Ueber eine dreyfache Verbindung des Phosphors, des Stick- und Sauerstoffs, oder über das Daseyn eines mit Phosphor und Sauerstoff vereinigten Stickstoffs. Vom Hrn. OBR. Friedr. v. Humboldt. Annal. de Chim. T. XXVII. (Nr. 80.) p. 141-160. (vorgelesen im National-Institut le 1er Thermidor an 6e--19. Juillet 1798.) Diese Abhandlung eines berühmten vaterländischen Scheidekünstlers über eine dreyfache Verbindung von Phosphor, oder über das Daseyn des mit Phosphor und Sauerstoff vereinigten Stickstoffs (Phosphures d'azote oxides) ist zu merkwürdig, um unsere Leser nicht gleich nach ihrer Erscheinung damit bekannt zu machen. Um aber auf der andern Seite dem verdienstvollen Verfasser in der umständlichern, vollständigern Mittheilung seiner Gedanken über einen so wichtigen Gegenstand nicht vorzugreifen, glauben wir uns bey dieser Bekanntmachung auf eine kurze, auszugartige Anzeige einschränken zu müssen. -- Wenige der Erscheinungen, welche die pneumatische Chemie darbietet, sind der Aufmerksamkeit des chemischen Naturforschers so würdig, als die dreyfachen Verbindungen der elementarischen Grundstoffe (elemens) unter sich. Es ist, wie bekannt, schwer, bey Zerlegung der organisch-chemischen Körper die bindenden Bestandtheile (bases) der Säuren, der Gallerte, des Pflanzenschleims, des Eyweißstoffs zu erkennen; aber noch weit schwerer ist diese Erkenntniß, wenn diese drey- oder vierfache Verbindungen blos im gasartigen Zustande vorhanden sind. Wir kennen bereits viele dieser vielfachern elementarisch-gasartigen Verbindungen; die, welche wir täglich aufs neue entdecken, überzeugen uns, daß diese wieder nur ein sehr kleiner Theil der zu kennenden sind. Sie alle, oder auch nur alle ihre allgemeinere Entstehungsarten anzuzeigen, ist eine Unternehmung, zu der selbst die Material-Sammlung noch lange nicht gemacht werden wird, und Hr. Humboldt schränkt seinen dermaligen Beytrag zu diesem großen Werke auf Mittheilung einiger Beobachtungen ein, welche das Daseyn der ebengenannten Verbindungen von Phosphor, Azote und Oxigene zu beweisen scheinen. Die Beobachtungen sind Resultate einer langen Reihe sehr solgfältig gemachter eudiometrischer Versuche, und die Beweise bildet Hr. H. durch die aus diesen Resultaten gezognen Folgerungen, durch die Erklärung der beobachteten Thatsachen. Jene Resultate bestehen darin, daß das Gas, welches man vermöge der Zersetzung der atmosphärischen Luft durch Phosphor erhielt, das Gaz azote, fast immer noch mit einer gewissen Menge Sauerstoff (oxigene) vereinigt ist, welche ihm durch keine Verwandtschaft der, Säure zu werden fähigen, Substanzen (bases acidifiables) entwandt werden kann. Unter siebzehn, mit einer ganz besondern Genauigkeit angestellten Erfahrungen, war nicht eine, worin der Phosphor, oder das nitröse Gas (g. nitreux) aus einer gegebnen Menge atmosphärischer Luft die ganze Menge des sauren Stoffs weggenommen hätten, welche man durch Erfahrungen und durch die genaueste Berechnung darin darthun konnte. Diese Menge Sauerstoff bleibt also nebst dem Stickstoff (azote) vorhanden, und es entsteht die Frage: in welchem Zustande es sich hier findet? eine Frage, die blos durch Raisonniren beantwortet werden kann, und die der Verf. auf folgende Art beantwortet: Der hier vorhandne Sauerstoff äußert keine der Eigenschaften, die ihm als freyer Grundstoff eigen sind; er muß also chemisch mit