Ueber das Keimen der Saamen in oxygenirter Kochsalzsäure, aus einem Briefe an Hrn. D. Usteri von F. A. v. Humboldt. (S. Usteri neue Annalen der Botanik.) Sie erinnern sich aus den Aphorismen der chemischen Pflanzenphysiologie welche meiner Flora Fribergensis angehängt sind, daß ich im Februar 1793. die Entdekung machte, durch den Reiz des Sauerstofs die Keimkraft der Pflanzen zu beschleunigen. Ich fand, daß Kressensaamen, z. B. in oxygenirter Kochsalzsäure, in 7 Stunden keimte, während daß in reinem Wasser 34--37 Stunden dazu erforderlich waren. Ich äusserte gleich damals die Hoffnung, daß diese Entdekung wo nicht dem Akerbaudoch der Saaten-Cultur und Pflanzenkunde nüzlich seyn würde, da botanische Gärtner nun ein Mittel in Händen hätten, alte verlegene Saamen gleichsam zu beleben. Bei meinen Reisen versäumte ich nie, diese Idee in Umlauf zu bringen. Ich forderte überall zu Versuchen auf -- -- aber, da Pflanzenphysiologie, besonders chemische, mehr angerühmt und beliebt als betrieben ist, so fand ich nirgends Gehör. Aus England kam mir sogar eine Nachricht zu, daß meine Versuche daselbst schlechterdings nicht glüken wollten. Unmuthig fieng ich nun im Sommer 1796 die Arbeit mit der oxygenirten Kochsalzsäure von neuem an. Ich versuchte zugleich den Reiz anderer Stoffe damit zu verbinden. Ich fand ein Mittel, die Keimperiode einiger Saamen um [Formel] der Zeit zu verkürzen, das heißt, sie in 3 Stunden keimen zu lassen. Die Resultate dieser Experimente finden Sie theils in dem zweiten Theile meines Werks: über die gereizte Nerven- und Muskelfaser, nebst Vermuthungen über den chemischen Proceß des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt, theils in einer eigenen Abhandlung enthalten, die in meinen chemischen Schriften erscheinen wird. Bei meinem lezten Aufenthalt in Wien habe ich endlich die Freude gehabt, zu sehen, daß meine kleine Erfindung praktisch nuzbar ist. Hier fand ich ausgeführt, was ich schon längst versucht wünschte. Der Aufseher des akademischen botanischen Gartens, Herr van der Schott, welcher botanische Gelehrsamkeit mit einem grossen Talent für die Gartencultur verbindet, sammelte diejenigen Saamen, welche man 10--15 Jahr lang aufbewahrt und unendliche Male vergeblich der Erde anvertraut hatte, erweichte dieselben in oxygenirter Kochsalzsäure und zwang so auch die hartschaaligsten zu keimen. Ich nenne nur: Guilandina Bonduc, Cytisus cujan, Dodonaea angustifolia, Mimosa scandens, eine neue Species von Ipomaea, und den unbestimmten Jasmin epineux: von mehreren dieser wiederbelebten Saamen habe ich 8--12zöllige Pflanzen gesehn, die im schönsten Wuchse stehen. Der junge Herr von Jacquin, dem jezt die botanische Professur anvertraut ist, und der sich in kurzer Zeit bereits grosse Verdienste um den akademischen Garten erworben hat, versicherte mich, daß man in der Folge (hier und in Schönbrunn) sich immer bei alten Saamen der oxygenirten Kochsalzsäure bedienen werde. Ich glaube, daß diese Nachricht eine Bekanntmachung verdient, weil manche seltene Pflanzen, besonders aus den Ländern jenseits des Caps nur in den Saamenkabinetten -- und also der Beobachtung ziemlich entzogen, existiren. Sir Francis Ford hat folgende merkwürdige Versuche angestellt, um zu untersuchen, ob der Sauerstoff oder das Sauerstoffgas einen von der atmosphärischen Luft wesentlich verschiedenen Einfluß auf die Vegetation zeige. Er hat durch oft wiederhohlte Versuche gefunden, daß Blumen und Pflanzen überhaupt, die mit Wasser besprengt wurden, welches vorher sorgfältig mit Sauerstoffgas geschwängert worden war, üppiger und mit lebhafteren Farben aufgiengen, als solche, die nur mit gewöhnlichem Wasser besprengt worden waren. Das Wasser wurde auf eine sehr einsache Art mit Sauerstofgas imprägnirt. Er leitete dasselbe in Flaschen, die mit Wasser gefüllt waren, auf die bekannte Art im pneumatischen Apparate, bis es den dritten oder vierten Theil desselben einnahm; hierauf schüttelte er das Wasser, nachdem er die Gefässe verstopft hatte, einige Zeit hindurch. Es ist noch nicht bekannt, ob das Sauerstoffgas durch diese Behandlung eine Veränderung erleidet, indem dieser gasförmige Rükstand noch nicht untersucht worden ist. Dies verdiente gewiß genauere Prüfung. Zugleich wäre es auch eine wichtige Untersuchung, auf welche Art das Wasser am besten und leichtesten mit dem Sauerstoffgase geschwängert werden könnte, oder, was vielleicht noch mehr Aufmerksamkeit verdiente, mit welcher Substanz wohl am besten die Erde zu vermengen wäre, um sie fähig zu machen, die möglichst größte Menge des Sauerstoffs aus der Atmosphäre zu absorbiren.