſe, die Lage unbedeutender Doͤrfer, Zahl der Altaͤre in den Kirchen, und tauſend aͤhnliche Dinge wiſſen koͤnnen, wenn er nicht ſelbſt in Mexiko geweſen waͤre? Nur einem einzigen Manne hat die Geſchichte Amerikaniſcher Urvoͤlker ein ſolches lebhaftes Intereſſe erwecken koͤnnen, daß er deshalb alle Familienverhaͤltniſſe aufgab, und (ein Beiſpiel merkwuͤrdiger Aufopferung fuͤr die Wiſſenſchaften) acht Jahre lang unter den duͤrftigſten Indianern lebte, um hiſtoriſche Hieroglyphen der Azteken zu ſammeln. Der Cavaliere Boturini Bernaducci, aus Mailand gebuͤrtig, begann ſeine hiſtoriſchen Unterſuchungen in Mexiko im J. 1736. Niemand hat je einen groͤßern Schatz von Materialien uͤber die Amerikaniſchen Stammvoͤlker beſeſſen als er; aber, von einem damal argwoͤhniſchen Gouvernement ſeines Eigenthums beraubt, ward er gefangen nach Spanien geſchleppt, wo er nach einigen mitgenommenen Manuſkripten, und leider mehr noch aus dem Gedaͤchtniß, den erſten Band ſeiner Mexikaniſchen Geſchichte ausarbeitete. Unter den hieroglyphiſchen Fragmenten auf Aloe- oder Maguei-Papier, welche ich fuͤr die hieſige Bibliothek mitgebracht habe, befindet ſich ein 15 Fuß langer Kodex, welcher wahrſcheinlich einſt in dem Boturiniſchen Muſeum aufbewahrt ward. Auf der Univerſitaͤt Mexiko exiſtiren, ſeit ihrer erſten Gruͤndung im J. 1553, Lehrſtellen fuͤr die Aztekiſche und Otomitiſche Sprache, wie fuͤr die Mexikaniſchen Alterthuͤmer uͤberhaupt. Die Gruͤndung dieſer Lehrſtellen, in einem Lande wo faſt der Hauptſitz der Amerikaniſchen Kultur war, und zu einer Zeit wo moͤnchiſcher Fanatismus noch nicht alle Denkmaͤhler hatte zerſtoͤren oder verſtuͤmmeln koͤnnen, wuͤrde von dem groͤßten Intereſſe fuͤr die Menſchengeſchichte geweſen ſein, wenn die Maͤnner welche jene Lehrſtellen ausfuͤllten, nicht den wahren Zweck derſelben verkannt haͤtten. Die Profeſſur der Alterthuͤmer iſt ſogar unbeſetzt geblieben, ſeitdem die Juſtiztribunale in Mexiko in Streitigkeiten uͤber Guͤterbeſitz, Verwandtſchaft und Abgaben nicht mehr nach hieroglyphiſch-gemalten Urkunden zu ſprechen haben. Dazu begnuͤgen ſich die itzigen Lehrer der zwei Mexikaniſchen Hauptſprachen, angehende Geiſtliche ſo weit darin zu unterrichten, als fuͤr die Geheimniſſe des Beichtſtuhls in Indianiſchen Doͤrfern erforderlich iſt. Ob die Otomitiſche und Aztekiſche Sprache mit 15 oder 18 in Neuſpanien noch uͤblichen Sprachen verwandt iſt, ob mehrere derſelben (wie man oft nur zu voreilig behauptete) Dialekte einer untergegangenen ſind: das kuͤmmert ſie wenig; obgleich Sprache, als das aͤlteſte und daurendſte Monument menſchlicher Kultur, eine wichtige Quelle hiſtoriſcher Unterſuchungen iſt. Bezeigt ſich aber die Univerſitaͤt Mexiko ſelbſt zu gleichguͤltig fuͤr die Kenntniß des Alterthums, ſo fuͤhlen ſich doch in allen Theilen von Amerika Privatmaͤnner von Zeit zu Zeit zu dieſem Studium berufen. Ich darf hier mehrere meiner entfernten Freunde nennen: den Doktor Duquesne, Kanonikus am Domkapitel zu Sta Fe de Bogota, von dem ich eine merkwuͤrdige Abhandlung uͤber einen ſiebenſeitigen kalendariſchen Interkalarſtein von Kieſelſchiefer bekannt machen werde; in Lima den Pater Cisneros, einen ehrwuͤrdigen achtzigjaͤhrigen Hieronymitermoͤnch, deſſen liberale Denkart ſich bei der Herausgabe einer vortreflichen Monatſchrift, des Mercurio Peruano geaͤußert hat; in Mexiko den Padre Pichardo im Kloſter der Congregazion von San Felipe Neri, und mehrere Andre. An dem letztern Orte waren, nicht gar lange vor meiner Ankunft, zwei uͤberaus gelehrte Maͤnner Velaſquez und Gama geſtorben, denen man ſehr genaue aſtronomiſche Beobachtungen und kritiſche Unterſuchungen uͤber die mythologiſchen Monumente der Azteken verdankt. Beide beſaßen eine Fuͤlle von Kenntniſſen, welche in dem Spaniſchen Amerika wohl ſchwerlich erwartet werden. Ueberall wo die eingeengte Menſchheit in ihren geiſtigen Fortſchritten gehindert iſt, erweckt