Ansichten der Natur mit wissenschaftlichen Erläuterungen von Alexander von Humboldt. Zwey Bände. Zweyte verbesserte und vermehrte Ausgabe. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. 1826. 12. Alexander von Humboldt, den man den Fürsten unter den Naturforschern nennen könnte, wie man wohl Goethe'n den Fürsten unter den Dichtern genannt hat, gibt uns hier zum zweyten Male sein unübertreffliches Bild der tropischen Natur, und wir dürfen es als das Lieblingsgemälde dieses großen Meisters betrachten, denn er hat es nicht nur mit philosophischem Geist und wissenschaftlicher Strenge, sondern auch mit dichterischer Wahl und Vorliebe und mit jener schönen Leidenschaft entworfen, die das Herz dessen erfüllen mußte, der in einer innigern Nähe die große Mutter Natur erkannt und den Schleyer der Isis gelüftet. Darum gehört dieses Werk auch zu den seltenen, die gleich einem blumenreichen Isthmus aus dem Lande der Wissenschaft hinüberreichen in die Poesie, und Herz und Auge laben, während sie den sinnigen Geist mit mannigfachen neuen Kenntnissen und Aufschlüssen bereichern und erhellen. Man betrachte Linne's Systema Vegetabilium, das große trockene Register von Wörtern und Zahlen, in deren todten Formeln die ganze blühende Vegetation der Erde eingetrocknet liegt, und nun auf der andern Seite Humboldts Ansichten der Natur, worin im lebendigen Panorama die hohen Vesuve sich erheben über den ewigen Schnee der Cordilleren, und das unendliche Meer lachende sonnenhelle Küsten umarmt, und diese die wimmelnde Menge der tropischen Pflanzen tragen, in einem unauflöslichen ewig blühenden Blumenkranz, und man wird dem genialen Maler die Genugthuung nicht versagen können, daß es etwas mehr heißt, die Natur gleich der meerentstiegenen Göttin in ihrer plastischen Vollendung zu bilden, als ihre Reize nur anatomisch zu zerlegen und die reizenden Glieder abgerissen im Spiritus der Systeme aufzuhängen. Humboldt spricht diese Ansicht selber aus, vorzüglich in Bezug auf die Pflanzenwelt. Die nachfolgende Stelle seines Werkes wird auf die ganze Naturansicht des großen Forschers ein helles Licht werfen und jede weitere Erklärung überflüssig machen. "Jede Zone hat außer den, ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter. So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt; wie beschreibende Botanik und Zoologie, im engern Sinne des Worts, fast nichts als Zergliederung der Thier- und Pflanzenformen ist: so gibt es auch eine gewisse Naturphysiognomie, welche jedem Himmelstriche ausschließlich zukommt. "Was der Maler mit den Ausdrücken schweizer Natur, italienischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl dieses lokalen Naturcharakters. Himmelbläue, Beleuchtung, Duft, der auf der Ferne ruht, Gestalt der Thiere, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge -- alle diese Elemente bestimmen den Totaleindruck einer Gegend. Zwar bilden unter allen Zonen dieselben Gebirgsarten Trachyt, Basalt, Porphyr-Schiefer und Dolomit, Felsgruppen derselben Physiognomie. Die Grünsteinklippen in Süd-Amerika und Mexiko gleichen denen des deutschen Fichtelgebirges, wie unter den Thieren die Form des Alco oder der ursprünglichen Hunderace des neuen Continents mit der europäischen Race übereinstimmt. Denn die unorganische Rinde der Erde ist gleichsam unabhängig von klimatischen Einflüssen; sey es, daß der Unterschied der Klimate neuer als das Gestein ist; sey es, daß die erhärtende, wärmeentbindende Erdmasse sich selbst ihre Temperatur gab, statt sie von außen zu empfangen. Alle Formationen sind daher allen Weltgegenden eigen, und in allen gleich gestaltet. Ueberall bildet der Basalt Zwillingsberge und abgestumpfte Kegel; überall erscheint der Trapp-Porphyr in grotesken Felsmassen, der Granit in sanftrundlichen Kuppen. Auch ähnliche Pflanzenformen, Tannen und Eichen bekränzen die Berghänge in Schweden, wie die des südlichsten Theils von Mexiko. Und bey aller dieser Uebereinstimmung in den Gestalten, bey dieser Gleichheit der einzelnen Umrisse, nimmt die Gruppirung derselben zu einem Ganzen doch den verschiedensten Charakter an. "So wie die Kenntniß der Fossilien sich von der Gebirgslehre unterscheidet, so ist von der individuellen Naturbeschreibung die allgemeine oder die Physiognomik der Natur verschieden. Georg Forster in seinen Reisen und in seinen kleinen Schriften; Goethe in den Naturschilderungen, welche so manche seiner unsterblichen Werke enthalten; Herder, Büffon, Bernardin de St. Pierre, und Chateaubriand