Neueste Briefe des Herrn Oberbergraths von Humboldt. Vor einem Jahre (B. Monatschr. Junius 1802 Nr 2) wurden die damal letzten Briefe unsers berühmten Landsmanns Alexander von Humboldt im Auszuge mitgetheilt. Sie gingen vom September bis November 1801, und kamen aus Südamerika, von der Nähe des Aequators, dießeit. An sie schließen sich, obgleich wahrscheinlich mehrere dazwischen verloren gingen, die itzt angelangten drei Briefe, aus der jenseitigen Nähe des Aequators. Sie sind vom 3 Juni 1802, aus Quito; vom 13 Jul, 1802, aus Cuenca; und vom 25 November dess. Jahrs, aus Lima, der Hauptstadt in Peru: an den Bruder des Schreibenden, den Königl. Kammerherrn, itzt Residirenden Preußischen Minister am Päpstlichen Hofe, gerichtet, der sie vor Kurzem sämmtlich auf einmal erhalten hat. Der letzte dieser Briefe ist der ausführlichste und wichtigste. Hr von Humboldt in Rom hat aus demselben einen allgemein mittheilbaren Auszug gemacht, wobei zugleich das Interessanteste aus den beiden ersten Briefen eingeschaltet ist. -- Diesen liefere ich hier, mit einigen Anmerkungen und ein paar eingeschobnen Worten, zum leichtern Verständniß. Ein Blick auf jene früher gedruckten Berichte, und auf eine Landkarte, wird vollends Alles deutlich machen. Den wichtigen Inhalt über Länder- und Völkerkunde ungerechnet, ist es höchst erfreulich, das Wohlsein unsers merkwürdigen Reisenden zu erfahren, über den man seit geraumer Zeit nichts Gewisses gehört hatte, und schon Besorgnisse zu schöpfen anfing. Noch erfreulicher ist die Nachricht, daß Er, der so viel Bedeutendes gesehen und entdeckt hat, welches zum Theil nie einem Europäer vor Augen gekommen war, mit seinen vielfachen Kenntnissen und reichen Schätzen nächstens wieder unter uns sein kann. Er geht nicht nach den Philippinischen Inseln, wo neue Gefahren und die weite Seereise ihn noch länger von Europa zurückhalten würden. Er denkt im bevorstehenden August- oder Septembermonat in Spanien, zu Kadiz oder Korunna, zu landen. Lima, d. 25 November 1802. Aus meinen vorigen Briefen, lieber Bruder, mußt Du meine Ankunft in Quito wissen. Unser Weg dahin ging [im September 1801] durch die Schneegegenden von Quiridiu und Tolima. Denn die Kordillera der Anden bildet drei abgesonderte Arme; und da wir zu Sta Fe de Bogota uns auf dem östlichsten derselben befanden, so mußten wir nun den höchsten [folglich kältesten und schneereichsten] dieser Gebirgsarme übersteigen, um an die Küsten des Südmeers zu gelangen. Bloß Ochsen lassen sich auf diesem Wege gebrauchen, um das Gepäcke fortzuschaffen. Die Reisenden selbst pflegen durch Männer getragen zu werden, welche Cargeros [span., Lastträger] heißen. Sie haben auf ihren Rücken einen Stuhl gebunden, worauf der Reisende sitzt; machen 3 bis 4 Stunden Wegs den Tag über, und verdienen in fünf bis sechs Wochen nur 14 Piaster. Wir zogen die Fußwanderung vor, und da das Wetter ungemein schön war, so brachten wir nur 17 Tage in diesen Einöden zu, woselbst keine Spur sich findet, daß sie je bewohnt gewesen wären, und wo man in Hütten von Helikonia-Blättern schläft, die man zu dem Ende mit sich nimmt. Am westlichen Abhange der Anden giebt es Sümpfe, worein man bis an die Knie sinkt. Das Wetter hatte sich geändert, es regnete stromweise in den letzten Tagen, unsre Stiefeln faulten uns am Leibe, und wir kamen mit nackten und blutrünstigen Füßen zu Kartago an, aber mit einer schönen Sammlung neuer Pflanzen bereichert, wovon ich eine Menge Zeichnungen mitbringe. Von Kartago gingen wir nach Popayan, über Buga, durch das herrliche Thal des Kaukaflusses, wobei wir das Choka-gebirge mit seinen Platina-gruben immer zur rechten