Neuester Brief des Hrn Oberbergraths von Humboldt. Die weiten Reisen unsers berühmten Landsmannes, die dadurch veranlaßten wichtigen Entdeckungen, die damit verbundenen großen Gefahren, machen Ihn, für Jeden der Wissenschaften und Menschen zu schätzen weiß, eben so interessant als bewundernswürdig. Man mögte wünschen, daß der edle junge Mann keiner Möglichkeit Schaden zu nehmen, sich weiter aussetze; aber man wünscht doch auch, daß er fortfahre, die wahrhaft neue Welt wo er sich itzt befindet, und die so leicht kein Europäer von gleichen Kenntnissen wiederum besucht, genau zu erforschen. Man fühlt ein dringendes Verlangen, ihn zurückgekehrt in seiner Heimat zu sehn, und über die Wunder jener Natur reden zu hören; aber Niemand wird doch wollen, daß der von ihm entworfene große Plan auch nur um ein Jahr abgekürzt werde. In der Monatschrift sind die merkwürdigen drei Briefe des Hrn von Humboldt geliefert worden, vom J. 1799, wo zuerst seine außereuropäischen Reisen anfingen: als er sich nehmlich in Spanien entschloß, nach Amerika zu gehn, und über Teneriffa dahin schifte (man s. August 1801, Nr 4; vergl. September Nr 3). Von seinen ungemein mühseligen und gefahrvollen Unternehmungen in Südamerika sind mehrere Berichte vom J. 1800 gedruckt, vorzüglich in Französischen Blättern, und daraus wieder in Deutschen Jurnalen. Ein sehr umständlicher Brief aus Kuba an Hrn Prof. Wildenow in Berlin, vom 21 Februar dieses Jahrs, stand im Julius in der Haude- und Spenerschen Zeitung Nr 86 und 87 ausgezogen. Hier erhalten die Leser noch frischere Nachrichten, und bis itzt die letzten Nachrichten; gegen das Ende des Septembers hier eingetroffen. Auszug eines Schreibens von Hrn Alexander von Humboldt an seinen Herrn Bruder in Berlin. Cartagena de Indias, den 1 April 1801. Wenn Du meinen letzten Brief aus der Havana empfangen hast, lieber Bruder, so weißt Du nunmehr, daß ich meinen anfänglichen Plan geändert habe, und statt über Nordamerika nach Mexiko zu gehen, an die Südküste des Mexikanischen Meerbusens zurückgekehrt bin, um von hier zu Lande nach Quito und Lima zu reisen. Es würde zu weitläuftig sein, Dir die Gründe die mich hiezu vermogt haben, vollständig aus einander zu setzen; der hauptsächlichste aber war der, daß die Schiffahrt von Akapulko nach Guajaquil langwierig und beschwerlich zu sein pflegt, und daß ich doch hätte noch einmal nach Akapulko zurückgehen müßen, um dort eine Gelegenheit nach den Philippinen zu finden. Dieser Brief ist nicht angekommen. Ich reiste am 8 März von Batabano, an der südlichen Küste der Insel Kuba, in einem sehr kleinen Schiffe von kaum 20 Toneladas ab. Wir liefen, da wir Mangel an Wasser hatten, in den Hafen la Trinidad am östlichen Ende der Insel ein, und brachten dort zwei angenehme Tage in einer schönen und romantischen Gegend zu. Hier in Cartagena landeten wir erst am 30 März. Gewöhnlich dauert zwar diese Ueberfahrt nur 6 bis 8 Tage; allein wir hatten fast ununterbrochene Windstille, oder doch nur schwache Winde. Auch trieb uns der Meeresstrom, und die Ungläubigkeit des Kapitäns der meinem Chronometer nicht traute, zu weit westlich, so daß wir in den Busen von Darien geriethen. Wir mußten nun acht Tage hindurch längs der Küste wieder hinauffahren: was bei dem orkanartigen Ostwinde, der um diese Jahrzeit beständig hier zu wehen pflegt, mit unserm kleinen Fahrzeuge eben so schwierig als gefährlich war. Wir legten am Rio Sinu vor Anker, und botanisirten zwei Tage lang an seinen Ufern, die wohl nie ein Beobachter betreten hat. Wir fanden eine herrliche, palmenreiche, aber wilde Natur, und sammelten eine beträchtliche Anzahl neuer Pflanzen. Die Mündung des Flußes (er ergießt sich zwischen dem Rio Atrakto und dem Rio de la Magdalena ins Meer) ist gegen zwei Meilen breit, und er selbst mit Krokodilen angefüllt. Dort sahen wir Darien-Indianer: klein, breitschulterig, platt, und überhaupt ganz das Gegentheil der Kariben; aber ziemlich weiß, und fetter, fleischiger, und stärker an Muskeln, als ich bisher Indianer gesehen habe. Sie leben unbezwungen und unabhängig. Du siehst also, daß, wenn unsre Schiffahrt gleich lang und beschwerlich war, sie uns doch auch mancherlei interessante Gegenstände darbot. Nur hatten wir leider noch die größeste Gefahr am Ende derselben, dicht vor Kartagena selbst, zu bestehen. Eine Tonelada hält zwei Tonnen. Wir wollten gegen den Wind mit Gewalt in den Hafen einlaufen. Das Meer wüthete fürchterlich. Unser Schifchen -- und doch war es nicht meine Schuld