Erklärung. In dem 169. Stück des Intelligenzblatts der A. L. Z. 1796. habe ich eine vorläufige Nachricht von dem großen Magnetberge, den ich im verfloſſenen Herbſte im mittleren Deutſchlande entdeckt, bekannt gemacht. Die Lebhaftigkeit, mit welcher vaterländiſche Naturforſcher ſich ſeitdem mit dieſer und anderen verwandten Erſcheinungen beſchäftigt haben, beweiſet, wie fehr der Geiſt der Nachforſchung unter uns rege iſt. Wichtigere chemiſche und phyſiologiſche Arbeiten, die ich unabläßig zu vervollkommen ſtrebe, hindern mich, jenem geologiſchen Phänomene eine größere Muße zu widmen. Doch halte ich es für meine Pflicht in einer Sache, wo apodictiſche Entſcheidung unmöglich iſt, und wo der wahre Geſichtspunkt daher um ſo leichter verrückt werden kann, einige Fragen, welche achtungswerthe Männer an mich gethan, hiermit öffentlich zu beantworten. 1 . Iſt das Foſſil, welchem jene auffallende, bis zu den kleinſten Atomen ſichtbare Polarität adhärirt, wirklicher Serpentinſtein? — Der magnetiſche Gebirgsrücken gehört zu der Serpentinſteinformazion. Er enthält ſehr verſchiedene Lager von reinem lauchgrünen, an der Oberfläche verwittertem Serpentinſtein, von Chloritſchiefer, Hornblendſchiefer, und Mittelgattungen, die an Syenitſchiefer und Topfſtein grenzen. Geognoſten, welche die Gebirge in der freyen Natur beobachtet haben, werden ſich über das Zuſammenſeyn (Zuſammenbrechen) dieſer Foſſilien nicht wundern. Auch ſind die oryktognoſtiſchen Unterſchiede hier ganz gleichgültig, da es eine Thatſache iſt, daß ſich von zwey Stücken, welche neben einander brechen, und in denen ſowohl durch die Lupe, als nach kleinen chemiſchen Verſuchen kein Unterſchied der Miſchung zu bemerken iſt, das eine wirkſam, das andere unwirkſam bezeigt. Dagegen üben oft zwey andere ganz heterogene Stücke, von denen das eine reiner Serpentinſtein, das andere wahres Hornblendegeſtein iſt, eine gleich ſtarke magnetiſche Kraft aus. Hieraus folgt von ſelbſt, daß ſo nothwendig die chemiſche Unterſuchung jener Gebirgsart auf reguliniſches, nicht oxydirtes Eiſen iſt, ſo fruchtlos jede Bemühung einer völligen Zerlegung ſeyn wird. Jede Felskuppe jenes Magnetberges würde andere Reſultate geben. 2. Hat das Foſſil oder vielmehr haben die Gebirgsarten aus welchen der Magnetberg beſteht, einen beträchtlichen Eiſengehalt? — Bey der großen Verſchiedenheit der Miſchung iſt dieſe Frage weder zu bejahen, noch zu verneinen. Sollten auch Stücke entdeckt werden, die 40-60 p. C. Eiſen enthielten, ſo könnte dieſe Entdeckung doch nur wenig Aufklärung geben, da mehrere überaus wirkſame Stücke, die ich auf Nicholſon’s Wage gewogen, kaum ein ſpez. Gewicht von 1,91. (Waſſer = 1) haben. Ein großer Chemiſt, deſſen Anſehen beſonders in der analytiſchen Chemie allgemein anerkannt iſt, meldet mir, daß er wirkſame Stücke, in denen die Lupe nichts metalliſches zeigte, unterſucht und, wie ich, nur höchſt oxydirtes Eiſen gefunden habe. Hiedurch wird demnach beſtätigt; was ich vor fünf Monaten, wenige Tage nach der erſten Entdeckung äuſſerte; daß man ſich die magnetiſche Kraft entweder dem vollkommenen Eiſenkalche, womit das Foſſil tingirt iſt, oder den erdigten Stoffen adhärirend denken müſſe. Der Umſtand, daß man bisher nur reguliniſches oder höchſt ſchwach oxydirtes Eiſen magnetiſch befunden hat, und die Erfahrung, daß die Wirkſamkeit der Stücke oft im umgekehrtem Verhältniß zu ihrem Gewichte ſteht, ſpricht ſogar für den letzteren Satz jener Alternative. 