in der Energie Einzelner der Zwang ſelbſt eine moraliſche Reakzion, welche zu den ſchoͤnſten und lebendigſten Kraftaͤußerungen fuͤhrt. Aber, was Geiſteszwang nur in einzelnen Widerſtrebenden erweckt, dazu ruft Alle willig vernunftmaͤßige Freiheit in den Nordamerikaniſchen Freiſtaaten auf. Muͤhſam hat man dort jeden Grabhuͤgel am Miſſiſipi oder Ohio beſchrieben und abgezeichnet. Muͤhſam haben ſich dort Jefferſon, Madiſon, und Barton, alſo Staatsmaͤnner, Biſchoͤfe, und Gelehrte, mit den Kanadiſchen Urſprachen, und ihrem Zuſammenhange mit den Nordaſiatiſchen , und vorzuͤglich mit den Kaukaſiſchen Sprachen, beſchaͤftigt. Leider ſind aber von den wenigen Denkmaͤhlern, welche gegenwaͤrtig von den Amerikaniſchen Stammvoͤlkern uͤbrig geblieben, die groͤßten und wichtigſten auf der Gebirgskette der Andes in den Koͤnigreichen Peru, Quito, Mexiko, alſo gerade in den dem Nicht-Spanier bisher unzugaͤnglichſten Erdſtrichen, zerſtreut. Engliſche und Franzoͤſiſche Reiſende ( Dixon, Marchand, Vancoover, und Andere) haben die ausfuͤhrlichſten Zeichnungen von den geſchnitzten Thuͤrſchwellen an der Nordweſtkuͤſte von Amerika, beſonders im Kanal Cox und in Cloak Bay geliefert; waͤhrend wir nicht einmal die Umriſſe von den koloſſalen Ruinen der Baukunſt in Cusco und Manſiche kennen. — Doch auch in den Spaniſchen Kolonieen regt ſich, trotz der mannichfaltigen Hinderniſſe, der Geiſt der Unterſuchung. Zwar haben botaniſche Gaͤrten und chemiſche Laboratorien, welche in den Hauptſtaͤdten mit wahrhaft koͤniglicher Freigebigkeit angelegt ſind, dieſen Unterſuchungsgeiſt mehr auf naturhiſtoriſche Gegenſtaͤnde gerichtet; allein mit der Zeit wird das große und vortrefliche Inſtitut einer Kunſtakademie in Mexiko, bei den ausgezeichneten Anlagen der Einwohner, auch das Studium der einheimiſchen Alterthuͤmer beleben. Schon itzt ſind Zoͤglinge der Malerakademie durch das ganze Land zerſtreut, von Guatimala an bis tief in die noͤrdlichen Provinzen Neubiskaya’s hinauf. Faſt uͤberall findet man Gelegenheit, die neu entdeckten Denkmaͤhler abzeichnen oder ausmeſſen zu laſſen. Auch der große Fleiß mit dem die Perſpektive auf der Bergakademie in Mexiko ſtudirt wird, traͤgt zu dieſer Leichtigkeit bei, da dieſe Anſtalt auf die entfernteſten und iſolirteſten Punkte des Koͤnigreichs wirkt. In der That ſind vor weniger Zeit die Ruinen des Trauerpallaſtes von Mitla, mit ſeinen zierlichen geſchmackvollen Maͤandriten und Alagrecque (ein Werk der Amerikaniſchen Stammvoͤlker), auf Befehl des Vizekoͤnigs, von Zoͤglingen der architektoniſchen Klaſſe der Kunſtakademie aufs genaueſte gezeichnet worden. Ein Fragment dieſer Zeichnung (denn das Ganze kann der Gegenſtand eines eigenen ſehr intereſſanten Werks werden) habe ich bereits in Kupfer ſtechen laſſen, und es wird in einem der Atlaſſe welche meine Reiſebeſchreibung begleiten ſollen, noch in dieſem Jahre erſcheinen. New Views of the Origin of the Nations of America, 1798, by Benjamin Smith Barton, p. XCIX. Wenn ich es wage, dieſe Verſammlung mit den Denkmaͤhlern der Amerikaniſchen Urvoͤlker zu unterhalten, ſo geſtehe ich gern, daß mein diesmaliger Aufenthalt in Italien nicht wenig dazu beigetragen hat, mich zu dieſen Unterſuchungen zu veranlaſſen. Ich habe das ſeltene Gluͤck genoſſen, innerhalb weniger als einem Jahre nicht bloß die koloſſalen Vulkane der Andeskette mit den feuerſpeienden Huͤgeln Europens, ſondern auch die koloſſalen und vollendeten Denkmaͤhler Roͤmiſcher Kunſt mit den rohen Ueberbleibſeln der ſich entwickelnden Mexikaniſchen Kultur vergleichen zu koͤnnen. Dieſe Vergleichung entfernter Laͤnder und entfernter Zeitepochen menſchlicher Bildung, dieſer Kontraſt zwiſchen dem Beginnen der Kunſt bei der ſich anſiedelnden Menſchheit und ihrer hohen Vollendung im goldenen Zeitalter der Griechen und Roͤmer, hat Ideen in mir lebendig gemacht, die ich in den oͤffentlichen Sitzungen dieſer Geſellſchaft