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Alexander von Humboldt, Louis-Nicolas Vauquelin: „Bemerkungen über die Ursache und über die Wirkungen der Auflösbarkeit des Salpetergas’s in der Auflösung des schwefelsauren Eisens (sulfate de fer)“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1798-Notice_sur_la-3> [abgerufen am 18.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1798-Notice_sur_la-3
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Titel Bemerkungen über die Ursache und über die Wirkungen der Auflösbarkeit des Salpetergas’s in der Auflösung des schwefelsauren Eisens (sulfate de fer)
Jahr 1800
Ort Helmstedt
Nachweis
in: Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufakturen 17:2:7 (1800), S. 66–74.
Beteiligte Louis-Nicolas Vauquelin
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.77
Dateiname: 1798-Notice_sur_la-3
Statistiken
Seitenanzahl: 9
Zeichenanzahl: 10607

Weitere Fassungen
Notice sur la cause et les effets de la dissolubilité du gaz nitreux dans la solution du sulfate de fer (Paris, 1798, Französisch)
Notice sur la cause et les effets de la dissolubilité du gaz nitreux dans la solution du sulfate de fer (Paris, 1798, Französisch)
Bemerkungen über die Ursache und über die Wirkungen der Auflösbarkeit des Salpetergas’s in der Auflösung des schwefelsauren Eisens (sulfate de fer) (Helmstedt, 1800, Deutsch)
|66|

Bemerkungen über die Urſache und über dieWirkungen der Auflösbarkeit des Salpe-tergas’s in der Auflöſung des ſchwefel-ſauren Eiſens (ſulfate de fer).Von Humbold und Vauquelin. *)


Bey chemiſchen Unterſuchungen lehrt uns die Er-fahrung zuweilen Erſcheinungen kennen, welche dieTheorie uns vielleicht nie hätte muthmaßen laſſen. Die Auflösbarkeit des Salpetergas’s oder oxi-de nitreux im aufgelöſten ſchwefelſauren Eiſen, wel-che Prieſtley zuerſt entdeckte, und Hr. Hum-bold glücklicher Weiſe auf die genauere, ſtrengereAnalyſe der Atmoſphäre anwandte, iſt ein merk-würdiger Beweis jenes Satzes. Die Thatſache ſelbſt konnte nicht vorhergeſehenwerden; denn mehr als wahrſcheinlich iſt ihre Ent-deckung ein Werk des Zufalls. Noch viel wenigerkonnte man Urſache und Wirkungen dieſer Erſchei-nungen vorher beſtimmen, denn ſelbſt, als man ſiebeobachtet hatte, waren die Meynungen über dieArt, wie ſie ſich äußern, ſehr verſchieden.
*) Ueberſetzt aus den Annales de Chimie T. XXVIII.p. 181-188.
|67| Aber ehe wir uns mit dieſer Wirkungsart be-ſchäftigen, ehe wir von der weſentlichen, innigenVeränderung reden, welche die wirkenden Subſtan-zen, das Salpetergas und das ſchwefelſaure Eiſenleiden, müſſen wir, in Hinſicht auf leichtere Ueber-ſehbarkeit, diejenigen Erſcheinungen beſchreiben,durch welche die Thatſache den Sinnen bemerkbarwird.
  • 1) Das Salpetergas verliert ſeinen elaſtiſchen Zu-ſtand ganz; nur eine ganz geringe Menge einesgasartigen Flüſſigen bleibt zurück, und dieſe iſtStickgas, welches in jenem Gas nicht als Be-ſtandtheil vorhanden, ſondern blos oberflächlichmit ihm gemiſcht war.
  • 2) Die Auflöſung des ſchwefelſauren Eiſens ver-tauſcht ihre grüne Farbe gegen eine dunkelbrau-ne, ohne deswegen ihre Durchſichtigkeit zu ver-lieren, und ohne etwas abzuſetzen.
