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Alexander von Humboldt: „Ueber die gereitzte Muskelfaser“, in: ders., Sämtliche Schriften digital, herausgegeben von Oliver Lubrich und Thomas Nehrlich, Universität Bern 2021. URL: <https://humboldt.unibe.ch/text/1795-Ueber_die_gereitzte-1> [abgerufen am 25.04.2024].

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Permalink:
https://humboldt.unibe.ch/text/1795-Ueber_die_gereitzte-1
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Titel Ueber die gereitzte Muskelfaser
Jahr 1795
Ort Leipzig
Nachweis
in: Neues Journal der Physik 2:2 (1795), S. 115–129.
Postumer Nachdruck
Alexander von Humboldt, Das große Lesebuch, herausgegeben von Oliver Lubrich, Frankfurt/M.: Fischer 2009, S. 15–26.
Sprache Deutsch
Typografischer Befund Fraktur (Umlaute mit superscript-e); Antiqua (mit lang-s) für Fremdsprachiges; Auszeichnung: Sperrung; Fußnoten mit Asterisken; Schmuck: Initialen.
Identifikation
Textnummer Druckausgabe: I.41
Dateiname: 1795-Ueber_die_gereitzte-1
Statistiken
Seitenanzahl: 15
Zeichenanzahl: 24232
Bilddigitalisate

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Ueberdie gereitzte Muſkelfaſer,aus einem BriefeanHerrn Hofrath Blumenbach vomHerrn Oberbergrath F. A. von Humboldt.


Ihre guͤtige Aufforderung, meine vielfachen Verſucheuͤber die Irritabilitaͤt der Thiere endlich einmaloͤffentlich bekannt zu machen, hat mich veranlaßt, wasich in den lezten drey Jahren daruͤber aufzeichnete, zuſammeln und in ein Ganzes umzuſchmelzen. Der ſteteWechſel meines Aufenthalts, zu dem mich meine oͤffent-liche Lage veranlaßt, und das Umherziehen in Gebirgen,wo Buͤcher und wiſſenſchaftlicher Umgang fehlen, hatmich manches fuͤr neu anſehen laſſen, was es nunnicht mehr iſt, da Zufall oder Forſchungsgeiſt anderePhyſiker auf denſelben Weg leiteten. Herrn Pfaffs neueſte trefliche Schrift, uͤber thieriſche Electri-citaͤt. Leipzig 1795, hat mich, am Ziele meinerArbeit, veranlaßt, ſie noch einmal gänzlich umzufor-men. Vergleichen Sie ſelbſt, lieber B., was ich Ih-nen im April von meinem Manuſcripte ſchickte, mit Herrn Pfaffs Verſuchen, und Sie werden ſehen, wie wun-derſam ſich zwey Menſchen begegnen, die an ſo entfern- |116| ten Orten in der phyſiologiſchen Unterſuchung fortſchrit-ten. So ehrenvoll dieſes Begegnen auch fuͤr mich iſt,ſo pflichtwidrig ſchien es mir, dem Publicum einerleyMaterialien in verſchiedenen Formen vorzulegen. Eskommt hier auf Erweiterung der Wiſſenſchaft, nicht aufeine elende Prioritaͤt der Ideen an. Ich mache es mirdaher zum Geſetz, nur das in meine Schrift uͤberzu-tragen, was ich nach ſtrenger (nicht ohne Aufopferungangeſtellter) Pruͤfung noch fuͤr neu halte, oder was aͤl-tere Verſuche auf eine erweiternde Art beſtaͤtigte. DieſeSchrift wird unter dem Titel: PhyſiologiſcheVerſuche uͤber gereitzte Nerven und Mus-kelfaſern mit allgemeinen Betrachtungenuͤber