fragmentariſch zu entwickeln verſuchen werde. Natuͤrlich hebe ich nur das aus, was zu ſolch einem Zwecke geeignet, zu allgemeinen Reſultaten fuͤhrt, und in jedem gebildeten Menſchen Intereſſe erwecken kann. Alle kleinliche Unterſuchungen, und das Detail der Meſſungen, bleiben meinem groͤßern Werke vorbehalten. Auch muß ich zum voraus harmoniſch geſtimmte Ohren fuͤr den abſchreckenden Misklang Mexikaniſcher und Peruaniſcher Namen um Nachſicht bitten. Tlakatkotl, Quaquaupitzahuak, und Ixtlikoxhitl, waren tapfere und beruͤhmte Koͤnige von Azkapozalko. Daß ihre Namen ſo unlieblich lauten, iſt dem Geſchichtſchreiber eben ſo wenig zur Laſt zu legen, als daß er oft durch treue Schilderung politiſcher Schwaͤche oder energiſcher Verruchtheit einen moraliſchen Misklang erregt. Mit dem Ausdruck Amerikaniſcher Urvoͤlker bezeichne ich diejenigen Nazionen, welche vor Ankunft der Spanier am Ende des 15ten und Anfang des 16ten Jahrhunderts im neuen Kontinent angetroffen wurden. Ich ſage: der Spanier; denn die fruͤhere Entdeckung von Amerika um das J. 1000, die Schiffahrten der Normaͤnner und Islaͤnder nach Wineland und Groͤnland, welche Torfaͤus in einem eigenen Werke beſchrieben, veraͤnderten nichts in dem Zuſtande Amerikaniſcher Urvoͤlker. Ein vortreflicher Geſchichtſchreiber des Nordens hat bereits erwieſen, daß das Wort Urvolk, wenn es von den erſten Bewohnern eines Landes gelten ſoll, keine hiſtoriſche Bedeutung hat. Wir haben uͤber den Norden von Europa keine Gewißheit uͤber das neunte Jahrhundert hinaus; und wir verlangen daß die Geſchichte von Amerika bis zur Ankunft Aſiatiſcher Voͤlkerſtaͤmme verfolgt werden koͤnne! Nur zu oft haben allgemein und mit Recht belobte Schriftſteller wiederholt: daß Amerika, in jedem Sinne des Worts, ein neuer Kontinent ſei. Jene Ueppigkeit der Vegetazion, jene ungeheure Waſſermenge der Stroͤme, jene Unruhe maͤchtiger Vulkane, verkuͤndigen (ſagen ſie) daß die ſtets erbebende noch nicht ganz abgetrocknete Erde dort dem chaotiſchen Primordialzuſtande naͤher, als im alten Kontinent, ſei. Dieſe Ideen haben mir, ſchon lange vor dem Antritt meiner Reiſe, eben ſo unphiloſophiſch als den allgemein anerkannten phyſiſchen Geſetzen widerſtreitend geſchienen. Dieſe Bilder von Jugend und Unruhe, von zunehmender Duͤrre und Traͤgheit der alternden Erde, koͤnnen nur bei denen entſtehen, die ſpielend nach Kontraſten zwiſchen den beiden Hemiſphaͤren haſchen, und ſich nicht bemuͤhen die Konſtrukzion des Erdkoͤrpers mit einem allgemeinen Blick zu umfaſſen. Soll das ſuͤdliche Italien neuerer als das noͤrdliche ſein, weil jenes durch Erdbeben und vulkaniſche Erupzionen faſt fortdaurend beunruhigt wird? Was ſind uͤberdies unſre itzigen Vulkane und Erdbeben fuͤr kleinliche Phaͤnomene, in Vergleich mit den Naturrevoluzionen die der Geognoſt in dem chaotiſchen Zuſtande der Erde, bei dem Niederſchlag und der Erſtarrung der Gebirgemaſſen, vorausſetzen muß? Verſchiedenheit der Urſachen muß in den entfernten Klimaten auch verſchiedenartige Wirkungen der Naturkraͤfte veranlaſſen. In dem neuen Kontinent haben die Vulkane (ich zaͤhle deren itzt noch 54) ſich vielleicht darum laͤnger brennend erhalten, weil die hohen Gebirgeruͤcken, auf denen ſie ausgebrochen ſind, dem Meere naͤher liegen, und weil dieſe Naͤhe und der ewige Schnee der ſie bedeckt, auf eine noch nicht genug aufgeklaͤrte Weiſe die Energie des unterirdiſchen Feuers zu modifiziren ſcheint. Dazu wirken Erdbeben und feuerſpeiende Berge periodiſch. Itzt herrſcht phyſiſche Unruhe und politiſche Stille in dem Neuen Kontinent, waͤhrend in dem Alten der verheerende Zwiſt der Voͤlker den Genuß der Ruhe in der Natur ſtoͤrt. Vielleicht kommen Zeiten, wo in dieſem ſonderbaren Kontraſt zwiſchen phyſiſchen und moraliſchen Kraͤften ein Welttheil des andern Rolle uͤbernimmt. Die Vulkane ruhen Jahrhunderte ehe ſie von neuem toben, und die Idee daß in dem aͤlteren Lande