Alexander von Humboldt. (Anſichten der Natur. Zweite Ausgabe. Stuttgart und Tübingen, 1826.) S. Kunſt der deutſchen Proſa S. 358. Unentſchieden iſt es, wo größere Lebensfülle verbreitet ſey; ob auf dem Continent, oder in dem unergründeten Meere. In dieſem erſcheinen gallertartige Seegewürme, bald lebendig, bald abgeſtorben, als leuchtende Sterne. Ihr Phosphorlicht wandelt die grünliche Fläche des unermeßlichen Ozeans in ein Feuermeer um. Unauslöſchlich wird mir der Eindruck jener ſtillen Tropen- Nächte der Südſee bleiben, wo aus der duftigen Himmelsbläue das hohe Sternbild des Schiffes und das geſenkt untergehende Kreuz ihr mildes planetariſches Licht ausgoſſen, und wo zugleich in der ſchäumenden Meeresfluth die Delphine ihre leuchtenden Furchen zogen. Aber nicht der Ozean allein, auch die Sumpfwaſſer verbergen zahlloſe Gewürme von wunderbarer Geſtalt. Unſerem Auge faſt unerkennbar ſind die Cyclidien, die gefranzten Trichoden und das Heer der Naiden, theilbar durch Aeſte, wie die Lemna, deren Schatten ſie ſuchen. Von mannigfaltigen Luftgemengen umgeben, und mit dem Lichte unbekannt, athmen die gefleckte Askaris, welche die Haut des Regenwurms, die ſilberglänzende Leukrophra, welche das Innere der Ufer-Naide, und ein Pentaſtoma, welche die weitzellige Lunge der tropiſchen Klapperſchlange bewohnt. So ſind auch die verborgenſten Räume der Schöpfung mit Leben erfüllt. Wir wollen hier beſcheiden bei den Geſchlechtern der Pflanzen verweilen; denn auf ihrem Daſeyn beruht das Daſeyn der thieriſchen Schöpfung. Unabläſſig ſind ſie bemüht, den rohen Stoff der Erde organiſch an einander zu reihen, und vorbereitend, durch lebendige Kraft, zu miſchen, was nach tauſend Umwandlungen zur regſamen Nervenfaſer veredelt wird. Derſelbe Blick, den wir auf die Verbreitung der Pflanzendecke heften, enthüllt uns die Fülle des thieriſchen Lebens, das von jener genährt und erhalten wird. Ungleich iſt der Teppich gewebt, den die blüthenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet; dichter, wo die Sonne höher an dem nie bewölkten Himmel emporſteigt; lockerer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Froſt bald die entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhaſcht. Doch überall darf der Menſch ſich der nährenden Pflanzen erfreuen. Trennt im Meeresboden ein Vulkan die kochende Fluth, und ſchiebt plötzlich (wie einſt zwiſchen den griechiſchen Inſeln) einen ſchlackigen Fels empor; oder erheben (um an eine friedlichere Naturerſcheinung zu erinnern) die einträchtigen Lithophyten ihre zelligen Wohnungen, bis ſie nach Jahrtauſenden über den Waſſerſpiegel hervorragend, abſterben, und ein flaches Corallen-Eiland bilden: ſo ſind die organiſchen Kräfte ſogleich bereit, den todten Fels zu beleben. Was den Saamen ſo plötzlich herbeiführt: ob wandernde Vögel, oder Winde, oder die Wogen des Meeres; iſt bei der großen Entfernung der Küſten ſchwer zu entſcheiden. Aber auf dem nackten Steine, ſobald ihn zuerſt die Luft berührt, bildet ſich in den nordiſchen Ländern ein Gewebe ſamtartiger Faſern, die dem unbewaffneten Auge als farbige Flecken erſcheinen. Einige ſind durch hervorragende Linien bald einfach, bald doppelt begränzt; andere ſind in Furchen durchſchnitten und in Fächer getheilt. Mit zunehmendem Alter verdunkelt ſich ihre lichte Farbe. Das fernleuchtende Gelb wird braun, und das bläuliche Grau der Leprarien verwandelt ſich nach und nach in ein ſtaubartiges Schwarz. Die Gränzen der alternden Decke fließen in einander, und auf dem dunkeln Grunde bilden ſich neue zirkelrunde Flechten von blendender Weiße. So lagert ſich ſchichtenweiſe ein organiſches Gewebe auf das andere; und wie das ſich anſiedelnde Menſchengeſchlecht beſtimmte Stufen der ſittlichen Kultur durchlaufen muß, ſo iſt die allmählige Verbreitung der Pflanzen an beſtimmte phyſiſche Geſetze gebunden. Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel luftig erheben, da überzogen einſt zarte Flechten das erdenloſe Geſtein. Laubmooſe, Gräſer, krautartige Gewächſe und Sträucher, füllen die Kluft der langen, aber ungemeſſenen Zwiſchenzeit aus. Was im Norden Flechten und Mooſe, das bewirken in den Tropen Portulaca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. Die Geſchichte der Pflanzendecke, und ihre allmählige Ausbreitung über die öde Erdrinde, hat ihre Epochen, wie die Geſchichte des ſpätern Menſchengeſchlechts. Iſt aber auch Fülle des Lebens überall verbreitet; iſt der Organismus auch unabläſſig bemüht, die durch den Tod entfeſſelten Elemente zu neuen Geſtalten zu verbinden: ſo iſt dieſe Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verſchiedenheit der Himmelsſtriche verſchieden. Periodiſch erſtarrt die Natur in der kalten Zone; denn Flüſſigkeit iſt Bedingniß zum Leben. Thiere und Pflanzen (Laubmooſe und andere Cryptogamen abgerechnet) liegen hier viele Monate hindurch im Winterſchlaf vergraben. In einem großen Theile der Erde haben daher nur ſolche organiſche Weſen ſich entwickeln können, welche einer beträchtlichen Entziehung von Wärmeſtoff widerſtehen, oder einer langen Unterbrechung der Lebensfunktionen fähig ſind. Je näher dagegen den Tropen, deſto mehr nimmt Mannigfaltigkeit der Bildungen, Anmuth der Form und des Farbengemiſches, ewige Jugend und Kraft des organiſchen Lebens zu. Dieſe Zunahme kann leicht von denen bezweifelt werden, welche nie unſern Welttheil verlaſſen, oder das Studium der allgemeinen Erdkunde vernachläſſigt haben. Wenn man aus unſern dicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäen-Kette nach Welſchland oder Spanien hinabſteigt; wenn man gar ſeinen Blick auf die afrikaniſchen Küſtenländer des Mittelmeeres richtet: ſo wird man leicht zu dem Fehlſchluſſe verleitet, als ſey Baumloſigkeit der Charakter heißer Klimate. Aber man vergißt, daß das ſüdliche Europa eine andere Geſtalt hatte, als pelasgiſche oder carthagiſche Pflanzvölker ſich zuerſt darin feſtſetzten; man vergißt, daß frühere Bildung des Menſchengeſchlechts die Waldungen verdrängt, und daß der umſchaffende Geiſt der Nationen der Erde allmählig den Schmuck raubt, der uns in dem Norden erfreut, und der (mehr, als alle Geſchichte) die Jugend unſerer ſittlichen Kultur anzeigt. Die große Kataſtrophe, durch welche das Mittelmeer ſich gebildet, indem es, ein anſchwellendes Binnenwaſſer, die Schleuſen der Dardanellen und die Säulen des Herkules durchbrochen, dieſe Kataſtrophe ſcheint die angränzenden Länder eines großen Theils ihrer Dammerde beraubt zu haben. Was bei den griechiſchen Schriftſtellern von den Samothraciſchen Sagen erwähnt wird, deutet die Neuheit dieſer zerſtörenden Naturveränderung an. Auch iſt in allen Ländern, welche das Mittelmeer begränzt, und welche die Kalkformation des Jura charakteriſirt, ein großer Theil der Erdoberfläche nackter Fels. Das Mahleriſche italieniſcher Gegenden beruht vorzüglich auf dieſem lieblichen Kontraſte zwiſchen dem unbelebten öden Geſtein und der üppigen Vegetation, welche inſelförmig darin ausſproßt. Wo dieſes Geſtein, minder zerklüftet, die Waſſer auf der Oberfläche zuſammen hält, wo dieſe mit Erde bedeckt iſt, (wie an den reizenden Ufern des Albaner Sees) da hat ſelbſt Italien ſeine Eichenwälder, ſo ſchattig und grün, als der Bewohner des Nordens ſie wünſcht.