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Alexander von Humboldt: „Einleitung über einige Gegenstände der Pflanzenphysiologie“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1798-Einleitung_ueber_einige-1> [abgerufen am 25.04.2024].

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https://humboldt.unibe.ch/text/1798-Einleitung_ueber_einige-1
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Titel Einleitung über einige Gegenstände der Pflanzenphysiologie
Jahr 1798
Ort Leipzig
Nachweis
in: Jan Ingenhousz, Über Ernährung der Pflanzen und Fruchtbarkeit des Bodens. Aus dem Englischen übersezt und mit Anmerkungen versehen von Gotthelf Fischer […]. Nebst einer Einleitung über einige Gegenstände der Pflanzenphysiologie von F. A. von Humboldt, Leipzig: Schäferische Buchhandlung 1798, S. 3–44.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Schwabacher; Fußnoten mit Asterisken; Tabellensatz; Schmuck: Initialen; Formelsatz; Besonderes: Quadrate, mathematische Sonderzeichen, Paragraphenzählung.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.70
Dateiname: 1798-Einleitung_ueber_einige-1
Statistiken
Seitenanzahl: 42
Zeichenanzahl: 33980

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Einleitung uͤber einige Gegenſtaͤnde der Pflanzen-phyſiologie.


Herr Ingenhouſz gehoͤrt zu der kleinenZahl arbeitender Phyſiker, welche dasfruchtbare Talent beſitzen, nicht nur ein-zelne Gegenſtaͤnde mit bewundernswuͤrdigerAnſtrengung zu verfolgen, ſondern auchjede neue Erſcheinung (ſtatt ſie iſolirt auf-zuſtellen) harmoniſch mit den aͤltern zu ver-binden. Seine Schriften lehren, daß er |4| den großen Zweck aller Naturforſchung,dies Zuſammenwirken der Kraͤfte, zu unter-ſuchen, nie aus den Augen verliert, undwenn ſeine Lage in England, die er vorEndigung des Seekriegs nicht zu verlaſſenwuͤnſcht, wenn die Entfernung von ſeinemkoſtbaren Apparate ihn gegenwaͤrtig hindert,ſeine pneumatiſchen oder elektriſchen Ent-dekkungen weiter zu verfolgen, ſo iſt erdennoch unablaͤſſig beſchaͤftigt, die allge-meine Oekonomie der Natur zu ſtudiren.Die Abhandlung on the food of plants andrenovation of the ſoil, welche mein Freund,Herr D. Fiſcher, hier dem Publikum uͤber-giebt, iſt eine Frucht jenes Studiums.Ohnerachtet ſie nicht leer von neuen Ver-ſuchen uͤber den Wachsthum der Gewaͤchſeiſt, ſo zeichnet ſie ſich doch minder durchdieſe, als durch die Zuſammenſtellung aͤlte-rer Beobachtungen, durch die Anwendungphyſikaliſch-chemiſcher Erfahrungen aufdie Phyſiologie der organiſchen Koͤrper aus. |5| Die Manufakturen haben bereits mannig-faltigen Nutzen von den Entdeckungen derantiphlogiſtiſchen Chemie gezogen. Herr Ingenhouſz zeigt uns, daß die edelſte undwichtigſte Beſchaͤftigung der Menſchen, derPflanzenbau, nicht mindere Vervollkomm-nung davon zu erwarten habe. Je tieferwir in das Dunkel der organiſchen Kraͤfteeindringen, je mehr wir von dem großenLebensproceſſe errathen, durch den alle vi-talen Erſcheinungen im Thier- und Pflan-zenkoͤrper bewirkt werden, deſto eher duͤrfenwir hoffen, die Mittel aufzufinden, durchwelche die ſchnellere Entwikkelung der Orga-ne, und die Veredlung ihre Saͤfte befoͤrdertwird. Sollte das Reſultat dieſer Unter-ſuchungen auch ſeyn, daß der Akkerbaunach eben der Methode fortbetrieben werdenmuͤſſe, welche man durch das Anſehenmehrerer Jahrtauſende unerſchuͤtterlich feſt-gegruͤndet glaubt; ſollten die kuͤnftigenPhyſiker ſelbſt rathen, daß man die Erd- |6| arten, wie bisher, zu miſchen, das Feld,wie bisher, zu duͤngen fortfahre: ſo wuͤrdejene Verbindung der Chemie und Oekono-mie dennoch keineswegs ſo fruchtlos gewe-ſen ſeyn, als der rohe Praktiker uns zuuͤberreden ſucht. Es geht mit dem Pflan-zenbau, wie mit der ausuͤbenden Medicin,mit der Pflege des vegetabiliſchen Koͤrpers,wie mit der des animaliſchen. Man ſprichtvon bisheriger Methode, von bisheriger Verfahrungsart, eben als wenn alle Oeko-nomen und Aerzte ſich laͤngſt uͤber allgemeinguͤltige Principien vereinigt haͤtten. Schonvor Brown hat man das Nervenfieber (Ty-phus) reizend zu behandeln, den Gebrauchdes Opiums, als Staͤrkungsmittel, ange-rathen. Ohne