ein gewiſſer Friede in der Natur herrſchen muͤſſe, iſt auf einem bloßen Spiel unſrer Einbildungskraft gegruͤndet. Eine Seite unſers Planeten kann nicht aͤlter oder neuer als die andere ſein. Inſeln die von Vulkanen herausgeſchoben, oder von Korallenthieren allmaͤhlich gebildet worden, wie die Azoren und viele Inſeln der Suͤdſee, ſind allerdings neuer als die Granitmaſſen der Europaͤiſchen Zentralkette. Ein kleiner Erdſtrich, der, wie Boͤhmen und viele Mondthaͤler, mit ringfoͤrmigen Gebirgen umgeben iſt, kann durch parzielle Ueberſchwemmungen lange ſeeartig bedeckt ſein; und nach Abfluß dieſer Binnenwaſſer, duͤrfte man den Boden in dem die Pflanzen ſich allmaͤhlich anzuſiedeln beginnen, bildlich neueren Urſprungs nennen. Allein Waſſerbedeckungen (wie der Geognoſt ſie ſich bei Entſtehung der Floͤtzgebirge denkt) kann man ſich aus hydroſtatiſchen Geſetzen nur in allen Welttheilen, in allen Klimaten, als gleichzeitig exiſtirend vorſtellen. Das Meer kann die unermeßlichen Ebenen am Orinoko und Amazonenſtrome nicht daurend uͤberſchwemmen, ohne zugleich unſre Baltiſchen Laͤnder zu verwuͤſten. Auch zeigt (wie ich bereits in meinem geognoſtiſchen Gemaͤlde von Suͤdamerika entwickelt habe) die Folge und Identitaͤt der Floͤtzſchichten in Karakkas, Thuͤringen, und Niederaͤgypten, daß jene großen Niederſchlaͤge auf dem ganzen Erdboden gleichzeitig erfolgt ſind. Tableau géologique des régions équinoxiales de l’Amérique méridionale, 1800. Aber, faͤhrt der beſcheidnere Theil der Gegner fort: iſt der neue Kontinent auch zugleich mit dem alten aus den chaotiſchen Meeren der Primordialwelt hervorgetreten, haben auf beiden ſich auch gleichzeitig Thier- und Pflanzenformen entwickelt; ſo iſt doch das Menſchengeſchlecht in dem erſteren neuer als in dem letzteren. Große voͤllig menſchenleere Strecken, beſonders in dem Europa gegenuͤberſtehenden Theile, Unkultur der Nazionen, Mangel politiſcher Verfaſſungen (zwei bis drei ſehr neuſcheinende Staaten abgerechnet), loſe Bande der Geſelligkeit, das Nichtdaſein großer Monumente der Baukunſt endlich, deuten uͤberall in Amerika auf die Jugend der Menſchheit. Vielleicht mag das Alter der dortigen Stammvoͤlker, das heißt ihre Exiſtenz in dem neuen Welttheil, kaum uͤber den Anfang chriſtlicher Zeitrechnung hinausreichen. Dieſe Gruͤnde fuͤr die Annahme einer ſpaͤtern Bevoͤlkerung von Amerika ſcheinen auf der Hypotheſe zu beruhen, als habe das Menſchengeſchlecht, wo es ſeit Jahrtauſenden exiſtire, ſich uͤberall moraliſch und politiſch ſo ſchnell entwickeln muͤſſen, als in den gluͤcklichen aber engen Erdſtrichen, deren Geſchichte uns am meiſten beſchaͤftigt: an den Ufern des Nils, zwiſchen dem Mittelmeer, dem Kaspiſchen See und dem Euphrat, oder auf der Griechiſchen Halbinſel. Wer mit dem Europaͤiſchen und Aſiatiſchen Norden bekannt iſt, ſieht im alten Kontinente ebenfalls ungeheure Laͤnderſtrecken ohne Denkmaͤhler der Kunſt, ohne Ruinen von Staͤdten, ohne politiſche Bande unter den Bewohnern. Eigentliche Geſchichte des Nordens faͤngt, nach Schoͤning und Schloͤzer, auch erſt um das Jahr 1000 der chriſtlichen Zeitrechnung an; und dennoch hat man es nie gewagt das Menſchengeſchlecht in Norwegen und Schweden als ſehr jung zu verrufen. Der Schluß von der Barbarei der Nazionen auf ihre Neuheit, oder auf ihre ſpaͤtere Ankunft in einem Lande, iſt in der That ein Fehlſchluß. Man vergißt, welch ein ſonderbarer Zuſammenfluß von Begebenheiten dazu gehoͤrt um die Menſchheit zu ſittlicher Kultur und Entwickelung ihrer intellektuellen Faͤhigkeiten zu erwecken. Man hat ſcharfſinnig erwieſen, wie aus den hieroglyphiſchen Malereien wahre Hieroglyphen ohne Beziehung der Charaktere auf einander, aus den Hieroglyphen Tonzeichen, und aus dieſen endlich Lettern entſtehen koͤnnen. Aber man durchſuche alle Voͤlker des Erdbodens; und, erſtaunt, wird man (wie noch neuerlichſt einer unſer groͤßten Alterthumsforſcher