  • 3) Auch der Geſchmack dieſer Auflöſung wird ge-ändert; er war ſüßlich-eiſenartig und wird ſti-ptiſch und ſehr zuſammenziehend (adſtringent).
Das ſind die bemerkbarſten unter den Erſchei-nungen, welche die Wiederholer der von Prieſtley gemachten Erfahrung beobachtet haben. Die Frage, wie dieſe Erſcheinungen bewirktwerden; ob ſie blos in der Auflöſung des Gas’s |68| durch das ſchwefelſaure Eiſen beſtehen, ohne daß da-durch die Natur und Verhältniſſe der wirkendenSubſtanzen geändert werden; oder ob dieſe Subſtan-zen durch dieſe Wirkung und Zurückwirkung zumEntſtehen neuer Verbindungen Gelegenheit gegebenhaben? Dieſe Fragen waren natürlich, und Hr. Humbold und ich entſchloſſen uns, ſie zu beant-worten. Um dieſen Zweck zu erreichen, mußten wir aufdie Anzahl und Natur der Subſtanzen Rückſichtnehmen, welche in dieſer Miſchung eine Rolle ſpie-len, und mußten wahrſcheinliche Hypotheſen ma-chen, um nach dieſen den Unterſuchungsweg hinzu-zeichnen, den wir zu gehen hatten. Jene Subſtanzen ſind das Waſſer und ſeineGrundſtoffe; das ſchwefelſaure Eiſen und ſeine Mi-ſchungstheile; das Salpetergas und ſeine erſtenBeſtandtheile, und endlich die Miſchung des Stick-gas’s mit dem Salpetergas. Nur durch dieſe in Gedanken gemachte Berech-nung der verſchiedenen Subſtanzen; nur durch diegedachte Verbindung von 2 zu 2, 3 zu 3 u. ſ. f.gelangt man dahin, Wirkungen, die Statt habenwerden, zu errathen, und Wirkungen, die Stattgehabt haben, zu erklären. |69| Zufolge dieſes Unterſuchung-Plans leiteten wir252 Zoll (4537 C. Centimeter) Salpetergas durcheine Auflöſung von einer halben Unze ſchwefelſaurenEiſens; fanden, daß 180 Zoll oder 3564 C. Cen-timeter von jener Gasmenge abſorbirt worden, undunterwarfen dieſe ſo mit dem Gas geſchwängerteAuflöſung folgenden Verſuchen:
  • 1) Bey der Miſchung dieſes Flüſſigen mit kauſtiſcherKali-Auflöſung entſtand ein Eiſenkalk-Nieder-ſchlag von dunkelgrüner Farbe, und es ſtieg einDunſt auf, der einen ſehr merklichen Geruch vonAmmoniak hatte.
  • 2) Gemiſcht mit konzentrirter Vitriolſäure entwik-kelten ſich Dünſte, worin die Salpeterſäure un-verkennlich war.
  • 3) Die Lackmustinktur wurde ſtark davon geröthet,ohngeachtet das Salpetergas vor ſeiner Mi-ſchung mit dem ſchwefelſauren Eiſen durch Lau-genſalz-Auflöſung geleitet worden iſt.
