Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Ungleich ist der Teppich gewebt, den die blüthenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet; dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölkten Himmel emporsteigt; lockerer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhascht. Doch überall darf der Mensch sich der nährenden Pflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth und schiebt plötzlich (wie einst zwischen den griechischen Inseln) einen schlackigen Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Naturerscheinung zu erinnern) die einträchtigen Lithophyten ihre zelligen Wohnungen, bis sie nach Jahrtausenden, über den Wasserspiegel hervorragend, absterben und ein flaches Korallen-Eiland bilden: so sind die organischen Kräfte sogleich bereit den todten Fels zu beleben. Was den Samen so plötzlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres; ist bei der großen Entfernung der Küsten schwer zu entscheiden. Aber auf dem nackten Steine, sobald ihn zuerst die Luft berührt, bildet sich in den nordischen Ländern ein Gewebe sammtartiger Fasern, die dem unbewaffneten Auge als farbige Flecken erscheinen. Einige sind durch hervorragende Linien bald einfach, bald doppelt begrenzt; andere sind in Furchen durchschnitten und in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt sich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt sich nach und nach in ein staubartiges Schwarz. Die Grenzen der alternden Decke fließen in einander, und auf dem dunkeln Grunde bilden sich neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße. So lagert sich schichtenweise ein organisches Gewebe auf das andere; und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen der sittlichen Kultur durchlaufen muß, so ist die allmähliche Verbreitung der Pflanzen an bestimmte physische Gesetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzogen einst zarte Flechten das erdenlose Gestein. Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und Sträucher füllen die Kluft der langen, aber ungemessenen Zwischenzeit aus. Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den Tropen Portulaca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die Geschichte der Pflanzendecke und ihre allmähliche Ausbreitung über die öde Erdrinde hat ihre Epochen, wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts. Nach neuen Untersuchungen sind alle felsbauende Korallen (die lithophytes saxigenes der französischen Zoologen) von gallertartigen Mollusken eigener Art umwohnt oder umgeben. Seit Cooks Reisen ist durch Forsters Beobachtungen die Idee unter den Geognosten rege geworden, als verdankten viele Inseln und ganze Länder diesen Korallenthierchen ihren Ursprung. Ich habe selbst Koralleneilande gesehen und zweifle nicht, daß ein großer Theil der Südseeinseln aus sich verkettenden Koralleneilanden entstanden sein mögen. Indeß ist dieser Hypothese, über die ein vortrefflicher Beobachter, Herr von Chamisso, ein großes Licht verbreitet hat, zu viel Ausdehnung gegeben worden. (Anmerk. des Vfrs.) Leprarien sind kryptogamische Gewächse ohne Blüthen und Wurzel, welche sich rinden oder blattartig ausbreiten. Ist aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet; ist der Organismus auch unablässig bemüht, die durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist diese Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der Himmelsstriche verschieden. Periodisch erstarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüssigkeit ist Bedingniß zum Leben. Thiere und Pflanzen (Laubmoose und andere Cryptogamen abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch im Winterschlaf vergraben. In einem großen Theile der Erde haben daher nur solche organische Wesen sich entwickeln können, welche einer beträchtlichen Entziehung von Wärmestoff widerstehen oder einer langen Unterbrechung der Lebensfunktionen fähig sind. Je näher dagegen den Tropen, desto mehr nimmt Mannigfaltigkeit der Bildungen, Anmuth der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen Lebens zu. Diese Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden, welche nie unsern Welttheil verlassen oder das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachlässigt haben. Wenn man aus unsern dicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach Welschland oder Spanien hinabsteigt; wenn man gar seinen Blick auf die afrikanischen Küstenländer des Mittelmeeres richtet: so wird man leicht zu dem Fehlschlusse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Charakter heißer Klimate. Aber man vergißt, daß das südliche Europa eine andere Gestalt hatte, als pelasgische oder karthagische Pflanzvölker sich zuerst darin festsetzten; man vergißt, daß frühere Bildung des Menschengeschlechts die Waldungen verdrängt, und daß der