Hr Zoega in ſeinem Obeliskenwerke aus einander geſetzt hat) Zerlegung der Silben in Buchſtaben nur auf einem engen Raume, im ſuͤdweſtlichen Aſien, Aegypten und dem ſuͤdoͤſtlichen Europa, entdecken. In der uͤbrigen Welt ſcheint ſich das Menſchengeſchlecht ſeit Jahrtauſenden nie zu dieſer letzten Stufe der Ideenmittheilung erhoben zu haben. — Allein die Unkultur, in der uns die Amerikaniſche Geſchichte die aͤlteſten Urvoͤlker ſchildert, iſt auch in der That weniger groß, als Diejenigen angeben welche fuͤr die ſogenannte Neuheit jenes Kontinents ſtreiten. Wie man ehemal, von der Großprahlerei der erſten Abenteurer und Eroberer verleitet, zu glaͤnzende Ideen von der Geiſteskultur der Mexikaner und Peruaner hegte, ſo iſt man ſeit Pauw’s und Raynal’s Zeiten in den entgegengeſetzten Fehler verfallen. Als die Tulteker am Ende des ſechſten Jahrhunderts ihr noͤrdliches Vaterland Huehuetlapallan verließen, finden wir ſchon unter ihnen ein zuſammengeſetztes Feudalſyſtem, hieroglyphiſche Gemaͤlde, Piramiden mit kuͤnſtlich behauenen Porphyrtafeln geziert, und ein wohl angeordnetes Sonnenjahr. Wo ſieht man in Skandinavien gleichzeitig aͤhnliche Spuren der Menſchenkultur? Der Ausdruck: ſpaͤtere Bevoͤlkerung eines Welttheils, ſetzt zudem noch das Auswandern des neuentſtandenen Menſchengeſchlechts aus einer beſtimmten Gegend voraus; ſei es, daß der hohe noch ungemeſſene Gebirgsruͤcken von Tibet, oder nach Samſkredaniſchen Sagen die Quellen des Ganges (bei Sirinagar am Himaligebirge), oder die Ufer des Tigris, oder endlich wie Diejenigen wollen die ſich mit aͤgyptiſchen Alterthuͤmern beſchaͤftigen, die Hoͤhen von Habeſch, die Wiege der Menſchheit waren. Aſiatiſche Mythen, die allerdings einen ehrwuͤrdigen Charakter des Alterthums an ſich tragen, haben dieſe Idee von einer Zentralverbreitung der Voͤlker unter uns faſt allgemein gemacht. Wie koͤnnen aber Mythen und Tradizion uͤber Begebenheiten entſcheiden, die nicht geſchichtlich gewußt werden koͤnnen, oder die, wie Alles was den Urſprung der Dinge betrift, uͤber alle Geſchichte hinausreichen! Echt hiſtoriſche Unterſuchungen beginnen daher nie von der erſten Bevoͤlkerung eines Landes; und ſo wenig ich es fuͤr unwahrſcheinlich halte, daß viele Staͤmme Amerikaniſcher Urvoͤlker uͤber die Beringsſtraße oder die Aleutiſchen Inſeln aus dem noͤrdlichen Aſien heruͤber kamen, ſo wenig kenne ich eine einzige Thatſache, welche zu dieſer Annahme apodiktiſch zwaͤnge. Die Form des Amerikaniſchen Schaͤdels iſt in der Geſtalt der zygomatiſchen Fortſaͤtze, der Nichtung der Faziallinie, und der faſt hundsartigen Kriſta des Stirnbeins, von dem Tatariſchen Schaͤdel weſentlich verſchieden, obgleich dieſem mehr als dem der Neger verwandt. Der noͤrdlichſte Theil des neuen Kontinents, Groͤnland, Labrador, und das große Weſtland bis an den Mackenziefluß, iſt von Eskimos bewohnt, einer kleinen kurzleibigen Menſchenrace, die wir in den Europaͤiſchen und Aſiatiſchen Polarlaͤndern, in den Lappen und Samojeden wiederholt finden, und deren Exiſtenz, wie die Thalform des Atlantiſchen Ozeans zwiſchen Amerika und Europa, auf einen ehemaligen allgemeinen Zuſammenhang aller Welttheile gegen Norden zu, hinweiſet. Die Urvoͤlker des neuen Kontinents kannten die mehlreichen Zerealien nicht, welche im alten Kontinent dem Menſchengeſchlecht ſeit ſeiner erſten Kindheit uͤberall zu folgen ſcheinen. Die Amerikaniſchen Sprachen haben eine ſchwache Verwandtſchaft mit denen der Kuriliſchen Inſeln, um die Nordſpitze von Aſien, mit der Sprache der Tſchuktſchen, Koraͤken und Kamtſchadalen, oder der Europaͤiſchen Lapplaͤnder. Die Aehnlichkeit welche mehrere Amerikaniſche Denkmaͤhler mit Oſtindiſchen, ja ſelbſt mit Aegyptiſchen haben, eine Aehnlichkeit auf die wir in der Folge wieder zuruͤckkommen werden, beweiſet vielleicht mehr die Einfoͤrmigkeit des Ganges, welchen der menſchliche Kunſtſinn in allen Zonen und zu allen