Auszug eines Briefs von Alexander v. Humboldt an den B. Delambre, Mitglied des National- Inſtituts in Paris. Neu Barcellona, 24 Nov. 1800. Ich habe Ihnen und dem B. Lalande waͤhrend meines Aufenthalts im mittaͤglichen Amerika mehreremale geſchrieben. Ich kenne den Antheil, den Sie an meinem Schikſale nehmen, und werde daher nicht muͤde, Ihnen Nachricht von mir zu geben, wie ſchwach auch meine Hofnung iſt, daß meine Briefe wirklich zu Ihnen gelangen. Ich bin eben im Begrif von hier nach der Havana und Mexiko abzugehen, nachdem ich eine Reiſe von mehr als 1,300 SeeMeilen in das Innere dieſes Landes geendigt habe, in dem unbekannten Theile der neuen Welt, zwiſchen dem Popayan , Quito und Cayenne. Drei Monate hindurch ſchlief ich beſtaͤndig unter freiem Himmel in Waͤldern, wo mich Tiger und ſcheußliche Schlangen umgaben, oder in ſumpfigen Ebenen, die mit Krokodillen bedekt ſind. Bananen (des bananes), Reis und Manioc waren unſre einzige Nahrung; denn aller andrer Speis- Vorrath verfault in dieſem zugleich naſſen und gluͤhenden Himmels Strich. Wie gros und majeſtaͤtiſch aber iſt die Natur in dieſen Gebirgen! Denn von dem Baraguan (le Baraguan) und Uruana, welche unbekannte Nationen mit Hieroglyphen bedekten, bis zum Vulkan von Duida, (welcher 60 Meilen vom kleinen See Dorado entfernt liegt, und den ich 2,176 Metren hoch fand), laͤuft eine einzige GranitCordillere hin, welche von Quito herabſteigt, und ſich von Weſten gegen Oſten an die Gebirge des franzoͤſiſchen Guyanas anſchließt. Welche Verſchiedenheit von indianiſchen Staͤmmen, die alle frei, ſich nach Willkuͤhr ſelbſt beherrſchen und auffreſſen, von den Guaicas des Gehette (les Guaicas du Gehette) — einer PygmaͤenNation, deren groͤſeſte Individuen indeß doch 4 Fuß 2 Zoll haben — bis zu den weiſſen Guajariben, welche wirklich die Weiſſe der Europaͤer beſizen; von den Otomacos, die taͤglich bis auf 1 1∫2 Pfund Erde eſſen, bis zu den Marivitanos und Maquiritores, die ſich von Ameiſen und Harzen naͤhren. Ich habe uͤber alle dieſe Gegenſtaͤnde ſchon neulich in dem Briefe geſprochen, welchen ich von der Muͤndung des Orinoco aus unſerm Freunde P. ſchrieb. Ich ſchraͤnke mich daher heute nur auf einige aſtronomiſche Beobachtungen ein, die ich mit vieler Sorgfalt angeſtellt zu haben glaube. Etwas uͤber 1,100 Toiſen. Dieſer Brief iſt nicht angekommen. Mein Zeithalter von L. Berthoud iſt noch immer aͤuſſerſt genau in ſeinem Gange. Ich pruͤfe ihn alle 4 bis 6 Tage durch korreſpondirende SonnenHoͤhen, die ich mit den Inſtrumenten, die ich bei mir habe, bis auf 1 Sekunde Zeit und weniger nehmen kan. Sie wiſſen, daß die Aſtronomie nie meine HauptBeſchaͤftigung ausmachte; aber mit Eifer und ausdauerndem Fleiß, und bei dem taͤglichen Gebrauch der nemlichen Inſtrumente, kommt man endlich dahin, etwas Ordentliches zu Stande zu bringen. Sie wuͤrden gelacht haben, wenn Sie meinen Beobachtungen unter den Ydapaminariſchen Indianern (in den Waͤldern des Caſiquiare) zugeſehen haͤtten. Meine Inſtrumente auf Kiſten und Kuffern aufgeſtellt, SchildkroͤtenSchaalen, die uns zu Stuͤhlen dienten, 8 bis 9 Affen, die wir mit uns herumfuͤhrten, und die vor Begierde brannten, auch Verſuche mit meinen Hygrometern und Barometern anzuſtellen — um das alles herum 10 bis 12 Indianer auf ihren Matten ausgeſtrekt, und endlich Feuer, uns