3. Iſt fein eingeſprengter Magnet-Eiſenſtein die Urſache jener magnetiſchen Polarität? — Unter den vielen Stükken, welche ſeit den letzten Monaten zerſchlagen und unterſucht worden ſind, haben ſich allerdings einige gezeigt, in denen Talk, Glimmer, gemeine Hornblende, dichter Feldſpath, Schwefelkies und ſelbſt Magnet-Eiſenſtein eingeſprengt iſt. Herr Oberbergrath Karſten äußert ſich hierüber in einem Briefe an mich auf eine Art, welche den Geſichtspunkt der Streitfrage ſehr richtig beſtimmt: „Ich ſehe mit bloßen Augen hier und da ſehr fein eingeſprengten Magnet-Eiſenſtein, andere ſehen ihn wenigſtens mit dem Mikroſcop. Ich halte dieſen Magnet-Eiſenſtein aber für ganz zufällig und ſchlechterdings für unzuſammenhängend mit dem Hauptphänomen des Gebirgsrückens. Ich glaube, daß er wenig oder gar keinen Einfluß auf die phyſikaliſchen Eigenſchaften der einzelnen Stücke hat, denn ſein quantitatives Verhältniß iſt ſehr unbedeutend und ich habe, wie Sie, geſehen, daß jedes Stäubchen des erdigten zerriebenen Pulvers des Foſſils ohne alle Schwierigkeit vom Magnet gezogen wird. Wie kann man nun glauben, daß der ſparſam eingeſprengte Magnet-Eiſenſtein (der in ſo vielen Stücken ohnedies ganz fehlt) „die Urſach jener intereſſanten Erſcheinung ſeyn ſollte?” — Wie aber, wenn außer dieſem hier und da ſichtbaren Magnet-Eiſenſtein ein anderer unſichtbarer ſo fein in dem Foſſile zertheilt wäre, daß er ſich in jedem zerpulverten Stäubchen gleich gegenwärtig und wirkſam zeigte? Wer die Möglichkeit dieſer Annahme mit der Erfahrung von dem geringen ſpec. Gewichte der wirkſamſten Stücke und mit den chem. Erfahrungen, welche nur höchſt oxydirtes Eiſen verkündigen, zuſammenreimen kann, der freilich iſt für mich unwiderleglich! 4. Beſitzt nicht aller Serpentinſtein in einem ſchwächeren Grade einige magnetiſche Kraft? — Nicht nur einige Serpentine, ſondern einige Abänderungen von Jade, Pechſtein und Feldſpath beunruhigen die Magnetnadel, da hingegen vieler faſrigter brauner Eiſenſtein ſie nicht afficirt. Die Urſach dieſes Phänomens verdient die genaueſte Prüfung. Einer meiner mineralogiſchen Freunde, Herr von Schlottheim, hat hierüber eine ſchöne Experimentalunterſuchung angefangen. Eigenthümliche Polarität habe ich bisher in jenen Foſſilen noch gar nicht gefunden, doch halte ich das Daſeyn dieſer Eigenſchaft für ſehr wahrſcheinlich. Dagegen habe ich Gelegenheit gehabt, in Deutſchland und Italien ſehr viele, weit verbreitete Lager von Serpentinſtein und anderen dieſer Formation untergeordneten Gebirgsarten zu beobachten, welche die Bouſſole gar nicht afficirten. Gäbe es Condenſatoren und Duplicatoren des Magnetismus, wie man ſie für die Electricität hat, ſo zweifle ich nicht, daß auch jene Gebirgsarten einige Einwirkung geäußert hatten. Aber welch ein Unterſchied zwiſchen einer ſolchen Kraftsäußerung und der eines Hügels, welcher in 22 Fuß Entfernung den Pol der Magnetnadel invertirt —? 5. Iſt der von dem verewigten Fichtel beſchriebene Magnet-Serpentin von Paß Vulkan mit dem von mir beſchriebenen identiſch? Nach Fichtels eigener Ausſage ſind beide bis jetzt von einander zu unterſcheiden, da jener allemal Magnet- Eiſenſtein in Körnern eingeſprengt enthält. Neue Unterſuchungen werden indeß lehren, ob jene Siebenbürgiſchen Felsmaſſen nicht auch beſtimmte Magnetaxen haben, ob dieſe Axen nicht unter ſich parallel ſind oder einen beſtimmten Winkel mit der Magnetaxe des Erdſphäroids halten? Kein Phänomen ſteht einzeln in der Natur da, und die ſchönſte Frucht phyſikaliſcher Entdeckungen iſt die, ähnliche, aber wichtigere zu veranlaſſen. Im März 1797. F. A. v. Humboldt.