Wir hatten uns alſo durch dieſen Verſuch ſchonüberzeugt, daß das Salpetergas, vermöge ſeinerVerdickung in der ſauren Metall-Auflöſung, Am-moniak und Salpeterſäure gebildet hatte, oder we-nigſtens eine der Urſachen der Entſtehung dieſer Sub-ſtanzen geweſen war. |70| Geleitet durch dieſe erſten Thatſachen, brach-ten wir unſer Flüſſiges, unſre mit Salpetergas ge-ſchwängerte Auflöſung des ſchwefelſauren Eiſens ineine Tubulatretorte, miſchten kauſtiſche Kali-Auf-löſung hinzu, und zwar in übriger Menge; verei-nigten eine Vorlage mit dieſem Deſtillirgeräthe, undtrieben die Deſtillation bey gelinder Hitze faſt biszur Trockne. Wir erhielten ein Flüſſiges, welches einen aus-gezeichneten ammoniakaliſchen Geruch hatte, beyder Annäherung einer mit nicht rauchender Salzſäu-re angefeuchteten Röhre ſehr dicke weiße Dämpfegab, und den Veilchenſyrup ſehr ſtark grün färbte. Um uns noch mehr zu überzeugen, daß dieſesFlüſſige in der That Ammoniak enthielt, miſchtenwir es bis zur Sättigung mit Salzſäure, verdün-ſteten dieſe Miſchung bis zur Trockne, und erhielten4 Gran oder 0,212 Grammen vollkommen reinesſalzſaures Thierlaugenſalz (muriate d’ammoniaque). Dieſe Erfahrung ließ uns in Anſehung der Ge-genwart des Ammoniaks in der ſchwefelſauren Eiſen-auflöſung, und über ſeine Entſtehung durch die Be-handlung ſelbſt nicht den geringſten Zweifel übrig.Aber auch die Salpetersäure müſſen wir jetzt wiederaufſuchen und müſſen ſie abſondern, um ſie zu er-kennen. In dieſer Hinſicht wuſchen wir das Rück-bleibſel der Deſtillation jener Miſchung von ſchwe- |71| felſaurem Eiſen und Kali gut mit deſtillirtem Waſ-ſer, wiſchten das erhaltene Waſchwaſſer mit übri-ger Menge Schwefelſäure, deſtillirten aufs neue,und erhielten ein ſaures Flüſſiges, welches, mit Kaligeſättigt und verdünſtet, 17 Gran oder 89 Centi-grammen eines, dem Salpeter in allen ſeinen Ei-genſchaften gleichen, Neutralſalzes gab. Um unſre Arbeit zu beenden, und die Thatſach-Erklärung nicht eher anzufangen, als bis die Reiheder Thatſachen ſelbſt vervollſtändigt war, blieb unsdie Unterſuchung des gasartigen Rückſtandes übrig,welches ſich der Wirkung des ſchwefelſauren Eiſens,durch Begünſtigung der Geſchwindigkeit, entzogenhatte, mit welcher es durch deſſen Auflöſung gedrun-gen war, und welches, wie wir geſehen haben,72 Zoll oder 1426 Centimeter betrug. Wir hatten beym Unterſuchen des Gas’s vorſeiner Miſchung mit der ſchwefelſauren Eiſenauflö-ſung gefunden, daß es 12 in 100 Stickgas als Mi-ſchungstheil enthielt; wir fanden jetzt, vermögederſelben Unterſuchungsart, daß unſer Rückbleibſel0,14 Stickgas enthielt; und hieraus folgt, daßdas ſchwefelſaure Eiſen während der Behandlungnicht blos Salpetergas, ſondern auch eine gewiſſeMenge Stickgas abſorbirt hatte. Es folgt, ſageich, denn wir hätten 30 Zoll oder 594 Centimetervon dieſem Gas finden müſſen, wenn nichts davonabſorbirt worden wäre, und fanden nicht mehr als |72| 8,64 Zoll, 170 Centimeter. Die Menge des ab-ſorbirten Stickgas’s beträgt alſo ohngefähr 11 Zoll,217 Centimeter in 100 Theilen der Miſchung *). Dieſe Thatſache würde Hrn. Humbold’s eu-diometriſche Methode bis zu einem gewiſſen Gradeungewiß machen, wenn er dieſe Ungewißheit nicht,durch vergleichende Erfahrungen mit dem ſalzſaurenGas, gehoben hätte. Nachdem wir durch Erfahrungen erkannt hatten,daß ſich in jener Miſchung und bey jener BehandlungAmmoniak und Salpeterſäure gebildet hatte, ſuch-ten wir uns zu erklären, auf welche Art die anzie-henden Kräfte gewirkt hatten, welches Spiel derchemiſchen Verwandtſchaften die Urſache der Entſte-hung jener Subſtanzen geweſen war. Da es durchErfahrungen bewieſen iſt, daß Ammoniak aus Waſ-ſer- und Stickſtoff, und Salpeterſäure aus Sauer-und Stickſtoff beſteht, ſo kommt es jetzt blos aufBeantwortung der Frage an: woher drey Grund-ſtoffe (Waſſer-, Stick- und Sauerſtoff) gekommen
*) Man muß geſtehen, daß die Menge des erhaltenenSalmiaks nicht genau mit der Menge des abſorbir-ten Stickgas’s übereinſtimmt: denn 21″ C. 415Centimeter Stickgas hätten mit der zur Entſtehungdes Ammoniaks nöthigen Menge Waſſerſtoff ohnge-fähr 11 Decigrammen Salmiak geben ſollen; aberes iſt möglich, daß uns ein Theil davon verlorengieng. Anm. d. Verf.
