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Alexander von Humboldt: „Beobachtungen und Versuche, die Oxidirung des Bodens, als eine Hauptursache seiner Fruchtbarkeit betreffend“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1799-Memoire_sur_l-5-neu> [abgerufen am 19.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1799-Memoire_sur_l-5-neu
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Titel Beobachtungen und Versuche, die Oxidirung des Bodens, als eine Hauptursache seiner Fruchtbarkeit betreffend
Jahr 1811
Ort Leipzig
Nachweis
in: Archiv der Teutschen Landwirthschaft 5:4 (Januar–Juni 1811), S. [289]–313.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.93
Dateiname: 1799-Memoire_sur_l-5-neu
Statistiken
Seitenanzahl: 25
Zeichenanzahl: 32009

Weitere Fassungen
Mémoire sur l’absorption de l’oxigène par les terres simples, et son influence dans la culture du sol (Paris, 1799, Französisch)
Mémoire sur l’absorption de l’oxigène par les terres simples, & son influence dans la culture du sol (Brüssel, 1799, Französisch)
Ueber die Zersetzung der atmosphärischen Luft durch die reinen Erden, oder über die Oxydabilität der Erden (Leipzig, 1799, Deutsch)
Beobachtungen über die Absorbtion des Sauerstoffs vermittelst der Erden, und Bemerkungen über den Einfluß dieser Operation auf die Ackerbaukunst (Berlin, 1803, Deutsch)
Beobachtungen und Versuche, die Oxidirung des Bodens, als eine Hauptursache seiner Fruchtbarkeit betreffend (Leipzig, 1811, Deutsch)
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Beobachtungen und Verſuche,die Oxidirung des Bodens, als eine Haupt-urſache ſeiner Fruchtbarkeit betreffend. VonAlexander von Humboldt.

Folgende aͤußerſt gehaltreiche Abhandlung verdankenwir dem ſcharfſinnigſten Naturforſcher unſerer Zeit, undwurde uns von einem eben ſo fleißigen als gemeinnuͤtzi-gen Korreſpondenten mitgetheilt. — Ich kann zwarvoraus ſehen, daß manche Leſer dem rein wiſſenſchaft-lichen Vortrage entweder nicht oder nur muͤhſam werdenfolgen koͤnnen, in dem er genau Bekanntſchaft der neuernChemie und Phyſik vorausſetzt, die nicht jedes Land-wirths Eigenthum ſind; doch dieß ſey! was anfaͤng-lich noch ſo abſtrakt vorgetragen werden muß, wirdnach und nach populair, und geht durch eingeleitere An-wendung doch endlich in die gemeinſte Sphaͤre uͤber, wirdgemeinnuͤtzig, wenn es auch in einem Zeitraume von zweioder drei Jahren nicht geſchieht und geſchehen kann. Werbisher ſich durch das Studium der Thaerſchen Grund-ſaͤtze des Ackerbaues und der wenigen Buͤcher, welche |290| wir außer dieſem klaſſiſchen Werke, zur Zeit erſt haben,an einen rein wiſſenſchaftlichen Vortrag gewohnt hat,wirds ſicherlich vermoͤgen, nachſtehende Abhandlung mithoͤchſten Nutzen zu ſtudiren. Sie enthaͤlt ſehr wichtigeBeobachtungen und erklaͤrte Verſuche uͤber die Anziehung,Anſaugung (Abſorbtion), des Sauerſtoffes der Pflanzen-erden. Herr von Humboldt war meines Wiſſens auchder erſte, welcher dieſe fuͤr den Ackerbau hoͤchſt wichtigeErſcheinung nach Ingenhouß bemerkte und uns vor-laͤufig darauf aufmerkſam machte. Hier iſt dieſes wich-tige Problem des Ackerbaues und der Pflanzenoͤkonomieerklaͤrt und geloͤßt worden. Wir werden uͤberraſcht aufdieſem Wege einige zwar erkannte aber nie begriffeneErſcheinungen, in helles Licht geſetzt zu ſehen. Mit ei-nem Worte, wir haben einen neuen Schritt im rationel-len Ackerbau gethan und koͤnnen uns gewiß nicht desWunſches erwaͤhren, daß auch andere Zweige mit gleichumſichtlichen Kenntniſſen und maͤnnlich feſter Handmoͤchten durchgefuͤhrt werden. Pohl. Es gibt große Erſcheinungen die uns wichtigwerden, und unſere ganze Aufmerkſamkeit feſſeln,ſobald wir ſie bemerken, die aber dennoch in derMaſſe unſerer Naturkenntniß ſich iſolirt verhalten.Verſchiedene Entdeckungen uͤber die Elektricitaͤt, denMagnetismus, oder