Auszug aus einem Briefe des Hrn. v. Humboldt an Hrn. Fourcroy. A. d. Schriften des Nationalinſtituts. Cumana d. 16. Oct. 1800. Waͤhrend der 16 Monate die wir mit Bereiſung des großen Landſtrichs zwiſchen der Kuͤſte, dem Oronoco, dem ſchwarzen- und Amazonenfluſſe zubrachten, hat der B. Bonpland mit den Doubletten uͤber 6000 Pflanzen getrocknet. Ich habe mit ihm an Ort und Stelle auf 1200 Species beſchrieben worunter eine große Menge zu ſeyn ſcheint die noch nicht von Aublet, Jacquin, Mutis und Dombey beſchrieben ſind. Wir haben Inſecten, Schalthiere und Faͤrbehoͤlzer geſammlet; Crocodile, Seekuͤhe (Lamantins) Affen, Zitteraale (Gymnotus elect.) wo die Fluͤſſigkeit lediglich galvaniſch, und nicht elektriſch iſt — zergliedert. Wir haben viele Schlangen, Eidexen, einige Fiſche u. ſ. w. beſchrieben. Ich habe eigentlich zwey Reiſen unternommen: eine nach den Miſſionen der Chaymas-Indianer zu Paria und die andere in das unermeßliche Land nordwaͤrts des Amazonenfluſſes zwiſchen Popayan und die Gebirge des franzoͤſiſchen Guyana. Wir ſind zweymal vor den großen Waſſerfaͤllen des Oronoco, unterm 5° 12′ ſuͤdl. Breite u. 4 St. 43 Min. weſtl. Laͤnge von Paris, — und denen von Atures und Maypures im 5° 39′ Br. und 4 St. 41. M. 40 S. Laͤnge, vorbeygekommen; von der Muͤndung des Guaviare und der Fluͤſſe Atabaya, Temi und Tuamini. Ich ließ meine Pirogue zu Lande, nach dem ſchwarzen Fluſſe ſchaffen. Wir gingen zu Fuß durch die Waͤlder der Hevea (die das elaſtiſche Harz liefert) der Cinchona (wo die Chinarinde herkommt) und der Winterana-Canella. Ich ſtieg vom Rio-Negro bis San-Carlos um die Laͤnge durch den Zeithalter von Berthoud zu beſtimmen, mit welchem ich noch immer ſehr zufrieden bin. Ich beſuchte alsdann die Gegend von Caſiguiare welche von den Ydapaminaren bewohnt wird welche blos von geraͤucherten Ameiſen leben. Ich drang bis zu den Quellen des Oronoco, bis jenſeits dem Vulcan von Duida vor, ſo weit als es die Wildheit der Guaicas- und Guakaribos-Indianer verſtattete; ich fuhr den ganzen Oronoco hinab bis zur Hauptſtadt von Guyana wo ich 500 Lieues in 26 Tagen machte ohne die Raſttage zu rechnen. Wir haben Ihnen den Milchſaft eines Baumes geſchickt welchen die Indianer die Kuh nennen, weil ſie die Milch davon trinken die nicht ſchaͤdlich ſondern vielmehr ſehr naͤhrend iſt. Mit Huͤlfe der Salpeterſaͤure habe ich Caoutchouc oder Federharz daraus bereitet. Unter das fuͤr Sie beſtimmte miſchte ich etwas Soda und zwar ganz nach den Grundſaͤtzen die Sie ſelbſt davon aufgeſtellt haben. Fourcroy hatte vorgeſchlagen den Saft der Hevea den man in Flaſchen verſenden wollte, mit aͤtzendem Laugenſalze zu verbinden um den Niederſchlag des Caoutchouc zu verhuͤten. Ich habe auch verſucht Ihnen das Curare oder das beruͤchtigte Gift der Indianer vom ſchwarzen Fluß, in ſeiner ganzen Reinigkeit, zu verſchaffen. Ich machte ausdruͤcklich deshalb eine Reiſe nach Esmaralda um die Pflanze zu ſehen welche dieſen Saft liefert. Ungluͤcklicherweiſe aber ſtand ſie nicht in der Bluͤthe. Ich werde Ihnen ein andermal die genaue Bereitungsart dieſes Giftes mittheilen, wie ſie bey den Catarapeici- und Magnixitaſes-Indianern gewoͤhnlich iſt. Hier nur einiges: Die Pflanze die das Gift enthaͤlt heißt Maracury, ich ſende Ihnen hier die Zweige dieſer Liana; ſie waͤchſet ſparſam zwiſchen den Granitgebirgen von Guanaja und Yumariquin, im Schatten der Theobroma-Cacao und der Caryocas. Nachdem man das Oberhaͤutchen aufgehoben hat, uͤbergießt man ſie mit kaltem Waſſer, man druͤckt alsdann den Saft aus, laͤßt etwas Waſſer uͤber dem ſchon halb ausgedruͤckten Oberhaͤutchen ſtehen und filtrit den Aufguß. Die durchgegangene Fluͤſſigkeit iſt gelblich. Hierauf kocht man ſie und laͤßt ſie bis zur Conſiſtenz des Syrupzuckers abdampfen. Dieſer Syrup enthaͤlt ſchon das Gift ſelbſt, iſt aber noch nicht dick genug um die Pfeile damit zu uͤberziehen. Man vermiſcht ihn deshalb mit dem glutinoͤſen Saft eines andern Baums welchen die Indianer Kiracaguera nennen. Dieſe Miſchung wird wieder ſo lange gekocht bis ſie ſich zu einer braͤunlichen Maſſe verdickt. Sie wiſſen daß der Curare innerlich als ein Magenmittel gebraucht wird und er iſt auch in der That nicht eher ſchaͤdlich als wenn er mit dem Blute gemiſcht wird welches er desoxidirt. Ich