Aus einem Schreiben Alexanders von Humboldt an seinen Bruder Wilhelm aus Puerto Orotova am Fuß des Pic's von Teneriffa. Diese Briefe, welche ich der Güte des Hrn. Oberbergraths Karsten verdanke, giengen erst ein, nachdem die obigen Auszüge S. 415 schon abgedrukt waren . Sie enthalten nicht durchgehends chemisch-mineralogische Nachrichten. Dennoch besorge ich keinen Vorwurf , wenn ich sie beinahe vollständig hier einrüke. Welchen Berg- und Hüttenmann sollte nicht das Schiksal eines Humboldt's unter jedem Bezuge interessiren? d. H. Am 20ten Jun. 1799. Unendlich glüklich bin ich auf africanischem Boden angelangt, und hier von Cocuspalmen und Pisangbüschen umgeben. Am 5ten Juny reisten wir ab. Wir waren bei sehr frischem N. W. Wind, und in dem Glüke, fast gar keinem Schiffe zu begegnen, schon am 10ten Tage an der Küste von Marocco; den 16ten auf Graciosa, wo wir landeten, und am 17ten im Hafen von St. Croix de Teneriffa. Ich habe schon sehr viele Beobachtungen, besonders astronomische und chemische (über Luftgüte, Temperatur des Meerwassers etc. etc.) gemacht. Die Nächte waren prächtig; eine Mondhelle in diesem reinen milden Himmel, daß man auf dem Sextanten beim Mondscheine lesen konnte, und die südlichen Gestirne, der Centaur etc.! Welche Nacht! Wir fischten das sehr wenig bekannte Thier Dagysa, eben da, wo Banks es entdekt, und ein neues Pflanzengenus, eine weinblättrige grüne Pflanze (kein Fucus) aus 50 Toisen Tiefe. Das Meer leuchtete alle Abende. Bei Madera kamen uns Vögel entgegen, die sich zu uns gesellten, und tagelang mit uns schifften. Unsere Gesellschaft war sehr gut, besonders ein junger Canarier, D. Franaxo Salcedo, der mich sehr lieb gewann, unendlich zutraulich und lebendigen Geistes, wie alle Einwohner dieser glüklichen Insel. Wir landeten in Graciosa, um Nachricht zu haben, ob englische Fregatten vor Teneriffa kreuzten? Man sagte: nein. Wir verfolgten unsern Weg, und kamen glüklich an, ohne ein Schiff zu sehen; -- wie? ist unbegreiflich; denn eine Stunde nach uns erschienen 6 englische Fregatten vor dem Hafen. Von nun an ist bis Westindien nichts mehr von ihnen zu fürchten. Meine Gesundheit ist vortreflich, und mit Bonplant bin ich sehr zufrieden. Schon in Teneriffa haben wir erfahren, welche Gastfreundschaft in allen Colonien herrscht; alles bewirthet uns mit, und ohne Empfehlung, bloß um Nachrichten aus Europa zu haben, und der königl. Paßport thut Wunder. In St. Croix wohnten wir bei dem General Armiaga, einem gutmüthigen alten Mann; hier in einem englischen Hause bei einem Kaufmann John Collegan, wo Cook, Forster, Banks und Lord Macartney auch wohnten. Es ist unbegreiflich, welche Aisance und welche Bildung der Weiber man in diesen Häusern findet. Den 23ten Jun. Abends. Gestern Nacht kam ich vom Pic zurük. Welcher Anblik! Welch ein Genuß! Wir waren bis tief im Crater; vielleicht weiter, als irgend ein Naturforscher. Gefahr ist wenig dabei; aber Fatigue von Hize und Kälte. Im Crater brannten die Schwefeldämpfe Löcher in unsere Kleider, und die Hände erstarrten bei 2° R. Gott! Welche Empfindungen! Hinab von dieser Höhe (11300 Fuß), die dunkelblaue Himmelsdeke über sich, alte Lavenströme zu den Füssen; und dieser Schauplaz der Verheerung (3 Quadrat-Meilen Bimstein) umkränzt von Lorbeerwäldern; unter diesen die Weingärten, zwischen denen Pisangbüsche sich bis ins Meer erstreken; die zierlichen Dörfer am Ufer des Meeres, und 7 Inseln, von denen die