die Natur des Thier- und Pflanzen-koͤrpers, erſcheinen. Mein Hauptzweck dabey war, durch Abaͤnderungder Verſuche der Urſach des Metallreitzes nachzuſpuͤh-ren. Ich glaube hier einen Schritt weiter geruͤckt zuſeyn, und empfehle Ihnen einen Hauptverſuch, der michzu vielen andern, ſehr lehrreichen Verſuchen geleitet hat.Wenn Muskel und Nerv mit gleichartigen Reitzern (z. B.mit Zink) bewafnet ſind, ſo entſteht keine Zuckung, wennauch Silber auf der Nervenarmatur liegt und man mit-telſt des Zinks den Muskel und dieß Silber verbindet.Geben Sie dem Silber aber auf einer Seite eine Bele-gung mit dem Hauch Ihres Mundes, gießen Sie einenTropfen Waſſer, Saͤure, Alkohol u. ſ. f. darauf, ſoiſt die Zuckung augenblicklich da. Eben ſo koͤnnen Sie dieLebenskraft des Thiers erwecken und nicht erwecken, wennSie in der zirkelfoͤrmigen Kette Nerv, Gold, Zink, Goldund Muskel verbinden, und der Zink bald benetzt, baldunbenetzt iſt. Das wirkende Metall (hier Zink, im er-ſten Fall Silber) muß ſchlechterdings mit einem feuch-ten leitenden Koͤrper in Verbindung ſtehen. Liegt es |117| zwiſchen zwey Reitzern, (zwey Metallen, Kohle, Gra-phit,) iſt die Kette z. B. Nerve, Gold, Zink, Silber,Gold, Muskel, ſo erfolgen keine Zuckungen beym Un-terbrechen oder Schließen derſelben. Dieſe Verſuche ſindnie fehlend, wenn ſie mit Genauigkeit und Feinheit an-geſtellt werden. Ich habe ſie in Gegenwart ſo vielerPerſonen und ſo oft wiederholt, daß ich keck behauptenkann, ſie mißlingen nur dann, wenn der Zink, oder dasSilber, (wenn man ſie trocken waͤhnte,) vom duͤnnſtenHauche bedeckt iſt. Statt die Reitzer zu benetzen, kannman (wenn z. B. Zink auf der goldenen Armatur desNerven liegt) auf dieſen Zink ein Stuͤck friſches Mus-kelfleiſch von 2 bis 3 Kubiklinien legen. Verbinden Siedieß, mittelſt Gold, mit dem Froſchſchenkel, ſo iſt derheftigſte Reiz vorhanden *). In dem Stuͤckchen Mus-kelfleiſch ſelbſt iſt aber keine Zuckung, wenn es auch einenſichtbaren eigenen Nerven hat. Sie erfolgt erſt (mit demFroſchſchenkel gleichzeitig,) wenn das Gold den Schenkel,das Muskelfleiſch und den Zink zugleich beruͤhrt. Hier, denk ich, ſind wir auf einem viel verſprechen-den Wege. Hier wirken feuchtes Muskelfleiſch, Saͤure,Alkohol, Morchel, Hauch, wohl nicht als bloße leiten-de Subſtanzen. Von ihrer Beruͤhrung mit demMetalle haͤngt alles ab; ſie ſind als die excitirendenStoffe anzuſehen, von denen alles ausgeht. Mit die-ſem Kardinalverſuch treten wir dem Weſen des Galva-nismus naͤher. Der ausduͤnſtende Nerv und der aus-duͤnſtende Schenkelmuskel liegen an gleichartigen Metal-len an. Es erfolgt kein Reiz. Unbelebte Subſtanzen,die faſt nichts mit einander gemein haben, als Leichtig-
*) Aufmerkſame Leſer werden dieſe Verſuche nicht mit der Ab-leitung durch Zink, welche Herr Pfaff ſo lehrreich be-ſchreibt, verwechſeln. S. Ueber thieriſche Electri-citaͤt, Leipzig 1795. S. 17.
