Mehrere Physiker haben mich mit Anfragen über die Anstellung meiner chemisch-physiologischen Versuche beehrt. Da meine gegenwärtigen Arbeiten es mir unmöglich machen, auf jede derselben einzeln zu antworten, so glaube ich auf den zweyten Theil meines Werks, über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, (wovon das vollendete MSS. im Anfang des Februars zum Druck abgegangen ist) verweisen zu dürfen. In den Nachträgen zu diesem Werke bin ich bemüht gewesen, die auffallendsten Experimente, welche mir eigenthümlich sind, theils durch die Erzählung eigener wiederholter Erfahrungen, theils durch fremde, sehr gültige Zeugnisse zu bestätigen. Ich kenne jetzt keinen einzigen Versuch mehr, welcher mir allein und nicht auch anderen Physiologen geglückt wäre. Dieselbe Beobachtung über Umänderung der lymphatischserösen Feuchtigkeit bei Canthariden-Wunden, welche in Herrn Brera's physiologischen Journale geleugnet wird, ist im Krankenhause zu Leipzig durch Herrn D. Reinhold ( De Galvanismo. Spec. I. p. 54.) vollkommen bestätigt worden. In der letztgenannten, überaus lehrreichen Schrift (l. c. p. 71.) findet man auch meine so sehr angefochtenen Erfahrungen über sensible Wirkungen aus der Ferne, nebst vielen anderen durch neue Experimente bekräftigt. Ein selbst-arbeitender Physiker, der mit der Natur der organischen Kräfte bekannt ist, darf sich in der That nicht wundern, wenn sich Klagen über das Mißlingen physiologischer Versuche erheben. Es ist eine wundersame Anforderung , in wenigen Tagen (oft Stunden) alle die Erscheinungen hervorrufen zu wollen, welche ein anderer bey fünfjähriger fortgesetzter Anstrengung an mehreren hundert Individuen zu beobachten das Glück hatte. Wir sollten nie vergessen, daß man mit belebten Stoffen stets unter unbestimmten Bedingungen experimentirt. Wir haben die Quantität und Qualität des Reizes, nicht aber die Reizempfänglichkeit der Organe in unserer Gewalt. Der Erfolg eines Versuchs aus der Experimental-Physiologie kann nicht so bestimmt, als eine Zersetzung von Mittelsalzen vorher verkündigt werden. Ernsthafte und ruhige Beobachter lassen sich daher durch jene Klagen nicht irre machen. Sie fahren unermüdet fort, die Natur zu belauschen, und stoßen dabey oft auf Erscheinungen, die noch wichtiger, als die erwarteten sind. -- Im Begriff, eine Unternehmung auszuführen, die mich wahrscheinlich auf lange Zeit von allem litterarischen Verkehr abschneidet, habe ich es für nöthig gehalten, diese Ideen noch einmal, und vielleicht zum letzten Male, bey denen rege zu machen, welche mit mir von der Wichtigkeit einer Experimental-Untersuchung über die belebte Thier- und Pflanzenwelt durchdrungen sind. Besonders wünsche ich meine Versuche über Stimmung der Erregbarkeit, d. h. über die pünktliche Erhöhung und Verminderung derselben in einzelnen Organen fleißig bearbeitet zu sehen. So gering der Werth ist, den ich auf das schon geleistete setze, so gespannt sind meine Erwartungen auf das, was auf diesem Wege künftig entdeckt werden kann. Die Erfüllung dieser Hoffnungen würde mich reichlich für alle Anstrengung belohnen, mit der ich mir, diese wichtigen Gegenstände verfolgt zu haben, bewußt bin. Da im Ganzen leider! unter uns mehr über Experimente raisonnirt und geschrieben, als selbst experimentirt wird, so erlaubt es mir meine Muße nicht, mich auf alle die kleinlichen Zwistigkeiten einzulassen, in die der Gang unserer Literatur jeden, nicht blos compilirenden Schriststeller verwikkelt. Meine hypothetischen Vermuthungen werde ich gern durch andre verdrängt sehen. Über die Thatsachen aber, die ich aufgestellt, mögen allein die Natur und die entscheiden, welche sie zu befragen und zu deuten verstehen, -- Wenig hervorzubringen und zu vollenden wäre warlich in einem kurzen Menschenleben, wenn man es unternehmen wollte, auf jede Einwendung zu antworten. Dazu würde man oft mit einer Classe von Schriftstellern zusammentreffen, die nie zu überzeugen sind, die die Nerven-reizende Kraft der Alkalien, auch nach Herrn Michaelis Erfahrungen, ableugnen, und die oxygenirte Kochsalzsäure für unwirksam beim Keimen halten, wenn man gleich in dem berühmtesten aller botanischen Gärten diese Erfindung seit Jahren benutzt! Im April 1798. F. A. v. Humboldt.