Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse. Von Alex. Friedr. von Humboldt. (Auszug aus einer in der öffentlichen Sitzung der königl. Preuß. Akademie der Wissenschaften, am 30. Jan. 1806 von demselben vorgelesenen Abhandlung.) Alles, was uns Herr von Humboldt seit der Zurückkunft von seinen großen Reisen, (die sich vom 55sten Grade nördlicher, bis zum 12ten südlicher Breite erstreckten) bekannt gemacht hat, rechtfertigt die große Forderung, welche die Wissenschaft im Stillen an ihn that. Die gegenwärtige Abhandlung liefert einen neuen Beweis hierzu, und sicher wird die späteste Nachwelt noch den Genuß derer beneiden, welche so glücklich waren, die Resultate einer ohne allen Vergleich einzigen Reise unmittelbar zu erhalten. Eine neue, große Ansicht der Natur wird uns wiederum eröffnet, die Betrachtung der so verschiedenartig sich gestaltenden Massen der Gewächse, unabhängig von aller systematischen Darstellung, mehr nach dem Gefühle und dem Sinne des Malers, als für die Untersuchungen im Einzelnen berechnet. Der eigene Ausdruck der verschiedenen Pflanzenbildungen, den dieselben gruppenweise annehmen, wo keine Berücksichtigung der einzelnen Blüten- und Fruchttheile statt finden kann, sondern im Gegentheile das Einzelne in einander verschmilzt, hat Herrn von Humboldt eine Physiognomie der Gewächse entdecken lassen, die sich ihm hauptsächlich in sechzehn Pflanzenformen bestimmte. Niemand war auch besser, als Er im Stande diese aufzufassen, da die Tropenländer den seltenen Vorzug genießen, die Pflanzenformen aller Regionen ihrem Bewohner darbieten zu können. "Die außerordentliche Höhe, zu welcher sich unter den Wendekreisen nicht nur einzelne Berge, sondern ganze Länder erheben, und die Kälte, welche eine Folge dieser Höhe ist, gewähren den Anblick einer wahrhaft nordischen Vegetation (Cypressen, Tannen und Eichen, Berberissträuche und Erlen, nahe mit den unserigen verwandt) im südlichen Mexico und auf der Andeskette, sogar unter dem Aequator, während an wärmeren Stellen Pisanggebüsche und Palmen emporsprossen." "So hat, sagt Hr. v. H. die Natur dem Menschen in der heissen Zone verliehen, ohne seine Heimath zu verlassen, alle Pflanzengestalten der Erde zu sehen, wie das Himmelsgewölbe von Pol zu Pol ihm keine seiner leuchtenden Welten verbirgt." "Je näher den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit der Bildungen, Anmuth der Formen und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft des organischen Lebens zu." "Was im Norden Flechten und Moose, das bewirken in den Tropen Portulaca, Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen." "Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen, und von Lokalphänomenen zu abstrahiren weiß, der sieht, wie mit Zunahme der belebenden Wärme, von den Polen zum Aequator hin, sich allmählich organische Kraft und Lebensfülle vermehren." "Der riesenförmige Drachenbaum," fährt er weiterhin fort, "den ich auf den canarischen Inseln sah, und der sechzehn Fuß im Durchmesser hatte, trägt noch immerdar, (gleichsam in ewiger Jugend) Blüte und Frucht. Als französische Abentheurer, die Bethencourts, im vierzehnten Jahrhundert, die glücklichen Inseln eroberten, war der Drachenbaum von Orotava (den Eingebornen heilig, wie der Oelbaum in der Burg zu Athen etc.) von eben der colossalen Stärke wie jetzt. In den Tropen ist ein Wald von Hymenäen und Cäsalpinien vielleicht das Denkmal von einem Jahrtausend." Nach diesen vorläufigen Bemerkungen, deren noch eine große Menge anderer Art, aber nicht minder wichtige die Einleitung zieren, beschreibt unser Herr Verf. die 