Ueber die gereitzte Muskelfaser, aus einem Briefe an Herrn Hofrath Blumenbach vom Herrn Oberbergrath F. A. von Humboldt. Ihre gütige Aufforderung, meine vielfachen Versuche über die Irritabilität der Thiere endlich einmal öffentlich bekannt zu machen, hat mich veranlaßt, was ich in den lezten drey Jahren darüber aufzeichnete, zu sammeln und in ein Ganzes umzuschmelzen. Der stete Wechsel meines Aufenthalts, zu dem mich meine öffentliche Lage veranlaßt, und das Umherziehen in Gebirgen, wo Bücher und wissenschaftlicher Umgang fehlen, hat mich manches für neu ansehen lassen, was es nun nicht mehr ist, da Zufall oder Forschungsgeist andere Physiker auf denselben Weg leiteten. Herrn Pfaffs neueste trefliche Schrift, über thierische Electricität. Leipzig 1795, hat mich, am Ziele meiner Arbeit, veranlaßt, sie noch einmal gänzlich umzuformen. Vergleichen Sie selbst, lieber B., was ich Ihnen im April von meinem Manuscripte schickte, mit Herrn Pfaffs Versuchen, und Sie werden sehen, wie wundersam sich zwey Menschen begegnen, die an so entfernten Orten in der physiologischen Untersuchung fortschritten. So ehrenvoll dieses Begegnen auch für mich ist, so pflichtwidrig schien es mir, dem Publicum einerley Materialien in verschiedenen Formen vorzulegen. Es kommt hier auf Erweiterung der Wissenschaft, nicht auf eine elende Priorität der Ideen an. Ich mache es mir daher zum Gesetz, nur das in meine Schrift überzutragen, was ich nach strenger (nicht ohne Aufopferung angestellter) Prüfung noch für neu halte, oder was ältere Versuche auf eine erweiternde Art bestätigte. Diese Schrift wird unter dem Titel: Physiologische Versuche über gereitzte Nerven und Muskelfasern mit allgemeinen Betrachtungen über die Natur des Thier- und Pflanzenkörpers, erscheinen. Mein Hauptzweck dabey war, durch Abänderung der Versuche der Ursach des Metallreitzes nachzuspühren. Ich glaube hier einen Schritt weiter gerückt zu seyn, und empfehle Ihnen einen Hauptversuch, der mich zu vielen andern, sehr lehrreichen Versuchen geleitet hat. Wenn Muskel und Nerv mit gleichartigen Reitzern (z. B. mit Zink) bewafnet sind, so entsteht keine Zuckung, wenn auch Silber auf der Nervenarmatur liegt und man mittelst des Zinks den Muskel und dieß Silber verbindet. Geben Sie dem Silber aber auf einer Seite eine Belegung mit dem Hauch Ihres Mundes, gießen Sie einen Tropfen Wasser, Säure, Alkohol u. s. f. darauf, so ist die Zuckung augenblicklich da. Eben so können Sie die Lebenskraft des Thiers erwecken und nicht erwecken, wenn Sie in der zirkelförmigen Kette Nerv, Gold, Zink, Gold und Muskel verbinden, und der Zink bald benetzt, bald unbenetzt ist. Das wirkende Metall (hier Zink, im ersten Fall Silber) muß schlechterdings mit einem feuchten leitenden Körper in Verbindung stehen. Liegt es zwischen zwey Reitzern, (zwey Metallen, Kohle, Graphit,) ist die Kette z. B. Nerve, Gold, Zink, Silber, Gold, Muskel, so erfolgen keine Zuckungen beym Unterbrechen oder Schließen derselben. Diese Versuche sind nie fehlend, wenn sie mit Genauigkeit und Feinheit angestellt werden. Ich habe sie in Gegenwart so vieler Personen und so oft wiederholt, daß ich keck behaupten kann, sie mißlingen nur dann, wenn der Zink, oder das Silber, (wenn man sie trocken wähnte,) vom dünnsten Hauche bedeckt ist. Statt die Reitzer zu benetzen, kann man (wenn z. B. Zink auf der goldenen Armatur des Nerven