|73| ſeyn? — Der Sauer- und Stickſtoff finden ſichim Salpetergas; der Waſſerſtoff aber iſt weder indieſem Gas, noch im ſchwefelſauren Eiſen vorhan-den. Waſſer iſt alſo die einzige Quelle, aus wel-cher wir dieſen elementariſchen Grundſtoff herleitenkönnen; es iſt alſo wahrſcheinlich, daß hier Zer-ſetzung des Waſſers Statt gehabt habe; wir wol-len ſehen, auf welche Art ſie bewirkt wird. So-bald die Vereinigung des Gas’s oder oxide nitreux mit der ſchwefelſauren Eiſenauflöſung geſchieht, wer-den vier Kräfte in Wirkung geſetzt, und alle wirkenvereint, um Salpeterſäure und Ammoniak zu er-zeugen.
Dieſe Kräfte ſind 1) die, des im Waſſer alsMiſchungstheil enthaltenen Sauerſtoffs; er wirktauf das Salpetergas, und das Reſultat dieſer Wir-kung iſt Salpeterſäure; 2) die des Stickſtoffs, ſo-wohl des Theils, welcher verbindungsfrey, als desTheils, welcher gebunden im Salpetergas vorhan-den iſt; er wirkt auf den im Waſſer vorhandenenWaſſerſtoff, und das Produkt iſt Ammoniak; 3) dieder Schwefelſäure; das Produkt ihrer Wirkung aufdas Ammoniak iſt vitriolſaurer Ammoniak; endlich4) die der Salpeterſäure; dieſe letzte Kraft wirktauf das Eiſen u. ſ. f. Iſt dieſe Kraft-Berechnung wahr, ſo muß manim Geräthe, worin die Behandlung unternommenwird, ſalpeterſaures Eiſen, vitriolſauren Ammo- |74| niak, unzerſetzten und mit Waſſer gemiſchten Eiſen-vitriol finden; und dieſe Subſtanzen fanden ſich inder That, wie es die Erfahrung gezeigt hat. Aus jenen ſtattgehabten Verwandtſchaften folgtalſo, daß die Summe derer, welche den Waſſer-mit dem Stickſtoffe, das Ammoniak mit der Vitriol-ſäure, den Sauerſtoff mit dem Salpetergas, dieSalpeterſäure mit dem Eiſen vereinigen, größeriſt, als die Summe derer, welche den Sauerſtoffmit dem Waſſerſtoffe, den Stickſtoff mit dem Sauer-ſtoffe und die Schwefelſäure mit dem Eiſen verei-nigen. Das iſt die Erklärung einer Thatſache, diebeym erſten Hinblicke ſehr einfach zu ſeyn ſcheint,und, näher betrachtet, ſehr verwickelt iſt. Uebri-gens glauben wir, daß viele andere, beſonders me-talliſche, Subſtanzen das Salpetergas auf eben dieArt und vermöge deſſelben Kraft- und Verwandt-ſchaft-Spiels abſorbiren, als es ſich hier mit demvitriolſauren Eiſen vereinigte.