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Alexander von Humboldt: „Auszug eines Schreibens des berühmten Naturforschers, Herrn Alexander von Humboldt, an Herrn Professor Wildenow in Berlin“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1801-xxx_Brief_an_Carl-2> [abgerufen am 28.03.2024].

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Titel Auszug eines Schreibens des berühmten Naturforschers, Herrn Alexander von Humboldt, an Herrn Professor Wildenow in Berlin
Jahr 1801
Ort Berlin; Stettin
Nachweis
in: Neue allgemeine deutsche Bibliothek 61:2:6 (1801), Intelligenzblatt, S. 352–360.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Fußnoten mit Asterisken.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: II.13
Dateiname: 1801-xxx_Brief_an_Carl-2
Statistiken
Seitenanzahl: 9
Zeichenanzahl: 18995

Weitere Fassungen
[Brief an Carl Ludwig Willdenow] (Berlin, 1801, Deutsch)
Auszug eines Schreibens des berühmten Naturforschers, Herrn Alexander von Humboldt, an Herrn Professor Wildenow in Berlin (Berlin; Stettin, 1801, Deutsch)
Uittrekzel uit een Brief van den beroemden Natuuronderzoeker den Here Alexander von Humbold, aan den Heer Professor Wildenow, te Berlyn (Haarlem, 1802, Niederländisch)
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Auszug eines Schreibens des beruͤhmten Naturfor-ſchers, Herrn Alexander von Humboldt, an HerrnProfeſſor Wildenow in Berlin. d. d. Havana, den 21ſten Febr. 1801. (Es iſt darin viel wiſſenſchaftliches Detail ausgelaſſen.)

Da es nicht nur bloß ungewiß, ſondern ſogar unwahr-ſcheinlich iſt, daß mein Reiſegefaͤhrte Bonpland und ich dieReiſe um die Welt, nach unſerm Plane uͤber die Philippinenund das Cap der guten Hoffnung, wohlbehalten zuruͤcklegen:ſo ſorge ich wenigſtens dafuͤr, daß die Fruͤchte unſerer Arbei-ten nicht verloren gehen moͤgen. Wir ſchicken alſo Duplicatevon unſern niedergeſchriebenen Bemerkungen durch die fran-zoͤſiſchen Handlungsagenten nach Frankreich, und eben ſomachen wir es mit unſern Sammlungen von natuͤrlichenMerkwuͤrdigkeiten. Dir, lieber Wildenow, habe ich in 2 Ki-ſten 1000 verſchiedene Species von Pflanzen geſchickt, diemehrentheils aus dem unbekannten Theile der Parime undGuayana zwiſchen dem Rio negro und Breſil, wo wir imvorigen Fruͤhjahre waren, geſammlet ſind. Du erhaͤltſt dieſeKiſten durch Herrn Fraſer, einen guten botaniſchen Gaͤrtner |353| und Saamenhaͤndler, der bey London wohnt, und der in ſei-nem Gewerbe der Lieferant des Kaiſers von Rußland iſt.Du erinnerſt dich aus Walters Flora Carolinenſi, daß dieſerHerr Fraſer vier botaniſche Reiſen in Labrador und Canadagemacht hat. Seit 1799 iſt er auf einer fuͤnften ſolchen Rei-ſe begriffen. Dieſe gieng zuerſt in die am Ohio belegenenStaaten Kentucky und Teneſſee, welches, beylaͤufig geſagt, jetztſchon ſo gangbare Gegenden ſind, daß man von Philadelphia,zu Waſſer und zu