16 physiognomischen Pflanzenformen folgendermaßen: "Wir beginnen, sagt er, mit den Palmen, der höchsten und edelsten aller Pflanzengestalten, denn ihr haben stets die Völker den Preis der Schönheit zuerkannt. Das eigentliche Palmenklima der Erde hat 21° mittlere Wärme. Aber die ausAfrikazu uns gebrachte Dattelpalme, welche minder schön als andere Arten dieser Gruppen ist, vegetirt noch im südlichen Europa in Gegenden, deren mittlere Temperatur 14° ist. Zu den Palmen gesellt sich in allen Welttheilen die Pisang- oder Bananenform, die Scitamineen der Botaniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia. Ein niedriger, aber saftreicher, fast krautartiger Stamm, an dessen Spitze sich dünn und locker gewebte, zartgestreifte, seidenartig glänzende Blätter erheben. Pisanggebüsche sind der Schmuck feuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohner des heißen Erdgürtels. Wie die mehlreichen Cerealien oder Getreidearten des Nordens, so begleiten Pisangstämme den Menschen seit der frühesten Kindheit seiner Cultur. Asiatische Mythen setzen die ursprüngliche Heimath dieser nährenden Tropenpflanze an den Euphrat, oder an den Fuß des Himalus in Indien, Griechische Sagen nennen die Gefilde von Enna als das glückliche Vaterland der Cerealien. Malvenform, Sterculia, Hibiscus, Lavatera, Ochroma. Kurze, aber kolossalische dicke Stämme mit zartwolligen, großen, herzförmigen, oft eingeschnittenen Blättern, und prachtvollen, oft purpurrothen Blüten. Zu dieser Pflanzengruppe gehört der Affenbrodbaum, Adansonia digitata, der bei zwölf Fuß Höhe, dreißig Fuß im Durchmesser hat, und der wahrscheinlich das größte und älteste organische Denkmal auf unserm Planeten ist. In Italien fängt die Malvenform bereits an, der Vegetation einen eigenthümlichen südlichen Character zu geben. Dagegen entbehrt unsere gemäßigte Zone im alten Continent leider ganz die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimosen, Gleditsia, Porliera, Tamarindus. Den vereinigten Staaten von Nordamerika, in welchen unter gleicher Breite die Vegetation mannichfaltiger und üppiger als in Europa ist, fehlt diese schöne Form nicht. Bei den Mimosen ist eine schirmartige Verbreitung der Zweige, fast wie bei den italiänischen Pinien, gewöhnlich. Eine meist afrikanische Gruppe sind die Heidekräuter. Dahin gehören auch die Andromeda, Passerinen und Gnidien, eine Gruppe, die mit der der Nadelhölzer einige Aehnlichkeit hat, und eben deßhalb mit dieser durch die Fülle glockenförmiger Blüten desto reizender contrastirt. Die baumartigen Heidekräuter, wie einige andere afrikanische Gewächse erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeeres. Sie schmücken Welschland und die Cistusgebüsche des südlichen Spaniens. Am üppigsten wachsend habe ich sie auf den afrikanischen Inseln, am Abhange des Pic von Teyde gesehen. Bei uns in den baltischen Ländern und noch nördlicher hin, ist diese Pflanzenform gefürchtet, Dürre und Unfruchtbarkeit verkündigend. Unsere Heidekräuter, Erica vulgaris und Tetralix sind gesellschaftlich lebende Gewächse, gegen deren fortschreitenden Zug die ackerbauenden Völker seit Jahrhunderten mit wenigem Glücke ankämpfen. Sonderbar, daß der Hauptrepräsentant dieser Form bloß einer Seite unserer Planeten eigen ist. Von den 137 bis jetzt bekannten Gattungen von Erica findet sich auch nicht eine einzige im neuen Continent, von Pennsylvanien und Labrador bis gegen Nootka und Alaschka hin. Dem neuen Continent ist dagegen bloß eigenthümlich die Cactusform, bald kugelförmig, bald gegliedert, bald in hohen, vieleckigen Säulen, wie