Physiognomik der Pflanzenformen. Dieß grüne Leben, so in Flur und Wald Sich tausendfältig aufthut, einstmals schlief es Noch ungeweckt im Stoffe. Als die Wasser Zurückgetreten in ihr tiefes Bett, Lag öd' und grauenhaft der feuchte Grund Von Leichen andrer Schöpfungstage voll; Bis Feuer sich und Wasser ausgestritten. Und wie der Zweig des Friedens Tag um Tag Im Wechsel der Zerstörung und des Werdens Nun sich das Farrnkraut hob; die schlanke Palme, Das zarte Moos -- bis endlich frisch und voll Die Ahnherrn dieser königlichen Wälder Das blätterreiche Haupt aus festem Stamme In freud'gem Flüstern zu den Wolken trugen. J. Minding. Ungleich ist der Teppich gewebt, welchen die blüthenreiche Flora über dem nackten Erdkörper ausbreitet: dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölkten Himmel emporsteigt; lockerer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth, und schiebt plötzlich (wie einst zwischen den griechischen Inseln) einen schlackigen Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Naturerscheinung zu erinnern) auf einem unterseeischen Gebirgsrücken die einträchtigen Lithophyten ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtausenden, über den Wasserspiegel hervorragend, absterben und ein flaches Korallen-Eiland bilden: so sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den todten Fels zu beleben. Was den Samen so plötzlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen Entfernung der Küste schwer zu entscheiden. Aber auf dem nackten Steine, sobald ihn zuerst die Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern ein Gewebe sammetartiger Fasern, welche dem unbewaffneten Auge als farbige Flecken erscheinen. Einige sind durch hervorragende Linien bald einfach, bald doppelt begrenzt; andere sind in Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz. Die Grenzen der alternden Decke fließen ineinander, und auf dem dunklen Grunde bilden sich neue, zirkelrunde Flechten von blendender Weiße. So lagert sich schichtenweise ein organisches Gewebe auf das andere; und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der sittlichen Cultur durchlaufen muß, so ist die allmälige Verbreitung der Pflanzen an bestimmte physische Gesetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzogen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein. Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und Sträucher füllen die Kluft der langen, aber ungemessenen Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den Tropen Portulacca, Gomphrenen und andere fette und niedrige Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendecke und ihre allmälige Ausbreitung über die öde Erdrinde hat ihre Epochen, wie die Geschichte der wandernden Thierwelt. Ist aber auch die Fülle des Lebens überall verbreitet, ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden, so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andere Kryptogamen abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch im Winterschlaf begraben. In einem großen Theile der Erde haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen, und ohne Blattorgane einer langen Unterbrechung der Lebensfunktionen fähig sind. Je näher gegen die Tropen, desto mehr nimmt die Mannigfaltigkeit der Gestaltung, Anmuth der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen Lebens zu. Wer die Natur mit Einem Blicke zu umfassen, und von Lokal-Phänomenen zu abstrahiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der belebenden Wärme, von den Polen zu dem Aequator hin, sich auch allmälich organische Kraft und Lebensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermehrung sind doch jedem Erdstriche besondere Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der Anblick der Wiesen und das periodische Wiedererwachen der Natur beim ersten Wehen der Frühlingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter. Die urtiefe Kraft der Organisation fesselt, trotz einer gewissen Freiwilligkeit im abnormen Entfalten einzelner Theile, alle thierische und vegetabilische Gestaltung an feste, ewig wiederkehrende