Ueber die merkwürdige magnetische Polarität einer Gebirgskuppe von Serpentinstein. Aus einem Briefe vom Herrn Oberbergrath F. A. v. Humboldt an den Herausgeber. -- Mehrere angefangene chemische Arbeiten, deren Vollendung ich noch entgegensehe, hindern mich, Sie mit Gegenständen zu unterhalten, welche kein geringes Interesse für den Scheidekünstler haben. Ich benutze daher die wenige Muße, welche mir heute übrig bleibt, um Ihnen eine Thatsache zu melden, welche ich auf einer Fußreise im vorigen Monathe entdeckte. Das Interesse der Physiker ist so lange von den Erscheinungen des Magnetismus abgelenkt gewesen, daß es mich doppelt freuen würde, dasselbe durch jene Entdeckung vielleicht von neuem darauf zu heften. -- Auf einer geognostischen Tour, welche ich mit zween Freunden, Herrn Münzmeister Gödeking und Herrn Oberbergmeister Killinger durch das Oberpfälzische und angränzende Gebirge machte, stieß ich auf eine Gebirgskuppe von Serpentinstein, dessen Fallungswinkel ich mit der Boussole bestimmen wollte. Kaum näherte ich dieselbe dem anstehenden Gestein, so sahe ich den Südpol meiner Magnetnadel mit Heftigkeit aus ihrer Lage und in den wahren Norden gerissen. Ich glaubte das Phänomen der Harzer Schnarcher, (an denen ein magnetischer Streifen herab läuft), hier erneuert zu sehen. Meine Freunde traten herzu und wir erstaunten nun über alles, was wir sahen. Ich behalte mir vor, in der Folge eine umständlichere Beschreibung jener Gebirgskuppe bekannt zu machen. Doch muß ich Ihnen vorläufig folgende Verhältnisse entwickeln. Die Kuppe ist dergestalt gegen die Erdachse gerichtet, daß das Gestein, am nördlichen Abhange, bloße Südpole, am südlichen Abhange bloße Nordpole zeigt. Gegen Westen und Osten liegen Indifferenzpunkte. Die Masse besteht aus reinem Serpentinstein, meist von lauchgrüner Farbe, der hier und da in Chloritschiefer übergeht. Einzelne Punkte sind so magnetisch, daß sie in einer Entfernung von 22 Fuß die Magnetnadel aus ihrer natürlichen Lage reissen. Das Gebirge hat nicht eine Achse, sondern viele, die aber nicht in einer Ebene liegen. Zwischen zwey wirksamen Nordpolen liegt völlig unwirksames Gestein, welches aber weder durch äußere Kennzeichen, noch durch seine Mischung von dem wirksamen zu unterscheiden ist. Wenn man an diesem Gebirge einige Achsen astronomisch genau in ihrer Lage bestimmte, so wäre es eine wichtige Untersuchung, ob der invertirte Nordpol in der Folge der Zeiten eben so gegen Osten, wie der magnetische Nordpol des Erdsphäroids gegen Westen fortrücken würde? Mit dem Saussurschen Magnetometer wäre zu bestimmen, wie die magnetische Kraft, von Gewittern und Nordlichtern, von Sommerhitze und Winterkälte afficirt werde. Bey den Schnarchern ist es (wie Herr Freiesleben in seinen vortreflichen Bemerkungen über den Harz gezeigt hat), nicht unwahrscheinlich, daß ein Blitzstrahl in dem Granit jenen magnetischen Streifen hervorgebracht habe, daher auch nur der ganze Fels und nicht Bruchstücke wirksam sind. Unsere Gebirgskuppe zeigt eine viel größere Erscheinung. Nicht bloß das anstehende Gestein, sondern auch jedes noch so klein abgeschlagene Stück hat seine beiden Pole, seine eigene magnetische Achse. Stücke von 8 Zoll Durchmesser afficiren die Magnetnadel auf 4 -- 6 Zoll Entfernung. Ich habe nie einen Magnetstein gesehen, der die Polarität bey der Zerkleinung in solcher Vollkommenheit beybehält, als dieser