|118| keit des Uebergangs vom tropfbaren Zuſtande in dengasartigen, unbelebte Subſtanzen treten in die Kette.Sie liegen an einem Reitzer, der von jenen am Nervund Muskel verſchieden iſt. Nun erfolgt Schlag, wiewenn + E und — E ſich verbinden, nun iſt die Zu-ckung augenblicklich da. Alſo iſt das bey Verdampfun-gen allgegenwaͤrtige, nur von der Inſel der antiphlo-giſtiſchen Chemie verbannte, electriſche Fluidum hier wir-kend? Electricitaͤt ſelbſt wohl ſchwerlich, aber vielleichtetwas, was der gefrornen Fenſterſcheibe, dem Nord-lichte, dem Electrophor, dem Magnete, dem Sonnen-lichte u. ſ. f. gemein iſt. Ich beruͤhre dieſen Punkt un-gern, ehe ich nicht alle meine Verſuche im Zuſammen-hange darſtelle. Wenn unſere ſogenannten phyſikaliſchenVerſuche immer weniger zeigen, als der fromme Wunſchdes Theoretikers heiſcht, ſo laͤßt der Galvaniſche Ver-ſuch auch den ungebildetſten fuͤhlen, daß mehr in ihmliegt, als in der duͤrftigen Erklaͤrung der Lombardiſchen Phyſiologen. In allem, was ſich auf den Mechanis-mus der vegetabiliſchen und animaliſchen Organiſation,auf Leben bezieht, iſt es immer ſchon viel zu ſagen:hierin liegt es, damit haͤngt es zuſammen. Was es iſt,moͤchte wohl ſchwerlich jemals ganz erklaͤrt werden. Manweiß, daß die Erſcheinung des Regenbogens, weil ſie aufconſtruirbaren Begriffen beruht, faſt die einzige in derganzen Phyſik iſt, welche vollkommen erklaͤrt wird, undman ſucht eine Analyſe des Lebens eben ſo, wie man dasRadical der Kochſalzſaͤure ſucht! Wenn ich beym Metall-reitz im zerſchnittenen Iſchiadiſchen Nerven bey jeder Zu-ckung von Nerv zu Nervenende Funken uͤberſtroͤhmenſaͤhe, wenn das Bennetſche Electroſop deutlich + E an-zeigte, ſo ließe meine Logik mich doch nicht ſchließen: wasim Nerven ſtroͤhmt, was, von der Willenskraft gelenkt,den Muskel regt, ſey Electricitaͤt ſelbſt. Eskann ja E mit anderen unbekannten Stoffen x und y |119| verbunden ſeyn, x und y koͤnnen die einzig wirkenden, E bloß die concommittirende Kraft ſeyn. Electricitaͤtmacht nur rege, was der lebendigen Nervenfaſer eigeniſt. — —
Verſuche an Menſchen ſind ſchwer anzuſtellen, weildas Subjective unſerer Phantaſie ſich hinein miſcht. Dochſind ſie gerade die intereſſanteſten, am wenigſten erforſch-ten. Ich habe Gelegenheit gehabt, eine Reihe ſehr auf-fallender an mir ſelbſt zu ſammeln. Es kommt dabeynur auf Entbloͤßung vom Nerven an, die ich mir beyzufaͤlligen und vorſezlich erregten oder unterhaltenenWunden verſchafte. Ich muß Ihnen hier nur eines Ver-ſuchs erwaͤhnen: ich ließ mir zwey Blaſenpflaſter, den Muſc. Trapez. und Deltoid. bedeckend legen, und fuͤhltebey der Beruͤhrung mit Zink und Silber ein heftiges,ſchmerzhaftes Pochen, ja der Muſcul. cucullar. ſchwollmaͤchtig auf, ſo daß ſich ſeine Zuckungen aufwaͤrts bis ans Hinterhauptbein und die Stachelfortſaͤtze desRuͤckenwirbelbeins fortpflanzten. Eine Beruͤhrung mitSilber gab mir 3 bis 4 einfache Schlaͤge, die ich deut-lich unterſchied. Froͤſche huͤpften auf meinem Ruͤcken,wenn ihr Nerv auch gar nicht den Zink unmittelbar