Seite hatten. Den November 1801 blieben wir zu Popayan: und besuchten von dort die Basaltgebirge von Julusuito; den Schlund des Volkans von Purace, der mit entsetzlichem Getöse Dämpfe eines durch geschwefeltes Wasserstofgas geschwängerten Wassers ausstößt; und die Porphyrartigen Granite von Pische, welche fünf- bis siebeneckige Säulen bilden, denjenigen gleich die ich mich in den Euganeen in Italien gesehn zu haben erinnere, und die Strange beschrieben hat. Dieser Namen ist aus der alten Geographie. Die Euganei waren ein mächtiges Volk in Oberitalien, von den Schweizeralpen an (wo der Ort Lugano von oder nach ihnen benannt sein soll), bis zum Adriatischen Meer. Büsching hat den Namen gar nicht; aber er lebt noch allerdings unter den Mineralogen, und bedeutet die Berge im Gebiet von Padua. Man s. Ferber, den angeführten Strange in den Opuscoli di Milano, Spallanzani, u. s. w. Aus diesen Schriftstellern ergiebt sich, daß die Eingebornen im Paduanischen ihre Berge nie anders zu nennen gewohnt waren. B. Die größte Schwierigkeit stand uns noch zu überwinden bevor, zwischen Popayan und Quito. Auf diesem Wege mußten wir die Paramos von Pasto übersteigen, und zwar in der Regenzeit, die bereits angefangen hatte. Paramo heißt in den Anden jeder Ort, wo auf einer Höhe von 1700 bis 2000 Toisen die Vegetazion still steht, und eine Kälte ist die bis in die Knochen dringt . Um die Hitze des Patia-thales zu vermeiden, wo man in Einer Nacht Fieber bekömmt, die drei bis vier Monate dauren, und die unter dem Namen calenturas de Patia bekannt sind, gingen wir über die Spitze der Kordillera, wo scheuslich schroffe Abgründe sind, kamen so von Popayan nach Almager, und von da nach Pasto, das am Fuße eines furchtbaren Volkans liegt. Paramo (der Ton ist auf der ersten Silbe) bedeutet im Spanischen einen nackten, öden, allen Winden ofnen, weder bebauten noch bewohnten Landstrich. B. Das Spanische Wort calentura, Fieber, kömmt von calor, Hitze; wie die Griechische Benennung Pyretos, von Pyr, Feuer. -- Das hier erwähnte Thal hat seinen Namen von dem Fluß Patia, in dieser Gegend. B. Man kann sich nichts Schrecklichers denken, als den Eintritts- und den Ausgangsweg bei dieser kleinen Stadt, wo wir die Weihnachten zubrachten, und deren Einwohner uns mit rührender Gastfreundlichkeit aufnahmen. Dicke Wälder liegen zwischen Morästen; die Maulthiere sinken bis auf den halben Leib ein; und man muß durch so tiefe und enge Schlüfte (Racheln), daß man in Stollen eines Bergwerks zu kommen glaubt. Auch sind die Wege mit den Knochen der Maulthiere gepflastert, die hier vor Kälte oder aus Mattigkeit umfielen. Die ganze Provinz Pasto, mit Inbegrif der Gegenden um Guachucal und um Tuqueres , ist eine gefrorne Gebirgsfläche (Plateau), fast über den Punkt herauf wo die Vegetazion aushalten kann, und mit Volkanen und Solfataren umringt, woraus beständige Rauchwirbel dampfen. Die unglücklichen Bewohner dieser Wüsteneien haben keine andre Nahrung als Pataten; und, wenn diese ihnen fehlen, wie im letztverwichnen Jahr, so gehn sie ins Gebirge, um den Stamm eines kleinen Baums zu essen, der Achupalla heißt (Pourretia Pitcarnia). Da aber der nehmliche Baum auch den Bären der Andes zur Speise dient, so machen diese ihnen oft die einzige Nahrung streitig, welche dies hohe Land den Menschen darbeut. Zur Nordseite des Volkans von Pasto; habe ich in dem kleinen Indianischen Dorf Voisako, 1370 Toisen über der Meeresfläche, einen rothen Thon- und einen Hornstein-Porphyr mit eingemengtem glasigen Feldspath entdeckt, welcher alle Eigenschaften des Serpentins vom Fichtelgebirge besitzt. Dieser Porphyr zeigt sehr deutliche