die Erfahrungen der Phyſi-ker zu kennen, und von dieſen in ihrenGrundſaͤtzen irre gemacht zu werden, habenpraktiſche Oekonomen ſelbſt uͤber die Vorbe-reitung des Bodens, uͤber die Ruhe, wel-che ihm neue Kraͤfte verſchaffen ſoll, und |7| uͤber die Behandlung der aufkeimenden Ge-waͤchſe geſtritten. Fuͤhrt daher auch unſereerweiterte Naturkenntniß weder auf die Er-findung neuer Heilmittel, noch auf die einernoch nie gebrauchten kraͤftigeren Dungart —ſo wird ſie doch wohlthaͤtig genug fuͤr dieMenſchheit ſeyn, wenn ſie unter entgegengeſetzten Methoden waͤhlen, die alltaͤglich-ſten, aber noch immer unentraͤthſelten Phaͤ-nomene erklaͤren, und einen cauſalen Zu-ſammenhang zwiſchen Wirkungen einſehenlehrt, von deren Einfluß oft der Wohlſtandder zahlreichſten und wichtigſten Menſchen-klaſſe abhaͤngt. Unermeßlich iſt in der That das Feld,welches der Pflanzenbau dem Unterſu-chungsgeiſte des Phyſikers darbiethet. Er-fordert die Pflege des thieriſchen Koͤrpers,daß man, außer der Geſtalt und den Verrich-tungen ſeiner Organe, auch die reizendeEinwirkung aͤußerer Stoffe auf denſelben |8| kenne, ſo wird bei der Kultur der Gewaͤchſe dieſe Kenntniß doppelt nothwendig. Diethieriſche Faſer iſt ſelbſtſtaͤndiger, unab-haͤngiger von dem Medium, in welchem ſieſich befindet. Sonnenlicht, magnetiſcheund elektriſche Ladung des Dunſtkreiſes,Feuchtigkeit, Waͤrme und Sauerſtoffgehaltdeſſelben modificiren allerdings die Functio-nen der thieriſchen Maſchine; aber die Ver-aͤnderungen, welche ſie in dieſer hervorbrin-gen, ſind im Ganzen minder auffallendund maͤchtig, als ihr Einfluß auf die vege-tabiliſchen Organe. Dieſer Unterſchied liegtnicht ſowohl in einer groͤßern Erregbarkeit (Irritabilitaͤt) der Pflanzenfaſer, als viel-mehr in dem Umſtande, daß die Lebensver-richtungen der Gewaͤchſe mehr durch aͤußere, als durch innere Reize unterhalten werden,daß ſie dieſer Reizung ununterbrochen be-duͤrfen, und daß die (Energie) Lebenskraftihrer Organe zu ſchwach iſt, um den Kampfgegen die Einwirkung ſchaͤdlicher Potenzen |9| zu beſtehen. Sonnenlicht iſt im Stande,das aufkeimende Saamenkorn zu zerſtoͤren.Eine kalte Fruͤhlingsnacht toͤdtet die auf-gebrochene Bluͤthenknoſpe. Brunnenwaſſerentblaͤttert Straͤucher, die an Befeuchtungmit Regenwaſſer gewoͤhnt ſind. Beruͤhrungmit kohlenſaurem Gas macht jedes Ge-waͤchs erwelken. Die geringſte Veraͤnderungdes Mediums ſtoͤhrt, oder befoͤrdert die Ent-wikkelung der vegetabiliſchen Schoͤpfung. Wiſſenſchaftliche Kenntniß der Pflanzen-kultur kann daher nicht ohne Phyſiologie,dieſe nicht ohne allgemeine Meteorologieund Chemie beſtehen. Die Pflanze iſt anden Boden geheftet. Es iſt nicht genug,die Grunderden zu kennen, aus welchendieſer oder jener Boden zuſammengeſetzt iſt;nein, wir muͤſſen auch das Verhaͤltniß wiſſen,welches zwiſchen dieſen Grunderden und denBeſtandtheilen der Gewaͤchſe ſtatt findet. Jedes Problem haͤngt mit hundertanderen zuſammen. Warum (um nur ein |10| Beyſpiel zu waͤhlen) iſt ein Gewitterregen erquikkender fuͤr die Pflanzendekke, als dasſorgfaͤltigſte Beſprizzen (ein kuͤnſtlicher Re-gen) mit Flußwaſſer? Die Beantwortungdieſer einfachen Frage koͤnnte einen experi-mentirenden Phyſiker Jahre lang beſchaͤfti-gen. Unterſcheidet ſich jenes Regenwaſſervom Flußwaſſer als Waſſer, das heißt,miſcht ſich Sauerſtoff und Waſſerſtoff nachverſchiedenen Verhaͤltniſſen zuſammen, oderliegt die ungleiche Wirkung in der Luft,welche beide Waſſerarten mechaniſch einge-mengt enthalten? Iſt die Luft im Regen-waſſer, welches waͤhrend des Gewittersfaͤllt, noch ſauerſtoffreicher, als die Luftim gemeinen Regenwaſſer, und finden ſichhier aͤhnliche Unterſchiede, als die, welcheHerr Haſſenfraz zwiſchen dem Brunnen- undFlußwaſſer aufgefunden hat? Alles Regen-waſſer enthaͤlt eine Spur von Kochſalz- undStikſtoff-Saͤure nebſt Kalkerde aufgeloͤßt.Zeichnen ſich nun die Gewitterregen durch |11| den mehrern oder mindern Gehalt andieſen Stoffen aus, oder beruht ihre bele-bende Kraft auf der groͤßern Leichtigkeit,mit der ſie in den Organen zerſetzt werden?Geſchieht dieſe Zerſetzung leichter, weil dasOxygen mit dem Hydrogen in