be-ruͤhrte, einen halben Zoll von demſelben ablag und nurvom Silber getroffen wurde. Meine Wunde diente zumLeiter, und (das iſt ſehr wichtig) ich empfand nichts da-bey. Meine rechte Schulter war bisher am meiſten ge-reitzt. Sie ſchmerzte heftig, und die durch den Reitz haͤu-figer herbeygelockte lymphatiſche ſeroͤſe Feuchtigkeit warroth gefaͤrbt und wie bey boͤsartigen Geſchwuͤren ſo ſcharfgeworden, daß ſie (wo ſie den Ruͤcken herablief,) den-ſelben in Striemen entzuͤndete. Dies Phaͤnomen, welchesHerr von Schallern, ein kenntnißvoller hieſiger Arzt,beobachtete, war zu auffallend, um es nicht behutſamnoch einmal zu beobachten. Der Verſuch gluͤckte. Die |120| Wunde meiner linken Schulter war noch mit ungefaͤrbterFeuchtigkeit gefuͤllt. Ich ließ mich auch dort ſtaͤrker mitden Metallen reitzen, und in 4 Minuten war heftigerSchmerz, Entzuͤndung, Roͤthe und Striemen da. DerRuͤcken ſah, rein abgewaſchen, mehrere Stunden wieder eines Gaſſenlaͤufers aus! Wer moͤchte hier nicht,lieber B., Ihrer ſcharfſinnigen Theorie uͤber die vitapropria der Gefaͤße gedenken? Der heftigſte Reitz fuͤr Empfindung und (um mit Soͤmmering zu reden) Spannkraft zugleich ſcheintdas Galvaniſche Zinklavement zu ſeyn, wobey die Mus-keln am After gereizt werden. Froͤſche ohne Kopf thundabey 5 bis 6 Zoll weite Saͤtze; einen Vogel, der nichtmehr athmete, auf mechaniſchen Reitz unempfindlich war,habe ich dadurch zu heftigem Schlagen mit den Fluͤ-geln gebracht, welche fortdauerten, da ihn der Zinknicht mehr beruͤhrte. Die Zunge wird dabey durch ei-nen Metallſtreifen gleichſam verlaͤngert, und in eine Ge-gend geleitet, in die ſie ſich ſonſt nicht verirrt, und vonder die Natur ſie ſo vorſichtig entfernt hat! Morcheln, alle drey Arten, die man mit dieſenNamen belegt, Phallus eſculentus, Helvella mitra und H. ſulcata Willd. Flor. Ber. n. 1758. ferner Agaricuscampeſtris, A. clypeatus, Thaelaephora glabra, alleSchwammarten, welche gefault einen cadavroͤſen Geruchvon ſich geben, zeichnen ſich beym Metallreitz wunderſamaus. Sie ſind vollkommnere Leiter, als andere feuchteSubſtanzen, ja ſie ſind es durch ihre eigenthuͤmliche Lym-phe, durch den Organismus ihrer (Muskel.?) Faſer.Die filzige ſammtartige Oberflaͤche der friſchen Morcheln,auf Wolle trocken gerieben, leitet. Eben ſo Morcheln,die in Aſche leiſe gedoͤrrt ſind, waͤhrend daß Pflanzen-blaͤtter und Stengel nicht leiten. Erinnern Sie ſichmeiner chemiſchen Verſuche uͤber die Schwaͤmme, welche |121| meiner Flora freibergenſia ſubterranea an-gehaͤngt ſind? Die Analogie zwiſchen Schwaͤmmen undthieriſchen Subſtanzen iſt auffallend. Deshalb ſindSchwaͤmme aber weder Thiere noch Thierprodukte. Ich habe zwey neue Excitateurs gefunden, mit de-ren chemiſchen Analyſe ich noch beſchaͤftigt bin, und diemir ſchon darum intereſſant ſcheinen, weil ſie ſich an dievorigen Entdeckungen anſchließen. Auf einer unſerer Nai-laer Gruben, der Oberen Mordlau Fundgrube zu Stee-ben, bricht auf einem maͤchtigen Gange (ein uranfaͤng-licher Thonſchiefer) lydiſcher Stein mit dichtem undfaſrigem braunen