umschaffende Geist der Nationen der Erde allmählich den Schmuck raubt, der uns in dem Norden erfreut und der (mehr als alle Geschichte) die Jugend unserer sittlichen Kultur anzeigt. Die große Katastrophe, durch welche das Mittelmeer sich gebildet, indem es, ein anschwellendes Binnenwasser, die Schleusen der Dardanellen und die Säulen des Herkules durchbrochen, diese Katastrophe scheint die angrenzenden Länder eines großen Theils ihrer Dammerde beraubt zu haben. Was bei den griechischen Schriftstellern von den Samothracischen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit dieser zerstörenden Naturveränderung an. Auch ist in allen Ländern, welche das Mittelmeer begrenzt, und welche die Kalkformation des Jura charakterisirt, ein großer Theil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Malerische italienischer Gegenden beruht vorzüglich auf diesem lieblichen Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein und der üppigen Vegetation, welche inselförmig darin aufsproßt. Wo dieses Gestein, minder zerklüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammen hält, wo diese mit Erde bedeckt ist, (wie an den reitzenden Ufern des Albaner Sees) da hat selbst Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün, als der Bewohner des Nordens sie wünscht. Die Samothracier erzählten, das schwarze Meer sei ein inländischer, See gewesen, der von den hineinfließenden Strömen anschwellend (lange vor den Ueberschwemmungen, die sich bei andern Völkern zugetragen,) erst den Bosporus und nachher den Hellespont durchbrochen habe. Diodor, V, 47. (Anmerk. des Vfrs.) Auch die Wüsten jenseits des Atlas und die unermeßlichen Ebenen oder Steppen von Süd-Amerika sind als bloße Lokalerscheinungen zu betrachten. Diese findet man, in der Regenzeit wenigstens, mit Gras und niedrigen, fast krautartigen Mimosen bedeckt; jene sind Sand-Meere im Innern des alten Continents, große pflanzenleere Räume, mit ewiggrünen waldigen Ufern umgeben. Nur einzeln stehende Fächerpalmen erinnern den Wanderer, daß diese Einöden Theile einer belebten Schöpfung sind. Im trügerischen Lichtspiele, das die strahlende Wärme erregt, sieht man bald den Fuß dieser Palmen frei in der Luft schweben, bald ihr umgekehrtes Bild in den wogenartig zitternden Luftschichten wiederholt. Auch westlich von der peruanischen Andeskette, an den Küsten des stillen Meeres, haben wir Wochen gebraucht, um solche wasserleere Wüsten zu durchstreichen. Mimosen, eine Art Hülsenpflanze. Der Ursprung derselben, diese Pflanzenlosigkeit großer Erdstrecken in Gegenden, wo umher die kraftvolleste Vegetation herrscht, ist ein wenig beachtetes geognostisches Phänomen, welches sich unstreitig in alten Naturrevolutionen (in Ueberschwemmungen, oder vulkanischen Umwandelungen der Erdrinde) gründet. Hat eine Gegend einmal ihre Pflanzendecke verloren, ist der Sand beweglich und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht aufsteigende Luft den Niederschlag der Wolken : so vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern aus organisches Leben in das Innere der Einöde dringt. Der Strom senkrecht aufsteigender Luft ist eine Hauptursache der wichtigsten meteorologischen Erscheinungen. Wenn eine Wüste, eine pflanzenleere, sandige Fläche von einer hohen Gebirgskette begrenzt ist, so sieht man den Seewind dickes Gewölk über die Wüste hintreiben, ohne daß der Niederschlag früher als an dem Gebirgsrücken erfolgt. Dieses Phänomen wurde ehemals sehr unpassend durch eine Anziehung erklärt, welche die Bergkette gegen die Wolken ausübe. Der wahre Grund scheint in der von der Sandebene aufsteigenden Säule warmer Luft zu liegen, welche die Dunstbläschen hindert sich zu zersetzen. Je vegetationsleerer die Fläche ist, je mehr sich der Sand erhitzt, desto höher ziehen die Wolken, desto weniger kann der Niederschlag erfolgen. Ueber dem Abhange des Gebirges hören diese Ursachen auf. Das Spiel des senkrechten Luftstroms ist dort schwächer, die Wolken senken sich, und die Zersetzung geschieht in der kühleren Luftschicht. So stehen Mangel an Regen und Pflanzenlosigkeit der Wüste in Wechselwirkung mit einander. Es regnet nicht, weil die unbedeckte vegetationsleere Sandfläche sich stärker erhitzt und mehr Wärme ausstrahlt. Die Wüste wird nicht zur Steppe oder Grasflur, weil ohne Wasser keine organische Entwickelung möglich ist. (Anmerk. des Vfrs.) Wer demnach die Natur mit Einem Blicke zu umfassen und von Lokalphänomenen zu abstrahiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmählich organische Kraft und Lebensfülle vermehren. Aber bei dieser Vermehrung sind doch jedem Erdstriche besondere Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen; dem Norden der Anblick der Wiesen und das periodische Wiedererwachen der Natur beim ersten Wehen der