das galvaniſche Fluidum, undeine große Aufmerkſamkeit derer, welche uns die che-miſche Zerlegung der mineraliſchen Subſtanzen zeigt,ſind von dieſer Art. Noch andere Erſcheinungen, |291| die an ſich ſelbſt wenig auffallendes haben, und lan-ge unſern Blicken ſich entziehn, floͤßen Intereſſe ein,weil ſie ſich leicht an eine große Reihe wichtiger That-ſachen anſchließen. Zu dieſer letztern Art gehoͤren dieVerſuche, von welchen hier die Rede iſt. So ein-fach und geringfuͤgig ſie auch ſcheinen; ſo ſchmeichleich mir doch, daß ſie dereinſt uͤber eines der wichtig-ſten Probleme des Ackerbaues, und der che-miſchen Pflanzen-Phyſiologie Licht verbrei-ten werden. — Unter allen Ideen, welche die Be-trachtung der Natur in uns hervorbringt, ſind keineunſerer Aufmerkfamkeit wuͤrdiger, als die, welcheſich auf die Kultur des Bodens beziehen. — Daschemiſche Syſtem der Franzoſen faͤngt allmaͤlig andie Geheimniſſe der Pflanzen-Oekonomie, zuenthuͤllen. — Wir kennen bereits einige wichtigeErſcheinungen, welche das Keimen begleiten; wirwiſſen auch Mittel anzugeben, welche es entwederbeſchleunigen oder verzoͤgern, wir ahnden die Haupt-urſachen, von welchen die Ernaͤrung, Abſon-derung und Gasreſpiration der Pflanzenabhaͤngt; allein ſo glaͤnzend auch die Entdeckungenunſerer Zeitgenoſſen ſind, ſo bleiben doch die groͤßtenProbleme des Ackerbaues noch in undurchdring-liche Dunkelheit gehuͤllt. Wie wenig kennen wir die Natur der thieri-ſchen Duͤngung, und hauptſaͤchlich den auffal-lenden Einfluß des Kalks und des Gypſes, auf |292| das Wachsthum der Pflanzen! — Der Laͤnderei-Beſitzer begnuͤgt ſich nicht blos damit, das Sa-menkorn dem Boden anzuvertrauen; er will dieFruchtbarkeit dieſes Bodens vermehren, er glaubtihm das wiederzugeben, was die Wurzeln angebau-ter Pflanzen ihm entzogen haben. Oft zu arm, umſein Feld duͤngen zu koͤnnen, iſt er genoͤthigt, zu demwohlthaͤtigen Einfluſſe der Atmosphaͤre ſeine Zufluchtzu nehmen. — Die gepfluͤgte Erde bleibt mit derLuft in Beruͤhrung. — Wie wirkt nun dieſe bear-beitete Erde auf die untern Lagen der Atmos-phaͤre? — „Durch gegenwaͤrtige Verſuche glaube ich dieſeFrage beantworten zu koͤnnen.“ — Von Sauſſure der Juͤngere fand, daß man,wenn Pflanzenerde mit der Luft in Beruͤhrung gebrachtwird, bei der Temperatur von 12—15°. des 100gradigen Thermometers ſich Kohlenſtoff bildete. — Ingenhouß entdeckte, daß dieſe Bildung von ei-ner ziemlich ſtarken Abſorbtion des Oxigens beglei-tet ſey. Bei Wiederholung meiner Verſuche, uͤberdas Keimen in oxidirter Salzſaͤure, fand er, daßdie Vegetation des Roggens mit dieſer fruchtbar-machenden Saͤure geſchwaͤngert, beſchleunigt wurde;dieſe Beobachtungen bewogen dieſen erfindſamen Na-turforſcher die Oxidixung des Bodens als eineHaupturſache ſeiner Fruchtbarkeit anzuſehen; dieſeBehauptung, welche ſich auf wenige Thatſachen ſtuͤzte, |293| verdiente unfehlbar naͤher unterſucht zu werden. —Blos auf dem experimentellen Wege darf man hof-fen, die Pflanzen-Phyſiologie zu vervoll-kommen, und ſie dem Probleme des Ackerbaues zu naͤhern. Ich unternahm dieſe Arbeit, und entdeckte, daßnicht nur Pflanzenerde, ſondern auch die thonigtenErden, welche man in einer großen Tiefe findet, undwas noch auffallender iſt, daß die einfachen Erden,als chemiſche Elemente betrachtet, die Faͤhigkeiten beſitzen, Sauerſtoff zu abſorbiren, und ganz reinenStickſtoff (Azôte) zu bilden. — Dieſe Hauptſachenwerden wir hier aufſtellen, und zugleich, die Wirkungender mit organiſchen Ueberreſten vermiſchten Erden,auf die ſie umgebende Luft, und die Bildung derOxide unterſuchen, welche bei der Ernaͤrung derPflanzen eine ſo wichtige Rolle ſpielen. —
  • Die Pflanzenerde iſt eine Miſchung von:
  • Kohle,
  • Erde,
  • Waſſerſtoff (Hydrogéne),
  • Stickſtoff (Azôte),
  • Phosphor,
  • Eiſen, und
  • Manganes-Oxid.