einem Waſſerinniger, in einem andern lokkerer verbun-den iſt, oder deshalb, weil die Erregbar-keit der Organe, (ihre Energie) waͤhrenddes Gewitters erhoͤht iſt, und ſie alſo faͤhi-ger ſind, ihre vitalen Funktionen zu ver-richten. Haͤngt dieſe Erhoͤhung der Erreg-barkeit von der elektriſchen Ladung desDunſtkreiſes, oder von ſeiner eudiometri-ſchen Beſchaffenheit, (ſeinem Gehalt anLebensluft oder Kohlenſaͤure) ab? DieſeFragen koͤnnen, ohne die gruͤndlichſte Kennt-niß der Meteorologie, pneumatiſchen Chemie,und Phyſiologie der Gewaͤchſe nicht befrie-digend beantwortet werden. Alle organi-ſche Weſen ſtehen im Verkehr mit der gan-zen aͤußeren Sinnenwelt, indem dieſe reizend |12| auf ſie einwirkt, und wir duͤrfen uns keinerEinſicht in den Zuſammenhang vitaler Er-ſcheinungen ruͤhmen, wenn wir nicht unab-laͤſſig das Studium der todten Natur mitdem der belebten verbinden. Von dem Nutzen dieſer Verbindunguͤberzeugt, haben mehrere Staaten bereitsAnſtalten getroffen, den Pflanzenbau dennaturhiſtoriſchen Wiſſenſchaften naͤher zubringen. Wenn daher die nachfolgendeAbhandlung des Herrn Ingenhouſz auchnicht einen innern litterariſchen Werth haͤtte,ſo muͤßte ſie dennoch ſchon von der Seitewichtig ſcheinen, daß ſie das Nachdenkenauf Gegenſtaͤnde lenkt, welche der rohenEmpirie allein uͤberlaſſen ſind. Die An-wendung chemiſcher Grundſaͤtze auf denAkkerbau kann nicht ſo gelehrt werden, daßdieſe Lehre dem Landmann ſelbſt eine unter-richtende Lektuͤre gewaͤhren koͤnnte. Auchwar dieß Hrn. Ingenhouſz Zweck nicht. |13| Dieſer iſt vollkommen erreicht, wenn Maͤn-ner, deren Pflicht es iſt, die Erzeugung nutz-barer Naturprodukte zu befoͤrdern, unddurch Vervollkommnung der Pflanzenkulturden Nazionalreichthum zu vermehren, wenndieſe Maͤnner, ſage ich, in dem Glauben be-ſtaͤrkt werden, daß die Wiſſenſchaften wohl-thaͤtig fuͤr die Menſchheit ſind, wenn ihrEinfluß auf die techniſchen Gewerbe nichtdurch politiſche Verhaͤltniſſe gehindert wird. In demjenigen Lande, wo dieſe Hinde-rung am wenigſten ſtatt findet, wo dasfreiſte Verkehr der Ideen herrſcht, wo umſo mehr gewirkt wird, als man ſich wenigerſeines Wirkens ruͤhmt, in England, habendie Ingenhouſziſchen Vorſchlaͤge große Sen-ſation gemacht. Die Akkerbaugeſellſchafthat die Abhandlung ihren Schriften einver-leibt. Mehrere Privatperſonen, beſondersder groͤßte Befoͤrderer alles Nuͤtzlichen, derPraͤſident der koͤniglichen Societaͤt, Sir |14| Joſeph Banks, haben ſogleich beſchloſſen,die neuen Verſuche zur Befruchtung desBodens zu wiederholen. Selbſt der Koͤnigiſt im Sommer 1797 mit denſelben in demGarten zu Kew beſchaͤftiget geweſen. Auchin der bataviſchen Republik erſchien ſchonim November 1796 eine hollaͤndiſche Ueber-ſetzung der Ingenhouſziſchen Abhandlungdurch Hrn. van Breda *). Eine Schrift, deren Verbreitung ſo auf-fallend ſchnell geweſen iſt, bedarf keinerEmpfehlung fuͤr unſer deutſches Vaterland.
*) Derſelbe Naturforſcher, dem die Eudiometriemanche wichtige Verſuche verdankt. Er be-merkte zuerſt die ungleiche Luftabſorption in Fontana’s Eudiometer, wenn man ſich desBrunnen- oder Regenwaſſers bediente. DieſeBemerkung haͤtte allein ſchon auf die Exiſtenzeiner ſauerſtoffreichern Luft, die dem Re-genwaſſer eingemengt iſt, leiten koͤnnen.
|15| Ich glaubte nur den praktiſchen Geſichts-punkt angeben zu muͤſſen, aus welchemich dieſelbe betrachtet zu ſehen wuͤnſchte.Auch von der Ueberſetzung und den Anmer-kungen des Hrn. D. Fiſcher (welcher gegen-waͤrtig die naturhiſtoriſchen Anſtalten in Paris benuzt) ſage ich nichts. Die freund-ſchaftlichen Verhaͤltniſſe, in denen wir ſte-hen, wuͤrden jedes Lob verdaͤchtig machen.Ein Mann, deſſen fruͤhere Arbeiten (dieanatomiſch-phyſiologiſche Beſchreibung derSchwimmblaſe, und die Bearbeitung mei-ner Aphoriſmen aus der Pflanzenphyſiologie)ſo guͤnſtig aufgenommen worden ſind, kanndeſſen ohnedieß entbehren. Ich begnuͤgemich daher, dieſe Einleitung mit einzelnenBemerkungen zu beſchließen, zu denen michdie nachfolgende Schrift veranlaßt, undwelche vielleicht darum willkommner ſind,weil die Phyſiologie der Gewaͤchſe unteruns mehr angeruͤhmt, als bearbeitet wird.