Orgelpfeifen, aufrechtstehend. Diese Gruppe bildet den höchsten Contrast mit der Gestalt der Liliengewächse und der Bananen. In den wasserleeren Ebenen von Südamerika suchen die von Durst geängsteten Thiere den Melonencactus, eine kugelförmige, halb im dürren Sande verborgene, Pflanze, deren saftreiches Innere unter furchtbaren Stacheln versteckt ist. Die seidenartigen Cactusstämme erreichen bis dreißig Fuß Höhe, und candelaberartig getheilt, haben sie eine auffallende Aehnlichkeit der Physiognomie mit einigen afrikanischen Euphorbien. Wie diese, grüne Oasen in den pflanzenleeren Wüsten bilden, so beleben die Orchideen den vom Licht verkohlten Stamm der Tropenbäume in den ödesten Felsenritzen. Die Vanillenform zeichnet sich durch hellgrüne saftvolle Blätter, und durch vielfarbige Blüten von wunderbarem Baue aus. Diese Blüten gleichen bald den geflügelten Insecten, bald den zarten Vögeln, welche der Duft der Honiggefäße anlocket. Das Leben eines Malers wäre nicht hinlänglich, alle die prachtvollen Orchideen abzubilden, welche die tiefausgefurchten Gebirgsthäler der peruanischen Andeskette zieren. Blattlos, wie fast alle Cactusarten, ist die Form der Casuarinen, eine Pflanzengestalt, bloß der Südsee und Ostindien eigen. Bäume, mit schachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch finden sich auch in anderen Weltgegenden Spuren dieses mehr sonderbaren, als schönen Typus. Plumier's Equisetum altissimum, die Ephedra aus Nordafrika, die peruanischen Colletien, und das sibirische Calligonum Pallasia sind der Casuarinenform nahe verwandt. So wie in den Pisanggewächsen die höchste Ausdehnung, so ist in den Casuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja, und Cypressen bilden eine nordische Form, die in den Tropen selten ist. Ihr ewig frisches Grün erheitert die Winterlandschaft. Es verkündigt gleichsam den Polarvölkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen, wie das Prometheische Feuer, nie auf unserem Planeten erlischt. Parasitisch, wie bei uns Moose und Flechten, überziehen in der Tropenwelt außer den Orchideen, auch die Pothosgewächse den alternden Stamm der Waldbäume. Saftige, krautartige Stengel mit großen, bald pfeilförmigen, bald gefingerten, bald länglichen, aber stets dickadrigen Blättern. Blumen in Scheiden. Pothos, Dracontium, Arum, letztere dem Norden fehlend, aber in Spanien und Italien mit saftvollem Huflattich, hohen Distelstauden und Acanthus, die Ueppigkeit des südlichen Pflanzenwuchses bezeichnend. Zu dieser Arumform gesellt sich die Form der Lianen, beide in heißen Erdstrichen von Südamerika in vorzüglicher Kraft der Vegetation. Paullinia, Banisteria, Bignonien. Unser rankender Hopfen, und unsere Weinreben erinnern an diese Pflanzengestalt der Tropenwelt. Am Orinoco haben die blattlosen Zweige der Bauhinien oft vierzig Fuß Länge. Sie fallen theils senkrecht aus dem Gipfel hoher Swietenien herab, theils sind sie schräg wie Masttaue ausgespannt, und die Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geschicklichkeit, daran auf- und abzuklettern. Mit den biegsamen sich rankenden Lianen, mit ihrem frischen und leichten Grün, contrastirt die selbstständige Form der bläulichen Aloegewächse. Stämme, wenn sie vorhanden sind, fast ungetheilt, enggeringelt und schlangenartig gewunden. An dem Gipfel sind saftreiche, fleischige, lang zugespitzte Blätter, strahlenartig zusammengehäuft. Die hochstämmigen Aloegewächse bilden nicht Gebüsche, wie andere gesellschaftlich lebende Pflanzen. Sie stehen einzeln in dürren Ebenen, und geben der Tropengegend dadurch oft einen eigenen melancholischen (ich