haben mit unnachahmlicher Wahrheit den Charakter einzelner Himmelsstriche geschildert. Solche Schilderungen sind aber nicht bloß dazu geeignet, dem Gemüthe einen Genuß der edelsten Art zu verschaffen; nein, die Kenntniß von dem Naturcharakter verschiedener Weltgegenden ist mit der Geschichte des Menschengeschlechtes und mit der seiner Kultur auf's innigste verknüpft. Denn wenn auch der Anfang dieser Kultur nicht durch physische Einflüsse allein bestimmt wird, so hängt doch die Richtung derselben, so hängen Volkscharakter, düstere oder heitere Stimmung der Menschheit größtentheils von klimatischen Verhältnissen ab. Wie mächtig hat der griechische Himmel auf seine Bewohner gewirkt! Wie sind nicht in dem schönen und glücklichen Erdstriche zwischen dem Orus, dem Tigris und dem ägeischen Meere die sich ansiedelnden Völker zuerst zu sittlicher Anmuth und zarteren Gefühlen erwacht! Und haben nicht, als Europa in neue Barbarey versank, und religiöse Begeisterung plötzlich den heiligen Orient öffnete, unsere Voreltern aus jenen milden Thälern von Neuem mildere Sitten heimgebracht! Die Dichterwerke der Griechen und die rauheren Gesänge der nordischen Urvölker verdankten größtentheils ihren eigenthümlichen Charakter der Gestalt der Pflanzen und Thiere, den Gebirgsthälern, die den Dichter umgaben, und der Luft, die ihn umwehte. Wer fühlt sich nicht, um selbst nur an nahe Gegenstände zu erinnern, anders gestimmt in dem dunkeln Schatten der Buchen, oder auf Hügeln, die mit einzeln stehenden Tannen bekränzt sind; oder auf der Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birken säuselt! Melancholische, ernsterhebende, oder fröhliche Bilder rufen diese vaterländischen Pflanzengestalten in uns hervor. Der Einfluß der physischen Welt auf die moralische, dieß geheimnißvolle Ineinanderwirken des Sinnlichen und Außersinnlichen, gibt dem Naturstudium, wenn man es zu höheren Gesichtspunkten erhebt, einen eigenen, noch zu wenig gekannten Reiz. "Wenn aber auch der Charakter verschiedener Weltgegenden von allen äußeren Erscheinungen zugleich abhängt, wenn Umriß der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Himmelbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises den Totaleindruck bewirken; so ist doch nicht zu läugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung wirkt dagegen durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft. Ihre Masse bezeichnet ihr Alter, und in den Gewächsen allein ist Alter und Ausdruck stets sich erneuernder Kraft mit einander gepaart. Der riesenförmige Drachenbaum, den ich auf den kanarischen Inseln sah, und der sechszehn Schuh im Durchmesser hat, trägt noch immerdar (gleichsam in ewiger Jugend) Blüthe und Frucht. Als französische Abenteurer, die Bethencourts, im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts die glücklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum von Oratava (den Eingebornen heilig wie der Oelbaum in der Burg zu Athen, oder die Ulme zu Ephesus) von eben der kolossalen Stärke als jezt. In den Tropen ist ein Wald von Hymeneen und Cäsalpinien vielleicht das Denkmal von einem Jahrtausend. "Umfaßt man mit einem Blick die verschiedenen Pflanzenarten, welche bereits auf dem Erdboden entdeckt sind, und deren Zahl nach Decandolle's Schätzung über 56,000 beträgt, so erkennt man in dieser wundervollen Menge wenige Hauptformen, auf welche sich alle andern zurückführen lassen. Zur Bestimmung dieser Formen, von deren individueller Schönheit, Vertheilung und Gruppirung die Physiognomie der Vegetation eines Landes abhängt, muß man nicht (wie in den botanischen Systemen aus andern Beweggründen geschieht) auf die kleinsten Theile der Blüthen und Früchte, sondern nur auf das Rücksicht nehmen, was durch Masse den Totaleindruck einer Gegend individualisirt. Unter den Hauptformen der Vegetation gibt es allerdings ganze Familien der sogenannten natürlichen Systeme. Bananengewächse und Palmen werden auch in diesen einzeln aufgeführt. Aber der botanische Systematiker trennt eine Menge von Pflanzengruppen, welche der Physiognomiker sich gezwungen sieht, mit einander zu verbinden. Wo die Gewächse sich als Massen darstellen, fließen Umrisse und Vertheilung der Blätter, Gestalt der Stämme und Zweige in einander. Der Maler (und gerade dem feinen Naturgefühle des Künstlers kommt hier der Ausspruch zu!) unterscheidet in dem Mittel- und Hintergrunde einer Landschaft Tannen- oder Palmengebüsche von Buchen, nicht aber diese von andern Laubholzwäldern!"