|16| Herr Ingenhouſz ſtellt gleich am Ein-gange ſeiner Schrift (§. 1.) den Satz auf,daß viele Pflanzen der Beruͤhrung mit Waſ-ſer und Erde entbehren koͤnnen, ohne inihrem Wachsthume geſtoͤhrt zu werden.Dieſe Idee kann, gegen den Willen desVerfaſſers, zu phyſiologiſchen Irrthuͤmernverleiten, welchen ich hier einige Erfahrun-gen entgegen ſetzen muß. „Die fetten Ge-„waͤchſe, Agave, Aloe und Cactus (heißt es)„leben in duͤrren Felſenritzen, und daß der„Nachtthau der Tropenlaͤnder ihnen nicht„ihre Nahrung giebt, erkennt man daraus,„daß andere umherſtehende Vegetabilien,„welche doch einer gleichen Wohlthat genie-„ßen wuͤrden, in der Trokkenheit ver-„ſchmachten. Auch koͤnnen ſie in den Ge-„waͤchshaͤuſern gewiß nicht von dieſem„Thau getroffen werden.“ So wenig iches fuͤr unwahrſcheinlich halte, daß vieleSaͤfte der Pflanzen in den belebten Orga-nen ſelbſt aus luftfoͤrmigen Stoffen gebildet |17| werden, und daß in dem vegetabiliſchenund animaliſchen Koͤrper eben ſo gutWaſſer zerſezt, als (unter gewiſſen Bedin-gungen) erzeugt werde: ſo braucht manzur Loͤſung des vorliegenden Problems ſichdoch nicht darauf, ſondern nur auf dieanatomiſche Betrachtung der fleiſchigen,oder fetten Gewaͤchſe zu ſtuͤtzen. Wie ver-ſchieden iſt die Organiſation einer Agave,oder eines Meſembryanthemum von der der afrikaniſchen Pſoralien, der Cordia, Myxa, oder Caſſien und Mimoſen! Dieſen iſt dieWurzel die unentbehrlichſte Nahrungsquelle,bei jenen ſind die Gefaͤße der Oberflaͤchewichtiger, als die Muͤndungen der Sauge-wurzeln. Bei dieſen iſt mehr Beziehungauf ein Organ, bei jenen mehr partielles Leben, da jedes Blat weniger Nahrung ausdem Stamme, als aus ſeiner Oberhautzieht. Wenn von zwei Gewaͤchſen in denregenloſen Tropenlaͤndern das eine mehreinſaugende Gefaͤße, als das andere hat, |18| ſo ſcheint es ſehr natuͤrlich, daß das erſtereauch den trokkenſten Luftſchichten nochFeuchtigkeit ablockt, wo das Leztere vorDuͤrre verſchmachtet. Eine Aloe wird,wenn das Hygrometer auf 60° (nach Sauſ-ſure) ſteht, noch immer mehr Waſſer em-pfangen, als eine Caſſia bei einer Feuchtigkeitvon 74 Grad. Kein Wunder daher, daß Caſ-ſien und Mimoſen in Oberaͤgypten ihr Laubverliehren, wenn Aloe und Meſembryanthe-mum im vollen Safte ſtehen. Auch bezeugenalle Reiſebeſchreiber die Exiſtenz des ſtarkenThaues in dem regenloſen Palmenklima. Haſſelquiſt erwaͤhnt dieſes Gegenſtandesausfuͤhrlich in einem Briefe an Linné: bei Cairo, ſagt er *), und gegen Aſſuan zu,ſtehen alte Sycomoren-Staͤmme (FicusSycomorus), welche in ihrem langen ſechs-
*) Haſſelquiſt’s Reiſe nach Palaͤſtina. Ro-ſtock 1762. S. 264.
|19| hundertjaͤhrigen Leben vielleicht nicht 6 Un-zen Regenwaſſer zu ihrer Nahrung erhaltenhaben. In der heiſſeſten Sommerzeit vomMai an, wo das Erdreich vor Duͤrre auf-reißt, wuͤrde alles verſchmachten, wennnicht (waͤhrend daß dunkles Gewoͤlk unauf-hoͤrlich vom Mittelmeere gegen das Abeſſi-niſche Gebirge hinzieht) Morgens undAbends ſtarker Thau fiele. Den Baͤumendient dann die Krone ſtatt der Wurzel, dadieſelbe durch ihre vaſa abſorbentia aus derLuft die Nahrung aufnimmt, welche zueiner andern Jahreszeit der gewaͤſſertenErde entzogen wird.
Welches ſind aber die Gefaͤße, welche jeneEinſaugung verrichten? Sind die der duͤnn-blaͤttrigen Baͤume von denen der fleiſchigenGewaͤchſe verſchieden? Ich glaube mit Hrn. Schrank *), daß die eifoͤrmigen, warzen-
*) Von den Nebengefaͤßen der Pflanzen S. 92.Samml. naturhiſtor. Aufſ. 1796. S. 147.
|20| artigen Erhebungen (Spaltgefaͤße), welchedas Mikroſkop faſt auf dem Oberhaͤutchenaller Vegetabilien, beſonders auf dem unternder haarloſen Blaͤtter, zeigt, und woruͤberwir dem großen Pflanzenzergliederer zu Leipzig ſo wichtige Entdekkungen verdanken,daß dieſe Spaltgefaͤße, ſage ich, vorzuͤg-lich zur Einſaugung der atmoſphaͤriſchenFeuchtigkeit beſtimmt ſind. Wenn ich eswage, meinem allgemein verehrten Freunde,Herrn Hedwig, in dieſem Punkte zu wider-ſprechen, ſo geſchieht das gewiß mit derſchuͤchternen Beſcheidenheit, die mir gegenIhn geziemt. Durch ſeine freundſchaftlicheAufforderung veranlaßt, habe ich nun ſeitvier Jahren das Oberhaͤutchen aller derPflanzen, uͤber deren luftfoͤrmige Exſpira-tion ich Verſuche angeſtellt, unter dem Hoffmanniſchen Mikroſkope unterſucht, dieReſultate dieſer Unterſuchung aber (wievieles andere) ſorgfaͤltig zuruͤck gehalten,um nicht voreilig ungruͤndliche Erfahrun- |21| gen in die Welt zu bringen. Erſt in dieſemJahre habe ich meine Zweifel daruͤber im2ten Bande meiner Verſuche uͤber die ge-reizte Muſkel- und Nervenfaſer oͤffentlichgeaͤuſſert. Es geht mit dem vegetabiliſchenKoͤrper, wie mit dem animaliſchen. Diegenaue Kenntniß der Geſtalt der Organegeht der ihres Nutzens (ihrer Lebensverrich-tungen) voraus. Ob ein Organ vorhan-den, ſo oder ſo gebildet iſt, laͤßt ſich daherapodiktiſch entſcheiden, nicht aber ob eszur Ausduͤnſtung, oder Einſaugung, zurluft- oder dampffoͤrmigen Reſpiration be-ſtimmt iſt. Die mathematiſchen Beweiſe,deren Herr Schrank (Nebengefaͤße S. 82)ſich ruͤhmt, koͤnnen in der belebten Natur,wo Pulſation der Cirkelfaſer wirkt, und dieFluͤßigkeiten nicht, wie „durch Rauchfaͤnge“ausziehen, ſchwerlich