liegt) auf diesen Zink ein Stück frisches Muskelfleisch von 2 bis 3 Kubiklinien legen. Verbinden Sie dieß, mittelst Gold, mit dem Froschschenkel, so ist der heftigste Reiz vorhanden . In dem Stückchen Muskelfleisch selbst ist aber keine Zuckung, wenn es auch einen sichtbaren eigenen Nerven hat. Sie erfolgt erst (mit dem Froschschenkel gleichzeitig,) wenn das Gold den Schenkel, das Muskelfleisch und den Zink zugleich berührt. Aufmerksame Leser werden diese Versuche nicht mit der Ableitung durch Zink, welche Herr Pfaff so lehrreich beschreibt, verwechseln. S. Ueber thierische Electricität, Leipzig 1795. S. 17. Hier, denk ich, sind wir auf einem viel versprechenden Wege. Hier wirken feuchtes Muskelfleisch, Säure, Alkohol, Morchel, Hauch, wohl nicht als bloße leitende Substanzen. Von ihrer Berührung mit dem Metalle hängt alles ab; sie sind als die excitirenden Stoffe anzusehen, von denen alles ausgeht. Mit diesem Kardinalversuch treten wir dem Wesen des Galvanismus näher. Der ausdünstende Nerv und der ausdünstende Schenkelmuskel liegen an gleichartigen Metallen an. Es erfolgt kein Reiz. Unbelebte Substanzen, die fast nichts mit einander gemein haben, als Leichtigkeit des Uebergangs vom tropfbaren Zustande in den gasartigen, unbelebte Substanzen treten in die Kette. Sie liegen an einem Reitzer, der von jenen am Nerv und Muskel verschieden ist. Nun erfolgt Schlag, wie wenn + E und -- E sich verbinden, nun ist die Zuckung augenblicklich da. Also ist das bey Verdampfungen allgegenwärtige, nur von der Insel der antiphlogistischen Chemie verbannte, electrische Fluidum hier wirkend? Electricität selbst wohl schwerlich, aber vielleicht etwas, was der gefrornen Fensterscheibe, dem Nordlichte, dem Electrophor, dem Magnete, dem Sonnenlichte u. s. f. gemein ist. Ich berühre diesen Punkt ungern, ehe ich nicht alle meine Versuche im Zusammenhange darstelle. Wenn unsere sogenannten physikalischen Versuche immer weniger zeigen, als der fromme Wunsch des Theoretikers heischt, so läßt der Galvanische Versuch auch den ungebildetsten fühlen, daß mehr in ihm liegt, als in der dürftigen Erklärung der Lombardischen Physiologen. In allem, was sich auf den Mechanismus der vegetabilischen und animalischen Organisation, auf Leben bezieht, ist es immer schon viel zu sagen: hierin liegt es, damit hängt es zusammen. Was es ist, möchte wohl schwerlich jemals ganz erklärt werden. Man weiß, daß die Erscheinung des Regenbogens, weil sie auf construirbaren Begriffen beruht, fast die einzige in der ganzen Physik ist, welche vollkommen erklärt wird, und man sucht eine Analyse des Lebens eben so, wie man das Radical der Kochsalzsäure sucht! Wenn ich beym Metallreitz im zerschnittenen Ischiadischen Nerven bey jeder Zuckung von Nerv zu Nervenende Funken überströhmen sähe, wenn das Bennetsche Electrosop deutlich + E anzeigte, so ließe meine Logik mich doch nicht schließen: was im Nerven ströhmt, was, von der Willenskraft gelenkt, den Muskel regt, sey Electricität selbst. Es kann ja E mit anderen unbekannten Stoffen x und y verbunden seyn, x und y können die einzig wirkenden, E bloß die concommittirende Kraft seyn. Electricität macht nur rege, was der lebendigen Nervenfaser eigen ist. -- -- Versuche an Menschen sind schwer anzustellen, weil das Subjective unserer Phantasie sich hinein mischt. Doch sind sie gerade die interessantesten, am wenigsten erforschten. Ich