andern Substanzen verbunden seyn. Da der Phosphor sie in Stickgas auflösen kann, so ist es wahrscheinlich, daß ein Theil des in der atmospärischen Luft vorhandenen Sauerstoffs sich mit diesem phosphorirten Stickstoffe (phosphure d'azote) vereinigt, um eine gasartige Sauerstoff-Verbindung mit zwey bindenden Bestandtheilen (oxide gazeux a double base) zu bilden. Bringt man aufs neue Phosphor in dies gasartige Rückbleibsel , so kann jener sich nicht entzünden, weil er keine andre Verwandtschaft zum Sauerstoffe darbietet, als die, durch welche dieser sich bereits gebunden findet; das nitröse Gas hingegen zersetzt die Verbindung aus Phosphor, Stick- und Sauerstoff, weil es ihr diesen letzten Mischungstheil entwendet, wie wohl diese Zersetzung immer, und zwar deswegen nur theilweise geschieht, weil die letzten Hunderttheile des Sauerstoffs mit dem Stickstoff und Phosphor so genau vereinigt sind, daß ihre Abscheidung (absorption) nicht durch einfache Verwandtschaften bewirkt werden zu können scheint. Guyton, der die unvollkommene Abscheidung des Sauerstoffs durch Phosphor aus der atmosphärischen Luft schon lange und so genau beobachtet hatte, daß er 0,20 als die äußersten Gränzen der durch Phosphor zu bewirkenden Absorption angiebt, erklärte diese Erscheinung durch Entstehung einer gasartigen Phosphorsäure . Hr. Humboldt findet die Unzulänglichkeit dieser Erklärung in der großen Verwandtschaft des Phosphors zum Sauerstoff; sie ist zu groß, als daß der im nitrösen Gas enthaltne Stickstoff diese gasartige Phosphorsäure zersetzen könnte; dieses nitröse Gas würde in jenem Rückbleibsel also nicht die Räume-Verminderung bewirken können, die es, wie wir gesehen haben, bewirkt; und überdem würde dieses Rückbleibsel, wäre es sauerartig, seine gasartige Ausdehnung und Ausdehnbarkeit von selbst, blos durch niederere Temperatur verlieren. -- Encyclop. meth. Chym. Vol. 1. p. 709. In einer Beobachtung des Hrn. Vauquelin findet Hr. Humboldt eine große Bestätigung sowohl seiner Erklärung als überhaupt aller seiner, über das Daseyn einer dreyfachen Verbindung aus Phosphor, Stick- und Sauerstoff geäußerten, Begriffe: Phosphor, in sehr reinem Sauerstoff-Gas (g. oxigene) aufbehalten, äußerte bey andrer Temperatur von 10 bis 15° keine Spur des Leuchtens, auch während einiger Tage nicht, wo die Geräthschaft ruhig stand. Nun leitete der Beobachter einige Blasen von atmosphärischer Luft unter die Glocke, und nun zeigte der ganze Raum des Sauerstoff-Gas's phosphorescirende Wolken. Das ist Hrn. Vauquelins Beobachtung, und Hrn. Humboldt's Erklärungs-Bestätigung liegt in der aus jener gezognen Folgerung, daß sowohl der Sauer- als Stickstoff den Phosphor auflöse, und daß diese Auflösekraft die Entstehung und das Daseyn jener dreyfachen Verbindung eben so begreiflich als wahrscheinlich mache. Wir haben die Beobachtungen des Hrn. Humboldts über das Verhalten des Phosphors zur atmospärischen Luft der Aufmerksamkeit unsrer Leser vorzüglich zu nähern gesucht, weil sie und die daraus gezognen Folgerungen der Hauptgegenstand der Abhandlung sind, von der wir eine kurze Uebersicht geben wollten. Nach Erreichung dieses Zwecks erinnern wir uns, daß diese Anordnung eben diese Leser nicht um das Vergnügen bringen darf, noch einige andre Beobachtungen desselben Gelehrten zu kennen, welche isolirt und weniger folgenreich scheinen, aber durch den