Zeiten in ſeiner ſtufenweiſen Entwickelung befolgt hat, als Nazionalverwandtſchaft, oder Abſtammung aus Inneraſien. So wie es in der Naturkunde Sitte war, Alles bald aus Alkalien und Saͤuren, bald aus Elektrizitaͤt, bald aus Waͤrmeſtof, bald aus Oxygen zu erklaͤren; ſo hat derſelbe Vereinfachungstrieb Veranlaſſung gegeben, alle Menſchenkultur bald aus Vorderaſien, bald aus China, bald von den Skythen, bald aus Tibet, bald aus Aegypten abzuleiten. Unterſucht man die Gruͤnde dieſer Behauptungen mit ernſter Genauigkeit, ſo ſieht man, daß die aͤlteſten Sagen der Menſchheit wohl in der Form (und dies aus pſychiſchen Gruͤnden), keinesweges aber in der Materie ſelbſt, in der geographiſchen Beſtimmung des erſten Kulturſitzes mit einander uͤbereinkommen. In Aegypten zum Beiſpiel deutet die aͤlteſte Mythe von dem Kampf zweier Menſchenracen, der Aethiopiſchen und Arabiſchen, der Zwiſt zwiſchen Oſiris dem ſchwarzen Bakchus, und dem Peluſium gruͤndenden Typhon oder dem blonden Fuͤrſten Baby auf eine groͤßere Kultur in Suͤden, alſo auf Gegenden die weit vom Euphrat und Tigris entfernt ſind. Unter den Hindus geht dagegen die Sage, daß der Gott Rama Ackerbau und Kuͤnſte aus dem Lande Apodya brachte, ein Land welches die Samkſrit noͤrdlich vom Himaligebirge ſetzt. In dieſem Gebirge ſelbſt, und in Tibet, ſucht man dagegen (neueren Reiſenden zufolge) den Urſprung der Menſchenkultur an den ſuͤdlichen Ufern des Ganges. So widerſprechend iſt der Glaube der Voͤlker uͤber Gegenſtaͤnde, uͤber welche bildliche Vorſtellungen und Privatphantaſieen Einzelner ſich nur zu oft in das Gewand uralter Sagen gekleidet haben. Ueberhaupt, wenn von Urvoͤlkern die Rede iſt, ſollte man neueren Geſchichtforſchern die Vorſicht des Tazitus anempfehlen, der, wo er von den verſchiedenen Menſchenracen auf Brittannien und von ihrer wahrſcheinlichen Abkunft redet, mit den ſkeptiſchen Worten endigt: Caeterum, Britanniam qui mortales initio coluerint, indigenae an advecti, ut inter Barbaros parum compertum . Zoega de Obel. p. 577. Fra Paolino da S. Bartolomeo Syſtem. Brachman. p. 137. Tac. Agric. cap. II. Giebt es keinen hiſtoriſchen oder philoſophiſchen Grund, das Menſchengeſchlecht im Neuen Kontinent fuͤr neuer als im Norden von Europa oder Aſien zu halten, ſo verlieren auch alle Gruͤnde ihr Gewicht, welche man aus der willkuͤrlichen Vorausſetzung dieſer Neuheit gegen das Alter der erſten Denkmaͤhler Amerikaniſcher Urvoͤlker hergenommen hat. Mitten in den Waͤldern des Orinoko um Kaikara und Uruana habe ich Granitfelſen geſehen, welche mit eingegrabenen hieroglyphiſchen Bildern bedeckt ſind. Dieſe Bilder finden ſich in Hoͤhen und an Bergen, zu denen man jetzt nur mit Schwierigkeit gelangen kann. Zweihundert Meilen von der Meereskuͤſte entfernt, weit oberhalb der Katarakten von Maypure und Atures, in der großen Einoͤde zwiſchen den vier Fluͤſſen Caſſiquiare, Atabapo, Orinoko, und Guainia oder Rio Negro, in einer Grasebene wo jetzt kein menſchliches Weſen athmet, ſind in den iſolirten Syenit- und Gneisfelſen ebenfalls Figuren von Thieren, Waffen, Hausgeraͤth, und viele uns voͤllig unverſtaͤndliche Sinnbilder ausgehauen. Umher, auf mehr als 40000 Quadratmeilen, finden ſich nur nomadiſche Staͤmme, welche auf der tiefſten Stufe menſchlicher Bildung, unbekleidet, ein thieriſches Leben fuͤhren, und kaum von der Moͤglichkeit hieroglyphiſche Bilder in harten Felsmaſſen einzugraben eine Idee haben. Alſo waren dieſe Einoͤden einſt bevoͤlkert, und von Nazionen bevoͤlkert, deren Kultur weit uͤber die der itzigen Generazionen erhaben war. In welche Zeitperiode aber dieſe untergegangene Kultur faͤllt, aus welchem Jahrhundert dieſe Bilderfelſen oder die Grabhuͤgel in Teneſſee ſind, iſt unmoͤglich itzt zu entſcheiden. Wagen es doch die Italiaͤniſchen Alterthumsforſcher nicht, die Epoche der von Petit-Radel neulich erlaͤuterten Zyklopeiſchen Monumente auf der Apenninenkette