Sie iſt die eigentliche Wohnung organiſirter Weſen;ſo wie auch die fruchtbare Quelle, woraus ſie ihreNarung erhalten. — Die Menge Inſekten, und |294| unterirdiſche Pflanzen, welche ich mehrere 100 Me-ter tief im Innern der Erde entdeckt habe, verſchwin-det, wenn man ſie mit der Menge Thiere und Pflan-zen vergleicht, welche die obern Lagen bewohnen. —Ueberall wo der nackte Fels der Beruͤhrung atmos-phaͤriſcher Luft ſich darſtellt, ſieht man blos Flechten,Warzenkraut; und einige Baumflechten, welche ſeine Oberflaͤche be-decken. — Hieraus folgt, daß alles, was auf dieſeGewaͤchserde Bezug hat, denen das groͤßte Intereſſeeinfloͤßen muß, die ſich mit den großen Erſcheinun-gen der Natur beſchaͤftigen. Die Pflanzenerde variirt, von \( \frac{1}{2} \) bis zu 14.Decimetern Dicke, je nachdem eine Strecke Landlange von Gewaͤchſen bewohnt worden iſt, und Waſ-ſerſtroͤme Theile abgeſetzt haben, die andern Gegen-den entzogen wurden. — Bei Vergleichung dieſerverſchiedenen Lagen der Pflanzenerde bemerkt man,daß die untern nicht ſo fruchtbar ſind, als die, wel-che unmittelbar mit der Atmosphaͤre in Beruͤhrungſtehen. — Nach dem Pfluͤgen muß die neue Oberflaͤcheeinige Zeit dem wohlthaͤtigen Einfluß der Luft aus-geſetzt bleiben, ehe man das Samenkorn dem Boden anvertrauen kann. — Dieſe Beruͤhrungder Atmosphaͤre wirkt als eine Duͤngung; dies hatman ſeit einer tauſendjaͤhrigen Bearbeitung des Bo- |295| dens bemerkt. — Worinn beſteht aber dieſe Wir-kung der atmosphaͤriſchen Luft auf dem Boden? —Welche Theile aſſimiliren ſich? — Einige Naturfor-ſcher glaubten dies Problem dadurch aufzuloͤßen, wennſie annaͤhmen, daß das Sonnenlicht, oder die atmos-phaͤriſche Elektricitaͤt, mit der Pflanzenerde ſich verbinde. — Ich zweifle nicht an der Moͤglich-keit dieſer Verbindung, aber welche Analogien be-weiſen ihre Exiſtenz? — „Iſt nicht der ganze Erd-ball beſtaͤndig mit elektriſcher Fluͤſſigkeit angefuͤllt?“ —Die Verdampfung die auf ſeiner Oberflaͤche verur-ſacht wird, vermindert ſie nicht die Laſt der hoͤhernLagen die Pflanzenerde, indeß die niedern ſie behal-ten? — Andere Naturforſcher ſchreiben die Wirkung derAtmosphaͤre dem Einfluſſe des Thaues, der Ne-bel und des Regenwaſſers zu, von welchen ſieirriger Weiße glaubten, daß ſie mit Kohlenſtoffſaͤureangefuͤllt waͤren. — Allein ſind nicht oft alle Lagender Pflanzenerde, oder der bearbeiteten Thonerdedurchgaͤngig feucht, obgleich ihre Fruchtbarkeit ver-ſchieden iſt? — Dieſe Einwuͤrfe ſind dem Scharf-ſinne, ſelbſt der gemeinſten Landleute nicht entgangen.— Unbekannt mit den Beſtandtheilen der Atmos-phaͤre, nehmen ſie ein darinn exiſtirendes unbekann-tes dem Salpeter analoges Salz an. — Wenn wirberechtiget waͤren, dies Salz fuͤr den Spiritus nitroaëreus Mayow’s zu halten; ſo koͤnnte man ſagen, |296| daß ein gluͤcklicher Zufall dem Landwirthe das ent-deckt habe, — was chemiſche Erfahrung in unſernTagen bewieſen hat. Die Pflanzenerde in Beruͤhrung mit derAtmosphaͤre zerſetzt ihre untern Lagen, ſie abſorbirtden Sauerſtoff, welcher ſeine Elaſticitaͤt oder ſeinengasartigen Zuſtand verliert, und ſich als Oxid mit der Kalkerde, der Thonerde, dem Kohlenſtoff, dem Waſſerſtoff, dem Phosphor, dem Stick-ſtoff, und vielleicht ſelbſt mit dem Eiſen, unddem Manganes verbindet, welchen Bergmann, Ruͤckert, Fourcroy und Haſſenfratz inihren Unterſuchungen der Pflanzenerde gefunden ha-ben. — Eine Menge Thatſachen beweiſen uns,daß das Oxigene die wichtigſte Rolle, in der thie-riſchen- und der Pflanzen-Oeconomie ſpielt,und daß die Anhaͤufung deſſelben, ganz beſonders dieEntwickelung der organiſchen Theile beſchleuniget. —Die Entwickelung der Schluͤſſelblume — Primulaveris officinalis L. — kann in gewiſſen Faͤllen um \( \frac{9}{10} \) beſchleuniget werden. — Da die Wirkung des Oxigens ſich auch ſehr leb-haft hierbei aͤußert, ſind wir dann nicht genoͤthiget,mit Ingenhouß der Analogie gemaͤß anzuneh-men, daß die Oxidation der Pflanzenerde, ohne ihreEigenſchaft zu abſorbiren das Oxigen, hauptſaͤchlichwaͤhrend der Bearbeitung des Bodens wirke? —Die oxidirbaren Grundſtoffe, welche die Ueberreſte |297| von Gewaͤchſen und Inſekten beſtaͤndig mit dem Erd-reiche vermiſchen, die Kalk- und Thonerde, die nichtweniger oxidirbar ſind, bemaͤchtigen ſich vielleicht desOxigens, es ſey nun, daß dieſe Erden ſelbſt oxidir-bar ſind, oder daß ſie oxigenirtes Waſſer bilden. —So wie ſich die Saͤuren mit doppelter oder dreifacherBaſis leichter, als die mit einfachen Grundſtoffe zer-ſetzen laſſen, ſo werden auch die Pflanzenwurzelnleichter der Verbindungen, des Waſſer-, Sauer- und Kohlenſtoffs (Carbones d’hydrogénesoxydés) als Waſſer, oder Kohlenſtoffſaͤure zuzerſetzen faͤhig ſeyn. — Das Waſſeroxid, iſt von dem Waſſer in feſtenZuſtande ſehr verſchieden. — Es iſt eine Verbin-dung, worinn ſich der Waſſerſtoff vielleicht noch ingroͤßerer Menge