Serpentin. Splitter von [Formel] Cubiclinie wälzen sich (wie die Lupe deutlich zeigt), wenn man ihnen freundschaftliche oder feindliche Pole eines Magnetstabes entgegen hält. Man sieht hier recht eigentlich (wie es Coulomb's Theorie annimmt), ein Fossil, das bis in die kleinsten molecules aus einzelnen Magneten zusammengesetzt ist. Noch mehr! Eben der Serpentinstein, welcher eine so auffallende Polarität äußert, zeigt bis jetzt keine Spur von Anziehung gegen unmagnetisches Eisen. Das zerriebene Fossil hängt sich als Bart an den Magnetstab an, aber Stücke, welche den Südpol auf 3 Zoll Entfernung durch den ganzen Halbcirkel gegen Norden reissen, bewegen kein Eisenstäubchen aus ihrer Stelle. Und wie leicht zeigen sonst die schwächsten Magnete diese Ziehkraft! Untersuchen Sie das eiserne Hausgeräthe. An Schlüsseln, Lichtscheeren und allen Werkzeugen, in denen das magnetische Gleichgewicht durch Schläge zufällig gestöhrt wird, finden Sie häufig beiderley Pole. Eben diese Lichtscheeren bewegen aber auch die Eisenfeile. -- Welchem Bestandtheil des Serpentinsteins adhärirt aber jene wunderbare magnetische Kraft? Das ist eine Frage, die sich einem von selbst aufdringt. Weit davon entfernt sie jetzt schon entwickeln zu wollen, melde ich Ihnen bloß, daß das Fossil bis auf einige Talkschuppen und Hornblende, ganz ungemengt ist. Zerpulvert ist auch schlechterdings nichts metallisch-glänzendes darin zu erkennen. Der Magnet zieht ein Atom des berggrünen erdigen Pulvers, wie das andere, an. Das specifische Gewicht des Fossils ist sehr geringe, ja nächst dem Bimstein und einigen Abänderungen der Opale, gehört es zu den leichtesten Steinarten, die wir kennen. Das Wasser = 1 hat der Serpentinstein von 1,901 bis 2,04. Alle chemischen Versuche, welche ich bisher mit meinem Freunde, Herrn Gödeking, (in dessen Kenntnissen ich eine lehrreiche Unterstützung finde), angestellt habe, beweisen, daß das Eisen, welches der Serpentinstein enthält, in einem höchst oxydirten Zustande sich befindet. Will man nicht annehmen, daß die magnetische Kraft einer Erdart adhäriren könne, so muß man sie dem Eisenkalke zuschreiben, womit dieser und alle Serpentinsteine tingirt sind. Wir wissen, daß regulinisches Eisen, Nickel und Kobalt vom Magnete gezogen werden, und selbst Magnetismus annehmen. Wir wissen, daß schwach oxydirtes Eisen (im schwarzen Kalke) den Magneten ebenfalls afficirt -- aber welch ein Unterschied zwischen dieser Eigenschaft und einer eigenthümlichen Polarität, zwischen dem schwarzen Eisenkalke und dem, welcher den Serpentinstein, viele Kalksteine, den Sapphir und Chrysoberyll tingirt. Vouloir etablir des theories avant d'avoir rassemble les faits, construire quand on n'a pas meme encore observe, c'est un erreur qui de tout tems a arrete la marche de nos connoissance. Condorcet -- Esquisse d'un Tableau histor. des progres de l'esprit humain. 97. p. 61. Physiker und Mineralogen, welche das magnetische Fossil selbst zu untersuchen wünschen, haben sich mit postfreyen Briefen an den Herrn Bergamtsgegenschreiber Linz zu Goldcronach bey Bayreuth zu wenden, welcher ihnen Stücke zu 16 Gr. bis 2 Thaler überläßt. Der Ertrag dieses kleinen Mineralienhandels ist zu einem Fond bestimmt, der unter öffentlicher Autorität steht und der Unterstützung dürftiger Bergleute gewidmet ist. Auch zu Freyberg, Regensburg, Leipzig und Berlin werden Depots vom neuen Fossil angelegt.