Bemerkungen über die Ursache und über die Wirkungen der Auflösbarkeit des Salpetergas's in der Auflösung des schwefelsauren Eisens (sulfate de fer). Von Humbold und Vauquelin. Uebersetzt aus den Annales de Chimie T. XXVIII. p. 181-188. Bey chemischen Untersuchungen lehrt uns die Erfahrung zuweilen Erscheinungen kennen, welche die Theorie uns vielleicht nie hätte muthmaßen lassen. Die Auflösbarkeit des Salpetergas's oder oxide nitreux im aufgelösten schwefelsauren Eisen, welche Priestley zuerst entdeckte, und Hr. Humbold glücklicher Weise auf die genauere, strengere Analyse der Atmosphäre anwandte, ist ein merkwürdiger Beweis jenes Satzes. Die Thatsache selbst konnte nicht vorhergesehen werden; denn mehr als wahrscheinlich ist ihre Entdeckung ein Werk des Zufalls. Noch viel weniger konnte man Ursache und Wirkungen dieser Erscheinungen vorher bestimmen, denn selbst, als man sie beobachtet hatte, waren die Meynungen über die Art, wie sie sich äußern, sehr verschieden. Aber ehe wir uns mit dieser Wirkungsart beschäftigen, ehe wir von der wesentlichen, innigen Veränderung reden, welche die wirkenden Substanzen, das Salpetergas und das schwefelsaure Eisen leiden, müssen wir, in Hinsicht auf leichtere Uebersehbarkeit, diejenigen Erscheinungen beschreiben, durch welche die Thatsache den Sinnen bemerkbar wird. 1) Das Salpetergas verliert seinen elastischen Zustand ganz; nur eine ganz geringe Menge eines gasartigen Flüssigen bleibt zurück, und diese ist Stickgas, welches in jenem Gas nicht als Bestandtheil vorhanden, sondern blos oberflächlich mit ihm gemischt war. 2) Die Auflösung des schwefelsauren Eisens vertauscht ihre grüne Farbe gegen eine dunkelbraune, ohne deswegen ihre Durchsichtigkeit zu verlieren, und ohne etwas abzusetzen. 3) Auch der Geschmack dieser Auflösung wird geändert; er war süßlich-eisenartig und wird stiptisch und sehr zusammenziehend (adstringent). Das sind die bemerkbarsten unter den Erscheinungen, welche die Wiederholer der von Priestley gemachten Erfahrung beobachtet haben. Die Frage, wie diese Erscheinungen bewirkt werden; ob sie blos in der Auflösung des Gas's durch das schwefelsaure Eisen bestehen , ohne daß dadurch die Natur und Verhältnisse der wirkenden Substanzen geändert werden; oder ob diese Substanzen durch diese Wirkung und Zurückwirkung zum Entstehen neuer Verbindungen Gelegenheit gegeben haben? Diese Fragen waren natürlich, und Hr. Humbold und ich entschlossen uns, sie zu beantworten. Um diesen Zweck zu erreichen, mußten wir auf die Anzahl und Natur der Substanzen Rücksicht nehmen, welche in dieser Mischung eine Rolle spielen, und mußten wahrscheinliche Hypothesen machen, um nach diesen den Untersuchungsweg hinzuzeichnen, den wir zu gehen hatten. Jene Substanzen sind das Wasser und seine Grundstoffe; das schwefelsaure Eisen und seine Mischungstheile; das Salpetergas und seine ersten Bestandtheile, und endlich die Mischung des Stickgas's mit dem Salpetergas. Nur durch diese in Gedanken gemachte Berechnung der verschiedenen Substanzen; nur durch die gedachte Verbindung von 2 zu 2, 3 zu 3 u. s. f. gelangt man dahin, Wirkungen, die Statt haben werden, zu errathen, und Wirkungen, die Statt gehabt haben, zu erklären. Zufolge dieses Untersuchung-Plans leiteten wir 252 Zoll (4537 C. Centimeter) Salpetergas durch eine Auflösung von einer halben Unze schwefelsauren Eisens; fanden, daß 180 Zoll oder 3564 C. Centimeter von jener Gasmenge absorbirt worden, und unterwarfen diese so mit dem Gas geschwängerte Auflösung folgenden Versuchen: 1) Bey der Mischung dieses Flüssigen mit kaustischer Kali-Auflösung entstand ein Eisenkalk-Niederschlag von dunkelgrüner Farbe, und es stieg ein Dunst auf, der einen sehr merklichen Geruch von Ammoniak hatte. 