Palma und Gran-Canaria sehr hohe Volcane haben, wie eine Landcarte unter uns. Der Crater, in dem wir waren, gibt nur Schwefel-Dämpfe; die Erde ist 70° R. heiß; an den Seiten brechen die Laven aus. Auch sind dort die kleinen Craters, die vor 2 Jahren die ganze Insel erleuchteten. Zwei Monate lang hörte man ein unterirdisches Canonenfeuer, und Häuser-grosse Steine wurden 4000 Fuß in die Luft geschleudert. Ich habe hier sehr wichtige mineralogische Beobachtungen gemacht. Dieser Pic ist ein Basaltberg, auf dem Porphirschiefer und Obsidian-Porphir aufgesezt ist. In ihm wüthet Feuer und Wasser. Ueberall sah ich Wasserdämpfe ausbrechen; fast alle Laven sind geschmolzener Basalt; der Bimstein ist aus dem Obsidian-Porphir entstanden; ich habe Stüke, die beides noch halb sind. Vor dem Crater, unter Stämmen, die man la stanza de las Ingleses nennt, am Fuß eines Lavastroms brachten wir eine Nacht im Freien zu. Um 2 Uhr Nachts sezten wir uns schon in Marsch nach dem lezten Kegel. Der Himmel war vollkommen sternhell, und der Mond schien sanft; aber diese schönen Zeiten sollten uns nicht bleiben. Der Sturm fieng heftig an, um die Gipfel zu brausen; wir mußten uns fast an den Kranz des Craters anklammern; donnerähnlich tobte die Luft in den Klüften, und eine Wolkenhülle schied uns von der belebten Welt. Wir klimmten den Kegel hinab, einsam über den Dünsten, einsam, wie ein Schiff auf dem Meere. Dieser schnelle Uebergang von der schönen heitern Mondhelle zu der Finsterniß und die Oede des Nebels machten einen rührenden Eindruk. In der Villa Orotava ist ein Drachenbaum (Dracaena Draco) 45 Fuß im Umfang. Vor 400 Jahren war er schon so dik, als jezt. Fast mit Thränen reise ich ab; ich möchte mich hier ansiedeln, und kaum bin ich weg vom europäischen Boden. Könntest du diese Fluren sehen, diese tausendjährigen Wälder von Lorberbäumen, diese Trauben, diese Rosen. Mit Apricosen mästet man hier Schweine. Alle Strassen wimmeln hier von Camelen. Eben den 25ten segeln wir ab. Derselbe aus Cumana in Südamerica den 16ten Jul. 1799. Mit eben dem Glüke, guter Bruder! mit dem wir im Angesichte der Engländer in Teneriffa angekommen sind, haben wir unsere Reise vollendet. Ich habe viel auf dem Wege gearbeitet, besonders astronomische Beobachtungen gemacht. Wir blieben einige Monate in Caraccas; wir sind hier einmal in dem göttlichsten und vollsten Lande. Wunderbare Pflanzen, Gymnotus electricus, Tiger, Armadillen, Affen, Papagaien, und viele, viele halbwilde Indianer, eine sehr schöne und interessante Menschenrace. Caraccas ist wegen der nahen Schneegebirge der kälteste und gesundeste Aufenthalt in America, ein Clima, wie Mexico, und noch einer der unbekanntesten Theile der Welt, wenn man etwas nur in das Innere der Gebirge geht. Was uns ausser dem Zauber einer solchen Natur (wir haben seit gestern auch nicht ein einziges Pflanzen- oder Thier-Product aus Europa gesehen) vollends bestimmte, uns hier in Caraccas, zwei Tagereisen von Cumana zu Wasser aufzuhalten, ist die Nachricht, daß englische Kriegsschiffe in dieser Gegend kreuzen. Von hier bis Havanna haben wir nur eine Reise von 8 -- 10 Tagen, und da alle europäischen Schiffe hier landen, Gelegenheit genug, ausser den Privat-Gelegenheiten. Ueberdieß ist gerade auf Cuba die Hize bis September und October am bösesten. Diese Zeit bringen wir hier in der kühlern und gesundern Luft (man darf hier sogar im Freien des Nachts schlafen) zu. Wir haben für 20 