Neuere Berichte vom Hrn. Oberbergrath Humboldt. Auszug eines Briefs des Hrn. Alexander von Humboldt, an seinen Bruder, W. v. H. in Berlin. Ich werde nicht müde, Briefe nach Europa zu schreiben, ob ich gleich überzeugt bin, daß nur wenige den Ort ihrer Bestimmung erreichen. Zwar gehen von den größern Städten hier wöchentlich Posten nach den Häfen. Allein, nachdem die Briefe daselbst oft 4 bis 6 Monate auf eine Schifsgelegenheit gewartet haben, und endlich zur See sind, übergiebt sie die übertriebene Vorsichtigkeit der Schifskapitäne, bei dem geringsten Anschein von Gefahr, den Wellen. (Mein letzter Brief war aus St. Anna, der östlichen Cordillera de los Andes). Nicht besser geht es mit den Briefen, die von Europa hieher geschrieben werden. Ausser einigen aus Spanien, einem einzigen von Dir, und zwei von H.. s, habe ich, seitdem ich Corunna verlassen [am 5 Junius 1799], schlechterdings keinen einzigen aus Europa bekommen. Da sich so Viele hier in demselben Falle befinden, so sängt man an, diese Entbehrung gelassener zu ertragen. Ich bin äusserst glücklich; meine Gesundheit ist so gut als sie vorher nie war; mein Muth ist unerschütterlich; meine Pläne gelingen mir; und wo ich hinkomme, werde ich mit zuvorkommender Gefälligkeit aufgenommen. Ich habe mich bereits dergestalt an die neue Welt, die mich umgiebt, gewöhnt, an die Tropen-Vegetation, die Farbe des Himmels, die Stellungen der Gestirne, den Anblick der Indianer: daß Europa meiner Einbildungskraft manchmal nur wie ein Land vorschwebt, das ich in meiner Kindheit sah. Ich sehne mich indeß darum nicht weniger dahin zurück, und denke im Herbst 1804 wieder bei Euch zu seyn. Die unangenehmste Folge der Ungewißheit des Briefwechsels von hier aus, ist die Nothwendigkeit in der man sich sieht, immer wieder von neuem zu wiederholen, was man schon oft geschrieben hat. Doch sehe ich aus Deinem Briefe, daß Du bis zum Nov. 1799, also bis nach meiner Reise zu den Chaimas- Indianern, ziemlich häufig Briefe von mir erhalten hast. Vom November bis Jänner 1800, waren wir in Karakkas. Von da unternahmen wir die Reise auf dem Orinoko. Wir kamen durch den Apure in diesen Fluß, schiften ihn, über die Katarakten hinweg, aufwärts, gelangten unter 2 Grad Nördl. Br. in die kleinen Flüsse Atabapo, Tuamini und Temi; und trügen von da unser Kanot drei Tage lang bis Canno Pimichia am Schwarzen Fluß (rio negro). Diesen schiften wir erst abwärts, bis zu den Gränzen von Groß-Para (du Grand Para) und Brasilien; dann aufwärts bis zum Casiquiari zwölf Tage lang: zwischen so dick verwachsenen Wäldern, daß wir darin die Tiger, und zwar große Tiger, auf den Bäumen erblickten, weil der zu üppige Pflanzenwuchs sie auf der Erde zu gehen verhinderte. Vom Casiquiari kamen wir [wieder] in den Orinoko, den wir nun weiter aufwärts gegen Osten, nach seinem Ursprung zu schiffend, bis über den feuerspeienden Berg Duida hinaus verfolgten. Noch weiter vorzudringen, verhinderte uns die Wildheit der menschenfressenden Guaikas. Auch ist nie ein Weisser weiter östlich in das unbekannte Land dieser unabhängigen Indianer gekommen; wir sind in den Wäldern zwischen dem Rio Negro, Orinoko, und Amazonenfluß, 500 Meilen tiefer landeinwärts gewesen, als Löffler gelangte. Von Duida, schifften wir nun den ganzen Orinoko bis an seine Mündung, 500 Französische Meilen weit hinab. Von dieser über 1900 Meilen weiten Reise kehrten wir im Julius (1800) nach St Thome de la Angostura zurück. Wir verweilten hier einen Monat, wo ich die Gegend, und die Pflanzen, namentlich den Cortex Angosturae, untersuchte; während der gute Bonpland