Typen. So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschreibende Botanik und Zoologie, im engeren Sinne des Worts, Zergliederung der Thier- und Pflanzenformen sind; so gibt es auch eine Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt. Die Kenntniß von dem Naturcharakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechts und mit seiner Cultur auf's Innigste verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Cultur nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt wird, so hängt doch die Richtung derselben, so hängen Volkscharakter, düstere oder heitere Stimmung der Menschheit großentheils von klimatischen Verhältnissen ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem Euphrat, dem Halys und dem ägäischen Meere, die sich ansiedelnden Völker früh zu sittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen erwacht! Und haben nicht, als Europa in neue Barbarei versank und religiöse Begeisterung plötzlich den heiligen Orient öffnete, unsere Voreltern aus jenen milden Thälern von neuem mildere Sitten heimgebracht? Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker verdankten größtentheils ihren eigenthümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere, den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umweht. Wer fühlt sich nicht, um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders gestimmt in dem dunklen Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen umkränzt sind, oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birke säuselt? Melancholische, ernst erhebende, oder fröhliche Bilder rufen diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns hervor. Der Einfluß der physischen Welt auf die moralische, das geheimnißvolle Ineinanderwirken des Sinnlichen und Außersinnlichen gibt dem Naturstudium, wenn man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig erkannten Reiz. Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen zugleich abhängt; wenn Umriß der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Dunstkreises den Totaleindruck bewirken: so ist doch nicht zu läugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt es an Masse; die Beweglichkeit der Individuen und oft ihre Kleinheit entziehen sie unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung dagegen wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft. Ihre Masse bezeichnet ihr Alter, und in den Gewächsen allein sind Alter und Ausdruck stets sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenförmige Drachenbaum, den ich auf den canarischen Inseln sah und der 16 Schuh im Durchmesser hat, trägt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend) Blüthe und Frucht. Als französische Abentheurer, die Bethencourts, im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, die glücklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum von Orotava (heilig den Eingebornen, wie der Oelbaum in der Burg zu Athen oder die Ulme zu Ephesus) von eben der kolossalen Stärke wie jetzt. In den Tropen ist ein Wald von Hymenäen und Cäsalpinien vielleicht das Denkmal von mehr als einem Jahrtausend. Umfaßt man mit einem Blick die verschiedenen phaneroganischen Pflanzenarten, welche bereits den Herbarien einverleibt sind und deren Zahl jetzt auf mehr denn 80,000 geschätzt wird, so erkennt man in dieser wundervollen Menge gewisse Hauptformen, auf welche sich viele andere zurückführen lassen. Zur Bestimmung dieser Typen, von deren individueller Schönheit, Vertheilung und Gruppirung die Physiognomie der Vegetation eines Landes abhängt, muß man nicht (wie in den botanischen Systemen aus andern Beweggründen geschieht) auf die kleinsten Fortpflanzungsorgane, Blüthenhüllen und Früchte, sondern nur auf das Rücksicht nehmen, was durch Masse den Totaleindruck einer Gegend individualisirt. Unter den Hauptformen der Vegetation gibt es allerdings ganze Familien der sogenannten natürlichen Systeme: Bananengewächse und Palmen, Cafuarineen und Coniferen werden auch in diesem einzeln aufgeführt. Aber der botanische Systematiker kennt eine Menge von Pflanzengruppen, welche der Physiognomiker sich gezwungen sieht mit einander zu