Piaster monatlich ein ganz neues freundliches Haus gemiethet, nebst zwei Negerinnen, wovon eine kocht. An Essen fehlt es hier nicht; leider existirt jezt kein Mehl, Brod, oder Zwibakähnliches. Die Stadt liegt halb in Schutt; denn dasselbe Erdbeben in Quito, das berühmte von 1797, hat auch Cumana umgestürzt. Die Stadt liegt an einem Meerbusen, schön wie der von Toulon, hinter einem Amphitheater 5 -- 8000 Fuß hoher Berge, dik mit Wald bewachsen. Alle Häuser sind von weissem China-Baum, und Atlasholz gebauet. Längs dem Flüßchen (Rio di Cumana), wie die Saale bei Jena, 7 Klöster und Plantagen, die wahren englischen Gärten gleichen; ausser der Stadt sind die Kupferminen, von denen die Männer alle fast nakt gehen. Die Hütten sind von Bambusrohr mit Cocusblättern bedekt. Ich gieng in eine. Die Mutter saß mit den Kindern statt auf Stühlen, auf Corallenstämmen, die das Meer auswirft. Jedes hatte Cocusschalen statt der Teller vor sich, aus denen sie Fische aßen. Die Plantagen sind alle offen; man geht frei ein und aus. In den meisten Häusern stehen des Nachts die Thüren offen. So gutmüthig ist das Volk. Auch sind hier mehr ächte Hindus, wie Neger. Welche Bäume! Cocuspalmen, 50 -- 60 Fuß hoh! Toniciana pulcherrima mit 1 Fuß hohem Strauß der prachtvollen hohrothen Blüthen! Pisang und eine Schaar von Bäumen mit ungeheuren Blättern und handgrossen wohlriechenden Blüthen, von denen wir nichts kennen! Denk nur, daß dieß Land so unbekannt ist, daß ein neues Genus, welches Mutis (im 4. Vol. Cavanilles Jcon.) erst vor 2 Jahren publicirte, ein 60 Fuß hoher, weitschattiger Baum ist. Wir waren so glüklich, diese prachtvolle Pflanze (sie hatte zolllange Staubfäden) gestern schön zu finden. Welche Schaar kleiner Pflanzen ist also der Beobachtung noch entgangen? Und die Vögel, die Fische, selbst die Krebse (himmelblau, gelb)! welche Farbe! Wie die Narren laufen wir zuweilen umher, und in den ersten 3 Tagen können wir nichts bestimmen, da man immer einen Gegenstand wegwirft, um einen andern zu ergreifen. Bonplant versichert, daß er noch rasend werde, wenn die Wunder nicht bald aufhörten. Aber schöner noch als diese Wunder im einzelnen ist der Eindruk, den das Ganze dieser kraftvollen üppigen und dabei so sichtbar erheiternden milden Pflanzennatur macht. Ich fühle es, daß ich hier sehr glüklick seyn werde, und daß diese Eindrüke mich auch künftig noch oft erheitern werden. Wie lange ich hier bleiben werde, weiß ich nicht; ich glaube hier und in Caraccas an 3 Monate; vielleicht aber auch viel länger. Man muß genießen, was man nahe hat; vielleicht mache ich, wenn der Winter künftigen Monat hier aufhört (die wärmste und mäßigste Zeit), eine Reise an die Mündung des Oronoco, wohin von hier ein sicherer Weg geht. Wir sind diese Bocca vorbeigesegelt; ein fürchterliches Wasserspiel! N. S. Wegen der heissen Zone fürchte nichts! Ich bin doch nun fast schon 4 Wochen unter den Wendekreisen, und ich leide gar nicht davon. Das Thermometer steht ewig auf 20 -- 22°, nicht höher. Aber Abends an der Küste von Cayenne habe ich bei 15° gefroren. So ist es denn nirgends in dieser Welt recht warm. Verfolge meine Reise auf der Carte: den 5ten Jun. ab von Corunna; den 17ten von Graciosa; den 14ten bis 25ten in Teneriffa; den 5ten und 6ten Jul. längs der brasilianischen Küste; den 14ten zwischen Tabago und Grenada durch; den 15ten im Canal zwischen Marguerite und Südamerica; den 16ten Morgens im Hafen von Cumana.