Lande, Waaren uͤber Fort-Pitt, den Ohiound den Miſſiſſippi bis nach Nueva Orleans ſchickt, und zudieſer ganzen Reiſe nicht laͤnger als 4 Wochen Zeit braucht.Vermittelſt dieſer leichten Kommunikation kam nun auch Hr.Fraſer bis in die ſpaniſchen Kolonien, namentlich hierher nachHavana. Er kannte die Schwierigkeiten nicht, ohne Er-laubniß des Koͤnigs von Spanien in die Kolonien einzudrin-gen; er haͤtte alſo ſeine Abſicht hier Pflanzen zu ſammlenſchwerlich erreicht, wenn er nicht zum Gluͤck Schiffbruch er-litten haͤtte. Nachdem er auf einer Sandbank 10 Meilenvon der Kuͤſte drey ungluͤckliche Tage zugebracht hatte, warder endlich durch Fiſcher von Matanzas gerettet, und kam, vonAllem entbloͤßt, hier an. Sein Name und ſein Gewerbewaren genug, mir ihn zu empfehlen; ich nahm ihn in meinHaus auf, unterſtuͤtzte ihn mit Gelde und mit Allem, was erbedurfte, und verſchaffte ihm, durch meine Verbindungen,die Erlaubniß die Inſel Cuba zu bereiſen, die er ohne denUnfall des Schiffbruchs ſchwerlich erlangt haben wuͤrde. Die-ſem Manne nun habe ich die Kiſten mit Pflanzen fuͤr dichanvertraut, und die Freundſchaft, die ich ihm zu erzeigenGelegenheit gehabt, iſt mir Buͤrge, daß er mehr als ge-woͤhnliche Sorge dafuͤr tragen wird. *) Der gute Fraſerhat ſeinen Sohn bey ſich, einen ſehr liebenswuͤrdigen jungenMenſchen, dem ich es antrug, mich auf meiner Reiſe nachMexiko zu begleiten. Er ſchlug es aber ab, weil er die Spa-nier fuͤrchtet, deren Sprache er nicht verſteht, und weil erzuruͤck nach London eilt, um ſeine in Kentucky geſammeltenPflanzen zu beſchreiben. Ich gehe alſo — doch, ehe ich dirſage, wo ich von hier aus hinzugehen gedenke, will ich dir,auf den Fall, daß meine fruͤheren Briefe dir nicht zu Haͤnden
*) Sie ſind bereits gluͤcklich in London angekommen.
|354| gekommen waͤren, *) die bisherigen Hauptepochen meinerReiſe kuͤrzlich wiederholen, damit du wenigſtens den Fadendavon habeſt. Am 5ten Jun. 1799 ſegelte ich mit meinemReiſegefaͤhrten Alexander Bonpland, auf der Fregatte Pizar-ro, von Corunna nach den canariſchen Inſeln, wo wir denPic de Teyde bis in den Crater beſtiegen. Seit 12 Jahrenwar Niemand dort geweſen. Mr. Johnſtone, ein Kauf-mann aus Madeira, war der letzte vor uns. Am 16ten Ju-lius langten wir im Hafen von Cumana an; bis im Novem-ber blieben wir dort und in den Gebirgen Tumiriquiri unterden Indias Chaymas, am Guarapiche und Coſta de Paria.Am 18ten Nov. giengen wir zur See nach la Guayra und Caraccas. Dort und in der umliegenden Gegend die Sillabeſteigend blieben wir zwey Monate; dann durch Valles de Aragua und durch die Cacaopflanzungen am romantiſchen Seevon Valencia, wo wir einen Baum entdeckten, deſſen Milchdie Indianer wie Kuhmilch genießen. Sie iſt ſehr naͤhrend,und giebt ſauren Kaͤſe! Weiter nach Portocabelle; dann ſuͤd-lich durch das große Llano (eine Wuͤſte voll Gymnotus ele-ctric. in den Suͤmpfen und