Pole, aber durchaus keine Anziehung . Nachdem wir zwei Monate hindurch Tag und Nacht von Regengüssen durchnäßt waren, und bei der Stadt Ibarra beinahe ertranken, da plötzlich bei einem Erdbeben das Wasser stieg; langten wir am 6 Jänner 1802 zu Quito an, wo der Markis von Salvaalegre die Güte gehabt hatte uns ein vortrefliches Haus einzurichten, das nach so vielen Beschwerden uns alle Gemächlichkeiten darbot, die man nur in Paris oder London verlangen könnte. Das Spanische ch wird wie tsch, das qu wie k ausgesprochen. B. Man nennt die ursprünglichen Einwohner Amerikas Indianer; eigentlich aus den Zeiten der geographischen Unkunde her, wo jedes neuentdeckte Land Indien hieß, und von wo noch der Name Westindien kömmt. Die Bewohner des eigentlichen Indiens in Südasien heißen zum Unterschiede Indier, wenn man nicht Hindus oder Hindostaner sagen will. B. Vor ungefähr 10 Jahren entdeckte Hr v. H. bei Goldkronach einen bedeutend großen Berg, von der Serpentin-Steinart, welcher die Eigenschaft hat, den Nordpol der Magnetnadel nach Süden, und den Südpol nach Norden zu treiben, obgleich die losgebrochenen Stücke selbst nicht (aber doch der zerriebene Staub) vom Magnet angezogen werden. B. Die Stadt Quito ist schön, aber der Himmel traurig und neblicht; die benachbarten Berge zeigen kein Grün, und die Kälte ist beträchtlich. Das große Erdbeben vom 4 Februar 1797, welches die ganze Provinz umwarf, und in Einem Augenblick 35 bis 40000 Menschen tödtete, ist auch in jener Rücksicht den Bewohnern höchst schädlich gewesen. Es hat die Temperatur der Luft so sehr geändert, daß der Thermometer gewöhnlich zwischen 4 und 10 Grad Reaumur steht, und selten auf 16 oder 17 steigt, da Bouguer ihn beständig auf 15 oder 16 sah. Seit jener Katastrophe hören die Erdbeben nicht auf; und welche Stöße mitunter! Wahrscheinlich ist der ganze hohe Theil der Provinz ein einziger Volkan. Was man die Berge von Kotopoxi und Pichincha nennt, sind nur kleine Spitzen, deren Krater verschiedne Röhren (Schorsteine) bilden, die sämmtlich zu dem nehmlichen Heerd hinabführen. Diese Hypothese ist leider nur zu sehr durch das Erdbeben von 1797 erwiesen. Denn die Erde hat sich allenthalben damal von einander gethan, und Schwefel, Wasser u. s. w. ausgeworfen. Ungeachtet dieser Schrecknisse und Gefahren, womit die Natur sie rings her umgiebt, sind die Einwohner von Quito froh, lebendig, und liebenswürdig. Ihre Stadt athmet nur Wollust und Ueppigkeit, und nirgend vielleicht giebt es einen entschiednern und allgemeinern Hang sich zu vergnügen. So kann sich der Mensch gewöhnen ruhig am Rande eines jähen Abgrunds zu schlafen. Wir haben uns fast acht Monate in der Provinz Quito aufgehalten, vom Anfang des Jänners bis in den August. Diese Zeit ward angewandt, jeden der dortigen Volkane zu besteigen. Wir untersuchten nach einander die Spitzen des Pichincha, Kotopoxi, Antisana, und Ilinica; brachten 14 Tage bis 3 Wochen bei jeder zu, kehrten in der Zwischenzeit immer nach der Hauptstadt zurück, und brachen am 9 Juni 1802 von da auf, um nach dem Chimboraco zu reisen, der im südlichen Theile dieser Provinz liegt. Zweimal, d. 26 und d. 28 Mai 1802, bin ich bei dem Krater des Pichincha gewesen, des Berges welcher neben der Stadt Quito empor ragt. Niemand, soviel man weiß, hatte ihn bisher je gesehen, außer Condamine; und dieser selbst kam nur hin, nachdem er fünf bis sechs Tage in unnützem Suchen verloren hatte, kam ohne Instrumente hin, und konnte wegen der übermäßigen Kälte nur 12 bis 15 Minuten dort oben aushalten. Es glückte mir meine Instrumente hinzubringen, ich traf die nöthigen Vorkehrungen um das Wichtigste dort zu