als der Sauerſtoff verbindet. DerKohlenſtoff kann ebenfalls, als reiner Kohlenſtoff,als Kohlenſtoffoxid, als Kohlenſtoffſaͤure, und viel-leicht ſelbſt als oxigenirte Kohlenſtoffſaͤure exiſtiren. —Ich glaube ſogar, daß die große Verſchiedenheit derPflanzenkohle und des Diamanten nicht ſowohl inder Miſchung des Kohlenſtoffs, mit den kaliſchenund erdigen Subſtanzen, als in ſeinem Zuſtande derOxidation beſtehe. — Die Pflanzenkohle enthaͤltvielleicht blos Kohlenſtoffoxide und oxidirten Kohlen-waſſerſtoff (Carbones d’hydrogéne oxydé) indeßder Diamant blos der reine nicht oxidirte Kohlenſtoffzu ſeyn ſcheint. Dieſe Einfachheit macht, daß er ſo |298| ſchwer zu behandeln iſt, da jede etwas zuſammenge-ſetzte Subſtanz durch ein Spiel der doppelten Ver-wandſchaft wirkt. — Die Exiſtenz der Kohlenſtoff-Oxide iſt nicht nurdurch die in dieſer Abhandlung aufgeſtellten Verſuche;ſondern auch die großen Erſcheinungen der unteridi-ſchen Meteorologie bewieſen. Die Gaͤnge in denTorfgruben enthalten ſehr haͤufig vieles Stickgas (Azôte) und wenig Kohlenſtoffſaͤure. — Das Oxigender atmosphaͤriſchen Luft wird durch die Kohle ab-ſorbirt, und dieſe neue Miſchung erhaͤlt ſich im feſtenZuſtande. — Das Kohlenſtoffoxid mit mehr Oxigenverbunden, bildet die Kohlenſtoffſaͤure, und dieſeSaͤure mit Sauerſtoffgas gemiſcht, kann man ingewiſſer Hinſicht, fuͤr eine oxigenirte Kohlenſtoffſaͤureanſehen. Die Affinitaͤt des Kohlenſtoffs zum Oxigeniſt ſo ſtark, daß dieſe Miſchung ſich ſchon dem Zu-ſtande einer chemiſchen Verbindung naͤhert. — Ineinem Gas, welches aus 0,75 Oxigen, und 0,25 Koh-lenſtoffſaͤure beſteht, loͤſchen die Lichter aus; einerErſcheinung die nicht ſtatt finden koͤnnte, wenn die75 Theile Oxigen in einem freien Zuſtande darinnexiſtirten. Ich habe geglaubt, dieſe Idee uͤber dem Waſſer-und Kohlenſtoff darſtellen zu muͤſſen, da die Oxideeine ſo wichtige Rolle in der Meteorologie und Oe- konomie organiſirter Weſen ſpielen. — Drei thieri-ſche Subſtanzen koͤnnen aus denſelben Quantitaͤten |299| vom Oxigen, Stickſtoff, Kohlenſtoff und Waſſerſtoffzuſammengeſetzt, und dennoch ihren chemiſchen Ei-genſchaften nach ſehr verſchieden ſeyn. — In dereinen verbindet ſich der Stickſtoff mit dem Waſſerſtoff,und bildet eine dem Ammonium analoge Miſchung,die mit dem Kohlenſtoffoxid verbunden ſeyn wird.In der andern verbinden ſich der Kohlenſtoff undWaſſerſtoff im oͤligten Zuſtande, und der Kohlenwaſ-ſerſtoff (Carbone d’hydrogéne) iſt oxidirt, wie derStickſtoff. Die dritte Sudſtanz zeigt eine bloßeMiſchung der Kohlenſtoff-Stickſtoff- und Waſſer-ſtoffoxide. — Verſchiedene Erſcheinungen zeigenuns dieſe ſehr hervorſtehenden Verſchiedenheiten, undwir ahnden ſie gleichſam, ohne daß die chemiſchenZerlegungen, bis jetzt uͤber den Zuſtand der Ver-bindungen, in welchen die Elemente ſich vereinigen, haͤtten entſcheiden koͤnnen. Mit den Pflanzenerden die ſo verſchieden anFruchtbarkeit ſind, iſt es derſelbe Fall. Im Ganzengenommen, habe ich bemerkt, daß die ſchwaͤrzeſten,fetteſten, und die, welche den ſtaͤrkſten Geruch ha-ben, die atmosphaͤriſche Luft am ſchnellſten zerſetzen.— Allein ich habe auch andere geſunden, die zwardem Anſcheine nach magerer, und weniger kohlen-ſtoffhaltig waren, und dennoch nicht weniger Oxigenabſorbirten. — Wenn eine Erde um deſto frucht-barer iſt, jemehr ſie Oxigen abſorbiren kann; ſohaͤngt ihre Fruchtbarkeit nicht von der Quantitaͤt der |300| oxidirbaren Grundſtoffe, nicht von der Quantitaͤt Kalkerde, Thonerde, Kohlen- Waſſer- und Stick-ſtoff, die man darin bemerkt, ſondern von dem Zu-ſtande der Verbindung ab, nach welchen dieſe Baſenſich vereinigen, und der ſie zur Zerſetzung der At-mosphaͤre mehr oder weniger geſchickt macht. —Dieſe Betrachtung zeigt uns, warum der Chemikernur ſelten, die Wuͤnſche des Landwirths befriedigenkann, und warum die genaueſte Zerlegung zwei anFruchtbarkeit aͤußerſt verſchiedenen Erden dieſelbenElemente zueignet. — In der Naturlehre ſo wieuͤberhaupt in jeder Wiſſenſchaft hat man ſchon vielgewonnen, wenn man nicht allein die Grenzen kennt,uͤber welche hinaus man ſich nicht wagen darf; ſon-dern auch, wenn man einſehen lernt, was uns hin-dert, ſie zu uͤberſchreiten. Der Buͤrger Candole aus Genf, dem wirſchaͤtzbare Aufklaͤrungen uͤber die Ernaͤrung der Baumflechten verdanken, hat die Verſuche mitder Pflanzenerde in Beruͤhrung mit dem reinenSauerſtoffgas wiederholt. — Er verſichert, daßer von Stunde zu Stunde die Abſorbtion deſſelbendurch die Pflanzenerde bemerkt habe. — Da er Samenkoͤrner in die Erde ſaͤte, die durch Be-ruͤhrung dieſes Gaſes oxidirt waren, und das Keimenderſelben, mit dem in dem Stickſtoffgas verglich;ſo erſtaunte er uͤber die auffallende Wirkung desOxigens. — Von dieſer Wirkung wird er in einem |301| Werke uͤber die Pflanzen-Phyſiologie, wor-an er mit vielem Fleiße arbeitet, Beweiße aufſtellen.