voll wilder Pferde, das Stuͤckzu einem Thaler!) in die Provinzen Varinas an den Graͤn-zen von Santa Fé bis Rio Apure im 7ten Grad ſuͤdlicherBreite. Auf dieſem Fluſſe oͤſtlich in den Orinoco bis Cabru-ta; dann dieſen ſuͤdlich aufwaͤrts bis jenſeits der fuͤrchterli-chen Cataracten de Maypure und Atures an die Muͤndungder von Quito kommenden Guaviare in 3° Breite. Vonhier aus, den Orinoco verlaſſend auf den kleinen Fluͤſſen Atabapo, Tuamini und Temi gegen Suͤdweſten, und 150Meilen von Quito bis an den wegen Schlangen beruͤchtigtenMonte de Pimichia. Durch dieſen Wald trugen die India-ner drey Tage lang die Pirogua (unſern Kahn) bis an denFluß Negro. Dieſen ſchifften wir alsdann hinab ſuͤdoͤſtlichbis San Carlos, einer von 8 Mann bewachten Graͤnzfeſtunggegen den Bréſil (gegenuͤber beſitzen die Portugieſen SanJoſe de Maravitanos; ſie hinderten mich mit den Inſtru-menten weiter vor bis an den nahen Amazonenfluß zu drin-gen); dann durch den Caſiquiore noͤrdlich an die Quellen desOrinoco, dieſen aufwaͤrts bis jenſeits dem Vulcan Duida im
*) Dieß iſt wirklich der Fall; es iſt keiner angelangt.
|355| Dorado in Waͤldern von Cacao, Caryocar, einem neuen Genus Juvia (Mandelbaum mit 14 Zoll breiten Fruͤchten);dann ſchifften wir den ganzen Orinoco abwaͤrts bis an dieMuͤndung, eine Reiſe von 1200 Meilen immer auf denFluͤſſen. Von der Muͤndung des Orinoco bis durch das Llanode Caracatiche nach Barcellona, und endlich am 1ſten Sep-tember 1800 nach Cumana zuruͤck, in das Haus unſersFreundes, Don Vincente Emperan, Gouverneurs dieſerProvinz. Hier ordneten wir unſre bisher gemachten Samm-lungen, und machten Excurſionen ins Gebirge Chaparuparu;dann am 24ſten Oktober mit vieler Gefahr und ſchrecklichemSturm von Nuova Barcellona nach Havana, wo wir den19ten December 1800 ankamen, und wo ich ſeit 18 Mona-ten die erſten Briefe aus Europa antraf. — Mit meinemReiſegefaͤhrten (Alexander Bonpland) habe ich Urſache uͤber-aus zufrieden zu ſeyn. Er iſt ein wuͤrdiger Schuͤler Juͤſſieus, Desfontaines, Richard’s, iſt uͤberaus thaͤtig, arbeitſam, ſichleicht in Sitten und Menſchen findend, ſpricht ſehr gut ſpa-niſch, iſt ſehr muthvoll und unerſchrocken; mit einem Worte,er hat vortreffliche Eigenſchaften fuͤr einen reiſenden Naturfor-ſcher. Die Pflanzen (die mit den Dubletten uͤber 12000betragen, hat er allein geordnet. Die Beſchreibungen ſindzur Haͤlfte ſein Werk. Oft haben wir jeder beſonders die-ſelbe Pflanze beſchrieben, um der Wahrheit deſto gewiſſer zuſeyn. Wir glauben ſehr genaue Diagnoſen niedergeſchriebenzu haben; wagen es aber doch nicht, zu beſtimmen: wie vielneue Genera wir beſitzen? In Palmen und Graͤſern, in Melaſtomis, Piper, Malpighia, Cipura Aublet, Caeſal-pina, der Cortex Anguſturae (die ein neues, von Cincho-na verſchiedenes Genus iſt) ſind wir ſehr, ſehr reich; den-noch bin ich gewiß, daß zwey Drittel unſrer neuen Gen. etSpec., wenn