verbinden. Wo die Gewächse sich als Massen darstellen, fließen Umrisse und Vertheilung der Blätter, Gestalt der Stämme und Zweige in einander. Der Maler (und gerade dem feinsten Naturgefühle des Künstlers kommt hier der Ausspruch zu!) unterscheidet in dem Hintergrunde einer Landschaft Pinien oder Palmengebüsche von Buchen, nicht aber diese von andern Laubholzwäldern. Sechzehn Pflanzenformen bestimmen hauptsächlich die Physiognomie der Natur. Ich zähle nur diejenigen auf, welche ich auf meinen Reisen durch die Continente und bei einer vieljährigen Aufmerksamkeit auf die Vegetation der verschiedenen Himmelsstriche zwischen dem 60 Grad nördlicher und dem 12. südlicher Breite beobachtet habe. Gewiß wird die Zahl dieser Formen ansehnlich vermehrt werden, wenn man einst in das Innere der Continente tiefer eindringt und neue Pflanzengattungen entdeckt. Im südöstlichen Asien, im Innern von Afrika und Neu-Holland, in Südamerika vom Amazonenstrome bis zu der Provinz Chiquitos hin ist die Vegetation uns noch völlig unbekannt. Wir beginnen mit den Palmen, der höchsten und edelsten aller Pflanzengestalten; denn ihr haben stets die Völker (und die früheste Menschenbildung war in der asiatischen Palmenwelt, wie in dem Erdstriche, welcher zuerst an die Palmenwelt grenzt) den Preis der Schönheit zuerkannt. Hohe, schlanke, geringelte, bisweilen stachliche Schäfte endigen mit anstrebendem, glänzendem, bald gefächertem, bald gefiedertem Laube. Die Blätter sind oft grasartig gekräuselt. Der glatte Stamm erreicht, von mir mit Sorgfalt gemessen, 180 Fuß Höhe. Die Palmenform nimmt an Pracht und Größe ab vom Aequator gegen die gemäßigte Zone hin. Europa hat unter seinen einheimischen Gewächsen nur einen Repräsentanten dieser Form: die zwergartige Küstenpalme, den Chamaerops, der in Spanien und Italien sich nördlich bis zum 44. Breitengrade erstreckt. Das eigentliche Palmenklima der Erde hat zwischen 201/2° und 22° R. mittlerer jährlicher Wärme. Aber die aus Afrika zu uns gebrachte Dattelpalme, welche weit minder schön als andere Arten dieser Gruppe ist, vegetirt noch im südlichen Europa in Gegenden, deren mittlere Temperatur 12° bis 131/2° beträgt. Palmenstämme und Elephantengerippe liegen im nördlichen Europa im Innern der Erde vergraben; ihre Lage macht es wahrscheinlich, daß sie nicht von den Tropen her gegen Norden geschwemmt wurden, sondern daß in der großen Revolution unseres Planeten die Klimate, wie die durch sie bestimmte Physiognomie der Natur vielfach verändert worden sind. Zu den Palmen gesellt sich in allen Welttheilen die Pisang- oder Bananenform: die Scitamineen und Musaceen der Botaniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia; ein niedriger, aber saftreicher, fast krautartiger Stamm, an dessen Spitze sich dünn und locker gewebte, zartgestreifte, seidenartig glänzende Blätter erheben. Pisang-Gebüsche sind der Schmuck feuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung fast aller Bewohner des heißen Erdgürtels. Wie die mehlreichen Cerealien oder Getreidearten des Nordens, so begleiten Pisang-Stämme den Menschen seit der frühesten Kindheit seiner Cultur. Semitische Sagen setzen die ursprüngliche Heimath dieser nährenden Pflanze an den Euphrat, andere mit mehr Wahrscheinlichkeit an den Fuß des Himalaya-Gebirges in Indien. Nach griechischen Sagen waren die Gefilde von Enna das glückliche Vaterland der Cerealien. Wenn die siculischen Früchte der Ceres, durch die Cultur über die nördliche Erde verbreitet, einförmige, weitgedehnte Grasfluren bildend, wenig den Anblick der Natur verschönern; so vervielfacht dagegen der sich ansiedelnde Tropenbewohner durch Pisang-Pflanzungen eine der herrlichsten und edelsten Gestalten. Die Form der Malvaceen und Bombaceen ist dargestellt durch Ceiba, Cavanillesia und den mexikanischen Händebaum, Cheirostemon: kolossalisch dicke Stämme, mit zartwolligen, großen, herzförmigen oder eingeschnittenen Blättern, und prachtvollen, oft purpurrothen Blüthen. Zu dieser Gruppe gehört der Affenbrodbaum, Adansonia digitata, welcher bei mäßiger Höhe bisweilen 30 Fuß im Durchmesser hat, und wahrscheinlich