untersuchen, und habe Luft dort gefangen die ich analysirte. Meine erste Reise machte ich allein mit einem Indianer. Da Condamine sich dem Krater von der niedern mit Schnee bedeckten Seite des Randes genähert hatte, so trat ich bei meinem ersten Versuch in seine Fußstapfen. Aber bald wären wir verunglückt. Der Indianer sank bis an die Brust in eine Spalte, und wir sahen mit Grausen daß wir über eine Brücke von eisigem Schnee gegangen waren. Denn wenig Schritte von uns gab es Löcher, wodurch das Tageslicht schien. So befanden wir uns, ohne es zu wissen, auf Gewölben, die mit dem Krater selbst zusammen hangen. Erschreckt, aber nicht muthlos, faßte ich einen andern Entschluß. Aus dem Umkreise des Kraters springen, gleichsam über den Abgrund hinstrebend, drei Felsspitzen hervor, die nicht mit Schnee bedeckt sind, weil die Dämpfe aus dem Schlunde des Volkans ihn unaufhörlich schmelzen. Auf einen dieser Piks stieg ich, und fand auf dessen Gipfel einen Stein, der nur von einer Seite auflag und unten minirt war, so daß er einen Balkon über den Abgrund bildete. Hier schlug ich meinen Sitz auf, um unsre Versuche anzustellen. Aber dieser Stein ist nur ungefähr 12 Fuß lang und 6 Fuß breit, und wird von den häufigen Erdstößen mächtig erschüttert, deren wir 18 in nicht vollen 30 Minuten zählten. Um den Boden des Kraters besser zu beobachten, legten wir uns auf den Bauch; und ich glaube nicht, daß die Fantasie sich etwas Finsterers, Trauer- und Todmäßigers vorstellen kann als wir hier sahen. Der Schlund des Volkans bildet ein kreisförmiges Loch, ungefähr von 1 Französ. Meile im Umfang; die Ränder desselben, in Pikgestalt ausgehauen, sind oberwärts mit Schnee bedeckt; das Innere ist Dunkelschwarz. Aber die Tiefe ist so ungeheuer, daß mehrere Berge darin stehen, deren Gipfel man unterscheidet. Ihre Spitzen schienen 300 Toisen unter uns; wo also mag ihr Fuß stehen? Ich zweifle nicht, daß der Boden des Kraters mit der Stadt Quito horizontal liegt. La Condamine fand diesen Krater erloschen und sogar mit Schnee überdeckt; wir aber haben den Einwohnern von Quito die traurige Nachricht bringen müssen, daß es in ihrem nachbarlichen Volkan itzt brennt. Deutliche Zeichen gestatteten keinen Zweifel hieran. Schwefeldämpfe erstickten uns beinahe, wenn wir uns dem Schlunde näherten; wir sahen selbst bläuliche Flammen hin und her hüpfen, und fühlten alle 2 oder 3 Minuten heftige Stöße von Erdbeben, welche die Ränder des Kraters erschüttern, aber 100 Toisen entfernt nicht mehr zu spüren sind. Vermuthlich hat die große Katastrophe vom Febr. 1797 auch das Feuer des Pichincha wieder angezündet. -- Zwei Tage nach diesem Besuch, bestieg ich den Berg noch einmal, in Begleitung meines Freundes Bonpland, und Karls von Montufar, eines Sohnes des Markis Salvalegre. Wir führten noch mehr Instrumente bei uns als das erstemal, und maßen den Umfang des Kraters, und die Höhe des Berges. Den erstern fanden wir von 754 , die andere von 2477 Toisen. Während der zwei Tage zwischen unsern zwei Besuchen des Pichincha, hatten wir ein sehr starkes Erdbeben zu Quito. Die Indianer schrieben es den Pulvern zu, die ich in den Volkan geworfen haben sollte. Der Krater des Vesuvs hat nur 312 Toisen im Durchmesser. Bei unsrer Reise zum Volkan von Antisana begünstigte uns die Witterung so, daß wir bis zu 2773 Toisen hinaufstiegen. Der Barometer sank in dieser hohen Gegend auf 14 Zoll 11 Linien, und die geringe Dichtigkeit der Luft trieb uns das Blut aus den Lippen, dem Zahnfleisch, und selbst den Augen. Wir fühlten uns äußerst matt, und einer unsrer Begleiter fiel in Ohnmacht. Auch hatte man es für unmöglich gehalten, weiter als