gegen die Tiger ſicher zu ſtellen, die in dieſen Gegenden nicht weniger wild als inAfrikaſind. Der Mangel an Nahrung, die Mosquitos, die Ameiſen, ein kleiner Acarus, der ſich in die Haut ſezt, und ſie ordentlich, wie einen Aker, durchpfluͤgt, die Luſt, ſich durch Baͤder zu kuͤhlen, und die Unmoͤglichkeit zu baden wegen der Gefraͤſſigkeit der Kaimans, des Stichs der Rayas, und der Zaͤhne einer kleinen Art Fiſche — es fordert Jugend und groſe Standhaftigkeit, alles dis auf einmal zu erdulden. Aber die Beſchwerden ſind voruͤber, und ich habe mehr geſammelt, als ich hoffen durfte. Man glaubt gewoͤhnlich, daß die ſpaniſchen Beſizungen in Guyana bis an den Aequator gehen, und die Karte des P. Caulin, die beſte unter den bisherigen, obgleich alle Namen darauf falſch ſind, giebt es ſo an. Aber ich habe durch ſehr gute Beobachtungen, die ich in den Felſen von Culimacari an dem Canopus ꝛc. anſtellte, gefunden, daß S. Carlos del Rio Negro , das mittaͤglichſte ihrer Etabliſſements noch um 1° 53′ noͤrdlich vom Aequator liegt, und daß dieſer in dem Gouvernement du Grand Para bei S. Gabriel de las Cachuellas durchgeht. An dieſer Stelle befindet ſich eine Cataracte, die aber weniger betraͤchtlich iſt, als die beiden beruͤhmten von Atures und Maypure. Ich bin nach einem Jahr von Beobachtungen dahin gekommen, 54 Oerter im mittaͤglichen Amerika nach ihrer Breite und Laͤnge zu beſtimmen, und bin izt beſchaͤftigt, nach dieſen verſchiedenen Punkten eine Karte der Laͤnder, die ich durchlaufen habe, zu entwerfen. Da meine Beobachtungen hier die Luͤke ausfuͤllen, welche ſich auf unſern Karten zwiſchen Quito und Cayenne im Norden des Amazonen Fluſſes befindet, ſo ſchmeichle ich mir, den Geographen damit ein angenehmes Geſchenk zu machen. Mein Begleiter Bonpland iſt wohl, und ich habe mehr als 1,200 Pflanzen mit ihm beſchrieben. (Den Uiberreſt des Briefes fuͤllen einzelne aſtronomiſche Beobachtungen uͤber Ein- und Austritte der JupitersTrabanten, Abweichung der MagnetNadel u. ſ. w. an, welche nur den Aſtronomen intereſſiren koͤnnen. Wer ſie nachzuſehen wuͤnſcht, kan ſie im Moniteur finden, wo das NationalInſtitut, welchem der B. Delambre dieſen Brief mitgetheilt hat, den ganzen Brief wird abdruken laſſen.) Durch dieſelbe Gelegenheit, durch welche der B. Delambre den vorſtehenden Brief empfieng, erhielt der B. Fourcroy einen andern von dem B. Hapel la Chenage, einem Chemiker, der ſich in Guadeloupe aufhaͤlt. Er iſt vom 15 Nivoſe (5 Jan.) datirt, und enthaͤlt noch einige Nachrichten uͤber Herrn von Humboldt. „Der B. Breſſeau (Agent der franz. Regierung auf Guadeloupe) hat auf ſeiner Ruͤkreiſe von Curacao Herrn von Humboldt in Cumana angetroffen. Er hat von demſelben eine Kiſte fuͤr das National Inſtitut, und zwei Pakete, eins fuͤr Sie, das andre fuͤr den B. Delambre empfangen. Ich denke, Sie werden das Ihrige mit demſelben AvisSchif erhalten, das Ihnen dieſen Brief bringen wird. Herr von Humboldt iſt izt in der Havana. Ich haͤtte ſehr gewuͤnſcht, er waͤre der Einladung unſers Agenten gefolgt, der ihn ſehr bat, mit ihm unſre Inſel zu beſuchen. Aber es iſt ihm nicht moͤglich geweſen, ihn dazu zu vermoͤgen.” Die Kiſte fuͤr das NationalInſtitut, und das Paket an den B. Fourcroy ſind nicht angekommen, welches um ſo ſonderbarer iſt, als Delambre das ſeinige erhalten hat.