2) Gemischt mit konzentrirter Vitriolsäure entwikkelten sich Dünste, worin die Salpetersäure unverkennlich war. 3) Die Lackmustinktur wurde stark davon geröthet, ohngeachtet das Salpetergas vor seiner Mischung mit dem schwefelsauren Eisen durch Laugensalz-Auflösung geleitet worden ist. Wir hatten uns also durch diesen Versuch schon überzeugt, daß das Salpetergas, vermöge seiner Verdickung in der sauren Metall-Auflösung, Ammoniak und Salpetersäure gebildet hatte, oder wenigstens eine der Ursachen der Entstehung dieser Substanzen gewesen war. Geleitet durch diese ersten Thatsachen, brachten wir unser Flüssiges, unsre mit Salpetergas geschwängerte Auflösung des schwefelsauren Eisens in eine Tubulatretorte, mischten kaustische Kali-Auflösung hinzu, und zwar in übriger Menge; vereinigten eine Vorlage mit diesem Destillirgeräthe, und trieben die Destillation bey gelinder Hitze fast bis zur Trockne. Wir erhielten ein Flüssiges, welches einen ausgezeichneten ammoniakalischen Geruch hatte, bey der Annäherung einer mit nicht rauchender Salzsäure angefeuchteten Röhre sehr dicke weiße Dämpfe gab, und den Veilchensyrup sehr stark grün färbte. Um uns noch mehr zu überzeugen, daß dieses Flüssige in der That Ammoniak enthielt, mischten wir es bis zur Sättigung mit Salzsäure, verdünsteten diese Mischung bis zur Trockne, und erhielten 4 Gran oder 0,212 Grammen vollkommen reines salzsaures Thierlaugensalz (muriate d'ammoniaque). Diese Erfahrung ließ uns in Ansehung der Gegenwart des Ammoniaks in der schwefelsauren Eisenauflösung, und über seine Entstehung durch die Behandlung selbst nicht den geringsten Zweifel übrig. Aber auch die Salpetersäure müssen wir jetzt wieder aufsuchen und müssen sie absondern, um sie zu erkennen. In dieser Hinsicht wuschen wir das Rückbleibsel der Destillation jener Mischung von schwefelsaurem Eisen und Kali gut mit destillirtem Wasser, wischten das erhaltene Waschwasser mit übriger Menge Schwefelsäure, destillirten aufs neue, und erhielten ein saures Flüssiges, welches, mit Kali gesättigt und verdünstet, 17 Gran oder 89 Centigrammen eines, dem Salpeter in allen seinen Eigenschaften gleichen, Neutralsalzes gab. Um unsre Arbeit zu beenden, und die Thatsach- Erklärung nicht eher anzufangen, als bis die Reihe der Thatsachen selbst vervollständigt war, blieb uns die Untersuchung des gasartigen Rückstandes übrig, welches sich der Wirkung des schwefelsauren Eisens, durch Begünstigung der Geschwindigkeit, entzogen hatte, mit welcher es durch dessen Auflösung gedrungen war, und welches, wie wir gesehen haben, 72 Zoll oder 1426 Centimeter betrug. Wir hatten beym Untersuchen des Gas's vor seiner Mischung mit der schwefelsauren Eisenauflösung gefunden, daß es 12 in 100 Stickgas als Mischungstheil enthielt; wir fanden jetzt, vermöge derselben Untersuchungsart, daß unser Rückbleibsel 0,14 Stickgas enthielt; und hieraus folgt, daß das schwefelsaure Eisen während der Behandlung nicht blos Salpetergas, sondern auch eine gewisse Menge Stickgas absorbirt hatte. Es folgt, sage ich, denn wir hätten 30 Zoll oder 594 Centimeter von diesem Gas finden müssen, wenn nichts davon absorbirt worden wäre, und fanden nicht mehr als 8,64 Zoll, 