habe Gelegenheit gehabt, eine Reihe sehr auffallender an mir selbst zu sammeln. Es kommt dabey nur auf Entblößung vom Nerven an, die ich mir bey zufälligen und vorsezlich erregten oder unterhaltenen Wunden verschafte. Ich muß Ihnen hier nur eines Versuchs erwähnen: ich ließ mir zwey Blasenpflaster, den Musc. Trapez. und Deltoid. bedeckend legen, und fühlte bey der Berührung mit Zink und Silber ein heftiges, schmerzhaftes Pochen, ja der Muscul. cucullar. schwoll mächtig auf, so daß sich seine Zuckungen aufwärts bis ans Hinterhauptbein und die Stachelfortsätze des Rückenwirbelbeins fortpflanzten. Eine Berührung mit Silber gab mir 3 bis 4 einfache Schläge, die ich deutlich unterschied. Frösche hüpften auf meinem Rücken, wenn ihr Nerv auch gar nicht den Zink unmittelbar berührte, einen halben Zoll von demselben ablag und nur vom Silber getroffen wurde. Meine Wunde diente zum Leiter, und (das ist sehr wichtig) ich empfand nichts dabey. Meine rechte Schulter war bisher am meisten gereitzt. Sie schmerzte heftig, und die durch den Reitz häufiger herbeygelockte lymphatische seröse Feuchtigkeit war roth gefärbt und wie bey bösartigen Geschwüren so scharf geworden, daß sie (wo sie den Rücken herablief,) denselben in Striemen entzündete. Dies Phänomen, welches Herr von Schallern, ein kenntnißvoller hiesiger Arzt, beobachtete, war zu auffallend, um es nicht behutsam noch einmal zu beobachten. Der Versuch glückte. Die Wunde meiner linken Schulter war noch mit ungefärbter Feuchtigkeit gefüllt. Ich ließ mich auch dort stärker mit den Metallen reitzen, und in 4 Minuten war heftiger Schmerz, Entzündung, Röthe und Striemen da. Der Rücken sah, rein abgewaschen, mehrere Stunden wie der eines Gassenläufers aus! Wer möchte hier nicht, lieber B., Ihrer scharfsinnigen Theorie über die vita propria der Gefäße gedenken? Der heftigste Reitz für Empfindung und (um mit Sömmering zu reden) Spannkraft zugleich scheint das Galvanische Zinklavement zu seyn, wobey die Muskeln am After gereizt werden. Frösche ohne Kopf thun dabey 5 bis 6 Zoll weite Sätze; einen Vogel, der nicht mehr athmete, auf mechanischen Reitz unempfindlich war, habe ich dadurch zu heftigem Schlagen mit den Flügeln gebracht, welche fortdauerten, da ihn der Zink nicht mehr berührte. Die Zunge wird dabey durch einen Metallstreifen gleichsam verlängert, und in eine Gegend geleitet, in die sie sich sonst nicht verirrt, und von der die Natur sie so vorsichtig entfernt hat! Morcheln, alle drey Arten, die man mit diesen Namen belegt, Phallus esculentus, Helvella mitra und H. sulcata Willd. Flor. Ber. n. 1758. ferner Agaricus campestris, A. clypeatus, Thaelaephora glabra, alle Schwammarten, welche gefault einen cadavrösen Geruch von sich geben, zeichnen sich beym Metallreitz wundersam aus. Sie sind vollkommnere Leiter, als andere feuchte Substanzen, ja sie sind es durch ihre eigenthümliche Lymphe, durch den Organismus ihrer (Muskel.?) Faser. Die filzige sammtartige Oberfläche der frischen Morcheln, auf Wolle trocken gerieben, leitet. Eben so Morcheln, die in Asche leise gedörrt sind, während daß Pflanzenblätter und Stengel nicht leiten. Erinnern Sie sich meiner chemischen Versuche über die Schwämme, welche meiner Flora freibergensia subterranea angehängt sind? Die Analogie zwischen Schwämmen und thierischen Substanzen ist auffallend. Deshalb sind Schwämme aber weder Thiere noch