wir nach Europa zuruͤckkommen, als uralt er-kannt werden; indeß gewinnt die Wiſſenſchaft immer, wennin ſo entlegenen Laͤndern neue, nach der Natur gemachte Be-ſchreibungen aufgezeichnet werden. Welch einen Schatz vonPflanzen enthaͤlt das wunderbare, mit undurchdringlichenWaͤldern erfuͤllte, von ſo vielen neuen Affenarten bewohnteLand zwiſchen dem Orinoko und dem Amazon, in welchen ich1400 geographiſche Meilen zuruͤckgelegt habe! Ich bin nunvoͤllig von dem uͤberzeugt, was ich in England noch nichtglaubte, obwohl ich es ſchon aus Ruiz, Pavon, Neé’s undHaͤnken’s Herbarien ahnete; ich bin, ſage ich, jetzt uͤberzeugt, |356| daß wir nicht drey Fuͤnftel aller vorhandenen Pflanzenſpecieskennen! Welche wunderſame Fruͤchte, von denen wir, alswir vom Aequator zuruͤckkamen, große Kiſten voll nach Ma-drit und Frankreich geſandt haben! Welch einen Anblick ge-waͤhrt die Palmenwelt in den undurchdringlichen Waͤldern amRio negro! Nur hier, hier und ſelbſt nicht mehr hier, nur inder Guayana, in Suͤdamerika, iſt die Welt recht eigentlichgruͤn. Der Brodtfruchtbaum (Artocarpus inciſa) den manin der Guayana kultivirt, gedeihet unglaublich. VierjaͤhrigeBaͤume ſind 30 Fuß hoch, haben 3 Fuß lange, und 18 Zollbreite Blaͤtter, und geben unzaͤhlige Fruͤchte! Ich kennePlantagen, welche 4 bis 500 Staͤmme beſitzen. Epoche inder Geſchichte des Ackerbaues macht das Zuckerrohr von Ota-heiti, das man in ganz Weſtindien baut, das dreymal dickerals das alte, ſonſt hier gewoͤhnliche, iſt, und wenigſtens \( \frac{1}{3} \) mehr Zucker giebt! Dieſe Pflanze allein koͤnnte Cooks Na-men verewigen.
Aber wenn es ein Genuß, ein großer Genuß iſt, dieſeNaturſchaͤtze zu bewundern: ſo glaubſt Du auch wohl, liebſter Wildenow, daß der Beſchwerden und der Schwierigkeitendabey nicht wenige ſind! Durch die beſondere Gnade desKoͤnigs von Spanien, durch die perſoͤnlichen Auszeichnungen,mit welchen der Koͤnig und die Koͤniginn mich beehrt haben,und durch die dringenden Empfehlungen des Miniſters Ur-quijo, reiſe ich zwar in dieſem Lande mit groͤßerer Freyheit undSicherheit, als je einem Naturforſcher hier zu Theil gewor-den ſind. Auch reiſe ich mit mehr Bequemlichkeit als vieleandere, in ſofern ich auf den Fluͤſſen 24 Indianer viele Mo-nate lang zu meinem Gebote, und im Innern des Landesoft einen Troß von 14 Maulthieren habe, um meine Pflan-zen, Inſtrumente, und uͤbrigen Beduͤrfniſſe fortzuſchaffen.Aber, weder die Gnade des Koͤnigs von Spanien, noch mei-ne Gefaͤhrten und Begleiter koͤnnen mich vor den Beſchwer-den des Clima und der Lokalitaͤt ſchuͤtzen, und dieſe ſind nichtgeringe, zumal wenn ich als Botaniker ſprechen ſoll. Inder Guayana, wo man wegen der Mosquiten (einer Artvon Muͤcken) die die Luft verfinſtern, Kopf und Haͤnde ſtetsverdeckt halten muß, iſt es faſt unmoͤglich, am Tageslichte zuſchreiben; man kann die Feder nicht ruhig halten, ſo wuͤthendſchmerzt