Die bis jetzt angefuͤhrten Thatſachen dienen zurErklaͤrung anderer Erſcheinungen in der vegetabi-liſchen und thieriſchen Oekonomie. — DieLuft in den Zwiſchenraͤumen der Pflanzenerde iſt ungemein ſtark azotirtes Gas. Die Wuͤrmer undInſekten, welche in dem Innern dieſer Erdlagenleben, athmen demnach ein, mit 0,05 bis 0,07Sauerſtoffgas, geſchwaͤngertes Stickſtoffgas ein. Daſie an dieſe unreine Atmosphaͤre gewoͤhnt ſind, ſobringt die Beruͤhrung des Sauerſtoffgaſes, oder jederder andern Luft, die daſſelbe enthaͤlt, die Wirkungder ſtaͤrkſten Reinigungsmittel an ihnen hervor. —Die Regenwuͤrmer — Les lombries — die Lar-ven des Tenebrio molitor L. — und mehrete Ar-ten der Maloë ſterben eher unter der Glocke mitOxigen, als in einem Waſſerſtoffgaſe, das ſo unreiniſt, daß der Phosphor darinne leuchtet. Mit denPflanzen, deren Blaͤtter und Stengel, in die atmos-phaͤriſche Luft ſich erheben, iſt es derſelbe Fall, indeßihre Wurzeln von einem Stickſtoffhaltigen Gas um-geben ſind. Die Landleute haben ſchon laͤngſt bemerkt,daß fuͤr die Pflanzen nichts nachtheiliger iſt, als dieWurzeln von Erde entbloͤßt, der freien Luft auszu-ſetzen. — Dieſe Gefahr ruͤhrt nicht von der Trok- |302| kenheit der Luft her; denn das Waſſer, womit mandie Wurzeln befeuchtet, ſchuͤtzt ſie nicht vor der Ge-fahr die ihnen droht. — Sollte man nicht vielmehrdieſe der Wirkung des Oxigens auf die Theile, dieſeit ihrer erſtern Entwickelung an einem ſo ſtarkenReitz nicht gewoͤhnt, und mit Stickſtoff umgebenſind, zuſchreiben? — Es iſt eine wahre Verbren-nung, die von den Lichtſtrahlen beguͤnſtiget wird *). —Dieſelben Betrachtungen verbreiten auch Licht uͤbereinige Erſcheinungen, welche die Erden und die Beete darbieten. Je niedriger und enger ſie ſind,jemehr wird die Luft durch Beruͤhrung der Erde mitStickſtoff geſchwaͤngert. Ich habe den Sauerſtoffgehalt der Luft bis 0,21.in Gewaͤchshaͤuſern von 3 Metern hoch gefunden, in welchen die Musa, die Hatrionias, oder derGewuͤrzarten, Scitaminicae, haͤuſig viel Sauerſtoff-gas entwickelten. — Hingegen in den Gewaͤchshaͤuſernzu Schoͤnbrunn bei Wien, welches die groͤßten undſchoͤnſten in Europa ſind, war die Luft ſo rein, alsauf freiem Felde! — Die Luftmaſſe iſt in denſelben
*) Wie ſehr dieſer Umſtand einer ſorgfaͤltigen Unter-ſuchung gewuͤrdiget zu werden verdient, ergibt ſichaus der, vom Hrn. Director Achard entdecktenBedingung die Runkelruͤben-Kultur in Ruͤckſicht derreichlichen Zuckergewinnung betreffend. — Vergl.das chem. Journal. Th. II. S. 575.