gelten. Ich habe ge-hofft, dem Nuzzen jener Spaltgeſaͤße derOberhaut auf die Spur zu kommen, wennich unter dem Mikrometer die Groͤße und |22| Zahl dieſer Organe im geſunden und krankenZuſtande beſtimmte, den Ort beobachtete,wo ſie hauptſaͤchlich liegen, und dann dieMenge der Lebensluft maͤße, welche dieSpaltgefaͤßreiche, oder leere Seite desOberhaͤutchens liefert. Folgende Thatſachenſcheinen mir zu beweiſen, das die gasfoͤr-mige Exſpiration der Pflanzen aus Oeff-nungen kommt, die uns noch eben ſo ver-borgen und unbekannt ſind, als die Gefaͤß-muͤndungen, durch welche die menſchlicheCuticula Kohlenſaͤure und Stikluft aus-haucht: Haare und Spaltgefaͤße exiſtirenzwar bisweilen bei einer Pflanze (Calen-dula officinalis); aber im Ganzen ſinddie letztern bei haarigen und wolligen Ge-waͤchſen ſehr ſelten, ohnerachtet dieſeſehr viele und reine Lebensluft geben.Baumarten und Kraͤutern (Paſtinaca ſati-va, Braſſica ſabauda, B. ſeleniſia, Fragariaveſca), welche auf der obern Blattflaͤche garkeine, oder doch uͤberaus ſparſame Spalt- |23| gefaͤße haben, werden, der Sonne ausgeſezt,auf dieſer obern Flaͤche mit haͤufigen undgroßen Luftblaſen unter Waſſer bedekt.Dieſe Luftblaſen entſtehen nicht vorzuͤglichda, wo das Mikroſkop die Spaltgefaͤßezeigt, ſondern meiſt an den Rippen derBlaͤtter, woruͤber Herr Senebier ſchoͤneBeobachtungen geſammelt hat. Pflanzen,die ich im Finſtern erzog, und deren Aus-duͤnſtungs- und Einſaugungsgeſchaͤft ge-ſtoͤhrt war, zeigten zwar in der Bleichſuchtzuſammengeſchrumpfte kleine unausgebildeteSpaltgefaͤße, dagegen fand ich dieſelben aberauch vollkommen ausgebildet in vegetabili-ſchen Theilen, welche gar keine Luft aushau-chen, als in den weißgelben Raͤndern der Aga-ve americana, und den violetten Flekken der Orchis maculata. Nach dieſen Beobachtun-gen, die ich vielleicht bald an einem andernOrte umſtaͤndlicher entwikkeln werde, ver-muthe ich, daß jene problematiſchen Organemehr zur waͤſſerigen Einſaugung beſtimmt |24| ſind. Auch ſehe ich, daß Herr Hedwig ſelbſt dieſe Function, wenigſtens als Neben-zweck, nicht unwahrſcheinlich findet *).Schon in einem lehrreichen Briefe an michvom Jahr 1794 aͤuſſert er die Vermuthung,daß manche Baͤume und Straucharten,deren obere Blattflaͤche keine Spaltgefaͤßezeigt, eigene uns unbekannte Oeffnungenzur Luftſpiration haben moͤgen. Solltennun nicht die fleiſchigen Gewaͤchſe, Semper-vivum, Sedum, Aloe, Agave, Cactusund Meſembryanthemum (welche der phan-taſiereiche St. Pierre ſehr treffend die be-lebten Quellen der tropiſchen Wuͤſten nennt)eben deshalb im Sonnenlichte oder in derFinſterniß (vom Waſſerſtoffgas umgeben)ſo viel Sauerſtoffgas aushauchen, weil ſiemehr Waſſer als andere Pflanzen, einſau-
*) Hedwigs Sammlungen ſeiner Abhandlun-gen uͤber botaniſch-oͤkonomiſche Gegen-ſtaͤnde B. I. S. 116. 129. B. II. S. 143.
|25| gen, und alſo auch mehr davon zu zerlegenim Stande ſind? Die einſaugenden Spalt-gefaͤße derſelben ſind 3 bis 4mal groͤßer,als die der andern duͤnnblaͤtterigen Pflanzen,und wenn bei den gemeinen Erdbeeren z. B.zwiſchen zweien dieſer wichtigen Organe nochfunfzehn andere mit ihrem DurchmeſſerRaum hatten, ſo ſind ſie bei der Agave ſodicht aneinander gereiht, daß ich im Phyl-lometer uͤber 55 auf 1 □ Linie zaͤhlte.Dieſe Zahl iſt aber, wegen der auſſerordent-lichen Groͤße der Spaltgefaͤße, doch nochgering. Denn Hyacinthus non ſcriptus hat auf demſelben Raume, da, wo dieBlaͤtter am dunkelgruͤnſten ſind, 140 bis145, wo das Gruͤn blaͤſſer iſt (gegen denStengel hin), 62 bis 75. Statt aber, daßdieſe und andere Kraͤuter jene Werkzeugenur auf den Blaͤttern zeigen, ſo haben jenefleiſchigen Bewohner der Palmenlaͤnder (z.B. die Cactus-Arten), ſo weit ſie uͤber derErde emporſtreben, uͤberall einen blaͤtter- |26| artigen, gefaͤßreichen Ueberzug. Sie ſinddaher in jedem Theile ihrer Oberflaͤche ge-ſchickt, die Feuchtigkeit des Luftkreiſes auf-zunehmen.
Aus allen dieſen Beobachtungen folgt,daß die fetten fleiſchartigen Vegetabilienregenloſer Klimate keinesweges fuͤr die Ent-behrlichkeit des Waſſers, als Nahrungs-mittels, zeugen, ſondern daß ſie durch diebeſondere Einrichtung des Oberhaͤutchensvor dem Verdorren geſchuͤtzt ſind. In ſolchen Gegenden endlich, wo zugewiſſen Zeiten auch der Nachtthau fehlt,dient den fleiſchigen Blaͤttern der Aloe, demMeſembryanthemum, oder Sedum dasParenchyma ſelbſt zur Nahrung. DieſeVegetabilien zehren ſich dann gleichſamſelbſt auf, und erhalten ſich von dem Nah-rungsſafte, der in die Hoͤlen des Zellgewe-bes deponirt iſt *). Dieſer Proceß, durch den
*) A. a. O. S. 3. und 149.
|27| vorzuͤglich die Exiſtenz zuruͤckfuͤhrender Ge-faͤße in den Pflanzen erwieſen wird, wuͤrdeauch in den Gewaͤchshaͤuſern immerdar vor-gehen, wenn nicht die Luft in denſelben(wie einfache Hygrometer-Verſuche, unddas Feuchtwerden der Kleider mich oft be-lehrt haben) mit Waſſerdaͤmpfen geſchwaͤn-gert waͤre. Herr Ingenhouſz bemerkt ſehrrichtig, daß in dieſen Standort kein Thaudringt; aber die waͤſſerige, Kaͤlte erregendeAusduͤnſtung der umherſtehenden Muſen,Heliconien und Canna-Arten, und diedampfende Gartenerde erſezt hier reichlichdas mangelnde Verkehr mit der Wolken-region.
