Berlin: Ideen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe, von Alexander von Humboldt. Vorgeleſen in der öffentlichen Sitzung der königl. preuſſ. Akademie der Wiſſenſchaften am 30 Januar 1806. 29 S. 8. Nachdem der erſte ſehnliche Wunſch erfüllt war, den trefflichen und kühnen Naturforſcher von ſeiner müh- und gefahrvollen Reiſe wieder bey den Seinen zu wiſſen: ſo mußte der zweyte ſogleich lebhaft entſtehen, und Jedermann höchſt begierig ſeyn auf eine Mittheilung aus der Fülle der eroberten Schätze. Hier nun empfangen wir die erſte Gabe, in einem kleinen Gefäß ſehr köſtliche Früchte. Wenn wir uns ins Wiſſen, in die Wiſſenſchaft begeben, geſchieht es denn doch nur, um deſto ausgerüſteter ins Leben wiederzukehren; und ſo erſcheint uns hier das im Einzelnen ſo kümmerlich ängſtliche, botaniſche Studium in ſeiner Verklärung auf einem Gipfel, wo es uns einen lebhaften und einzigen Genuß gewähren ſoll. Nachdem Linnée ein Alphabet der Pflanzengeſtalten ausgebildet, und uns ein bequem zu benutzendes Verzeichniß hinterlaſſen; nachdem die Juſſieu das große Ganze ſchon naturgemäßer aufgeſtellt, ſcharfſinnige Männer immerfort, mit bewaffnetem und unbewaffnetem Auge, die unterſcheidenden Kennzeichen aufs genaueſte beſtimmen, und die Philoſophie uns eine belebte Einheit einer höheren Anſicht verſpricht: ſo thut hier der Mann, dem die über die Erdfläche vertheilten Pflanzengeſtalten in lebendigen Gruppen und Maſſen gegenwärtig ſind, ſchon vorauseilend den letzten Schritt, und deutet an, wie das einzeln Erkannte, Eingeſehene, Angeſchaute, in völliger Pracht und Fülle dem Gefühl zugeeignet, und wie der ſo lange geſchichtete und rauchende Holzſtoß, durch einen äſthetiſchen Hauch, zur lichten Flamme belebt werden könne. Glücklicher Weiſe ſind in dieſer kleinen Schrift die Hauptreſultate ſo zuſammengedrängt, daß wir unſere Leſer mit einem Auszug erfreuen, ja wir dürfen wohl ſagen, erquicken können: denn alles das Beſte und Schönſte, was man von Vegetation jemals unter freyem und ſchönem Himmel geſehen, wird wieder in der Seele lebendig, und die Einbildungskraft geſchickt gemacht und aufgeregt, dasjenige, was uns durch künſtliche Anſtalten, durch mehr oder weniger unzulangliche Bilder und Beſchreibungen überliefert worden, ſich auf das kräftigſte und erfreulichſte zu vergegenwärtigen. „Sechzehn Pflanzenformen beſtimmen hauptſächlich die Phyſiognomie der Natur. Ich zähle nur diejenigen auf, welche ich bey meinen Reiſen durch beide Welttheile, und bey einer vieljährigen Aufmerkſamkeit auf die Vegetation der verſchiedenen Himmelsſtriche zwiſchen dem 55 Grade nördlicher und dem 12 Grade ſüdlicher Breite beobachtet habe. Wir beginnen mit den Palmen, der höchſten und edelſten aller Pflanzgeſtalten. Denn ihr haben ſtets die Völker (und die früheſte Menſchenbildung war in der aſiatiſchen Palmenwelt, oder in dem Erdſtriche, der zunächſt an die Palmenwelt grenzt) den Preis der Schönheit zuerkannt. Hohe, ſchlanke, geringelte, bisweilen ſtachliche Schäfte mit anſtrebendem, glänzendem, bald gefächertem, bald gefiedertem Laube. Die Blätter ſind oft graßartig gekräuſelt. Der glatte Stamm erreicht bis 180 Fuß Höhe. Zu den Palmen geſellt ſich in allen Welttheilen die Piſang oder Bananenform, (die Scitamineen der Botaniker, Heliconia, Amomum, Strelitzia). Ein niedriger aber ſaftreicher, faſt krautartiger Stamm, an deſſen Spitze ſich dünn- und lockergewebte, zartgeſtreifte, ſeidenartig-glänzende Blätter erheben. Piſanggebüſche ſind der Schmuck