|303| zu betraͤchtlich, als daß die Pflanzenerde ſie zer-ſetzen koͤnnte. Man darf ſich nicht wundern, wenndie Pflanzen darinn das ſchoͤnſte Gruͤn zeigen, in-deß in der mit Stickſtoff geſchwaͤngerten Luft der klei-nen Gewaͤchshaͤuſer alles ein verkuͤmmertes undkraͤnkliches Anſehen hat. — Die Beete hingegenſind jungen Pflanzen ſehr guͤnſtig, die, wie Ingen-housz und Sennebier ſcharfſinnig bewieſen ha-ben, zu ihrer Entwickelung einer nicht ſo reinen Luft,als erwachſene Pflanzen beduͤrfen; indeſſen erſtickenſie in bloßen Stickſtoffgas, wenn man ihnen nichtvon Zeit zu Zeit atmosphaͤriſche Luft gibt, und dieFenſter oͤfnet, welche die Beete bedecken. —
Im noͤrdlichen Europa hat man bemerkt, daßdie Lungenſuͤchtigen Erleichterung fuͤhlen, wenn ſieſich uͤber ein offnes Beet beugen, oder wenn ſie großeHaufen Pflanzenerde an ihre Betten bringen. Alle ihre leicht oxidirbaren oder eudiometriſchenSubſtanzen, wie das Schwefelkali, die Miſchungvon Eiſen und Schwefel, und das Salpetergas, ha-ben die Eigenſchaft das Waſſer zu zerſetzen; die Gewaͤchserde und die Erden gehoͤren zu derſelbenKlaſſe. Man kann an ihrer Wirkung auf das Re-genwaſſer, und dem Thau, wovon ſie beſtaͤndigangefeuchtet wird, nicht zweifeln. — Ich ſchließeaus mehrern Gruͤnden, daß in der Pflanzener-de mehr zerſetztes Waſſer ſey, als die Pflanzen-organe beſitzen. — Die große Maſſe von Waſ- |304| ſerſtoffgas die in der Gewaͤchserde enthalten iſt,muß dieſer Zerſetzung zugeſchrieben werden, und derWaͤrmeſtoff der ſich zu gleicher Zeit entbindet, er-hoͤht die Temperatur des Bodens, und beguͤnſti-get das Spiel der Verwandſchaften, wodurch die Er-naͤrung der Gewaͤchſe bewirkt wird. Der Buͤrger Chaptal hat dargethan *), daßder Kohlenſtoff der im geſammten Gewaͤchsreiche cir-kulirt, in dem oͤligen extraktiven oder harzigen Prin-cip aufgeloͤßt wird, und daß alles, was dieſe Auf-loͤſung vorbereitet, die Entwickelung der Gewaͤchſebeſchleuniget. Wenn wir die Zerſetzung des Waſſersdurch die Erde erwaͤgen, ſo ſehen wir ein, daß diesoͤligte oder harzigte Princip ſchon außer den Pflanzen-Organen ſich zu bilden anfaͤngt. — Waͤhrend derchemiſchen Wirkung, welche die Elemente der Erdebeſtaͤndig gegen einander aͤußern, verbindet ſich derWaſſerſtoff, der nur mit einer kleinen QuantitaͤtOxigen vereinigt bleibt, mit dem Kohlenſtoffe, unddieſer oxidirte Kohlenwaſſerſtoff ſcheint den abſorbi-renden Wurzeln der Gewaͤchſe die reichlichſte Na-rung zu gewaͤhren. — Vielleicht beruht die ganzeTheorie des Duͤngers auf dieſem Princip, undvielleicht wirken die Duͤnger hauptſaͤchlich durch dieNatur ihrer oxidirbaren Baſen, d. h. durch ihre
*) Vergl. Memoires de l’Institut. nat. T. 1. oder Annales de Chymie. T. XXI. S. 284—293.
|305| Eigenſchaft, das Waſſer, und die atmosphaͤriſcheLuft zu zerſetzen.
Obgleich die oben angefuͤhrten Verſuche uͤber dieAbſorbtion des Oxigens keinen Zweifel uͤbrig laſſen,ſo waͤre es doch wuͤnſchenswerth, dieſe Abſorbtiondurch eine genaue Zerlegung des Sauergaſes vermit-telſt der Erde, welche denſelben lange exponirt wuͤr-de, darzuthun. Es waͤre zu erwarten, daß dieſelbeErde, die vor der Beruͤhrung mit dem Oxigennur 20 Cubicmeter Kohlenſtoffſaͤure geben wuͤrde,nach der Oxidation der oxidirbaren Baſen, 30 — 40geben muͤßte. — Allein wenn man bedenkt, unddie Natur dieſes Problems reiflich uͤberlegt, ſo ſiehtman, daß es durchaus unmoͤglich iſt, es durch Ver-ſuche aufzuloͤſen, denn:
  • α) Die Gewaͤchserde iſt ſo ungleich gemiſcht,daß 3 Zerlegungen von 3 Hectogrammen voneiner und derſelben Stelle genommen, ganzverſchiedene Reſultate geben wuͤrden. Nuniſt es aber phyſiſch unmoͤglich, dieſelbe PortionErde, vor und nach der Abſorbtion des Sauer-ſtoffs, zweimal zu unterſuchen. Die Verglei-chung kann demnach nur zwiſchen zwei Quan-titaͤten Erde von gleichem Gewichte angeſtelltwerden. Man wuͤrde nie wiſſen, ob die weißeKohlenſtoffſaͤure, welche die oxidirte Erde ent-bindet, dieſer Oxidation, oder einer Verſchieden-heit der Beſtandtheile zuzuſchreiben ſey.
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  • β) Da es nicht darauf ankommt, die in der Erdeenthaltene Quantitaͤt Kohlenſtoff, ſondern denGrad ihrer Oxidation kennen zu lernen, ſomuͤßte der Verſuch ſo angeſtellt werden, daßdie Gewaͤchserde mit dem Oxigen der Atmos-phaͤre nicht in Beruͤhrung kaͤme. Allein geſetztauch dieſe Schwierigkeit wuͤrde gehoben, ſowuͤrde ein Minimum von mehr oder wenigerFeuchtigkeit die Reſultate veraͤndern. — DasWaſſer zerſetzt ſich in Beruͤhrung mit den oxidir-baren Grundſtoffen, und das was man denKohlenſtoffoxiden zuſchriebe, wuͤrde von demOxigen des hinzugeſetzten Waſſers herzuleitenſeyn.