Noch muß ich einer Erfahrung erwaͤh-nen, welche wohl ebenfalls fuͤr die Noth-wendigkeit des Waſſers zur Ernaͤhrung derfetten Pflanzen zeugt. Bei meinem Auf-enthalte auf dem fraͤnkiſchen Fichtelgebirge in den Jahren 1793 und 1794 ſtellte ich |28| Verſuche uͤber Abſcheidung der Kohlenſaͤurean, welche mehrere Gewaͤchſe mit Stikſtoff-luft gemengt im Schatten von ſich geben. Ich hatte Mauerpfeffer und Hauslaub(Sedum acre, und Sempervivum tectorum)in gereinigte Kieſelerde unter Glasglokkengepflanzt. Die Gewaͤchſe ſtanden ſo hoch,daß aͤzende Kalkerde in das Gefaͤß geſtreutwerden konnte, ohne jene zu beruͤhren.Dies Einſtreuen geſchah taͤglich von neuem,ſo daß nicht nur alle Kohlenſaͤure, ſondernauch jedes Atom von atmoſphaͤriſcherFeuchtigkeit verſchlukt ward. Ich bemerkteimmer, daß meine Pflaͤnzchen bald abſtar-ben, und dagegen diejenigen, deren Wurzelnzugleich mit deſtillirtem Waſſer benezt wur-den, nicht verdorrten. Darf ich dahernicht vermuthen, daß die aͤuſſerſte Trokken-heit der Luftſchichten, und nicht Mangelan Kohlenſaͤure jene nachtheiligen Folgenhervorbrachte. Jene Saͤure iſt ja ohnedieß |29| in ihrem gasfoͤrmigen Zuſtande, alſo außerihrer Verbindung mit Waſſer oder mit an-deren Stoffen, der Vegetation ſo ſchaͤdlich,daß ſie nach meinen Verſuchen nur von demunreinen hydrogene peſant (dem Gemengevon Waſſer- und Kohlenſtoffgas, welchesman aus dem Agaricus campeſtris zieht)an Schaͤdlichkeit uͤbertroffen wird. Auch von der Erde, glaube ich, daßman ſie allerdings zu den wahren Nah-rungsmitteln der Gewaͤchſe zaͤhlen muß.Was berechtiget uns, ſie bloß mecha-niſch, als einen Stoff zu betrachten, derder Thier- und Pflanzenfaſer Dichtigkeitund Starrheit giebt? Ich beruͤhre hiernicht die Frage, welche ein kommendesJahrhundert entſcheiden wird, die Frage,ob Erdarten zuſammen geſezt ſind, und obviele derſelben erſt waͤhrend der Vegetationentſtehen, d. h. gleich den Laugenſalzen ausgasfoͤrmigen Baſen zuſammen gerinnen, |30| ſondern ich erinnere bloß an das Zuſammen-wirken aller Elemente, und ihrer Ziehkraͤftebei dem großen Prozeß der Vitalitaͤt. Inphyſiologiſchen Betrachtungen muß manſich huͤten, nicht einzelnen Stoffen undKraͤften zuzuſchreiben, was nur durch daswechſelſeitige Verhaͤltniß aller begruͤndetwird. Einer Pflanze (Chara), in derenMiſchung wir immer Kalcherde finden, iſtdie Gegenwart dieſer Erde gewiß eben ſoweſentlich, als die des Kohlenſtoffs, oderHydrogens. Unter weſentlichen Beſtand-theilen giebt es keine Rangordnung, undmit den Fortſchritten der Scheidekunſt wer-den wir die Wirkungsart mancher Ele-mente erkennen, welche izt gleichſam iſolirtin der Kette der Dinge ſtehen. Wir wiſſen freilich noch nichts von denZiehkraͤften der Erdarten gegen den Sauer-ſtoff, Kohlenſtoff, oder Waſſerſtoff; aber wirduͤrfen vermuthen, daß in zuſammengeſezten |31| Verwandſchaften (deren Spiel bei allenvitalen Funktionen thaͤtig iſt) Elemente aufeinander einwirken, die in einfachen Ver-wandſchaften ſich unzerſezt laſſen. Kennenwir doch ſchon izt die Affinitaͤten der Kalch-Bitterſalz- und Schwererde gegen Schwefelund Phosphor, oder die der Kieſelerdegegen die Laugenſalze! Beruht daher, wieich mich in einem eigenen Werke zu entwik-keln bemuͤht habe, die Erregbarkeit derorganiſchen Materie vorzuͤglich auf ihrenEigenſchaften, chemiſche Ziehkraͤfte gegendie reizenden Stoffe zu aͤuſſern, und durchdie Einwirkung dieſer Stoffe Miſchungs-veraͤnderungen zu erleiden; geht in derThier- und Pflanzenfaſer unaufhoͤrlich einWechſel von Bindungen, Umhuͤllungen undZerſetzungen vor; iſt dieſelbe ſo eingerichtet,daß in dem Kampfe der Elemente die orga-niſche Materie dennoch ſtets ungeſaͤttiget,und alſo reizbar bleibt; ſo folgt, bei dieſerphyſiologiſchen Anſicht der Dinge, von |32| ſelbſt, daß in dem großen Lebensprozeſſekein Stoff (ſei er Erde oder Metall) traͤgeund unthaͤtig ruhen, ſondern nach denihm inhaͤrirenden Kraͤften wirkſam werdenmuß. — In dem 13. und 24. §. zeigt Herr Ingenhouſz, daß es fuͤr die Kenntniß vondem Wachsthume der Vegetabilien ſehrwichtig ſei, zu unterſuchen, wie viel Koh-lenſaͤure in der Atmoſphaͤre enthalten ſei.Nach Lavoiſier exiſtire ſie gar nicht in der-ſelben, nach andern Chemiſten zu 0, 01.Bei dieſen Beſtimmungen ſei es ſchwer zuerrathen, woher die Pflanzen die Kohlen-ſaͤure ziehen, welche ſie in ihren Organenzerſezen. Da meine Verſuche ſeit einemJahre beſonders auf dieſen Gegenſtand ge-richtet geweſen ſind, ſo glaube ich hier einigeBemerkungen beifuͤgen zu duͤrfen. DieKohlenſaͤure kann auf zweifache Weiſe imDunſtkreiſe vorhanden ſeyn; frei, gasfoͤr- |33| mig, mit Lebens- und Stikluft gemengt,und gebunden von den atmosphaͤriſchenDuͤnſten verſchlukt. Wenn man die Zahlvon Thieren uͤberſchlaͤgt, welche durch ihreLungen- und Hautausduͤnſtung Kohlenſaͤureerzeugen; wenn man berechnet, wie vieletauſend Kubikzoll dieſelbe von den Bluͤthenund Fruͤchten der Pflanzen, ja in der Dun-kelheit von ihren Blaͤttern aufſteigen; wennman bedenkt, daß aus allen gaͤhrendenorganiſchen Stoffen, daß aus der vomSonnenſtrahl erwaͤrmten Dammerde, wieaus vielen vegetationsleeren Gebirgsmaſſen(Thonſchiefer, Hornblendſchiefer) ſich Koh-lenſaͤure entbindet *); ſo dringen uns dieſe