feuchter Gegenden. Auf ihrer Frucht beruht die Nahrung aller Bewohner des heißen Erdgürtels. Malvenform, (Sterculia, Hibiscus, Lavatera, Ochroma). Kurze aber koloſſaliſch dicke Stämme mit zartwolligen, großen herzförmigen, oft eingeſchnittenen Blättern, und prachtvollen oft purpurrothen Blüthen. Zu dieſer Pflanzengruppe gehört der Affenbrodbaum, Adanſonia digitata, der bey 12 Fuß Höhe 30 Fuß Durchmeſſer hat, und der wahrſcheinlich das größte und älteſte organiſche Denkmahl auf unſerem Planeten iſt. In Italien fängt die Malvenform bereits an, der Vegetation einen eigenthümlichen ſüdlichen Charakter zu geben. Dagegen entbehrt unſere gemäßigte Zone im alten Continent leider ganz die zartgefiederten Blätter, die Form der Mimoſen, (Gleditſia, Porleria, Tamarindus). Den vereinigten Staaten von Nord-Amerika, in denen unter gleicher Breite die Vegetation mannichfaltiger und üppiger als in Europa iſt, fehlt dieſe ſchöne Form nicht. Bey den Mimoſen iſt eine ſchirmartige Verbreitung der Zweige, faſt wie bey den italianiſchen Pinien, gewöhnlich. Die tiefe Himmelsbläue des Tropenklimas, durch die zartgefiederten Blätter ſchimmernd, iſt von überaus mahleriſchem Effecte. Eine meiſt afrikaniſche Pflanzengruppe ſind die Heidekräuter; dahin gehören auch die Andromeda, Paſſerinen und Gnidien, eine Gruppe, die mit der der Nadelhölzer einige Ähnlichkeit hat, und eben deßhalb mit dieſer, durch die Fülle glockenförmiger Blüthen, deſto reizender contraſtirt. Die baumartigen Heidekräuter, wie einige andere afrikaniſche Gewächſe, erreichen das nördliche Ufer des Mittelmeers. Sie ſchmücken Welſchland und die Ciſtusgebüſche des ſüdlichen Spaniens. Am üppigſten wachſend habe ich ſie auf den afrikaniſchen Inſeln, am Abhange des Pics von Teyde geſehen. Dem neuen Continent iſt eigenthümlich die Cactusform, bald kugelförmig, bald gegliedert, bald in hohen, vieleckigen Säulen, wie Orgelpfeifen, aufrechtſtehend. Dieſe Gruppe bildet den höchſten Contraſt mit der Geſtalt der Liliengewächſe und der Bananen. Wie dieſe grüne Oaſen in den pflanzenleeren Wüſten bilden, ſo beleben die Orchideen den trockenen Stamm der Tropenbäume und die ödeſten Felſenritzen. Die Vanillenform zeichnet ſich durch hellgrüne ſaftvolle Blätter und durch vielfarbige Blüthen von wunderbarem Baue aus. Dieſe Blüthen gleichen bald den geflügelten Inſecten, bald den zarten Vögeln, welche der Duft der Honiggefäße anlockt. Blattlos, wie faſt alle Cactusarten, iſt die Form der Caſuarinen, einer Pflanzengeſtalt, bloß der Südſee und Oſtindien eigen. Bäume mit ſchachtelhalmähnlichen Zweigen. Doch finden ſich auch in anderen Weltgegenden Spuren dieſes mehr ſonderbaren als ſchönen Typus. So wie in den Piſanggewächſen die höchſte Ausdehnung, ſo iſt in den Caſuarinen und in den Nadelhölzern die höchſte Zuſammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypreſſen bilden eine nordiſche Form, die in den Tropen ſelten iſt. Ihr ewig friſches Grün erheitert die öde Winter-Landſchaft. Paraſitiſch, wie bey uns Mooſe und Flechten, überziehen in der Tropenwelt außer den Orchideen auch die Pothosgewächſe den alternden Stamm der Waldbäume. Saftige krautartige Stengel mit großen, bald pfeilförmigen, bald geſingerten, bald länglichen aber ſtets dickadrigen Blättern. Blumen in Scheiden. Zu dieſer Arumform geſellt ſich die Form der Lianen, beide in heißen Erdſtrichen von Süd-Amerika in vorzüglicher Kraft der Vegetation. (Paullinia, Baniſteria, Bignonien.) Unſer rankender Hopfen und unſere Weinreben