Thierprodukte. Ich habe zwey neue Excitateurs gefunden, mit deren chemischen Analyse ich noch beschäftigt bin, und die mir schon darum interessant scheinen, weil sie sich an die vorigen Entdeckungen anschließen. Auf einer unserer Nailaer Gruben, der Oberen Mordlau Fundgrube zu Steeben, bricht auf einem mächtigen Gange (ein uranfänglicher Thonschiefer) lydischer Stein mit dichtem und fasrigem braunen Eisenstein, Quarz, Arsenikalkies und etwas fasrigem Malachit. So äußerst auffallend dieß Vorkommen des Lydischen Steins auf Gängen ist, so ist es das Fossil selbst auch wegen seiner chemischen Mischung. Es färbt auf den Klüften ab, und enthält eine beträchtliche Menge (mineralischen) Kohlenstoffs. Ich habe Schwefelleber daraus bereitet, Salpeter damit verpuffen lassen, ätzendes vegetabilisches Laugensalz in kohlensaures verwandelt. Ich wurde darauf aufmerksam, da mein gepulverter (wahrscheinlich feuchter) lydischer Stein unter dem pneumatischen Apparate kohlensaures Gas mit etwas Wasserstoffgas umhüllt, eine Art Hydrogene pesant, gab. Dieser lydische Stein nun erregt als Nervenarmatur die heftigsten Zuckungen mit Gold und Zink. Er reitzt am meisten auf den Klüften, oft aber auch an Stellen, wo der Graphit sehr innig gemengt seyn muß. Er verhält sich dabey eben so sonderbar, als die bald reitzende, bald nicht reitzende Pflanzenkohle. Ich habe Stellen gesehen, die keine Zuckungen gaben und wenn sie gleich abfärbten. Hier mag alles auf einer feinen Umhüllung der Stoffe beruhen. Auch Alaun und Vitriolschiefer (ein Lager im Urtrapp oder uranfänglichen Grünstein bey Bernek ) excitiren wie die Metalle. So wird die lebendige Nervenfaser gleichsam ein Mittel chemische Bestandtheile der Stoffe vorherzusagen. So haben wir den Nerv als Anthrakoscop, so wie es Hygroscope und Electroscope giebt, die aber alle neben dem Kohlenstoff, neben dem Wasser und neben der Electricität leider! noch manches andere mit anzeigen. Herrn Reils geistreiche Abhandlung de irritabilitatis notione, natura et morbis hat mich zu manchem wichtigen Versuche geleitet. Solche Schriften gehören unter die seltenen Erscheinungen, deren unser Jahrzehend bedarf. Was in der schönen Abhandlung über das Gehirn (in Grens Neuem Journal. B. 1. 1795. S. 113.) über sensibele Atmosphären gemuthmaßt wird, glaube ich an meine Versuche auschließen zu können. Ich fand bereits vor zwey Jahren, daß, wenn ein Nerv zerschnitten wird, man die Enden desselben um 1 -- [Formel] Pariser Linien von einander entfernen kann. Das unbekannte Fluidum G ströhmt doch über, wenn nur das abgeschnittene getrennte Nervenende und der Schenkel gehörig armirt sind. Ja, ich habe einigemal sehr deutlich den Reitz erfolgen sehen, als ich mit der silbernen Pincette nicht das Nervenstück, welches noch mit dem Muskel verbunden bleibt, sondern das getrennte mit Zink armirte berührte. Ich habe deutlich (und vorsichtige Männer mit mir) beobachtet, wie mit abnehmender Lebenskraft der sensible Wirkungskreis (der Name Atmosphäre ist wohl zu hypothetisch,) von [Formel] Linie bie [Formel] Linie abnahm, wie endlich, um noch zu reitzen, Berührung oder Wiedervereinigung der Nervenenden nöthig war. Die vermeinten Ostiola der Nervenbündel brauchen (weil sie nicht da sind,) einander nicht gegenüber zu liegen, sondern jeder Nerv verbreitet, gleich einem magnetischen Stabe, einen Wirkungskreis um sich, der sich durch