Auszug aus einem Schreiben des Ober-Bergraths von Humboldt. Paris den 3. Junius 1798. Heute am 15. Prairial Morgens gegen 12 Uhr wurde die große Meſſung der Baſis zwiſchen Melun und Lieurſaint vollendet, und heute noch eile ich, Ihnen dieſe gewiß nicht unwichtige geographiſch-aſtronomiſche Begebenheit zu melden. Ich habe mit La Lande und unſerem vortrefflichen Freunde Burckhardt zwey überaus fröhliche Tage bey De Lambre zugebracht. Die Witterung, welche drey Decaden lang die Meſſung der Grundlinie ununterbrochen begünſtiget hatte, war in den letzten Tagen nicht minder ſchön. Dazu fanden wir Prony , und den ſiebzigjährigen Weltumſegler Bougainville , der ſehr lebhaft auf eine zweyte Schiffahrt denkt, auf welcher ihn ſein 15jähriger Sohn begleiten ſoll, zu Lieurſaint. Von den Regeln von Platina, der Art ihrer Bedeckung, dem Metallthermometer, welcher für minder als 0,2 eines Réaumuriſchen Grades empfindlich iſt, den Linguetten, die jedes Verrücken der Regeln nach dem Viſiren verhüten, dem Niveau, welches das Steigen und Fallen der Linie anzeigt, hat Ihnen ſchon Burckhardt geſchrieben. Ich füge nur noch hinzu, daß der Endpunct der Baſis unter dem Signale bey Lieurſaint an der Chauſſée nach Charanton vortrefflich geſichert worden iſt. In eine Mauer von wenigſtens 25 □ Fuß iſt, wo das Pendel von der Spitze des 75fußigen Signals herabgelaſſen wurde, eine bleyerne Scheibe eingelaſſen, von welcher der Endpunct das Centrum ausmacht. Da an den zwey Toiſen langen Regeln nichts, als die Linguetten getheilt ſind, ſo hätte es unbequem ſeyn können, wenn man ſich dem Endpuncte der Baſis ſo genahet hätte, daß die letzte Regel zur Hälfte über jenen Punct hinausgereicht hätte. Man würde denn dieſen Überſchuß ſehr ſorgfältig an einer eingetheilten einzelnen Toiſe haben nachmeſſen müſſen. Der Zufall begünſtigte und erleichterte aber dieſe Arbeit der Schließung, denn die letzte reichte nicht viel über vier Zoll über das Centrum des Signals hinaus, eine Größe, welche mit dem Handzirkel ſehr genau zu beſtimmen war. Auch wurde zu größerer Gewißheit jenſeits des Centrums eine neue Bleyplatte eingelaſſen, auf welche, mittelſt eines Bleyloths, der Endpunct der letzten Regel bemerkt ward. Die Baſis iſt lang befunden worden bey einer Temperatur von 32.8 Grad des Metall-Thermometers = 14 [Formel] ° Reaumur 6075,899914 Toiſen, oder auf den Eispunct reducirt, 6074,97653 Toiſen. Es ſcheint nun, als würde der Métre um [Formel] verlängert werden müſſen. — Doch ſage ich ausdrücklich, es ſcheint. Denn dieſe Zahlen ſind unter freyem Himmel berechnet, um die erſte Neugierde zu befriedigen, und bald werden wir Ihnen genauere Reſultate ſchicken können. Im nächſten Sommer wird dieſelbe Baſis von neuen gemeſſen. In 12 bis 14 Tagen geht De Lambre mit ſeinen Gehülfen nach Perpignan ab, wo Méchain nun wol ſeine letzten fünf bis ſechs Dreyecke vollendet haben wird, und wo die ſüdliche Baſis vor dem Winter zweymahl hinter einander gemeſſen werden ſoll. So viel Vertrauen, als die Vortrefflichkeit der Inſtrumente einflößt, welche zu dieſer Operation gebraucht werden, eben ſo viel flößt gewiß auch De Lambre’s perſönlicher Character ein. Es gehört dieſe ruhige Gemüths-Art, dieſe ſtille Heiterkeit, dieſe Unverdroſſenheit dazu, um eine Arbeit zu vollenden, welcher ſo viele phyſiſche, moraliſche und politiſche Hinderniſſe in den Weg treten! Da ich mich im Herbſt ohnedieß in Marſeille einſchiffe, ſo werde ich wol De Lambre’s Einladung annehmen, und vorher Perpignan berühren, um auch den dortigen Operationen beyzuwohnen. Bis dahin werde ich ſelbſt mit einem Lenoir’ſchen Kreiſe verſehen ſeyn. Im National-Inſtitut habe ich zwey Mémoirs über die Natur des Salpeter-Gas und die Möglichkeit einer genaueren Analyſe der Atmoſphäre vorgeleſen, welche Gegenſtände behandeln, die für die Theorie der Strahlenbrechung nicht gleichgültig ſind. Einen Theil meiner Verſuche habe ich hier gemeinſchaftlich mit Vauquelin im Laboratorium der Ecole des mines glücklich wiederholt. Dieſe Arbeit beweiſt, daß aller Salpeter-Gas mit Stick-Gas gemengt iſt, daß dieſe Beymengung die Affinität des Salpeter-Gas zum Sauerſtoff nach einem, in Zahlen zu beſtimmenden Verhältniß, modificirt, daß die vom unſterblichen Lavoiſier angegebene und überall nachgeſchriebene Beſtimmung von der Sättigung des Salpeter-Gas durch Oxygen falſch iſt, und dagegen (wenn man auch mit dem unreinſten Salpeter-Gas operirt) doch eine genaue Reduction der Fontana’ſchen Grade auf Hunderttheile möglich iſt. Fourcroy, Vauquelin und Guyton ſind jetzt mit mir von der Richtigkeit dieſer Reſultate überzeugt, wie von der Unvollkommenheit aller Phosphor-Schwefel-Eiſen- und Schwefel-Alcali-Eudiometer. Möchte dieſe Arbeit doch endlich wieder zur ſorgfältigen Zerlegung des Dunſtkreiſes führen, ein Gegenſtand, der ſeit 8 — 10 Jahren ganz vernachläſſigt worden iſt. Man ſchreibt ewig nach, daß der Lebensluft- Gehalt nur zwiſchen 0,27 und 0, 28 balancirt und im verfloſſenen Winter allein ging das Schwanken von [Formel] bis [Formel] wie ich durch eine Reihe von ſieben bis achthundert ſorgfältig angeſtellten Verſuchen beweiſen kann. Wie fruchtbare Reſultate ließen ſich nicht erwarten, wenn man in den Südländern eudiometriſche Verſuche mit denen über die Strahlenbrechung verbände? —