anzugeben! Geſchichte faͤngt im neuen Kontinent erſt mit der Nazion, welche ihre Begebenheiten in hieroglyphiſchen Gemaͤlden aufzubewahren wußte, das heißt vom 7ten Jahrhundert der chriſtlichen Zeitrechnung an, da die Tulteker zuerſt in Anahuak (dem itzigen Mexiko) erſchienen. Kein Monument Amerikaniſcher Urvoͤlker das uͤber dieſe ſpaͤte Periode hinaus faͤllt, kann daher eigentlich hiſtoriſch erlaͤutert werden; und ſo hat die Geſchichte des neuen Welttheils dieſe Aehnlichkeit mehr mit der des Europaͤiſchen Nordens, wo die aͤlteſten Denkmaͤhler die Runenſteine ſind, Denkmaͤhler welche Rudbeck’s Phantaſie bis zur Suͤndfluthsepoche hinaufſchob, die aber nach Schloͤzers Unterſuchungen aus dem ſechſten Jahrhundert herſtammen. Doch neuerlichſt angegriffen in Winteri Dissert. de Origine linguae Suecanae, part. 2, p. 37. Das Peruaniſche Reich, dasjenige nehmlich welches die Spanier zerſtoͤrten, hatte bekanntlich einen fruͤhern Anfang als das Aztekiſche des Montezuma. Mankokapak und Mama Okollo ſollen, nach Quipus-Rechnung, ihre wundervolle Erſcheinung im Anfang des 12ten Jahrhunderts gemacht haben, dahingegen die Stadt Mexiko erſt im J. 1325 erbaut wurde. War aber auch der Mexikaniſche Staat neuer als der Peruaniſche, ſo fuͤhrt uns doch die hieroglyphiſche Chronologie der Mexikaner (freilich ſchwankend und dunkel, wie alle erſte Chronologie der Urvoͤlker) bis ins ſechſte Jahrhundert der chriſtlichen Zeitrechnung hinauf, alſo in eine fruͤhere Epoche als die Peruaniſchen Denkſchnuͤre. Die Sagen der Inkas, die der Muyskas im alten Kundinamarka (dem itzigen Koͤnigreich Neugrenada) zeigen uns das Menſchengeſchlecht in viele kleine Staͤmme vertheilt, doch ackerbauend, und von fremden ploͤtzlich auftretenden Wundermaͤnnern in ſehr zuſammengeſetzte, der Entwickelung der Individuen hinderliche, politiſche Verfaſſungen (eigentliche Theokratieen) eingeengt. Dieſe Geſetzgeber ſtiegen alle von der Andeskette herab, alle kamen von Oſten, und Mankokapak erſchien in der hohen Gebirgsebene am großen See von Titihaka, einer Ebene die wir in der Folge als den Sitz einer uralten aber fruͤh untergegangenen Kultur werden kennen lernen. Der in Europa wenig bekannte, dem Manko Kapak aͤhnliche Bochika, der Stifter des Sonnentempels von Sogamuxi, im itzigen Koͤnigreich Santa Fe, kam uͤber das Gebirge aus den oͤſtlichen Grasfluren des Meta: alſo aus einer Gegend, wo Jahrhunderte nachher das Menſchengeſchlecht in faſt thieriſcher Rohheit angetroffen ward. In den Suͤdamerikaniſchen Sagen wird nichts von Voͤlkerzuͤgen, die aus Einem Punkte ausgehen, vom Verdraͤngen und Vorſchieben der Nazionen gemeldet. Ganz anders ſieht es dagegen in der etwas hoͤher hinaufſteigenden Geſchichte Nordamerikaniſcher Staaten aus. In dieſer geht die Fluth der Voͤlker von Norden nach Suͤden. Ein Stamm verdraͤngt den andern, und zwingt dieſen entweder die Herrſchaft des Eroberers zu ertragen, oder ſuͤdlicher zu entfliehen. Vom 6ten bis zum 13ten Jahrhundert, von den Tultekern an bis zu den Alkohuern und Azteken, dauert dieſe Bewegung fort. Man glaubt in der Mexikaniſchen Geſchichte die Erzaͤhlung der großen Europaͤiſchen Voͤlkerwanderung zu leſen, in welcher die nehmliche Horde vom Don bis an den Guadalquivir oder bis zu dem Afrikaniſchen Atlas vordrang. Da die erſte Mexikaniſche Nazion, von welcher die durch die Spanier beſiegten Azteken Nachricht hatten, die Tulteker waren, und da mit dieſen zuerſt hieroglyphiſche Jahrbuͤcher in Anahuak erſchienen, ſo ſchrieb man den Tultekern natuͤrlich nicht nur die Erfindung dieſer hiſtoriſchen Malerei zu; ſondern auch noch itzt nennen die Eingebornen in Mexiko alle Denkmahle, die ein Gepraͤge des hoͤchſten Alterthums an ſich tragen, Tultekiſche Denkmahle. Boturini und einige andre Schriftſteller haben die Idee in Gang gebracht, daß die Tulteker, welche, nach einer großen Peſt, die Gebirgsebnen von Tenochtitlan verließen