an die Spitze el coracon [das Herz] genannt zu kommen, welche Condamine erstieg, und die 2470 Toisen hoch liegt. Die Analyse der von unserm höchsten Standpunkt zurückgebrachten Luft gab 0,008 Kohlensäure auf 0,218 Sauerstofgas. Den Vulkan von Kotopoxi besuchten wir gleichfalls, aber es war uns unmöglich an den Schlund des Kraters zu gelangen. Es ist falsch, daß dieser Berg durch das Erdbeben vom J. 1797 niedriger geworden sei. Am 9 Juni traten wir die Reise zum Untersuchen und Messen des Tschimborasso und des Tunguragua an, und zum Aufnehmen aller durch die große erwähnte Katastrophe zerrütteten Länder. Es gelang, bis auf 250 Toisen nach, uns dem Gipfel des ungeheuren Kolosses Tschimborasso zu nähern. Ein Zug volkanischer, schneeloser, Berge erleichterte uns das Steigen. Wir kamen auf 3031 Toisen, und fühlten die nehmliche Beschwerde wie auf der Spitze des Antisana. Selbst noch ein paar Tage nach unsrer Rückkehr in die Ebene, blieb uns ein Uebelbefinden, das wir nur der Wirkung der Luft (in jener Höhe) zuschreiben konnten, deren Analyse uns 20 Hunderttheile Sauerstof gab. Die uns begleitenden Indianer hatten uns schon früher verlassen, und sagten daß wir sie tödten wollten. Wir blieben also allein, Bonpland, Karl Montufar, ich, und einer meiner Bedienten, der einen Theil meiner Instrumente trug. Dennoch hätten wir unsern Weg bis zu dem Gipfel fortgesetzt, wenn nicht ein zu großer Spalt im Boden uns gehindert hätte. Auch thaten wir sehr wohl umzukehren. Auf unserm Rückwege fiel ein so starker Schnee, daß wir uns kaum sehen konnten. Wir hatten uns gegen die schneidende Kälte dieser hohen Gegend nur wenig geschützt, und litten daher unsäglich, vornehmlich ich, der ich noch einen wunden Fuß von einem Fall vor wenig Tagen hatte, welches mir die größten Schmerzen verursachte, da man auf diesem Wege alle Augenblick an einen spitzen Stein stieß, und nicht vorsichtig genug gehen konnte. La Condamine hat den Tschimborasso an 3217 Toisen hoch gefunden. Meine, zweimal angestellte, trigonometrische Messung gab mir 3267; und ich darf meinen Operazionen etwas trauen. Dieser ganze erstaunenswürdige Riesenberg besteht, wie alle hohe Berge der Anden, nicht aus Granit, sondern vom Fuß bis zum Gipfel aus Porphyr, und der Porphyr hat 1900 Toisen Dicke. Der kurze Aufenthalt in dieser ungeheuren Höhe, wozu wir uns hinaufgeschwungen hatten, zeigte die traurigsten Schreckbilder. Ein Winternebel umhüllte uns, woraus nur von Zeit zu Zeit die grausenvollsten Abgründe in unsrer Nähe hervorschimmerten. Kein beseeltes Wesen, nicht einmal der Kondor, der auf dem Antisana stets über unsern Häuptern schwebte, gab der Luft ein Leben. Kleine Moose waren die einzigen organischen Gestalten, die uns erinnerten daß wir noch der bewohnten Erde angehörten. Fast mit Wahrscheinlichkeit läßt sich annehmen, daß der Tschimborasso, wie der Pichincha und der Antisana, volkanischer Natur ist. Die Bergreihe, auf welcher wir zu ihm hinaufstiegen, besteht aus einem verbrannten und verschlackten Felsen, mit Bimstein gemischt; sie gleicht allen Lavaströmen dieses Landes, und geht, noch über den Punkt wo wir innezuhalten genöthigt wurden, hinauf zur Spitze des Berges. Es ist möglich, es ist selbst wahrscheinlich, daß diese Spitze der Krater eines erloschnen Volkans sei. Aber der Gedanke bloß dieser Möglichkeit erregt ein gerechtes Schaudern. Denn, wenn dieser Volkan sich wieder entzündete, so müßte ein solcher Koloß die ganze Provinz vernichten. Der Berg Tunguragua hat seit dem Erdbeben 1797 an Höhe verloren. Bouguer giebt ihm 2650 Toisen, ich fand nur 2530. Folglich hat er über 100 T. eingebüßt. Auch versichern die