Der Pflanzenwuchs in den Tropen. Am glühenden Sonnenſtrahl des tropiſchen Himmels gedeihen die herrlichſten Geſtalten der Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baumrinde mit dürren Flechten und Laubmooſen bedeckt iſt, ſo beleben dort Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und der rieſenmäßigen Feigenbäume. Das friſche Grün der Pothosblätter und der Dracontien contraſtirt mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen. Rankende Bauhinien, Paſſifloren und gelbblühende Baniſterien umſchlingen den Stamm der Waldbäume. Zarte Blumen entfalten ſich aus den Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der Creſcentien und der Gaſtavia. Bei dieſer Fülle von Blüthen und Blättern, bei dieſem üppigen Wuchſe und der Verwirrung rankender Gewächſe, wird es dem Naturforſcher oft ſchwer zu erkennen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören. Ein einziger Baum mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geſchmückt, bildet eine Gruppe von Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedecken würden. In den Tropen ſind die Gewächſe ſaftſtrotzender, von friſcherem Grün, mit größeren und glänzenderen Blättern geziert, als in den nördlichen Erdſtrichen. Geſellſchaftlich lebende Pflanzen, welche die europäiſche Vegetation ſo einförmig machen, fehlen am Aequator beinahe gänzlich. Bäume, faſt zweimal ſo hoch als unſere Eichen, prangen dort mit Blüthen, welche groß und prachtvoll wie unſre Lilien ſind. An den ſchattigen Ufern des Madalenenfluſſes in Südamerika wächſt eine rankende Ariſtolochia, deren Blume, von vier Fuß Umfang, ſich die indiſchen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen. Die außerordentliche Höhe, zu welcher ſich unter den Wendekreiſen nicht bloß einzelne Berge, ſondern ganze Länder erheben, und die Kälte, welche die Folge dieſer Höhe iſt, gewähren dem Tropenbewohner einen ſeltſamen Anblick. Außer den Palmen und Piſanggebüſchen umgeben ihn auch die Pflanzenformen, welche nur den nordiſchen Ländern anzugehören ſcheinen; Cypreſſen, Tannen und Eichen, Berberißſträucher und Erlen — nahe mit den unſrigen verwandt — bedecken die Gebirgsebenen im ſüdlichen Mexiko, wie die Andeskette unter dem Aequator. So hat die Natur dem Menſchen in der heißen Zone verliehen, ohne ſeine Heimath zu verlaſſen, alle Pflanzengeſtalten der Erde zu ſehen; wie das Himmelsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine ſeiner leuchtenden Welten verbirgt. Dieſen und ſo manchen andern Naturgenuß entbehren die nordiſchen Völker. Viele Geſtirne und viele Pflanzenformen, von dieſen gerade die ſchönſten — Palmen und Piſanggewächſe, baumartige Gräſer und feingefiederte Mimoſen — bleiben ihnen ewig unbekannt. Die krankenden Gewächſe, welche unſre Treibhäuſer einſchließen, gewähren nur ein ſchwaches Bild von der Majeſtät der Tropenvegetation. Aber in der Ausbildung unſerer Sprache, in der glühenden Phantaſie des Dichters, in der darſtellenden Kunſt der Maler, iſt eine reiche Quelle des Erſatzes geöffnet. Aus ihr ſchöpft unſere Einbildungskraft die lebendigen Bilder einer exotiſchen Natur. Im kalten Norden, in der öden Haide kann der einſame Menſch ſich aneignen, was in den fernſten Erdſtrichen erforſcht wird, und ſo in ſeinem Innern eine Welt ſich ſchaffen, welche das Werk ſeines Geiſtes, frei und unvergänglich, wie dieſer, iſt.