*) Schwarze humus und Thonſchiefer hauchenin Beruͤhrung mit dem Oxygen des Dunſt-kreiſes bei der niedrigen Temperatur von6 — 8° R. Kohlenſaͤure aus. Daß bei die-ſen meinen Verſuchen, deren ich ſchon anandern Orten erwaͤhnt, nicht Taͤuſchung ſtatt
|34| Betrachtungen ein Bild von der ungeheurenMaſſe dieſer Gasart auf, welche taͤglich indie Atmoſphaͤre uͤbergeht. Dieſer Ueber-gang wuͤrde dieſe bald voͤllig irreſpirabelmachen, wenn nicht die waͤſſerigen Duͤnſteaufnaͤhmen, was im luftfoͤrmigen ZuſtandePflanzen und Thieren gleich ſchaͤdlich iſt.
Auf die ſpecifiſche Schwere der Kohlen-ſaͤure, und auf dies Niederſinken, welchesdieſe verurſachen ſoll, waͤre minder zu rech-nen, da die unterirdiſchen Grubenwetteruns zeigen, wie wenig verſchiedene Gas-arten geneigt ſind, ſich nach jenen Unter-
fand und daß bei denſelben, unter Mitwirkungdes Sonnenlichts und der Feuchtigkeit, dieKohlenſaͤure wirklich neu erzeugt wird, bewei-ſen die wiederholten Erfahrungen des Herrn Lampadius. Warum ſollten wir uns beidein unſeren Arbeiten auf gleiche Weiſe ge-taͤuſcht haben?
|35| ſchieden der ſpecifiſchen Schweren zu lagern.Eben die Armuth an gasfoͤrmiger freyer Kohlenſaͤure, welche die Scheidekuͤnſtler inder Atmoſphaͤre finden, beweißt, wie vieldavon die Pflanzen zu ihrer Nahrung ein-ziehen, da das atmoſphaͤriſche Waſſer,welches von den Wurzeln und Saugadernder Blaͤtter eingeſogen wird, den vorbe-ſchriebenen taͤglich aufſteigenden Vorrathvon Kohlenſaͤure zur Erde herabfuͤhrt.Haͤtten wir Mittel in Haͤnden, die Mengedieſer Saͤure, welche an Waſſerdaͤmpfegebunden, im Luftkreiſe ſchwebt, zu meſſen,ſo wuͤrden wir uͤber die Menge derſelbenerſtaunen.
Aber auch der freyen gasfoͤrmigen Koh-lenſaͤure giebt es mehr im Dunſtkreiſe, alsunſere Lehrbuͤcher bisher angeben. Die Art,wie man dieſelbe gewoͤhnlich unterſucht,durch Schuͤtteln mit fluͤſſigem reinen Alkali,oder Kalkwaſſer (wobei ſich atmoſphaͤriſche |36| Luft aus den Zwiſchenraͤumen der Fluͤſſig-keit entwikkelt) oder gar in weiten Roͤhren,ohne auf Temperatur und Elaſticitaͤt derLuft Ruͤckſicht zu nehmen, kann nur unvoll-kommene Reſultate gewaͤhren. Ich habemit meinem Freunde Herrn Muͤnzmeiſter Goͤdeking zu Bayreuth ein eigenes ſehr trag-bares Inſtrument (Kohlenſaͤure-Meſſer)zu Stande gebracht, von dem ich naͤchſtenseine Zeichnung liefern werde, und deſſenſich izt ſchon mehrere Chemiſten, denen iches mitgetheilt, vortheilhaft bedienen. Ichnehme eine ſehr geringe Luftmenge (\( \frac{1}{8} \)\( \frac{1}{4} \) Kubikzoll), deren Abſorption dadurch be-ſchleunigt wird, daß ſie durch das reineAlkali einen hydroſtatiſchen Druck leidet.Die Meſſung geſchieht mittelſt einer com-municirenden Roͤhre, und die auf Glasgeaͤzte Skale giebt ſehr bequem und deut-lich 0, 001 von \( \frac{1}{4} \) Kubikzoll der zu pruͤfen-der Luft an. Durch dieſes einfache Werk-zeug, deſſen man ſich zu allen andern Luft- |37| zerſetzungen bedienen kann, habe ich ge-funden, daß der Kohlenſaͤure-Gehalt desLuftkreiſes an freien, von Menſchenwoh-nungen entfernten Orten meiſt uͤber 0, 01,gewoͤhnlich 0, 013 — 014 betraͤgt. Bis-her ſah ich ihn noch nie weder unter 0, 005herabſinken, noch uͤber 0, 018 ſteigen.Man ſollte vermuthen, daß in einer feuch-ten Luft weniger freies kohlenſaures Gas,als in einer trokneren vorhanden waͤre.Vergleichende Verſuche mit dem de Luc-ſchen Fiſchbein-Hygrometer haben aber bis-her dieſe Vermuthung noch nicht ſehr be-ſtaͤtigt. Ich hebe aus meinen meteorologi-ſchen Tagebuͤchern von 1797 nur folgendeBeobachtungen aus, welche den Sauer-ſtoff- und Kohlenſaͤure-Gehalt des Dunſt-kreiſes, ſeine elektriſche Ladung, Elaſticitaͤt,Waͤrme und Feuchtigkeit unter einen Ge-ſichtspunkt ſtellen. (Die Werkzeuge warenalle von vorzuͤglicher Guͤte; das Eudiometerein Fontanaſches, welches die ruͤkſtaͤndige |38| Luftſaͤule von gleichen Luftmengen ausdruͤkt;das Elektrometer ein Sauſſureſches mit4 Fuß hohem Ableiter und brennendemSchwamm nach Volta’s Methode armirt,und das Hygrometer ein de Lucſches). |39|
Kohlenſaͤure-meſſer Eudio-meter Ther-momet. Barometer Hygro-meter Elektro-meter
am 22. NovemberSonnenſch. bei fernemSchneegewoͤlk. 0,009. 103\( \frac{1}{2} \) \( \frac{1}{4} \)°R. 26Z.4,5 L. 80° + 1Lin.