  • γ) Die Pflanzenerde enthaͤlt keine Kohlen-ſtoffoxide, wohl aber Waſſerſtoff, Stickſtoff,Phosphor, Eiſenoxide und Oxide mit zwei unddreifachen Baſen. —
Man wuͤrde daher ſchon fehlen, wenn man denAbſorbtionsgrad des Oxigens durch die Erde, blosnach der Quantitaͤt Kohlenſtoffſaͤure meſſen wollte.In einer hohen Temperatur werden die Oxide mitdoppelten Baſen, von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff,oder Stickſtoff und Phosphor, durch ein aͤußerſt zu-ſammengeſetztes Spiel der Verwandſchaften ſehr ver-aͤndert. — Es bildet ſich: |307| Waſſer,Salpeterſaͤure,Ammonium undOel. — Es wird aber eben ſo un- moͤglich ſeyn, die durch die Erde hierbei abſorbirteQuantitaͤt Oxigen zu beſtimmen, als es unmoͤglichiſt, aus den Venen-Blute den Sauerſtoff entbinden,den es waͤhrend der Einwirkung des gasartigen auf-genommen hatte. Die Chemie zeigt uns mehrere Faͤlle, wo dieZerlegung das nicht finden kann, was auf dem ſyn-thetiſchen Wege zuſammengeſetzt wurde. Der gruͤnefaͤrbende Stoff der Pflanzen in Alkohol aufgeloͤßt,wird durch Abſorbtion des Oxigens gelb. — Ichſah die gruͤne Farbe zum Vorſchein kommen, wennich dieſer Aufloͤſung Ammonium zuſetzte. — Wahr-ſcheinlich wird in dieſer Veraͤnderung durch eineZerſetzung des Ammoniums bewirkt, welches, waͤh-rend es Waſſer bildete, dem faͤrbenden Stoffe dasOxigen entzieht, und Stickſtoffgas entbindet. —Der Theorie nach muͤßten wir in dieſem Waſſer dasOxigen wiederfinden. Aber welcher Chemiker wirdeiner ſolchen ſchwierigen Unterſuchung ſich gewachſenduͤnken? — Die große Menge der in der Erdeenthaltenen oxidirbaren Subſtanzen ergibt ſich ausder Quantitaͤt atmosphaͤriſcher Luft, die ſie zu zer-ſetzen faͤhig iſt. Ich habe verſucht, dieſelbe Mengezu verſchiedenen Malen mit der Luft in Beruͤhrung |308| zu bringen; ihre Wirkung wurde oft erſt nach demvierten und fuͤnften Male geſchwaͤcht. Ein Hecto-gramm zerſetzte nach und nach 17 Cubic-Centimeteratmosphaͤriſche Luft. — Nur das letzte Mal ſchiendie Affinitaͤt zum Oxigen vermindert zu ſeyn, dennder Ruͤckſtand von Stickſtoff enthaͤlt noch 0,12 deſ-ſelben. Wahrſcheinlich oxidiren ſich die Atome desKohlenſtoffs nur auf der Oberflaͤche, und eine me-chaniſche Trennung oder eine Erhoͤhung der Tempe-ratur, gibt der Erde die Eigenſchaft, wieder Sauer-ſtoffgas zu abſorbiren. Das Ackern, und hauptſaͤchlich die Sonnen-ſtrahlen, muͤſſen dieſe heilſame Wirkung hervorbrin-gen; das erſtere, indem es neue Oberflaͤche darbietet,letztere, indem ſie den Boden erwaͤrmen, und dieKohlenſtoffoxide aus dem feſten Zuſtande in dem gas-artigen uͤbergehen laſſen. Schluͤßlich kann ich nichtumhin auch einen Blick auf die Bildung eines Sal-zes zu werfen, welches die Natur gleichſam vor un-ſern Augen hervorbringt, und woruͤber die neuereChemie bereits viele Aufklaͤrung gegeben hat. —Da wir die Beſtandtheile der Salpeterſaͤure ſo wieihre Identitaͤt mit den Grundſtoffen unſerer Atmosphaͤrekennen gelernt haben, ſo wundern wir uns nichtmehr, uͤber die Bildung der Saͤure, in den unternSchichten der Luft, wir halten es fuͤr moͤglich, daßſich unter dem Einfluſſe der Elektricitaͤt ein Theil derAtmosphaͤre in Salpeterſaͤure verwandle; allein er- |309| klaͤren uns wohl dieſe Ideen warum der Salpeterhaͤufiger auf den Thon- und Kalkartigen, als aufden quarzigen Erden hervorgebracht wird? — War-um blos die untern Regionen der Luft, die in un-mittelbarer Beruͤhrung mit der Erde ſind, Salpeter-ſaͤure abzuſetzen vermoͤgen? — Meines Wiſſens hatnoch kein Naturforſcher dieſe intereſſanten Erſchei-nungen zu erklaͤren gewußt. — Die Laͤnder, welche den meiſten Salpeter liefern,die Ebenen von Thibet, von Ungarn, von Teutſch-land und Polen einerlei enthaltenden Boden, habenentweder fette Thonarten, oder eine ſchwarze ausPflanzen oder Thierſtoffen beſtehende Erde. — In Deutſchland errichtet man auf den Fel-dern, Mauern von Thon (terre laise) in parallelerRichtung, auf welchen Salpeter ſich von Zeit zu Zeitſammelt. — Es muß ein genaues Verhaͤltniß zwi-ſchen der Bildung des Salpeters, und der Naturder Subſtanzen Statt finden, auf welchen er ſich ab-ſetzt, die Thonerden abſorbiren ſehr begierig dasOxigene der Atmosphaͤre. — Selbſt die, welcheihrer weißen Farbe nach die reinſten zu ſeyn ſcheinen,zerſetzen die Atmosphaͤre ſehr ſchnell. In Gegenwart des Buͤrgers Vauquelin ſtellte ich folgenden Verſuch an: — atmosphaͤriſcheLuft welche 0,274 Oxigen enthielt, wurde