am Fieber litt, einer Folge der schrecklichen Miasmen in den nassen Wäldern des Aequators. -- Von da gingen wir, durch das Land (oder die sogenannte Mission) der Karaiben, und über Neubarcelona, nach Cumana, wo wir im September ankamen. Die Karaiben sind die größeste und muskelstärkste Nation, welche ich je gesehen habe; sie allein widerlegt schon Raynals und Pauws Träumereien über die Schwäche und Ausartung des Menschengeschlechts in der neuen Welt. Ein ausgewachsener Karaibe gleicht einem aus Erz gegossenen Herkules. Im December kamen wir, nach einer anderthalb Monat langen und sehr stürmischen Schiffahrt, wo wir bei den Klippen des baxo de la Vibora (der Vipernbank), im Süden von Jamaika, beinahe Schiffbruch litten, in der Havana an: wo wir drei Monate lang (bis Februar 1801) zum Theil im Hause des Grafen Orelly, zum Theil auf dem Lande bei dem Grafen Jarueo und dem Marques de Real Socorro, zubrachten. -- Ich hatte schon den Entschluß gefaßt, von hier nach Nordamerika zu segeln, bis zu den Fünf Seen zu gehen, durch den Ohio und Missisipi nach Luisiana herunter zu schiffen, und von da den wenig bekannten Landweg nach Neubiscaja und Mexiko einzuschlagen. Allein, mehrere Umstände bewogen mich diesen Plan aufzugeben, und wieder nach Südamerica zurückzukehren. Ich schiffte mich daher in Batabano (auf Kuba) ein, wir kamen aber, weil wir, durch den Unglauben des Steuermanns an meine Instrumente, in den Meerbusen von Darien geriethen, erst nach 35 Tagen, da sonst diese Ueberfahrt höchstens 14 Tage währt, am 1 April 1801 nicht ohne große Gefahr in Cartagena an. Doch hatte ich unterwegs Gelegenheit, die geographische Lage der beiden Caymans und andere Sandbänke und Klippen, welche noch nicht genau genug bekannt waren, durch meinen Chronometer zu bestimmen. Bis hieher war die Reise schon aus frühern Nachrichten bekannt. Nur glaubte man, diesen Theil des Briefes nicht unterdrücken zu dürfen, da er kurz und deutlich die ganze Folge derselben vor Augen legt. Von Karthagena aus besuchten wir häufig den wegen der ungeheuren Dicke seiner Bäume berühmten Wald Turbako; in welchem doch Stämme von 8 Fuß im Durchmesser, z. B. die Cavanillesia Mokando, der Aufmerksamkeit des treflichen Jacquin entgangen sind. -- Hier in Karthagena traf ich Hrn Fidalgo und die Komission, welche den Plan dieser Küste aufzunehmen hieher gesandt ist, mit sehr schönen Chronometern und andern Instrumenten an. Da sich meine geographischen Beobachtungen in dem Lande der Indianer zwischen dem Ortnoko, Kasiquiari, Schwarzen Fluß, und Marannon (Amazonenfluß), auf die Lage mehrerer Küstenpunkte gründeten; so war ich begierig, meine Bestimmung derselben mit der, welche Hr Fidalgo gemacht hatte, zu vergleichen. Wir fanden eine wunderbare und durchgängige Uebereinstimmung in den Längenbeobachtungen. Auch fanden wir durch Vergleichung unsrer Tagebücher, daß die Magnetnadel seit 1798 auf dieser Küste eben so westlich als in Europa östlich abweicht, d. h. daß im Südamerica die östliche Abweichung schon angefangen hat sich zu vermindern. Der lebhafte Wunsch, den großen Botaniker Don Jose Celestino Mutis, der noch ein Freund Linne's war, und sich jetzt in Santa Fee de Bogota aufhält, zu sehen, und unsre Pflanzensammlungen mit den seinigen zu vergleichen; und die Begierde, die ungeheure Cordillere der Anden zu übersteigen, die sich von Lima (nördlich herauf) bis an die Mündung des Flusses Atrato (in den Golf von Darien) um so allein eine auf meine eigenen Beobachtungen gegründete Karte des ganzen Südamerikas nordwärts vom Amazonenfluße geben zu können: bewogen mich, den