kein größeres genommen zu haben, da es zwischen Kuba und hier nur so kleine Schiffe giebt -- unser Schifchen widerstand der Gewalt der Wogen mit Mühe, und schlug plötzlich auf die Seite. Eine entsetzliche Welle bedeckte es, und drohte uns zu verschlingen. Der Steuermann blieb unerschrocken auf seinem Platze; aber auf einmal rief er aus: no gobierna el timon ("das Steuerruder lenkt nicht mehr"). Itzt hielten wir uns alle für verloren. Allein, da man noch das Aeußerste versuchte, und ein Segel abschnitt welches nun lose flatterte, so hob sich das Schif auf einmal auf dem Rücken einer neuen Welle wieder empor, und wir retteten uns hinter das Vorgebirge Gigante. Doch hier drohte mir eine neue und fast noch größere Gefahr. Es war eine Mondfinsterniß; und um dieselbe besser zu beobachten, ließ ich mich in einem Boote ans Land setzen. Aber kaum war ich mit meinen Begleitern ausgestiegen, so hörten wir Ketten rasseln; und baumstarke entlaufene Negern -- cimarrones --, aus dem Gefängniß von Cartagena entsprungen, stürzten mit Dolchen in den Händen aus dem Gebüsch hervor und auf uns zu: vermuthlich in der Absicht, sich, da sie uns unbewafnet sahen, unsers Boots zu bemächtigen. Wir flohen augenblicklich dem Meere zu, hatten aber kaum noch soviel Zeit uns einzuschiffen und die Küste zu verlaßen. Diese Finsterniß, in der Nacht vom 29 auf den 30 März, war total; in Deutschland aber nur zum Theil sichtbar, da der Mond während derselben unterging. Cimarron. Dies Spanische Wort, von unbekannter oder doch zweifelhafter Abkunft, bedeutet: unbezähmt, in der Wildniß lebend. Es war sonst nur von Thieren gebräuchlich, wilden Ochsen, Kühen, Pferden; und ist nachher auf Menschen angewandt worden, auf Sklaven die sich durch die Flucht in Freiheit setzen, und sich dann in Wäldern und unzugänglichen Gegenden aufhalten. Die andern Europäer haben auf ihren Kolonieen dies Wort angenommen, mit Wegwerfung der ersten Silbe. Französisch: maron oder marron, ein entlaufener und auf die beschriebene Art lebender Sklave; imgleichen wild gewordenes Vieh. Die Engländer nennen einen solchen entflohenen Neger maroon; to maroon heißt: auf eine unbewohnte Insel aussetzen. Am folgenden Tage endlich liefen wir ruhig und bei Windstille in den Hafen von Cartagena ein. Ein sonderbarer Zufall war es, daß der Tag an dem ich dieser doppelten Gefahr entrann, gerade der Palmsonntag (domingo de ramos) war, und daß auch genau am Palmsonntag des vorigen Jahres ich mich in gleich dringender Todesgefahr beim Schildkrötenlager von Uruana im Orinokostrom befand, wie ich Dir damal ausführlich schrieb . Bei dieser Schiffahrt auf dem Orinoko, drohte ein Sturm die Piroge umzuschlagen, und eine Menge Krokodile im Wasser sahen schon ihrer Beute entgegen. Der Brief welcher diesen Vorfall erzählt, ward im Publiciste gedruckt, und daraus in der N. Allgem. D. Bibl. übersetzt: Bd 58, St. 1, Intell. Bl. S. 60. Ich habe meine sämmtlichen Manuskripte, Karten, u. s. w. in der Havana in den Händen meines Freundes D. Francisko Remirez, eines geschickten Chemikers zurückgelassen, der sie nach geendigtem Kriege selbst mit nach Europa nehmen, und Dich von ihrer Ankunft daselbst benachrichtigen wird. Ein Herbarium ist gleichfalls von mir in der Havana stehen geblieben; ein zweites (Dubletten des erstern) ist mit dem Mönch Fr. Juan Gonzalez über Nordamerika nach Spanien und la Rochelle abgegangen; und ein drittes (gleichfalls Dubletten) habe ich mit dem Botaniker James Fraser nach London und Berlin gesandt . So ist, denke ich, Alles gesichert. Diese für Hrn Wildenow hieselbst bestimmten Pflanzen sind schon glücklich in London angekommen. Meine Gesundheit ist fortdauernd sehr gut, und Du kannst itzt um so unbesorgter um mich sein, da ich von nun an bloß in der stillen Südsee schiffe. Ich gehe nehmlich von hier zu Lande über Santa Fe und Popayan nach Quito, wo ich im Julius dieses Jahrs einzutreffen gedenke; dann von Quito, nach Lima; von dort im Februar 1802, nach Akapulko und Mexiko; von Akapulko 1803, nach den Philippinen; und 1804, hoffe ich Dich wiederzusehen. An näheren Nachrichten aus Europa fehlt es mir itzt sehr. Von Dir habe ich seit meiner Abreise aus Spanien nur einen einzigen Brief, den aus Utrera , erhalten; und doch bin ich gewiß, daß Du mir oft geschrieben hast. Seit dem März 1800, hat hier Niemand Briefe aus Europa... Die Stadt Utrera im Königreich Sevilla. Der ältere Hr von Humboldt war im Jänner des vorigen Jahres daselbst, auf seiner Reise von Kadiz nach Mallaga.