das größte und älteste organische Denkmal auf unserem Planeten ist. In Italien fängt die Malvenform bereits an, der Vegetation einen eigenthümlichen südlichen Charakter zu geben. Dagegen entbehrt unsere gemäßigte Zone im alten Continent leider ganz die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimosen; sie herrscht durch Acacia, Desmanthus, Gleditschia, Porleria, Tamarindus. Den Vereinigten Staaten von Nordamerika, in denen unter gleicher Breite die Vegetation mannigfaltiger und üppiger als in Europa ist, fehlt diese schöne Form nicht. Bei den Mimosen ist eine schirmartige Verbreitung der Zweige, fast wie bei den italienischen Pinien, gewöhnlich. Die tiefe Himmelbläue des Tropenklima's, durch die zartgefiederten Blätter schimmernd, ist von überaus malerischem Effekte. Eine meist afrikanische Pflanzengruppe sind die Heidekräuter; dahin gehören, dem physiognomischen Charakter oder dem allgemeinen Anblick nach, auch die Epacrideen und Diosmeen, viele Proteaceen, und die australischen Acacien mit bloßen Blattstielblättern (Phyllodien): eine Gruppe, welche mit der der Nadelhölzer einige Aehnlichkeit hat, und eben deßhalb oft mit dieser, durch die Fülle glockenförmiger Blüthen, desto reizender contrastirt. Die baumartigen Heidekräuter, wie einige andere afrikanische Gewächse, erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeers. Sie schmücken Wälschland und die Cistus-Gebüsche des südlichen Spaniens. Am üppigsten wachsend habe ich sie auf Teneriffa, am Abhange des Pics von Teyde, gesehen. In den baltischen Ländern und weiter nach Norden hin ist diese Pflanzenform gefürchtet, Dürre und Unfruchtbarkeit verkündend. Unsere Heidekräuter, Erica (Calluna) vulgaris, E. tetralix, E. carnea und E. cinerea, sind gesellschaftlich lebende Gewächse, gegen deren fortschreitenden Zug die ackerbauenden Völker seit Jahrhunderten mit wenigem Glücke ankämpfen. Sonderbar, daß der Hauptrepräsentant der Familie bloß einer Seite unseres Planeten eigen ist! Von den 300 bis jetzt bekannten Arten von Erica findet sich nur eine einzige im neuen Continent von Pennsylvanien und Labrador bis gegen Nulka und Alaschka hin. Dagegen ist bloß dem neuen Continent eigenthümlich die Cactus- Form: bald kugelig, bald gegliedert; bald in hohen, vieleckigen Säulen, wie Orgelpfeifen, aufrecht stehend. Diese Gruppe bildet den auffallendsten Contrast mit der Gestalt der Liliengewächse und der Bananen. Sie gehört zu den Pflanzen, welche Bernardin de St. Pierre sehr glücklich vegetabilische Quellen der Wüste nennt. In den wasserleeren Ebenen von Südamerika suchen die von Durst geängstigten Thiere den Melonen-Cactus: eine kugelförmige, halb im dürren Sand verborgene Pflanze, deren saftreiches Inneres unter furchtbaren Stacheln versteckt ist. Die säulenförmigen Cactus-Stämme erreichen bis 30 Fuß Höhe; und candelaberartig getheilt, oft mit Lichenen bedeckt, erinnern sie, durch Aehnlichkeit der Physiognomie, an einige afrikanische Euphorbien. Wie diese grüne Oasen in den pflanzenleeren Wüsten bilden, so beleben die Orchideen den vom Licht verkohlten Stamm der Tropenbäume und die ödesten Felsenritzen. Die Vanillenform zeichnet sich aus durch hellgrüne, saftvolle Blätter, wie durch vielfarbige Blüthen von wunderbarem Baue. Die Orchideen-Blüthen gleichen bald geflügelten Insekten, bald den Vögeln, welche der Duft der Honiggefäße anlockt. Das Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich, um, auch nur einen beschränkten Raum durchmusternd, die prachtvollen Orchideen abzubilden, welche die tief ausgefurchten Gebirgsthäler der peruanischen Andeskette zieren. Blattlos, wie fast alle Cactus-Arten, ist die Form der Casuarineen: einer Pflanzengestalt, bloß der Südsee und Ostindien eigen; Bäume mit schachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch finden sich auch in andern Erdstrichen Spuren dieses mehr sonderbaren als schönen Typus. Plumier's Equisetum altissimum, Forskäl's Ephedra aphylla aus Nordafrika, die peruanischen Colletien und das sibirische Calligonum Pallasia sind der Casuarinenform nahe verwandt. So wie den Pisang-Gewächsen die höchste