Einwohner, vor ihren Augen seine Spitze durch die Erschütterung niederstürzen gesehn zu haben. Das Ende dieses wichtigen Aufsatzes folgt sogleich im nächsten Stück. Er lief zu spät ein, um itzt ganz geliefert werden zu können, da vier Bogen des gegenwärtigen Stücks schon gedruckt waren; aber er ist zu merkwürdig, als daß nicht wenigstens seine größere Hälfte augenblicklich mitgetheilt würde. Was in dem Briefe folgt, betrift die ursprünglichen Völker jenes Welttheils, und ihre Kenntnisse und Künste; ein Gegenstand, der meist noch unbekannter ist, als die Länder welche sie bewohnen, und die große Naturbeschaffenheit derselben. Beschluß der neuesten Reiseberichte des Herrn Oberbergraths von Humboldt. (Man s. Julius Nr 5.) Zu Riobamba [südwärts von Quito, auf dem Wege nach Lima] brachten wir einige Wochen zu, bei einem Bruder Karls von Montufar unsers Reisegefährten [Julius, S. 74, 72; 68], welcher daselbst Korregidor [Königl. Magistratsperson] ist. Hier verschafte uns das Ungefähr eine höchst merkwürdige Entdeckung. Der Zustand der Provinz Quito, ehe der Inka Tupayupangi sie eroberte, ist noch durchaus unbekannt. Aber der Indianische König, Leandro Zapla, welcher zu Likan wohnt, und für einen Indianer ungemein gebildet ist, besitzt Handschriften von einem seiner Vorfahren aus dem 16ten Jahrhundert verfaßt, welche die Geschichte jener Begebenheiten enthalten. Sie sind in der Puruguay-Sprache geschrieben. Dies war ehedem die allgemeine Sprache in Quito, die nachher der Inka- oder Quichua-Sprache gewichen, und itzt völlig untergegangen ist. Glücklicher weise fand ein andrer Ahnherr Zapla's Vergnügen daran, diese Memoiren ins Spanische zu übersetzen. Oder Tupak Yupanki. Er war der elfte Inka von Peru, in der von Manko Kapak begonnenen Reihe. Wenn Robertson das Königreich Quito durch Huana (oder Huayna) Kapak erobern läßt, so macht das keinen Unterschied; denn dieser war der Sohn und Nachfolger Tupayupangis, und als Prinz, wirklich der Heerführer der Truppen seines Vaters gegen Quito. Er regierte hernach, und starb, als der zwölfte Inka. Seine Söhne theilten: Huaskar bekam Peru, Atahualpa aber Quito. Der Letzte bekämpfte und besiegte den Ersteren; doch ohne Gewinn. Denn itzt brachen die Spanier unter Pizarro ein, 1530, und eroberten bald das ganze Reich. B. Wir haben aus ihnen schätzbare Nachrichten geschöpft: vornehmlich über die merkwürdige Epoche der Erupzion des sogenannten Nevado del Altar [Schnee- oder Eisfeld des Altars], welches der größte Berg der Welt gewesen sein muß, höher als der Tschimborasso, und der bei den Indianern Kapa-urku (Haupt der Berge) hieß. Zu der Zeit regierte Uainia Abomatha, der letzte unabhängige Kochokando (König) des Landes, zu Likan. Die Priester offenbarten ihm die unglückschwangere Bedeutung dieser Katastrophe. "Der Erdball, sagten sie, verändert seine Gestalt; andre Götter werden kommen, und die unsrigen vertreiben. Laß uns dem Geheiß des Schicksals nicht widerstreben!" Wirklich führten die Peruaner den Sonnendienst [statt der alten Religion] ein . Der Ausbruch des Volkans dauerte 7 Jahre, und die Handschrift Zapla's läßt die Asche zu Likan so dicht und häufig regnen, daß eine siebenjährige stete Nacht dort gewesen sei. Wenn man in der Ebene von Tapia die Menge der volkanischen Materie, um den ungeheuren damal eingestürzten Berg [itzt steht er, wie zerrissen, mit zwei noch immer mächtig hohen Spitzen da], betrachtet; wenn man bedenkt, daß der Kotopoxi mehrmal Quito in 15- bis 18stündige Finsterniß eingehüllt hat; so muß man einräumen, daß die Uebertreibung wenigstens nicht gar zu unmäßig war. Sonderbarer weise war (man s. Ulloa