eine punktirte Linie von 1 bis [Formel] Linien Abstand vom Nerven angeben läßt. Kommt ein anderes Nervenstück innerhalb dieser Gränze, so ist die Zuckung augenblicklich da. Dieser Versuch ist für die Physiologie, welche bisher immer Nerven brauchte, wo die Zootomie sie nicht finden lehrte, wichtig. Ich habe ihn in- und außerhalb Deutschland auf meinen Reisen so vielen Personen gezeigt, auf Glastafeln so behutsam angestellt, daß hiebey keine Täuschung möglich war. Für diejenigen, welche einwenden, der Nerv lasse Feuchtigkeit ausfließen und diese Feuchtigkeit verbinde die zerschnittenen Nervenstücke, flicke sie gleichsam, (so wie ich sie wirklich mit kahlen Rattenschwänzen, gekochtem Schinken, Mäuseembryonen und Morcheln auf 5 bis 6 Zoll glücklich geflickt habe,) merke ich an: daß ich zweymal, da der Nerv mit Zink armirt und der dem Frosch zugebrachte Fuß der silbernen Pincette mit 2 bis 3 Kubiklinien frischem Muskelfleisch umwickelt war, sehr lebhafte Zuckungen erregt habe, indem ich mich mit dieser Pincette dem Frosche irgendwo auf [Formel] Linie nahete. Es sah wie ein Anblasen aus, und hier tröpfelte nichts herab, wenigstens kein Nervensaft, den gewisse Menschen, (wie den Sauerstoff und Stickstoff) gern in Pillenschachteln und Gläsern einfach dargestellt hätten. Daß aber etwas Materielles von einem Nervenende ins andere, oder (wie im lezten Versuche) vom Muskelfleisch an der Pincette in den Schenkel übergieng, leugne ich nicht. Wie wäre sonst eine Wirkung par distance denkbar? Die Annahme gasförmiger Ausströhmung ist aber dem Einwurf, als habe die nasse Glasplatte das unbekannte Fluidum G von Nerv zu Nerv geleitet, völlig entgegen. Der Versuch mit der Pincette scheint nur bey auffallend lebhaften Individuen zu gelingen. Er sah einem Zauber ähnlich und ich kann nie ohne Wohlgefallen an ihn zurückdenken. Der unbewickelte Theil der Pincette leitete nicht par distance. Eben so wenig thun es Morcheln und andere nicht animalischbelebte Substanzen. Ein Nerv erregte keine Zuckungen, wenn er auf [Formel] Linie nur von der mit Gold armirten Morchel entfernt lag, selbst wenn ich Oel zwischen Morchel und Nervenende goß. Daß in allen diesen Dingen ein gelingender Versuch mehr entscheidet, als zwölf nicht gelingende, daran, lieber B., darf ich Sie nicht erinnern. Eine ziemlich allgemein verbreitete, sehr nahrhafte Flüssigkeit, deren Besitz man neuerdings einem Quecksilberkalche abstreiten wollte, sollte uns bey jedem Athemzuge daran erinnern. Ich habe das Experiment über das Nichtwirken der Morchel in der Ferne eine volle Stunde lang fortgesezt, und doch werde ich jedem glauben, der mir sagt, er habe die Morchel in der Ferne wirken sehen. Der Galvanische Versuch gelingt, ohne daß sich Metall auf Metall bewegt. Ich habe den Reitz eintreten sehen, da Muskelfleisch, l, auf der Zinkarmatur des Nerven lag (versteht sich, daß derselbe das Muskelfleisch nicht berührte,) indem ich l und den Wadenmuskel des Frosches mit Silber verband. Dieser Fall tritt aber auch nur bey einigen lebhaften Thieren ein. Erfolgt die Zuckung nicht (und dieß ist für die Ursach des Metallreitzes aufklärend,) so lege man Gold oder Silber auf jenes Muskelfleisch l, und berühre dieß Gold oder Silber mit der Pincette. Nun wird der Reitz auch bey mattern Fröschen sich zeigen! Ich habe eine Reihe von Versuchen über abwechselnde Ketten von leitenden und