Ausdehnung, so ist in den Casuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypressen bilden eine nordische Form, welche in den Tropen seltener ist, und in einigen Coniferen (Dammara, Salisburia) ein breitblättriges Nadellaub zeigt. Ihr ewig frisches Grün erheitert die öde Winterlandschaft. Es verkündet gleichsam den Polarvölkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen, wie das Prometheische Feuer, nie auf unserem Planeten erlischt. Parasitisch, wie bei uns Moose und Flechten, überziehen in der Tropenwelt außer den Orchideen auch die Pothos-Gewächse den alternden Stamm der Waldbäume; saftige, krautartige Stengel erheben große, bald pfeilförmige, bald gefingerte, bald längliche, aber stets dickadrige Blätter. Die Blüthen der Aroideen, ihre Lebenswärme erhöhend, sind in Scheiden eingehüllt; stammlos treiben sie Luftwurzeln. Verwandte Formen sind: Pothos, Dracontium, Caladium, Arum; das letzte bis zu den Küsten des Mittelmeers fortschreitend, in Spanien und Italien mit saftvollem Huflattig, mit hohen Distelstauden und Acanthus die Ueppigkeit des südlichen Pflanzenwuchses bezeichnend. Zu dieser Arum-Form gesellt sich die Form der tropischen Lianen, in den heißen Erdstrichen von Südamerika in vorzüglichster Kraft der Vegetation; Paullinia, Banisteria, Bignonien und Passifloren. Unser rankender Hopfen und unsere Weinreben erinnern an diese Pflanzengestalt der Tropenwelt. Am Orinoko haben die blattlosen Zweige der Bauhinien oft 40 Fuß Länge. Sie fallen theils senkrecht aus dem Gipfel hoher Swietenien herab, theils sind sie schräg wie Mastthaue ausgespannt; und die Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geschicklichkeit, daran auf- und abzuklettern. Mit den biegsamen, sich rankenden Lianen, mit ihrem frischen und leichten Grün contrastirt die selbstständige Form der bläulichen Aloe- Gewächse: Stämme, wenn sie vorhanden sind, fast ungetheilt, eng geringelt und schlangenartig gewunden. An dem Gipfel sind saftreiche, fleischige, langzugespitzte Blätter strahlenartig zusammengehäuft. Die hochstämmigen Aloe-Gewächse bilden nicht Gebüsche, wie andere gesellschaftlich lebende Pflanzen; sie stehen einzeln in dürren Ebenen, und geben dadurch der Tropengegend oft einen eigenen melancholischen (man möchte sagen afrikanischen) Charakter. Zu dieser Aloe-Form gehören wegen physiognomischer Aehnlichkeit im Eindruck der Landschaft: aus den Bromeliaceen die Pitcairnien, welche in der Andeskette aus Felsritzen aufsteigen, die große Pournetia pyramidata (Atschupalla der Hochebenen von Neu-Granada), die amerikanische Aloe (Agave), Bromelia Ananas und B. Karatas; aus den Euphorbiaceen die seltenen Arten mit dicken, kurzen, candelaberartig getheilten Stämmen; aus der Familie der Asphodeleen die afrikanische Aloe und der Drachenbaum, Dracaena Draco; endlich unter den Liliaceen die hochblühende Yucca. Wie die Aloe-Form sich durch ernste Ruhe und Festigkeit, so charakterisirt sich die Grasform, besonders die Physiognomie der baumartigen Gräser, durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicher Schlankheit. Bambus-Gebüsche bilden schattige Bogengänge in beiden Indien. Der glatte, oft geneigt hinschwebende Stamm der Tropengräser übertrifft die Höhe unserer Erlen und Eichen. Schon in Italien fängt im Arundo Donax diese Form an, sich vom Boden zu erheben, und durch die Höhe und Masse den Natur-Charakter des Landes zu bestimmen. Mit der Gestalt der Gräser ist auch die der Farren in den heißen Erdstrichen veredelt. Baumartige, bis 40 Fuß hohe Farrn haben ein palmenartiges Ansehen; aber ihr Stamm ist minder schlank, kürzer, schuppigrauher, als der der Palmen. Das Laub ist zarter, locker gewebt, durchscheinend und an den Rändern sauber ausgezackt. Diese kolossalen Farrnkräuter sind fast ausschließlich den Tropen eigen; aber in diesen ziehen sie ein gemäßigtes Klima dem ganz heißen vor. Da nun die Milderung der Hitze bloß eine Folge der Höhe ist, so darf man Gebirge, welche zwei- bis dreitausend Fuß über dem Meere erhaben sind, als den Hauptsitz dieser Form nennen. Hochstämmige Farrnkräuter begleiten in Südamerika den