Relacion h. del Viage .. part. 1, tom. 2, n. 746, p. 421) auch 1533 bei der Spanischen Eroberung des Königreichs Quito, welche dem Lande wiederum neue Herren und neue Götter gab, ein fürchterlicher Ausbruch des Volkans Kotopaxi (so, die dritte Silbe mit einem a schreibt Ulloa). Die hiedurch bewirkte physische und moralische Erschütterung beförderte vorzüglich die Fortschritte der Europäer. Denn das Volk hing mit so festem Glauben an die alte Weißagung: ein solches Naturereigniß bedeute den Verlust des Landes an einen fremden Sieger; daß es allen Muth zur Vertheidigung verlor. B. Dieses Manuskript, und die Sagen die ich in Parima sammelte, und die Hieroglyphen die ich in der Wüste des Kasiquiari sah, wo gegenwärtig keine Spur von Menschen zu finden ist: Alles dies, nebst Clavigero's Nachrichten über die Wanderungen der Mexikaner in das südliche Amerika , hat mich auf Ideen über den Ursprung dieser Völker geleitet, die ich zu entwickeln gedenke, sobald mir Musse dazu wird. Die Landschaft Parima ist die Gegend um den Fluß gleiches Namens, welcher sich in den Orinoko ergießt; man s. Junius 1802 S. 454. Daß unser Landsmann den großen Orinoko öfter und weiter beschift und genauer untersucht hat als irgend ein Europäer, wissen wir aus seinen frühern Berichten. Auch vom Kasikiarifluß s. man 1802 Junius S. 441, und die Anmerkung S. 453. -- Des Abtes Don Francesco Saverio Clavigero Storia antica del Messico, Cesena 1780 und 1781, vier Quartbände, ist ein wichtiges Werk. Es nimmt Wunder, daß Hr Camus in Paris dies bei uns seit lange bekannte Buch nie selbst hat sehen können, laut seines Memoire sur les Collections de Voyages (1802, 4.), S. 333, und es nur aus Meusels Bibl. hist., mit einem tüchtigen Schreibfehler, anführt. B. Das Studium der Amerikanischen Sprachen hat mich ebenfalls sehr beschäftigt, und ich habe gefunden wie falsch La Condamine's Urtheil über ihre Armuth ist. Die Karibische Sprache z. B. verbindet Reichthum, Anmuth, Kraft, und Zartheit. Es fehlt ihr nicht an Ausdrücken für abstrakte Begriffe: sie kann von Zukunft, Ewigkeit, Existenz u. s. w. reden; und hat Zahlwörter genug, um alle mögliche Kombinazionen unsrer Zahlzeichen anzugeben. Vorzüglich lege ich mich auf die Inkasprache; sie ist die gewöhnliche hier [zu Quito, Lima, u. s. w.] in der Gesellschaft: und ist so reich an feinen und mannichfachen Wendungen, daß die jungen Herren, um den Damen Süßigkeiten vorzusagen, gemeiniglich Inka zu sprechen anfangen, wann sie den ganzen Schatz des Kastilischen erschöpft haben. Diese zwei Sprachen, und einige andre gleich reiche, könnten allein genügen sich zu überzeugen, daß Amerika einst eine weit höhere Kultur besaß als die Spanier 1492 dort fanden. Aber ich habe dafür noch ganz andre Beweise. Nicht bloß in Mexiko und Peru, sondern auch am Hofe des Königs von Bogota (ein Land, dessen Geschichte man in Europa gar nicht kennt, und dessen Mythologie und fabelhafte Sagen selbst schon höchst interessant sind), verstanden die Priester eine Mittagslinie zu ziehen, und den Augenblick des Solstiziums zu beobachten; sie verwandelten das Mondjahr in ein Sonnenjahr, durch Einschaltungen: und ich besitze einen siebeneckigen Stein, der zu Sta Fe gefunden ist, und der ihnen zur Berechnung dieser Schalttage diente. Noch mehr! zu Erivaro im Innern der Landschaft Parima glauben die Wilden, daß der Mond bewohnt ist, und wissen durch Tradizion von ihren Vätern, daß er sein Licht von der Sonne hat . Von Riobamba ging mein Weg, über den berühmten Paramo des Assuay, nach Cuenca. Doch besuchte ich vorher das große Schwefelwerk zu Tiskan. Diesen Schwefelberg wollten die rebellirenden