erinnern an dieſe Pflanzengeſtalt der Tropenwelt. Am Orinoco haben die blattloſen Zweige der Bauhinien oft 40 Fuß Länge. Sie fallen theils fenkrecht aus dem Gipfel hoher Schwietenien herab; theils ſind ſie ſchräg wie Maſttaue ausgeſpannt, und die Tigerkatze hat eine bewundernswürdige Geſchicklichkeit, daran auf- und abzuklettern. Mit den biegſamen ſich rankenden Lianen, mit ihrem friſchen und leichten Grün, contraſtirt die ſelbſtſtändige Form der bläulichen Aloegewächſe; Stämme, wenn ſie vorhanden ſind, faſt ungetheilt, enggeringelt und ſchlangenartig gewunden. An dem Gipfel ſind ſaftreiche, fleiſchige, langzugeſpitzte Blätter ſtrahlenartig zuſammengehäuft. Die hochſtämmigen Aloegewächſe bilden nicht Gebüſche, wie andere geſellſchaftlich lebende Pflanzen. Sie ſtehen einzeln in dürren Ebenen, und geben der Tropengegend dadurch oft einen eigenen melancholiſchen (man möchte ſagen afrikaniſchen) Charakter. Wie die Aloeform ſich durch ernſte Ruhe und Feſtigkeit, ſo charakteriſirt ſich die Grasform, beſonders die Phyſiognomie der baumartigen Gräſer, durch den Ausdruck fröhlicher Leichtigkeit und beweglicher Schlankheit. Bambusgebüſche bilden ſchattige Bogengänge in beiden Indien. Der glatte, oft geneigt-hinſchwebende Stamm der Tropengräſer übertrifft die Höhe unſerer Erlen und Eichen. Mit der Geſtalt der Gräſer iſt auch die der Farrenkräuter in den heißen Erdſtrichen veredelt. Baumartige, oft 35 Fuß hohe Farrenkräuter haben ein palmenartiges Anſehen; aber ihr Stamm iſt minder ſchlank, kürzer, ſchuppigrauher als der der Palmen. Das Laub iſt zarter, locker gewebt, durchſcheinend, und an den Rändern ſauber ausgezackt. Dieſe coloſſalen Farrenkräuter ſind oft ausſchließlich den Tropen eigen, aber in dieſen ziehen ſie ein gemäßigtes Klima dem ganz heißen vor. Noch nenne ich die Form der Liliengewächſe, (Amaryllis, Pancratium) mit ſchilfartigen Blättern und prachtvollen Blüthen, eine Form, deren Hauptvaterland das ſüdlicheAfrikaiſt; ferner die Weidenform, in allen Welttheilen einheimiſch; und wo Salix fehlt, in den Bankſien und einigen Proteen wiederholt; Myrthengewächſe, (Metroſideros Eucalyptus, Eſcallonia) Melaſtomen- und Lorbeerform. Am glühenden Sonnenſtrahl des tropiſchen Himmels gedeihen die herrlichſten Geſtalten der Pflanzen. Wie im kalten Norden die Baumrinde mit dürren Flechten und Laubmooſen bedeckt iſt, ſo beleben dort Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und der rieſenmäßigen Feigenbäume. Das friſche Grün der Pothosblätter und der Dracontien contraſtirt mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen. Rankende Bauhinien, Paſſifloren und gelbblühende Baniſterien umſchlingen den Stamm der Waldbäume. Zarte Blumen entfalten ſich aus den Wurzeln der Theobroma, wie aus der dichten und rauhen Rinde der Crescentien und der Guſtaria. Bey dieſer Fülle von Blüthen und Blättern, bey dieſem üppigen Wuchſe und der Verwirrung rankender Gewächſe, wird es dem Naturforſcher oft ſchwer zu erkennen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören. Ein einziger Baum mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geſchmückt, bildet eine Gruppe von Pflanzen, welche, von einander getrennt, einen beträchtlichen Erdraum bedecken würden.“ Jedermann wird nunmehr lebhaft bemüht ſeyn, dieſe kleine Schrift in ihrer ganzen Ausdehnung zu leſen, und mit ungeduldigſter Sehnſucht dem nächſt verſprochenen erſten Theil jener Reiſebeſchreibung, der das Naturgemählde der Tropenwelt umfaſſen ſoll, entgegenſehen.