Frühlingslüfte. Jede Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter. So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschreibende Botanik und Zoologie, im engern Sinne des Worts, fast nichts als Zergliederung der Thier- und Pflanzenformen ist: so giebt es auch eine gewisse Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt. Was der Maler mit den Ausdrücken schweizer Natur, italienischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl dieses lokalen Naturcharakters. Himmelsbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne ruht, Gestalt der Thiere, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge -- alle diese Elemente bestimmen den Totaleindruck einer Gegend. Georg Forster in seinen Reisen und in seinen kleinen Schriften; Göthe in den Naturschilderungen, welche so manche seiner unsterblichen Werke enthalten; Herder, Büffon, Bernardin de St. Pierre und Chateaubriand haben mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderungen sind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Gemüthe einen Genuß der edelsten Art zu verschaffen; nein, die Kenntniß von dem Naturcharakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechts und mit der seiner Kultur aufs innigste verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt wird; so hängt doch die Richtung derselben, so hängen Volkscharakter, düstere oder heitere Stimmung der Menschheit großentheils von klimatischen Verhältnissen ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem Oxus, dem Tigris und dem ägeischen Meere die sich ansiedelnden Völker zuerst zu sittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen erwacht! Und haben nicht, als Europa in neue Barbarei versank, und religiöse Begeisterung plötzlich den heiligen Orient öffnete, unsere Vorältern aus jenen milden Thälern von neuem mildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker verdankten größtentheils ihren eigenthümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere, den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht, um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders gestimmt in dem dunkeln Schatten der Buchen oder auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen bekränzt sind, oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birken säuselt! Melancholische, ernsterhebende oder fröhliche Bilder rufen diese vaterländische Pflanzengestalten in uns hervor. Der Einfluß der physischen Welt auf die moralische, dies geheimnißvolle Ineinanderwirken des Sinnlichen und Außersinnlichen, giebt dem Naturstudium, wenn man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig gekannten Reiz. Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen zugleich abhängt; wenn Umriß der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises den Totaleindruck bewirken; so ist doch nicht zu läugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung dagegen wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft. Ihre Masse bezeichnet ihr Alter, und in den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruck stets sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Umfaßt man mit Einem Blick die verschiedenen Pflanzenarten, welche bereits auf dem Erdboden entdeckt sind, und deren Zahl nach Decandolles Schätzung über 56,000 beträgt; so erkennt man in dieser wundervollen Menge wenige Hauptformen, auf welche sich alle andere zurückführen lassen. Zur Bestimmung dieser Formen, von deren individueller Schönheit, Vertheilung und Gruppirung die Physiognomie der Vegetation eines Landes abhängt, muß man nicht (wie in den botanischen Systemen aus andern Beweggründen geschieht) auf die kleinsten Theile der Blüthen und Früchte, sondern nur auf das Rücksicht nehmen, was durch Masse den Totaleindruck einer Gegend individualisirt. Unter den Hauptformen der Vegetation giebt es allerdings ganze Familien der sogenannten natürlichen Systeme. Bananengewächse und Palmen werden auch in diesen einzeln aufgeführt. Aber der botanische Systematiker trennt eine Menge von Pflanzengruppen, welche der Physiognomiker sich gezwungen sieht mit einander zu verbinden. Wo die Gewächse sich als Massen darstellen, fließen Umrisse und Vertheilung der Blätter, Gestalt der Stämme und Zweige in einander. Der Maler (und gerade dem feinen Naturgefühle des Künstlers kommt hier der Ausspruch zu!) unterscheidet in dem Mittel- und Hintergrunde einer Landschaft Tannen- oder Palmengebüsche von Buchen, nicht aber diese von andern Laubholzwäldern! Decandolle aus Genf ist einer der ausgezeichnetsten noch lebenden Botaniker. Der Bananen- oder Pisangbaum hat einen niedrigen aber saftreichen, fast krautartigen Stamm, an dessen Spitze sich dünn- und lockergewebte, zartgestreifte, seidenartig-glänzende Blätter erheben, und auf dessen Frucht die Nahrung aller Bewohner des heißen Erdgürtels beruht. A. v. Humboldt.