reitzenden Stoffen angestellt, und glaube, daß man auf diesem Wege zu fruchtbaren Resultaten, gelangen könne. Ich habe versucht, sie durch allgemeine Zeichen, wie analytische Gleichungen, auszudrücken, und bin dadurch auf folgende übersichtliche Sätze gefallen. R R mag gleichartige Reitzer, Gold und Gold, Kohle und Kohle, bezeichnen, eben so r und r. Dagegen drückt R und r eine Verbindung ungleichartiger Metalle, von Zink und Silber, Bley und Eisen aus. Ist L jede nicht excitirende, leitende Substanz, so ist die Formel für den gewöhnlichen Fall, wo die Nervenarmatur von Zink die Silberarmatur des Muskels berührt, folgende: Frosch R. r. liegt der Froschnerv nicht unmittelbar auf R, sondern ist zwischen ihm und dem Zink ein Stück Morchel, so heißt die Formel: Frosch. L. R. r. Auf die Weise sind der positiven Fälle, wo Reitz erfolgt, drey: 1. Frosch. R. r. 2. Frosch. R. L. r. 3. Frosch. R. r. L. R. Der zweyte Fall ist nur bey lebhaften Fröschen positiv, verdient aber schlechterdings aufgeführt zu werden. Der dritte Fall ist der Kardinalversuch, wo gleichartige Nerven, und Muskelarmaturen nur dann wirken, wenn ein heterogenes Metall r dazwischen mit einer feuchten Substanz L (Hauch, Wasser, Morchel,) in Verbindung steht. Negative Fälle, wo keine Zuckungen erfolgen, sind zwey: 1. Frosch. R. R. 2. Frosch. R. r. R. Bey nicht sehr lebhaften Individuen ist die Formel: Frosch. R. L. r. wo sich Metall und Metall nicht unmittelbar berühren, auch negativ. Der zusammengesezten Ketten, als: 1. Frosch. R. L. r. L. r. 2. Frosch. R. r. R. r. R. 3. Frosch. R. L. R. wovon der erste positiv, die lezten negativ sind, erwähne ich nicht, da es hier nur gleichsam auf einfache Grundformeln ankommt. Eben so übergehe ich für jezt meine vielfachen Versuche mit Insekten und warmblütigen Thieren; die Verstärkung der Zuckungen durch gleichzeitige Anwendung von Säuren und Metallreiz; eine Methode, durch Schläge auf Zink dem Golde eine Fähigkeit zu geben, mit Gold zu reitzen, und zwar in Punkten, wo der Zink das Gold nicht berührt hat, ein Galvanisiren der Metalle, wie man durch Berührung magnetisirt; das Ausströhmen durch Spitzen, Bestreichen der Leiter mit Graphit; die Wirkung irrespirabler Gasarten u. s. f. Ich werde alle diese Versuche während meines Aufenthalts in den Schweizer- und Lombardischen Alpen, (wohin ich in wenigen Tagen abgehe,) von neuem wiederholen. Je später ich sie bekannt mache, desto mehr Thatsachen darf ich hoffen, sicher aufstellen zu können. So wenig Muße mir auch meine Geschäfte als praktischem Bergmann übrig ließen, so glaube ich doch, alle meine Kräfte aufgeboten zu haben, um neue und lehrreiche Resultate zu erforschen. Mögen meine Bemühungen um Wahrheit nicht fruchtlos gewesen seyn, möge das Publikum diesen physiologischen Versuchen nur einen Theil der Aufmerksamkeit schenken, deren es meine frühern mineralogischen und botanischen Arbeiten in so reichem Maaße gewürdigt hat! In der Schrift selbst werde ich die Thatsachen selbst von meinen Vermuthungen trennen. Diese Art, Naturerscheinungen zu behandeln, scheint mir am fruchtbarsten und gründlichsten zu seyn. Thatsachen stehen fest, wenn das flüchtig aufgeführte theoretische Lehrgebäude längst eingestürzt ist. Auch sagt ein großer Mann, der neuern gelehrten Zeitgenossen übersetzt werden müßte, um ihn im modischen Gewande wieder aufstehen zu lassen, so treflich: "Alius error