170 Centimeter. Die Menge des absorbirten Stickgas's beträgt also ohngefähr 11 Zoll, 217 Centimeter in 100 Theilen der Mischung . Man muß gestehen, daß die Menge des erhaltenen Salmiaks nicht genau mit der Menge des absorbirten Stickgas's übereinstimmt: denn 21" C. 415 Centimeter Stickgas hätten mit der zur Entstehung des Ammoniaks nöthigen Menge Wasserstoff ohngefähr 11 Decigrammen Salmiak geben sollen; aber es ist möglich, daß uns ein Theil davon verloren gieng. Anm. d. Verf. Diese Thatsache würde Hrn. Humbold's eudiometrische Methode bis zu einem gewissen Grade ungewiß machen, wenn er diese Ungewißheit nicht, durch vergleichende Erfahrungen mit dem salzsauren Gas, gehoben hätte. Nachdem wir durch Erfahrungen erkannt hatten, daß sich in jener Mischung und bey jener Behandlung Ammoniak und Salpetersäure gebildet hatte, suchten wir uns zu erklären, auf welche Art die anziehenden Kräfte gewirkt hatten, welches Spiel der chemischen Verwandtschaften die Ursache der Entstehung jener Substanzen gewesen war. Da es durch Erfahrungen bewiesen ist, daß Ammoniak aus Wasser- und Stickstoff, und Salpetersäure aus Sauer- und Stickstoff besteht, so kommt es jetzt blos auf Beantwortung der Frage an: woher drey Grundstoffe (Wasser-, Stick- und Sauerstoff) gekommen seyn? -- Der Sauer- und Stickstoff finden sich im Salpetergas; der Wasserstoff aber ist weder in diesem Gas, noch im schwefelsauren Eisen vorhanden. Wasser ist also die einzige Quelle, aus welcher wir diesen elementarischen Grundstoff herleiten können; es ist also wahrscheinlich, daß hier Zersetzung des Wassers Statt gehabt habe; wir wollen sehen, auf welche Art sie bewirkt wird. Sobald die Vereinigung des Gas's oder oxide nitreux mit der schwefelsauren Eisenauflösung geschieht, werden vier Kräfte in Wirkung gesetzt, und alle wirken vereint, um Salpetersäure und Ammoniak zu erzeugen. Diese Kräfte sind 1) die, des im Wasser als Mischungstheil enthaltenen Sauerstoffs; er wirkt auf das Salpetergas, und das Resultat dieser Wirkung ist Salpetersäure; 2) die des Stickstoffs, sowohl des Theils, welcher verbindungsfrey, als des Theils, welcher gebunden im Salpetergas vorhanden ist; er wirkt auf den im Wasser vorhandenen Wasserstoff, und das Produkt ist Ammoniak; 3) die der Schwefelsäure; das Produkt ihrer Wirkung auf das Ammoniak ist vitriolsaurer Ammoniak; endlich 4) die der Salpetersäure; diese letzte Kraft wirkt auf das Eisen u. s. f. Ist diese Kraft-Berechnung wahr, so muß man im Geräthe, worin die Behandlung unternommen wird, salpetersaures Eisen, vitriolsauren Ammoniak, unzersetzten und mit Wasser gemischten Eisenvitriol finden; und diese Substanzen fanden sich in der That, wie es die Erfahrung gezeigt hat. Aus jenen stattgehabten Verwandtschaften folgt also, daß die Summe derer, welche den Wassermit dem Stickstoffe, das Ammoniak mit der Vitriolsäure, den Sauerstoff mit dem Salpetergas, die Salpetersäure mit dem Eisen vereinigen, größer ist, als die Summe derer, welche den Sauerstoff mit dem Wasserstoffe, den Stickstoff mit dem Sauerstoffe und die Schwefelsäure mit dem Eisen vereinigen. Das ist die Erklärung einer Thatsache, die beym ersten Hinblicke sehr einfach zu seyn scheint, und, näher betrachtet, sehr verwickelt ist. Uebrigens glauben wir, daß viele andere, besonders metallische, Substanzen das Salpetergas auf eben die Art und vermöge desselben Kraft- und Verwandtschaft-Spiels absorbiren, als es sich hier mit dem vitriolsauren Eisen vereinigte.