Ankuͤndigung. Es iſt den Phyſikern bereits durch meine phyſiologiſchen Briefe an Hrn. Blumenbach, welche in Hrn. Gren’s neuem Journal der Phyſik erſchienen ſind, und durch die Aufforderung mehrerer Gelehrten bekannt, daß ich ſeit einigen Jahren mit einer Unterſuchung uͤber die Reitzempfaͤnglichkeit thieriſcher Organe beſchaͤfftigt bin. Ich habe nicht voreilig mit der Herausgabe dieſer Beobachtungen ſeyn wollen, um dieſelben durch ſorgfaͤltige Pruͤfung und Vervielfachung meiner Verſuche ſo zu beſtaͤtigen, als es der große Gegenſtand verdient, uͤber den ich dieſe Arbeit unternommen. Jetzt glaube ich es endlich wagen zu duͤrfen, dieſelbe dem Publikum vorzulegen, und ſie wird einige Zeit nach Johannis in Berlin (bey Decker und Comp. in Poſen gedruckt) unter dem Titel erſcheinen: Verſuche uͤber die gereitzte Muskel- und Nervenfaſer, nebſt Vermuthungen uͤber den chemiſchen Prozeß des Lebens, von Friedrich Alexander v. Humboldt — mit einigen Anmerkungen des Hofr. Blumenbach und Kupfertafeln. Dieſe Schrift faͤngt mit den Galvaniſchen Verſuchen an, nicht als wenn dieſe den Hauptgegenſtand derſelben ausmachten, ſondern weil ſie mich gleichſam zu den folgenden Beobachtungen uͤber die Vitalitaͤt leiteten. Durch die Art, wie ich die Galvaniſchen Verſuche anſtelle, ohne alle Metalle und kohlenſtoffhaltige Subſtanzen, zum Theil mit bloß organiſch verbundenen thieriſchen Theilen glaube ich unwiderſprechlich beweiſen zu koͤnnen, daß der Stimulus in dieſem wunderſamen Phaͤnomene von den Organen ſelbſt ausgeht, und daß ſich dieſelben dabey keineswegs leidend verhalten. Ich habe mich ſorgfaͤltig bemuͤht, die Thatſachen von den Vermuthungen uͤber ihre Urſachen zu trennen, weil es mich unendlich ſchmerzen wuͤrde, Facta, deren Erforſchung mir ſo viel Anſtrengung gekoſtet, mit den theoretiſchen Vermuthungen ſogleich vergeſſen zu ſehen. Auch legte ich mir das Geſetz auf, nur neue Beobachtungen zu liefern, und der aͤltern nur dann zu erwaͤhnen, wenn ich ſie erweitern oder umſtoſſen konnte. Die Hauptgegenſtaͤnde, welche ich behandle, ſind folgende: Allgemeine Bedingungen, unter denen Galvaniſche Muskelbewegungen erfolgen, nach verſchiedenem Zuſtande der Empfaͤnglichkeit der Organe — Erhoͤhte und mindere Erregbarkeit, poſitive und negative Faͤlle nach beſtimmten Geſetzen — Ausdruck derſelben durch allgemeine Zeichen nach Art analytiſcher Formeln — Wirkung der Nerven als Anthrakoſkop — Unterbindung und Zerſchneidung derſelben — Einſtroͤhmen eines Fluidums durch nicht‒cohaͤrirende Theile — Senſible Atmoſphaͤre der Nerven und Beſtimmung ihrer Groͤße nach verſchiedenen Graden der Lebenskraft — Wie die thieriſche Materie aus der Entfernung wirkt — Unterſuchung deſſen, was im Leiter vorgeht — Neue Galvaniſche Verſuche mit Menſchen, Inſecten und Wuͤrmern — Verſuche mit Herznerven — Erklaͤrungsarten des Galvaniſchen Reitzes, und Anreihung dieſer Erſcheinungen an andere fruͤher beobachtete Erſcheinungen — Widerlegung der Voltaſchen Theorie — Die Flamme iſt kein Leiter des Galvaniſchen Fluidums — Belegung der Metalle mit Hauch, Dampf-Electrophor — Nutzen des Metallreitzes — Wunderſame Erſcheinungen bey Blaſenpflaſtern — Neue Methode durch den Galvaniſchen Verſuch die Reitzempfaͤnglichkeit der thieriſchen Organe zu pruͤfen — Entdeckungen uͤber den ſpecifiſchen Reitz der irritablen und ſenſiblen Fiber — Ruͤckblick auf das einſeitige Brownſche Syſtem von ſtheniſcher und aſtheniſcher Kraft — Wirkungen der Alkalien auf die Nerven, und der Saͤuren auf die Muskelfaſer — Verſuche mit oxydirtem Arſenik, oxygenirter Kochſalzſaͤure, aufgeloͤſ’tem Ammoniak, und andern Stoffen auf die thieriſchen Organe. (Ein getrenntes Organ, mit irritabeln ſenſibeln Fibern verſehen, kann in wenigen Sekunden vom Zuſtande der tiefſten Unerregbarkeit zu dem der hoͤchſten Reitzempfaͤnglichkeit erhoben, und von dieſer wiederum zu jener herabgeſtimmt werden. Dieſer Wechſel erhoͤhter und geminderter Lebenskraft iſt in einem Nerven vier bis fuͤnf Mahl eben ſo willkuͤrlich hervorzubringen, als die Hand des Kuͤnſtlers die Saiten eines Inſtruments an- und abſpannt). Reitzempfaͤnglichkeit der Organe im Sonnenlichte, bey verſchiedener Temperatur im Sauerſtoffgas, Stickgas und Waſſerſtoffgas und im Zuſtand der Ruhe — Unterſuchung der Frage, ob vermehrte oder verminderte Erregbarkeit in der veraͤnderten Structur der Faſer oder in Mittheilung eines gasfoͤrmigen Stoffes gegruͤndet iſt. — Ein einziger Stoff, das Oxygen, beſtimmt nicht den Grad der Lebenskraft. Beweis, daß das Azote eine unendlich groͤßere Wirkung auf die erhoͤhte Erregbarkeit der Organe hat — Vermuthungen uͤber den chemiſchen Prozeß der Vitalitaͤt und die Verhaͤltniſſe, welche dieſen Prozeß befoͤrdern, hemmen, und wieder erwecken — Die Lebensverrichtungen ſind mehrern Stoffen zuzuſchreiben — Muskelbewegung, ihre Staͤrke und Schwaͤchung — Tod — Zweyfacher Zuſtand der thieriſchen Faſer im Tode — Faͤulniß — Wirkung der Nervenkraft auf dieſelbe — Definition belebter und unbelebter Materie — Vermuthungen uͤber den Charakter thieriſcher Individualitaͤt. Im Maͤrz 1796. F. A. v. Humboldt.