est praematura atque proterua reductio doctrinarum in artes atque methodos, quod cum fit plerumque scientia aut parum crescit aut nil proficit. Quamdiu enim in aphorismos et observationes spargitur, crescere potest et exsurgere, sed methodis semel circumscripta et conclusa, expoliri forsan aut ad usus homanos edolari potest, non autem porro mole augeri." Baco Verulam. de augm. scient. Lib. I. -- -- -- Im Junius 1795. Humboldt, der Jüngere. Nachschrift. Erst jezt finde ich in der so ungemein reichhaltigen Schrift des Herrn Pfaff S. 368. einen Versuch, der meinem oben erzählten Kardinalversuche (der Belegung mit Hauch) nahe zu kommen scheint, aber doch wesentlich von ihm verschieden ist. Der scharfsinnige Verfasser legte Zink auf die Silberarmatur des Nerven, verband diesen Zink mittelst eines nassen Schwammstückchens mit der Nervenarmatur und erregte nun lebhafte Zuckungen, wenn er den Zink unmittelbar mit der Silberarmatur des Muskels berührte. Hier war Herr Pfaff auf vollem Wege zu meiner Beobachtung zu gelangen. Sein S. 368 erzählter Versuch ist aber wesentlich von dem der Belegung mit Hauch verschieden. Denn 1) reducirt der Verfasser den seinigen auf den bekannten Fall, wo ein Excitator ein Schwammstückchen bewafnet, das mit dem Nerven durch ein beliebiges Metall in Verbindung steht. Er hält für nothwendig, daß das Schwammstückchen zwischen dem Zink und Nervenexcitator liegt. In meinem Versuche wird Zink unmittelbar auf die Silberarmatur des Nerven gelegt, behauchen Sie nun die obere Seite des Zinks, so entsteht keine neue Verbindung zwischen demselben und der Nervenarmatur, der Zink ist fest und trocken auf derselben aufgedrückt, und die lebhafteste Zuckung ist doch da. Wischen sie den leisen Hauch Ihres Mundes von der obern Seite des Zinks ab, so verschwindet augenblicklich aller Reitz. 2) Glaubt der Verfasser die Muskelarmatur müsse den Zink selbst berühren. Aber wenn Sie einen Tropfen Alkohol auf den Zink (der auf der Silberarmatur den Nerven liegt,) fallen lassen, so braucht der Muskelreitzer nur diesen Tropfen zu berühren, nicht das Metall, um die Zuckung zu erregen. Eben so wird bloß Morchel, Schwammstück, Muskelfleisch, Seife, (welche leitende Substanz Sie auch auf den Zink legen mögen) berührt, um zu reitzen. Es scheint sogar, und diese Vorstellung ist wichtig, weil sie das unbegreiflich Feine meines Versuchs zeigt, es scheint sogar als wäre bey der Belegung mit thierischem Hauche die Zuckung schon da, wenn der Muskelreitzer den Hauch und noch nicht den darunter liegenden Zink berührt. Wenigstens ist dieß dem vorigen analog. So ist demnach der von Herrn Pfaff erzählte Versuch von dem meinigen wesentlich verschieden. So wie mich glückliche Combinationen mehrere Monathe früher, als Herrn Pfaffs Buch erschien, auf jene Entdeckung leiteten, eben so ist er vielleicht jezt schon selbst darauf gefallen und es würde mich unendlich freuen, mich hierin von neuem mit diesem geistreichen Manne, dem die Lehre vom Metallreitz so vieles verdankt, zu begegnen. Bey den Versuchen, die ich an mir selbst bey Blasenpflastern oder andern Wunden gemacht, habe ich deutliche, wenn gleich schwache, Zuckungen nach oben empfunden. Diese Erscheinung wird durch die neuesten Beobachtungen von Scarpa bestätigt. S. dessen Tabulae nevrologicae ad illustr. hist. anatom. cardiacorum nervorum. Ticini 1794. pag. 6. not. o. Humboldt.