wohlthätigen Baum, der die heilende Fieberrinde darbietet. Beide bezeichnen die glückliche Region der Erde, in welcher ewige Milde des Frühlings herrscht. Noch nenne ich die Form der Lilien-Gewächse (Amaryllis, Ixia, Gladiolus, Pancratium), mit schilfartigen Blättern und prachtvollen Blüthen: eine Form, deren Hauptvaterland das südliche Afrika ist; ferner die Weidenform, in allen Welttheilen einheimisch, und in den Hochebenen von Quito, nicht durch die Gestalt der Blätter, sondern durch die der Verzweigung, in Schinus Molle wiederholt; Myrten- Gewächse (Metrosideros, Eucalyptus, Escallonia myrtilloides), Melastomen- und Lorbeer-Form. Am glühenden Sonnenstrahl des tropischen Himmels gedeihen die herrlichsten Gestalten der Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baumrinde mit dürren Flechten und Laubmossen bedeckt ist, so beleben dort Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und der riesenmäßigen Feigenbäume. Das frische Grün der Pothos-Blätter und der Dracontien contrastirt mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen. Rankende Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien umschlingen den Stamm der Waldbäume. Zarte Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der Crescentien und Gustavia. Bei dieser Fülle von Blüthen und Blättern, bei diesem üppigen Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse wird es oft dem Naturforscher schwer, zu erkennen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören. Ein einziger Baum, mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geschmückt, bildet eine Gruppe von Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedecken würden. In den Tropen sind die Gewächse saftstrotzender, von frischerem Grün, mit größeren und glänzenderen Blättern geziert, als in den nördlicheren Erdstrichen. Gesellschaftlich lebende Pflanzen, welche die europäische Vegetation so einförmig machen, fehlen am Aequator beinahe gänzlich. Bäume, fast zweimal so hoch als unsere Eichen, prangen dort mit Blüthen, welche groß und prachtvoll wie unsere Lilien sind. An den schattigen Ufern des Magdalenenflusses in Südamerika wächst eine rankende Aristolochia, deren Blume von 4 Fuß Umfang, sich die indischen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Im südindischen Archipel hat die Blüthe der Rafflesia fast drei Fuß Durchmesser und wiegt über vierzehn Pfund. Die außerordentliche Höhe, zu welcher sich unter den Wendekreisen nicht bloß einzelne Berge, sondern ganze Länder erheben, und die Kälte, welche Folge dieser Höhe ist, gewähren dem Tropenbewohner einen seltsamen Anblick. Außer den Palmen und Pisang-Gebüschen umgeben ihn auch die Pflanzenformen, welche nur den nordischen Ländern anzugehören scheinen. Cypressen, Tannen und Eichen, Berberis-Sträucher und Erlen (nahe mit der unsrigen verwandt) bedecken die Gebirgsebenen im südlichen Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat die Natur dem Menschen in der heißen Zone verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle Pflanzengestalten der Erde zu sehen: wie das Himmelsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden Welten verbirgt. Diesen und so manchen andern Naturgenuß entbehren die nordischen Völker. Viele Gestirne und viele Pflanzenformen, von diesen gerade die schönsten (Palmen, hochstämmige Farrn- und Pisang-Gewächse, baumartige Gräser und feingefiederte Mimosen) bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewächse, welche unsere Treibhäuser einschließen, gewähren nur ein schwaches Bild von der Majestät der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unserer Sprache, in der glühenden Phantasie des Dichters, in der darstellenden Kunst des Malers ist eine reiche Quelle des Ersatzes geöffnet. Aus ihr schöpft unsere Einbildungskraft die lebendigen Bilder einer exotischen Natur. Im kalten Norden, in der öden Heide kann der einsame Mensch sich aneignen, was in den fernsten Erdstrichen erforscht wird; und in seinem Innern eine Welt sich schaffen, welche das Werk seines Geistes, frei und unvergänglich wie dieser, ist. A. v. Humboldt. (Bilder aus dem Weltall.)