Beobachtungsgeist des Beobachters es so sehr als jene werden. -- Der Schwefel, der Kohlenstoff, und der Arsenikkalk lösen sich, wie bekannt, im Wasserstoffgas (hydrogene) auf, sagt Hr. Humboldt, und nach folgender Erfahrung scheint der Schwefel auch im Stickstoff auflösbar zu seyn. Viel Schwefel wurde sehr langsam in einer atmosphärischen Luftart aufgelöst, die nicht mehr als 0,16 Sauerstoff hielt; das Rückbleibsel blieb zwey Tage durchsichtig, aber am dritten, und beym Herabsinken der Temperatur zu 5 Grad des hunderttheiligen Wärmemessers, wurden die innern Wände der Glocke mit einem gelben Staube überzogen, der nichts anders war als reiner Schwefel, welcher vom Stickgas erst aufgelöst, und nachher daraus niedergeschlagen wurde. Eine zweyte der eben bestimmten Beobachtungen unsers Verfassers betrifft die Auflösbarkeit metallischer Substanzen in Gas und Gasgemischen; Beobachtung, welche durch ihre Vereinigung mit ähnlichen Thatsachen, durch Zurückerinnern an diese, und durch Bewirken oder Vereinigung aller zu einem Ganzen doppelt schätzbar wird. Hr. Humboldt sammelte in den Spalten eines Eisenerzganges ein aus Wasserstoff-, Stickstoff und Kohlensäure -Gas gebildetes Gemisch (melange de Gaz hydrogene, d'azote et d'acide carbonique); die Flasche, welche dieses gemischte Gas enthielt, schien klar und durchsichtig, wurde aber nach und nach inwendig mit gelbem Eisenkalk überzogen, nachdem man sie der Kälte des Schnees ausgesetzt hatte. -- Daß hier das Metall aufgelöst, und nicht blos mechanisch aufgenommen war, folgert unser Verf. aus der nur erst beym Gefrierpunkt erfolgenden Abscheidung. -- Bey Gelegenheit der eben erwähnten Vereinigung dieser mit ähnlichen Beobachtungen, (nämlich die aus den Boliden oder Feuerkugeln herabfallenden halbverschlackten Eisenstücke; die blos auf einer Seite mit Blende oder Kies angeflogene Kalkspath-Krystall-Grüpchen; die im Regenwasser aufgelöste Kalkerde): erinnert uns Hr. Humboldt an den wichtig folgenreichen Einfluß der gasartigmetallischen Auflösungen auf die Meteorologie, Mineralogie und Geologie. Die allgemeinern wichtigern Folgerungen, welche unser Verfasser aus jenen Hauptbeobachtungen ziehen zu können glaubt, sind diese: 1. Der Phosphor ist eine sehr ungewisse, untreue eudiometrische Substanz, weil er von den 0,27 Sauerstoff, die er aus der atmosphärischen Luft wegnehmen sollte, oft nur 0,15 oder höchstens 0,20 wegnimmt. 2. Nitröses Gas zeigt im Rückbleibsel der durch Phosphor zersetzten atmosphärischen Luft (de l'eudiometre a phosphore) fast immer noch einige Hunderttheile Sauerstoff. 3. Stickgas, worin Phosphor nicht leuchtet, und welches durch nitröses Gas nicht raumverringert wird, kann deswegen noch nicht als Säurenstoff-frey betrachtet werden. 4. Phosphor löst sich sowohl im Sauerstoffgas als im Stickgas auf, und es bilden sich Sauerstoff- Verbindungen mit zwey bindenden Bestandtheilen (des oxides a doubles bases de phosphore et d'Azote; des phosphures d'azote oxides ), welche das nitröse Gas nur theilweise zersetzt. Da die Verwandtschaft des Phosphors und des Stickstoffs, nach den sinnreichen Beobachtungen der Hrn. Berthollet und Fourcroy in chemischen Substanzen in den lebend-organischen Körpern eine wichtige Rolle spielt, so ist man berechtigt, diese zweybestandtheilige Verbindungen des Sauerstoffs auch in den thierisch-chemischen Körpern zu vermuthen.