Landweg nach Quito über Sta Fe und Popayan dem Seewege über Portobelo, Panama und Guayaquil vorzuziehen. Ich schickte daher nur meine größten Instrumente, die Bücher, die ich nicht nöthig hatte, und andre Sachen, auf dem letztern (dem Seewege) ab: wir aber schifften uns, nach einem fast dreiwöchentlichen Aufenthalte in Karthagena, auf dem Magdalenenfluß ein. Die Gewalt des angeschwollenen mächtigströmenden Wassers hielt uns 45 Tage lang auf dem Magdalenenflusse, während welcher Zeit wir uns immer zwischen wenig bewohnten Wäldern befanden. Auf einer Strecke von 40 Französ. Meilen ist nicht ein Haus oder andere menschliche Wohnung anzutreffen. Ich sage Dir nichts mehr von der Gefahr der Katarakten, von den Mosquitos, von den Stürmen und Gewittern, die hier fast ununterbrochen fortdauern und alle Nächte das ganze Himmelsgewölbe in Flammen setzen; ich habe dies alles umständlich in einer Menge andrer Briefe beschrieben. -- Wir schifften auf diese Weise bis Honda, im 5ten Grad N. Breite. Ich habe den topographischen Plan des Flusses in vier Blättern gezeichnet wovon der Vicekönig eine Kopie behalten hat; ich habe ein barometrisches Nivellement von Karthagena bis Sta Fe gezeichnet; ich habe an vielen Orten den Zustand der Luft untersucht: denn meine Eudiometer sind noch alle im Stande, so wie überhaupt kein einziges meiner kostbaren Instrumente zerbrochen ist. Bougner hat auf seiner Rückreise nach Frankreich gleichfalls den Magdalenenfluß, nur abwärts, beschifft; er hatte aber damals keine Instrumente bey sich. Von Honda aus besuchte ich die Bergwerke von Mariquita uud Sta Anna, wo der unglückliche d'Elhuyar seinen Tod fand. Hier giebt es Pflanzungen von Zimmet (Lanrus cinnamomoides Mutis), welcher dem von Zeilan ähnlich, und derselbe ist, den ich schon früher am Fluß Guaviare und am Orinoko fand. Hier findet sich auch der berühmte Mandelbaum (Caryocar amygdaliferum); Wälder von Kinabäumen; und die Otoba, die eine wahre Miristica (Muskatnuß) ist, und auf welche die Regierung jetzt ihre Aufmerksamkeit richtet. Hr. Desieux, ein Franzose, welcher mit 2000 Piastern ( 500 Frd'or unsers Geldes) zum Ausseher dieser Pflanzungen ernannt ist, begleitete uns auf unsrer Schiffahrt. Von Honda steigt man 1370 Toisen aufwärts nach Sta Fee de Bogota. Der Weg zwischen den Felsen -- kleine eingehauene Treppen, nur 18 bis 20 Zoll breit, so daß die Maulthiere nur mit Mühe ihren Leib durchbringen -- ist über alle Beschreibung schlecht. Man tritt aus der Mündung des Berges (la boca del monte) bei 4° 35, N. Breite; und nun befanden wir uns auf einmal in einer großen Ebene von mehr als 32 Französ. Quadratmeilen, auf der man zwar keine Bäume sieht, die aber mit Europäischen Getreidearten besäet und mit Indianischen Dörfern angefüllt ist. Diese Ebene (los Ilanos de Bogota) ist der ausgetrocknete Grund des See's Funzhe, welcher in der Mythologie der Muyscas Indianer eine wichtige Rolle spielt. Das böse Princip oder der Mond, ein Weib, brachte eine Sündfluth hervor, durch welche sich der See bildete. Aber Bochika, das gute Princip oder die Sonne, zertrümmerte den Fels Tequendama, wo heutiges Tags der berühmte Wasserfall ist; der See Funzhe lief ab; die Bewohner der Gegend, die sich während der Fluth auf die nächsten Berge geflüchtet hatten, kehrten in die Ebne zurück; und Bochika, nachdem er den Indianern eine politische Verfassung und Gesetze, welche denen der Inkas ähnlich waren, gegeben hatte, gieng den Tempel von Sagamuri zu bewohnen. Da lebte er 25000 Jahre, und zog sich hernach in sein Haus, die Sonne, zurück. Unsre Ankunft in Sta Fe