Indianer, nach dem Erdbeben von 1797, in Brand stecken. Gewiß der schrecklichste Plan, den je die Verzweiflung eingab! denn sie hoften, auf die Art einen Volkan hervorzubringen, der die ganze Provinz Alaussi vernichtet hätte. Mit Recht achtet man auf die Sagen und die Mythologieen der Völker, wenn sie mit der wirklichen Natur übereinstimmen, und sich dadurch als historische Ueberlieferungen bewähren. So wird als ein wichtiges Faktum angemerkt, daß (in Griechenland und anderswo) Ueberschwemmungen, Versenkung und Erhebung von Bergen, Entstehung von Inseln, Durchbrüche des Meers, Spaltung der Länder, kurz Zerrüttung und Umwandlung des Erdballs, gerade wo auch die Geologie darauf führt, sich in den Erzählungen alter Völker finden. -- Darf man mit Nachrichten aus solcher Quelle sich auch in die Planetenwelt wagen? Können neue Himmelskörper entstanden sein, die auf den früher gebildeten und schon bewohnten Erdball einen nachtheiligen Einfluß äußerten? Die Ogygische Fluth soll durch eine Veränderung des Venussterns bewirkt sein. Die Ahnen der Arkader sollen vor der Sichtbarwerdung des Mondes gelebt haben. Auch die Südamerikaner, welche durch Tradizion die Planetennatur unsers Trabanten so gut kennen, sprechen in ihren Mythologieen von einem Kriege des Monds mit der Sonne, und von den Zerstörungen, die er als das böse Prinzip (bei seiner ersten Erscheinung?) in ihrem Lande hervorgebracht hat: Junius 1802, S. 449. B. Man s. Julius S. 65. B. Auf dem Paramo von Assuay, in einer Höhe von 2300 Toisen, sind die Ruinen des prächtigen Inka-Weges. Diese Straße läuft fast bis nach Kusko, ist ganz aus behauenen Steinen aufgeführt, und schnurgerade: sie gleicht den schönsten Wegen der alten Römer. In derselben Gegend liegen auch die Ruinen des Pallastes des Inka Tupayupangi, welche La Condamine in den Memoiren der Berliner Akademie beschrieben hat . Man sieht annoch in dem Felsbruch, welcher die Steine dazu geliefert hat, mehrere halbbearbeitete. Ich weiß nicht, ob Condamine auch von dem sogenannten Billard des Inka spricht. Die Indianer nennen den Platz in der Quichuasprache Inka-chungana (des Inka Spiel); allein ich zweifle daß er diese Bestimmung hatte. Es ist ein Kanape, in den Felsen gehauen, mit Arabesken-ähnlichen Zieraten, worin, wie man glaubt, die Kugel lief. Unsre Englischen Gärten haben nichts Eleganteres aufzuweisen. Der richtige Geschmack des Inka leuchtet überall hervor; der Sitz ist so gestellt, daß man eine entzückende Aussicht genießt. Nicht weit von da, in einem Gehölz, findet man einen runden Fleck gelben Eisens in Sandstein. Die Peruaner haben die Platte mit Figuren geziert: denn sie glaubten, daß sie die Sonne abbilde . Ich habe eine Zeichnung davon genommen. Jahrgang 1746, S. 435 bis 456, mit einem Kupferblatt. Das nachher genannte Billard ist dort nicht erwähnt. B. Dies Monument (der Kunst, oder Natur?) war also älter, als der Peruaner Eroberung dieser Gegend. B. Wir blieben nur 10 Tage zu Kuenka, und begaben uns von da nach Lima; durch die Provinz Jaen, wo wir in der Nähe des Amazonenflusses einen Monat zubrachten. In Lima kamen wir d. 23 Oktober 1802 an. Ich gedenke von hier im Dezember nach Akapulko, und von da nach Mexiko zu gehen, um im Mai 1803 in Havana zu sein. Da werde ich mich ohne Verweilen nach Spanien einschiffen. -- Ich habe, wie Du siehst, den Gedanken aufgegeben über die Philippinen zurück zu kehren. Ich hätte eine ungeheure Seereise gemacht, ohne etwas anders zu sehen als Manilla und das Kap; oder hätte ich Ostindien besuchen wollen, so würde es mir an dem was ich zu dieser Reise brauchte, gefehlt haben, da ich es mir hier nicht verschaffen kann.