23.ganz bezogen 0,006. 110 + 3. 26Z.6,8 L. 43° + 2Lin.
25.truͤbe. 0,009. 107\( \frac{1}{2} \) + 8. 26Z.10,7L. 43°
|40| Dagegen (vorige Herbſtbeobachtungenwaren in einem Garten von Salzburg an-geſtellt) zeigte ſich die Atmoſphaͤre in Wien im Sommer:
Kohlen-ſaͤure Thermo-meter Barometer Hygromet.
Am 22. Aug.blau. Himmel 0,007. +18\( \frac{1}{4} \)°R. 27.Z. 8,9L. 36°.
26.Lichte Wolken 0,014. + 17\( \frac{1}{2} \). 27.Z. 10 L. 41°.
29.blau 0,015. + 16\( \frac{3}{4} \). 27.Z. 9,2L. 40°.
|41| Ich werde an einem andern Orte einegroße Reihe anderer aͤhnlicher Beobachtun-gen aufſtellen. Hier iſt es genug zu zeigen,daß, ſo wie Durchſichtigkeit der Luftſchich-ten mir keineswegs allein von ihrer Trok-kenheit abzuhaͤngen ſcheint, eben ſo auchihr Kohlenſaͤuregehalt nicht im umgekehr-ten Verhaͤltniß zu den Hygrometerſtaͤndenwaͤchſt, oder abnimmt. Doch vermutheich, was fuͤr die Ernaͤhrung der Gewaͤchſe ſehr wichtig iſt, aber erſt durch eine langeErfahrung beſtaͤtigt werden muß, daß dieAtmoſphaͤre im Ganzen im Sommer mehrKohlenſaͤure, als im Winter enthaͤlt. In dem 19. §. erwaͤhnt Herr Ingen-houſz der vortreflichen Verſuche des Herrn van Marum uͤber die Zerſtoͤrung vegetabili-ſcher Reizbarkeit durch uͤbermaͤßige Elektri-citaͤt. Dieſe Erſcheinung habe ich noch ein-facher und auffallender im Sommer 1796bei folgenden Experimenten beobachtet. Ich |42| nahm friſche Bluͤthenſtengel von Galeopſistetrahit, Pollichia galeobdolon und La-mium purpureum, und leitete wiederholtſchwache Schlaͤge der Kleiſtiſchen Flaſchedergeſtalt durch dieſelben, daß die Elektrici-taͤt von dem oberſten Bluͤthenquirl bis zumuntern Stengelende fuhr. Nach wenigenSekunden verloren die Zweige alle Straff-heit der Gefaͤßbuͤndel, bei der ſie vorherſenkrecht aufwaͤrts ſtanden. Sie neigtenſich izt wie welke Grashalme nieder, unddie uͤbermaͤßige Elektricitaͤt brachte auf ein-mal dieſelbe Wirkung hervor, welche Ent-ziehung von Feuchtigkeit, oder Waͤrme nurallmaͤlig zu erzeugen im Stande iſt. Hierwar aber bloß Schwaͤchung der Lebens-kraͤfte, nicht mechaniſche Zerſtoͤhrung derOrgane eingetreten. Denn bei den Indivi-duen, welche nicht zu heftige elektriſcheSchlaͤge empfangen hatten, konnte ich dieLaͤhmung durch oxygenirte Kochſalzſaͤure |43| heben. Das Eintauchen des Stengels indieſe reizende Fluͤſſigkeit gab den Gefaͤßbuͤn-deln die vorige Straffheit wieder. DurchAnwendung chemiſcher Potenzen haben wires in unſerer Gewalt, die Erregbarkeit dervegetabiliſchen Faſer, wie die der animali-ſchen zu ſtimmen, und die Thaͤtigkeit derOrgane zu modificiren. Auch mit der lez-ten Klaſſe der Vegetabilien, den Schwaͤm-men, habe ich aͤhnliche Verſuche angeſtellt.Der kleine nach Knoblauch riechendeSchwamm, der ſich ſo ſchnell nach demRegen entwikkelt, Agaricus cepaceus *),wurde ſchnell in ſeinem Wachsthume ge-
*) Haͤufig mit dem weit groͤßeren, und vonihm verſchiedenen A. alliaceus verwechſelt.In der Flora Fribergenſis habe ich ihren bota-niſchen Unterſchied angegeben.
|44| ſtoͤhrt, wenn ich die Kleiſtiſche Flaſche durchihn entlud.

F. A. v. Humboldt.