möchte sagen afrikanischen) Character. Wie die Aloeform sich durch ernste Ruhe und Festigkeit, so characterisirt sich die Grasform, besonders die Physiognomie der baumartigen Gräser durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicher Schlankheit. Bambusgebüsche bilden schattige Bogengänge in beiden Indien. Der glatte, oft geneigt hinschwebende Stamm der Tropengräser übertrifft die Höhe unserer Erlen und Eichen. Schon in Italien fängt in Arundo Donax diese Form an, sich vom Boden zu erheben, und durch Höhe und Masse den Naturcharacter des Landes zu bestimmen. Mit der Gestalt der Gräser ist auch die der Farrenkräuter in den heißen Erdstrichen veredelt. Baumartige, oft 35 Fuß hohe Farrenkräuter haben ein palmenartiges Ansehen; aber ihr Stamm ist minder schlank, kürzer, schuppig rauher als der der Palmen. Das Laub ist zarter, lockerer gewebt, durchscheinend, und an den Rändern sauber ausgezackt. Diese kolossalen Farrenkräuter sind oft ausschließlich den Tropen eigen, aber in diesen ziehen sie ein gemäßigtes Clima dem ganz heißen vor. Da nun die Milderung der Hitze bloß eine Folge der Höhe ist, so darf man Gebirge, die zwei bis drei tausend Fuß über dem Meere erhaben sind, oder die Höhe unserer teutschen Brockens, als den Hauptsitz dieser Form nennen. Hochstämmige Farrenkräuter begleiten in Südamerika den wohlthätigen Baum, der die heilende Fieberrinde darbietet. Beide bezeichnen die glückliche Region der Erde, in welcher ewige Milde des Frühlings herrscht. Noch nenne ich die Form der Liliengewächse (Amaryllis, Pancratium) mit schilfartigen Blättern und prachtvollen Blüten, eine Form, deren Hauptvaterland das südlicheAfrikaist; ferner die Weidenform, in allen Welttheilen einheimisch, und, wo Salix fehlt, in den Banksien und einigen Proteen wiederholt. Myrthengewächse, (Metrosideros, Eucalyptus, Escallonia) Melastomen- und Lorbeerform. " So weit diese Charakteristik. Hierauf folgen mehrere schöne Betrachtungen; wie sich denn überhaupt die ganze Abhandlung als eine wahrhaft poetische Schilderung zu erkennen giebt. Es sey erlaubt, nur noch Folgendes auszuheben: "Wie im kalten Norden die Baumrinde mit dürren Flechten und Laubmoosen bedeckt ist, so beleben dort (in den Tropen) Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und der riesenmäßigen Feigenbäume. Das frische Grün der Pothosblätter und der Dracontien contrastirt mit den vielfarbigen Blüten der Orchideen. Rankende Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien umschlingen den Stamm der Waldbäume. Zarte Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der Crescentien und der Gustavia. Bei dieser Fülle von Blüten und Blättern, bei diesem üppigen Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse, wird es dem Naturforscher oft schwer, zu erkennen, welchem Stamme Blüten und Blätter zugehören. Ein einziger Baum mit Paullinien, Bignonien, und Dendrobium geschmückt, bildet eine Gruppe von Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedecken würden. In den Tropen sind die Gewächse saftstrotzender, von frischerem Grün, mit größeren und glänzenderen Blättern geziert, als in den nördlicheren Erdstrichen. Gesellschaftliche Pflanzen, welche die europäische Vegetation so einförmig machen, fehlen am Aequator fast gänzlich; Bäume, fast zweimal so groß, als unsere Eichen, prangen dort mit Blüten, welche groß und prachtvoll wie unsere Lilien sind. An den schattigen Ufern des Madalenenflusses in Südamerika wächst eine rankende Aristolochia, deren Blumen von vier Fuß Umfang, sich die indischen Knaben in ihren Spielen über den Scheitel ziehen." Fr. V.