das Gift dieſer Inſekten. Alle unſre Arbeit mußtedaher beym Feuer, in einer indianiſchen Huͤtte, vorgenom- |357| men werden, wo kein Sonnenſtrahl eindringt, und in wel-cher man auf den Bauch kriechen muß. Dort erſtickt manfaſt vor Rauch; aber man leidet weniger von den Mosqui-ten. In Maypure retteten wir uns mit den Indianern mit-ten in den Waſſerfall, wo der Strom raſend tobt; wo aberder Schaum die Inſekten vertreibt. In Higuerote graͤbtman ſich Nachts in den Sand, ſo daß bloß der Kopf hervor-ragt, und der ganze Leib mit 3 bis 4 Zoll Erde bedeckt bleibt.Man haͤlt es fuͤr eine Fabel, wenn man es nicht ſieht. Son-derbar iſt es, daß da, wo die ſchwarzen Gewaͤſſer, eigentlichdie kaffeebraunen Fluͤſſe (Atabapo, Guainia ꝛc.) anfangen,weder Mosquiten noch Crocodille gefunden werden. Wennnun unter ſolchen Beſchwerden die Pflanzen endlich beſchrie-ben ſind: ſo geht ein neuer Jammer an, wenn man nach ei-niger Zeit ſeine Kiſten wieder oͤffnet! Unſre Herbarien trifftnaͤmlich hier daſſelbe Schickſal, uͤber das bereits Sparrmann, Banks, Swarz und Jacquin geklagt haben. Die uner-meßliche Naͤſſe des amerikaniſchen Klima’s, die Ueppigkeitder Vegetation, in der es ſo ſchwer iſt, alte ausgewachſeneBlaͤtter zu finden, haben uͤber ein Drittheil unſerer Samm-lungen verdorben. Taͤglich finden wir neue Inſekten, welchePapier und Pflanzen zerſtoͤren. Kampher, Terpentin, Theer,verpichte Bretter, Aufhaͤngen der Kiſten in freyer Luft, allein Europa erſonnenen Kuͤnſte, ſcheitern hier, und unſre Ge-duld wird auf eine harte Probe geſetzt. Iſt man vollendsdrey bis vier Monate abweſend: ſo kennt man ſein Herba-rium kaum wieder. Von 8 Exemplaren muß man 5 weg-werfen, zumal in der Guayana, dem Dorado und dem Ama-zonenlande, wo wir taͤglich in Regen ſchwammen. DieſerBeſchwerden ungeachtet iſt aber doch die Weltgegend zwiſchenden Wendekreiſen recht mein Element, und ich bin nie ſo un-unterbrochen geſund geweſen, als ſeit meiner Abreiſe ausSpanien. Trotz des ewigen Wechſels von Naͤſſe, Hitze undGebirgskaͤlte, (denn die Parime, der ſuͤdliche Theil derGuayana, iſt keinesweges ein flaches Land, wie die Geogra-phen es ſchildern; ſondern es hat einen maͤchtigen von Po-payan und Quito auslaufenden, mit dem Oyapock bey Cayen-ne ſich verbindenden Gebirgsſtock, den ich in 1 Grad noͤrd-licher Breite vom Aequator 9600 Fuß hoch fand), trotz jenesewigen Wechſels von Naͤſſe, Hitze und Gebirgskaͤlte, hatmeine Geſundheit ſichtbar zugenommen. Ich arbeite ſehrviel, (das Pflanzenbeſchreiben iſt nur ein Nebenzweck mei- |358| ner Reiſe), ich ſchlafe wenig, bin oft bey aſtronomiſchen Be-obachtungen 4 bis 5 Stunden lang ohne Hut der Sonne aus-geſetzt. Ich habe mich in Staͤdten aufgehalten (la Guayra,Portocabello) wo das graͤßliche gelbe Fieber wuͤthete, undnie, nie hatte ich nur Kopfweh! Nur in St. Thome de laAngoſtura, der Hauptſtadt in der Guayana und in