habe nur erſt ſeit etlichen Tagen Verſuche damit angeſtellt, aber bereits bemerkt daß er die atmoſphaͤriſche Luft zerſetzt. Ich fuͤge dieſer Subſtanz noch 3 andre bey; das Dapiche, le Dapiche (ausgeſprochen: Dapitſche) das Pendarenharz (le leche de Pendare) und die Otomaken-Erde (la terre des Otomaques). Das Dapiche iſt eine Art von elaſtiſchem Gummi das Ihnen wahrſcheinlich nicht bekannt iſt. Wir haben es an einem Ort entdeckt wo ſich keine Hevea findet in den Moraͤſten des Javitagebirgs in einer Breite von 2° 5′. Dieſe Suͤmpfe ſind durch die fuͤrchterlichen Boa-Schlangen die darinn leben, beruͤchtigt. Wir fanden bey den Poimaſanos- und Paragini-Indianern muſicaliſche Inſtrumente die aus Caoutchouc verfertigt waren und die Einwohner ſagten, daß ſich dieſe Subſtanz in der Erde faͤnde. Das Dapiche oder Zapis iſt eine weiße ſchwammige Maſſe die man unter den Wurzeln der beyden Baͤume Jacia und Curvara findet; dieſe Baͤume ſcheinen uns neue Gattungen zu ſeyn und wir werden zu ſeiner Zeit die Beſchreibung davon geben. Der Saft dieſer Baͤume iſt eine ſehr waͤßrige Milch; indeſſen ſcheint es eine Krankheit fuͤr ſie zu ſeyn wenn ſie dieſen Saft durch die Wurzeln verlieren und wirklich ſtirbt der Baum durch dieſe Art von Haͤmorrhagie ab und der Saft gerinnt in der feuchten Erde ohne die freye Luft zu beruͤhren. Ich ſende Ihnen hier ſowohl das Dapiche ſelbſt als auch eine Art von Caoutchouc welches daraus bereitet iſt indem man es blos dem Feuer ausſetzt und es darinn ſchmelzt. Das Pendarenharz iſt eine getrocknete Milch des Baums Pendare und ſtellt einen weißen natuͤrlichen Firniß vor. Man uͤberzieht mit dieſer Milch wenn ſie noch friſch iſt, die Gefaͤße der Tutuma’s. Sie trocknet ſchnell und iſt ein ſehr ſchoͤner Firniß; ungluͤcklicherweiſe aber wird ſie gelblich wenn man ſie in großer Maſſe trocknet. Die Erde der Otomaguen iſt 3 Monate lang faſt die einzige Nahrung dieſer durch ihre bemahlten Koͤrper ſcheußlichen Nation. Dieſe Leute eſſen die erwaͤhnte Erde ſo lange als der Oronoco ſehr hoch iſt und man viele Schildkroͤten daſelbſt findet. Es iſt eine Art von lettiger Erde und es giebt Leute die 1 bis 1 [Formel] Pfund des Tages davon verzehren. Einige Moͤnche haben behauptet daß ſie das Fett aus den Crocodillſchwaͤnzen damit vermiſchten; aber dieß iſt falſch. Wir haben bey den Otomaguen Vorraͤthe von ganz reiner Erde gefunden, die ſie aßen, und ſie geben ihr keine andere Zubereitung als daß ſie ſelbige ein wenig roͤſten und anfeuchten. Mir ſcheint es ſehr wunderbar wie man rubuſt ſeyn und taͤglich 1 [Formel] Pf. Erde eſſen kann, da es doch bekant iſt was fuͤr traurige Wirkungen die Erde bey Kindern hat. Indeſſen haben mich meine eignen Erfahrungen uͤber die Erde und ihre Eigenſchaft, im feuchten Zuſtande die Luft zu zerſetzen, gelehrt, daß ſie wirklich naͤhren, das heißt, durch chemiſche Verwandtſchaften wirken koͤnne. Ich fuͤge fuͤr das Muſeum eine Tabaksdoſe eben dieſer Otomaken und das Hemd einer Nation aus der Nachbarſchaft der Piroas bey. Dieſe Doſe iſt ſehr groß, eigentlich eine Schuͤſſel auf welche man eine Miſchung von einer geriebenen und verweſeten Mimoſenfrucht nebſt etwas Salz und gebrannten Kalk ſchuͤttet. Der Otomak haͤlt die Schuͤſſel in der einen Hand, und in der andern eine Roͤhre wovon 2 Oeffnungen in ſeine Naſenloͤcher paſſen um dieſen ſtimulirenden Taback dadurch einzuziehen. Dieſes Werkzeug hat ein hiſtoriſches Intereſſe: es iſt blos bey den Otomaken und Omeguas im Gebrauch wo es Condamine geſehen hat; folglich bey zwey Nationen die jetzt auf 300 Lieues von einander entfernt wohnen; es beweißt daß die Omekas die nach einer alten Tradition von Guaviare gekommen ſind, vielleicht von den Otomaken abſtammen und daß die Stadt Menoa von Philipp von Urre zwiſchen Meta und Guaviare geſehen worden iſt. Dieſe Thatſachen koͤnnen Aufſchluß uͤber die Fabel des Dorada geben. Das Hemd der Nation in der Nachbarſchaft der Piroas iſt von der Rinde des Baums Marisna der man weiter keine Zubereitung giebt, hier wachſen alſo die Hemden auf den Baͤumen! Eben ſo iſt es auch in der Naͤhe des Dorada, wo ich keine mineraliſche Merkwuͤrdigkeit als Talk und etwas Titaneum geſehen habe. Es wird bemerkt daß Fourcroy noch keins von allen den hier erwaͤhnten Dingen erhalten hatte.