und dann auf einmal in der Geſchichte verſchwinden, uͤber die Landenge nach Panama zogen, und endlich in Suͤden als Peruaner erſchienen. Die angeruͤhmte Sanftheit ihrer Sitten, die ſchuldloſen Opfer von Fruͤchten welche ſie der Sonne brachten, ihr Trieb ungeheure Steinmaſſen zu bewegen und aufzuthuͤrmen, die Groͤße welche alle Monumente haben die man ihnen zuſchreibt, koͤnnten dieſer Hypotheſe allerdings einige Wahrſcheinlichkeit geben. Sie ſtuͤrzt aber voͤllig, wie ſo manche aͤhnliche, zuſammen, wenn man ſie chronologiſch unterſucht, und ſich nicht von den zufaͤlligen Uebereinſtimmungen blenden laͤßt, welche ſich uͤberall bei dem Anfang menſchlicher Bildung finden. Die verheerende Peſt in Anahuak (vielleicht der Matlazahuatl der Indianer, ein Typhus der mit dem gelben Fieber einige Aehnlichkeit hat, ſich aber nicht auf die weiße oder kaukaſiſche Menſchenrace fortpflanzt) herrſchte um die Mitte des 11ten Jahrhunderts, wahrſcheinlich genau ums Jahr 1051. Alſo verſchwanden die Tulteker in Mexiko nur 100 Jahre fruͤher als Mankokapak in der ſuͤdlichen Hemiſphaͤre das Peruaniſche Reich ſtiftete. Und lange vor dieſem myſtiſchen Geſetzgeber, welcher der neuen Welt das erſte fuͤrchterliche Beiſpiel von Religionskriegen gab, bluͤhete ſchon im Norden und Suͤden zugleich eine nicht unbetraͤchtliche Kultur. Die großen Gebirgsebenen von Tiahuanaku ſcheinen der Sitz fruͤher Menſchenbildung in Suͤdamerika geweſen zu ſein. Hier fand Inka Mayta Kapak, als er unter ſchrecklichem Blutvergießen die Provinz Callao eroberte, koloſſale Gebaͤude, einen von Menſchenhaͤnden aufgefuͤhrten Berg, Ruinen von Staͤdten, und zwei unfoͤrmliche Statuen. Die Eingebornen ſagten ſchon damal, ſie wuͤßten nicht wer Urheber dieſer Gebaͤude ſei. Sie glaubten (wie die Araber unſerm Niebuhr von den Piramiden um Gize erzaͤhlten), ein Zauberer habe in einer Nacht alle dieſe Wunderwerke hervorgerufen. Dies beweiſt, daß bereits zu der Zeit alle Spuren von dem Urſprunge dieſer alten Ueberreſte verloren gegangen waren. Der Spaniſche Abenteurer Diego de Alcobazar ſah nahe bei Tiahuanaku an dem See von Chikuito aͤhnliche Gebaͤude, und zahlloſe ungeheuer große aber unfoͤrmliche Statuen von Maͤnnern und Weibern die ihre Kinder in den Armen trugen (faſt wie die Monumente der Oſterinſel). Die Peruaner erzaͤhlten, dies ſeien Menſchen die durch raͤchende Zauberer in Steine verwandelt worden waͤren, weil ſie einen armen durchwandernden Fremdling, ſtatt ihn zu beherbergen, todtgeſchlagen haͤtten: eine Mythe, die an aͤhnliche Aſiatiſche, und nach dem großen Geſchichtforſcher Johann von Muͤller an aͤhnliche Schweizeriſche im Saanenlande erinnert, und deren Erfindung gewiß dem moraliſchen Gefuͤhle dieſer Voͤlker Ehre macht. Garcilaſſo, deſſen Familienſtolz geneigt iſt, alle Kultur ſeinen Ahnherrn den Inkas zuzuſchreiben, geſteht doch ſelbſt daß die große Feſtung bei Cuſco die noch uͤbrig iſt, eine Nachahmung der aͤltern Gebaͤude von Tiahuanaku geweſen ſei. Reiſende haben mich verſichert, daß um den See Chukuito noch jetzt ungeheuer große behauene Steinmaſſen und Mauren geſehen werden, eine Nachricht welche Alcobazar’s Erzaͤhlung zu beglaubigen ſcheint. Bei Truxillo an der Kuͤſte der Suͤdſee bin ich Stundenlang in den Ruinen der Stadt Manſiche umhergeritten: Ruinen, die einen Flaͤchenraum einnehmen der nicht viel geringer als der von Berlin iſt, und welche ebenfalls vor der Ankunft der Inkas exiſtirten. — So ſieht man alſo, daß zu derſelben Zeit als die Tulteker in Mexiko Piramiden bauten und ſie mit Porphyrtafeln bekleideten, in der ſuͤdlichen Hemiſphaͤre andre Voͤlker bereits zu einer aͤhnlichen Kultur gelangt waren. So iſt die Menſchheit im Neuen Kontinent, in den entfernteſten Punkten zugleich, zu bildendem Kunſtfleiß erwacht. Wie die Werke dieſer Kultur gegenwaͤrtig beſchaffen ſind, wird uns in einer folgenden Abhandlung beſchaͤftigen. Berlin. Al. von Humboldt.