NuevaBarcellona, hatte ich, 3 Tage lang Fieber, einmal am Tagemeiner Ruͤckkunft vom Rio negro, da ich nach langem Hun-gern zum erſtenmal und unmaͤßig Brodt genoß; das andere-mal, als ich von einem hier ſtets Fieber erregenden Staubre-gen bey Sonnenſchein benetzt ward. Am Atabapo, wo dieWilden ſtets am Faulfieber leiden, widerſtand meine Geſund-heit unbegreiflich gut. Vier Monate lang ſchliefen wir inden Waͤldern, umgeben von Crocodillen, Boas, und Tigern,(die hier ſelbſt Canots anfallen) nichts genießend als Reis,Ameiſen, Manioc, Piſang und Orinocowaſſer und biswei-len Affen. Von Mondavaca bis zum Vulcan Duida, vonden Graͤnzen des Quito bis Surinam hin, Strecken von8000 Quadratmeilen, in denen kein Indianer; ſondern nichtsals Affen und Schlangen anzutreffen ſind, haben wir, anHaͤnden und Geſicht von Mosquitenſtichen geſchwollen, durch-ſtrichen. Aber dagegen auch welche Groͤße in jenen majeſtaͤ-tiſchen Palmwaͤldern, wo man ſo viele und verſchiedene un-abhaͤngige indianiſche Voͤlkerſchaften, und bey dieſen einenReſt peruaniſcher Kultur antrifft! Nationen, die, ihrenAcker wohl beſtellend, Gaſtfreundſchaft ausuͤben, ſanft undmenſchlich ſcheinen wie die Otaheiter; aber auch, gleich die-ſen — Menſchenfreſſer ſind. Ueberall, uͤberall im freyenSuͤdamerika, (ich rede von dem Theile ſuͤdwaͤrts von denCataracten des Orinoco, wo außer 5 bis 6 Franciskaner-Moͤnchen kein Chriſtenmenſch vor uns eindrang), fanden wirin den Huͤtten die entſetzlichen Spuren des Menſchenfreſ-ſens!! — Ich habe das ſpaniſche Miniſterium gebeten, ei-nen jungen Franciskaner-Moͤnch durch Cavanilles in der Bo-tanik unterrichten, und dann ihn den Rio negro bereiſen zulaſſen. Nur als Moͤnch, oder in Begleitung eines Moͤnchs,kann man dort reiſen, ohne von den Indianern etwas zubefuͤrchten zu haben. Der jetzige Padre Guardian der Miſ-ſionen, Fray Juaquin Marquez, ein wackerer Moͤnch, mit demich in genauer Freundſchaft gelebt, hat das Projekt ſehr un-terſtuͤtzt. Ich habe an manchen Orten Inſtrumente gelaſ-ſen, und wir duͤrfen hoffen, bald uͤber dieſen finſtern unbe- |359| kannten Theil der Welt, uͤber den alle Charten erlogen ſind,einiges Licht zu erhalten. Die Oſt- und Nord-Europaͤer ha-ben uͤbrigens ſeltſame, faſt moͤchte ich ſagen, tolle Vorurtheilegegen die ſpaniſche Nation. Ich habe nun zwey Jahre lang,vom Capuziner an (denn ich war lange in ihren Miſſionenunter den Charmas Indianern) bis zum Vicekoͤnig, mit al-len Menſchenklaſſen genau verbunden gelebt. Ich bin derſpaniſchen Sprache jetzt faſt ſo gut als meiner Mutterſprachemaͤchtig, — wohlan, mittelſt dieſer genauen Kenntniß kannich verſichern, daß dieſe Nation, trotz alles politiſchen und reli-gioͤſen Drucks, dennoch mit Rieſenſchritten ihrer Bildungentgegen geht; daß ein großer Charakter ſich in ihr entwickelt.Daraus, daß hier in Amerika nichts von ihr verlautbart,daraus urtheile nicht, daß ſie nichts