glich einem Triumphzug. Der Erzbischoff hatte uns seinen Wagen entgegen geschickt; mit demselben kamen die Vornehmsten der Stadt. Man gab uns ein Mittagsessen 2 Meilen von der Stadt, und wir zogen mit einem Gefolge von mehr als 60 Personen zu Pferde ein. Da man wußte, daß wir Mutis zu besuchen kamen, und dieser durch sein hohes Alter, sein Ansehn bei Hose und seinen persönlichen Charakter, in der ganzen Stadt in außerordentlicher Achtung steht; so suchte man seinetwegen unsrer Ankunft einen gewissen Glanz zu geben, und ihn in uns zu ehren. Der Vicekönig darf in der Stadt, der Etikette nach, mit niemand essen; er war aber gerade zufällig auf seinem Landsitze Fucha, und lud uns dahin zu sich ein. -- Mutis hatte uns ein Haus in seiner Nähe einrichten lassen, und behandelte uns mit ausnehmender Freundschaft. Er ist ein ehrwürdiger alter Geistlicher, von beinahe 72 Jahren; und dabei ein reicher Mann: der König zahlt für die botanische Expedition hieselbst jährlich 20000 Piaster. Seit funfzehn Jahren arbeiten 30 Maler bei Mutis; er hat 2 bis 3 tausend Zeichnungen in Großfolio, welche Miniaturgemälde scheinen. Nächst der Bankssischen in London, habe ich nie eine größere botanische Bibliothek als die Mutisische gesehen. -- Ungeachtet der Nähe beim Aequator, ist das Klima hier empfindlich kalt, wegen der vorher angezeigten hohen Lage: das Thermometer steht meist auf 6 bis 7 Grad Reaumur, oft auf 0, nie über 18°. Ich bin, bei den Flußmiasmen und den Entzündungerregenden Moskitostichen, völlig gesund geblieben; aber der arme Bonpland bekam, auf dem Wege von Honda nach Sta Fe, wieder das dreitägige Fieber. Dies nöthigte uns, zwei volle Monate, bis zum 8 Septemb. 1801, in der letzten Stadt zu bleiben. Ich maß indeß die umliegenden Berge, von denen mehrere 2000 bis 2500 Toisen hoch sind; besuchte den See Guatavita, den Wasserfall Tequendama, der wegen der Menge seines Wassers außerordentlich schön, aber, nur 91 Toisen hoch ist, die Steinfalzgruben von Zipaguira, u. s. w. Sobald Bonpland wieder hergestellt war, verließen wir Sta Fe, und sind jetzt auf dem Wege nach Quito. Wie wollen durch Ibagua und die Schneegegenden von Quiridiu über die Anden gehn. Bouguer ging über Guanacas. -- Ich schreibe diese Zeilen am Fuße der Cordillere, die ich in drei Tagen besteige. Wir sind mehr zu Fuße als auf unsern Maulthieren. Aber diese Art zu reisen bekömmt uns wohl, und wir sind sehr gut mit allem Nöthigen versehn. Im Jänner 1802 gehe ich nach Lima; von dort im Mai nach Akapulko; und von da, nachdem ich vorher Mexiko bereist haben werde, vollende ich meine Reise um die Welt, indem ich über die Philippinen, und hierauf um das Vorgebirge der guten Hoffnung herum, nach Europa zurückkehre. [In dem Briefe aus Sta Fe, vom 6 Sept., findet sich noch die naturhistorische Merkwürdigkeit]: Wir haben entdeckt, und ich halte es keinem Zweifel mehr unterworfen: daß der Krokodil, von dem alle Flüsse hier leider voll sind, ein Krokodill von 25 Fuß Länge, ein Cor biauritum, biloculare [ein Herz mit zwei Ohren und mit zwei Kammern], wie ein warmblütiges Thier, hat. [Das wichtigste in dem Briefe aus Papayan, vom 26 Nov. ist Folgendes]: Wir reisten am 8 Sept. von Sta Fe de Bogota ab, und stiegen über die Cordillere der Anden bei Quiridiu, wo wir 14 Tage lang über Schnee gehen mußten. Wir haben auf dieser Reise interessante Wanderungen in die Gebirge gemacht; und unter andern den Vulkan von Purace besucht, dessen Mündung, die 2300 Toisen hoch liegt, schon auf eine große Entfernung ein furchtbares Getöse macht. Ende Decembers rechnen wir in Quito einzutreffen.