in einerRoͤhre mit Phosphor in Beruͤhrung gebracht, undin einer zweiten, mit weißen Thon von Montmartre, |310| deſſen wir uns in den Laboratorien zum Lutiren derRetorten bedienten. — Nach zehn Tagen wurdendie Ruͤckſtaͤnde der Luft analiſirt. — Der Phos-phor hatte nur 0,07, und der Thon 0,10 Oxigenabſorbirt. — Andere thonigte Erden, die voneinem fruchtbaren Weizenacker genommen wur-den, entzogen in 13 Tagen der atmosphaͤriſchenLuft bis 0,06 Oxigene. Dieſe Wirkung der Thonar-ten auf die Luft, war in erhoͤhter Temperatur nochauffallender. — Eben dieſer Wirkung iſt auch derUrſprung des Stickſtoffgaſes zuzuſchreiben, welchesman in den ſchlechten Verſuchen ſammelt, die in thoͤ-nernen Roͤhren angeſtellt werden, durch welche manindeß die Unrichtigkeit unſerer Theorie uͤber die Zer-ſetzung des Waſſers darzuthun ſich bemuͤht hat. Sieverurſacht die ungeſunde Luft in den Wohnungen ar-mer Leute in Norden, welche durch thoͤnerne Oefengeheizt werden. In der atmosphaͤriſchen Luft muͤſſen zwei Ver-aͤnderungen vorgehen, um ſelbige in Salpeterſaͤure,zu verwandeln, die eine bezieht ſich auf den Ver-wandſchaftsgrad, welcher die beiden Grundſtoffe,das Sauergas und Stickgas vereinigt, und die an-dere auf das Verhaͤltniß, nach welchen ſie ſich verei-nigen muͤſſen, um eine neue Verbindung zu bewir-ken. — Es iſt in der Chemie ein allgemeines Ge-ſetz, daß, wenn eine zuſammengeſetzte Subſtanz A. eine Veraͤnderung der Verbindung leiden ſoll, dieſe |311| Veraͤnderung um deſto leichter von ſtatten geht, wenneine zweite Subſtanz B. die Kraft der Verwandſchaf-ten, wodurch die Beſtandtheile A. vereinigt werden,vermindern hilft. Die Schichten der atmosphaͤri-ſchen Luft, in Beruͤhrung mit der Oberflaͤche derErde, ſind um ſo geneigter, den Zuſtand ihrer Ag-gregation zu verlaſſen, je ſtaͤrker dieſe Erde auf eineBaſis dieſer gasartigen Miſchung wirkt. Die Naͤhedes Thons modificirt die Anziehung, wodurch deratmosphaͤriſche Sauerſtoff mit dem Stickſtoff verei-nigt wird. In den naͤchſten Lagen exiſtirt freierStickſtoff, der andern Verwandſchaften folgt, alsdie iſt, wodurch dem Stickſtoff in der atmosphaͤri-ſchen Miſchung das Gleichgewicht gehalten wird.Dieſer tritt mit einer großen Maſſe Oxigen zuſam-men, und wird durch die oxidirbaren Baſen desThons, der Kalkerde unter der Pflanzenerde angezo-gen. — Jedes Erdtheilchen wird von einer beſon-dern Atmosphaͤre (angezogen) umgeben, die mehrOxigen enthaͤlt, als die Luftſchichten worinnen wirleben. — Indeß die letztern nur 0,28 Oxigen enthalten,befindet ſich in der Atmosphaͤre des Thons 0,50 bis0,60, und die Erdtheilchen zunaͤchſt der Erde, muͤſ-ſen reines Sauerſtoffgas entwickeln. — Das Oxi-gen ſinkt herab, um ſich mit den erdigen Baſen zuverbinden. — In dieſem Uebergange geht wenigfreier Stickſtoff, der mit vielen freiem Oxigen zu- |312| ſammentrift, in dem Zuſtand der Salpeterſaͤureuͤber. — Die atmosphaͤriſche Elektrizitaͤt ſcheint dieſeVereinigung zu bewirken. — Die Gewitter ſind zur Erzeugung des Salpeters am guͤnſtigſten,beſonders die, wo die poſitive Elektrizitaͤt 8 — 10Mal des Tages in den negativen Zuſtand uͤbergeht,welcher oft durch Windſtoͤße, Hagel und Re-gen angekuͤndigt wird. — Ich koͤnnte noch hinzufuͤgen, daß das Kali, welches die Baſis des Salpe-ters bildet, ſich nicht dem achten Theile nach in demThone, oder der Gewaͤchserde befindet, worauf dasSalz ſich praͤcipitirt, daß das Waſſer, welches ſichauf der Oberflaͤche der Erde zerſetzt, und dieß Kaliwohl von der Beruͤhrung des Hydrogens mit dematmosphaͤriſchen Stickſtoffe herruͤhren, daß endlichin den großen Ebenen Cujaviens der Salpeter be-ſtaͤndig mit ſalzigtſauren Natron gemiſcht iſt, unddaß ich die Bildung der Salzſaͤure in der Atmos-phaͤre beobachtet habe. — Allein dieſe Betrachtun-gen wuͤrden uns in eine Sphaͤre fuͤhren, wo Muth-maßungen die Stelle der Thatſachen vertreten; esſollte blos bewieſen werden, wie die Naͤhe der Erdedie Bildung des Salpeters beguͤnſtigen koͤnne, wennwir auch die großen Naturoperationen nicht zu er-klaͤren vermoͤgen; ſo iſt doch die Kenntniß der vor-nehmſten Agentien, die ihre anziehenden Kraͤfte in dem unermeßlichen Laboratorium der Natur aͤußern,immer ein Gewinn. — Ich ſchmeichle mir, daß |313| obige Verſuche uͤber dieſe Agentien eine Aufklaͤrunggewaͤhren, und daß ſie vielleicht intereſſante Entdek-kungen in Anſehung des Ackerbaues zu veranlaſ-ſen vermoͤgend ſeyn moͤchten. —