fuͤr die Wiſſenſchaftenthut. Es giebt hier ungeheure Pflanzenſchaͤtze; vortrefflicheZeichnungen, Beſchreibungen, alles iſt fertig; allein an Publi-kation iſt nicht zu denken in einem Lande, wo die Buchhaͤndler20000 Thaler fordern, um ein Buch drucken zu laſſen! Mit Ruiz Flora wird man wenigſtens noch 10 Jahre lang beſchaͤff-tigt ſeyn. Don Celeſtino Mutis in St. Fe, hat gewiß uͤber1500 bis 2000 neue Species; die Flora novae Grenadae iſt fertig. Haͤnke iſt noch in Chili, nachdem er mit Malas-pina die Welt umreiſet hat. Reicher an Pflanzen iſt Nie-mand in der Welt! Seſſe, ein ſehr, ſehr guter Botaniker,hat 7 Jahre lang ganz Mexico und Californien bereiſet. Erhat 2000 Zeichnungen. Tafala arbeitet noch in Peru, wie Cervantes in Mexico. Hier in der Inſel Cuba iſt eine eige-ne botaniſche Commiſſion, deren Haupt Dr. Boldo am gel-ben Fieber geſtorben iſt. Der junge Eſtevez, Seſſe’s Schuͤ-ler, iſt ihm ſubſtituirt. Mit ihm arbeitet ein mexicaniſcherMaler Echevaria, deſſen Talent im Pflanzenzeichnen alleshinter ſich laͤßt, was Europa nur aufzuzeigen hat! So ſehrich das Alles ruͤhme und lobe: ſo glaube Du es uͤbrigens dochnicht, wenn etwa die deutſchen Zeitungen es den engliſchennachſchreiben ſollten, — „daß ich mit großen Auftraͤgen vom„ſpaniſchen Gouvernement reiſe, und zu einem hohen Poſten„im Rath von Indien beſtimmt ſey;“ — ſondern, wie ich,lache daruͤber. Falls ich gluͤcklich nach Europa zuruͤckkehre:ſo werden mich ganz andere Plane beſchaͤfftigen, die mit dem Conſejo de Indias wenig zuſammenhaͤngen. Ein Menſchen-leben, begonnen wie das meinige, iſt zum Handeln beſtimmt;und ſollte ich unterliegen: ſo wiſſen die, welche meinem Her- |360| zen ſo nahe als Du ſind, daß ich mich nicht gemeinen Zwe-cken aufopfere. Aber die Erfuͤllung meiner Zwecke erfordertUnabhaͤngigkeit, und die meinige wird mir mit jedem Tagetheurer. Um ihrentwillen habe ich nie, nie einen Scheinvon Unterſtuͤtzung von irgend einer Regierung angenommen.Wenn ich in meiner Phantaſie die Rehberge *) und die Pan-ke mit den Cataracten von Atures, und mit einem Hauſe vonChina (Cinchone alba), in dem ich lange gewohnt, zuſam-menſtelle: ſo kommt mir dieß Alles oft wie ein Traum vor.Wie viele Schwierigkeiten habe ich uͤberwunden! vergeblichauf Baudins Reiſe um die Welt gewartet; dann Egypten und Algier um einen Schritt nahe, dann in Suͤdamerika!und nun wieder in der Hoffnung, Baudin und Michaux inder Suͤdſee zu finden — — wie wunderbar iſt ein Men-ſchenleben verkettet — denn ich gehe von hier uͤber Mexicound Californien nach Acapulco, um dort mit dem Capitain Baudin die Reiſe um die Welt zu vollenden.
  • Neuere Briefe aus der Havana melden, daß Herr vonHumboldt und ſein Reiſegefaͤhrte Bonpland am 5tenMaͤrz d. J. von dort nach Carthagena, und zwar ſehrgeſund und wohl, unter Seegel gegangen ſind.


*) Unbedeutende Huͤgel in der ſogenannten Jungfernheide beyBerlin.