Eiſenſtein, Quarz, Arſenikalkies undetwas faſrigem Malachit. So aͤußerſt auffallend dießVorkommen des Lydiſchen Steins auf Gaͤngen iſt, ſoiſt es das Foſſil ſelbſt auch wegen ſeiner chemiſchenMiſchung. Es faͤrbt auf den Kluͤften ab, und enthaͤlteine betraͤchtliche Menge (mineraliſchen) Kohlenſtoffs.Ich habe Schwefelleber daraus bereitet, Salpeter da-mit verpuffen laſſen, aͤtzendes vegetabiliſches Laugenſalzin kohlenſaures verwandelt. Ich wurde darauf aufmerk-ſam, da mein gepulverter (wahrſcheinlich feuchter) ly-diſcher Stein unter dem pneumatiſchen Apparate kohlen-ſaures Gas mit etwas Waſſerſtoffgas umhuͤllt, eine Art Hydrogene peſant, gab. Dieſer lydiſche Stein nun er-regt als Nervenarmatur die heftigſten Zuckungen mitGold und Zink. Er reitzt am meiſten auf den Kluͤften,oft aber auch an Stellen, wo der Graphit ſehr innig ge-mengt ſeyn muß. Er verhaͤlt ſich dabey eben ſo ſonder-bar, als die bald reitzende, bald nicht reitzende Pflanzen-kohle. Ich habe Stellen geſehen, die keine Zuckungengaben und wenn ſie gleich abfaͤrbten. Hier mag allesauf einer feinen Umhuͤllung der Stoffe beruhen. AuchAlaun und Vitriolſchiefer (ein Lager im Urtrapp oder uranfaͤnglichen Gruͤnſtein bey Bernek ) excitiren |122| wie die Metalle. So wird die lebendige Nervenfaſergleichſam ein Mittel chemiſche Beſtandtheile der Stoffevorherzuſagen. So haben wir den Nerv als Anthra-koſcop, ſo wie es Hygroſcope und Electroſcope giebt,die aber alle neben dem Kohlenſtoff, neben dem Waſſerund neben der Electricitaͤt leider! noch manches anderemit anzeigen. Herrn Reils geiſtreiche Abhandlung de irritabilita-tis notione, natura et morbis hat mich zu manchem wich-tigen Verſuche geleitet. Solche Schriften gehoͤren unterdie ſeltenen Erſcheinungen, deren unſer Jahrzehend bedarf.Was in der ſchoͤnen Abhandlung uͤber das Gehirn (in Grens Neuem Journal. B. 1. 1795. S. 113.)uͤber ſenſibele Atmoſphaͤren gemuthmaßt wird, glaube ichan meine Verſuche auſchließen zu koͤnnen. Ich fand be-reits vor zwey Jahren, daß, wenn ein Nerv zerſchnit-ten wird, man die Enden deſſelben um 1 — \( \frac{5}{4} \) PariſerLinien von einander entfernen kann. Das unbekannteFluidum G ſtroͤhmt doch uͤber, wenn nur das abgeſchnit-tene getrennte Nervenende und der Schenkel gehoͤrig ar-mirt ſind. Ja, ich habe einigemal ſehr deutlich den Reitz erfolgen ſehen, als ich mit der ſilbernen Pin-cette nicht das Nervenſtuͤck, welches noch mit dem Mus-kel verbunden bleibt, ſondern das getrennte mit Zink ar-mirte beruͤhrte. Ich habe deutlich (und vorſichtigeMaͤnner mit mir) beobachtet, wie mit abnehmender Le-benskraft der ſenſible Wirkungskreis (der Na-me Atmoſphaͤre iſt wohl zu hypothetiſch,) von \( \frac{5}{4} \) Liniebie \( \frac{1}{4} \) Linie abnahm, wie endlich, um noch zu reitzen,Beruͤhrung oder Wiedervereinigung der Nervenenden noͤ-thig war. Die vermeinten Oſtiola der Nervenbuͤndelbrauchen (weil ſie nicht da ſind,) einander nicht gegen-uͤber zu liegen, ſondern jeder Nerv verbreitet, gleich einem magnetiſchen Stabe, einen Wirkungs- |123| kreis um ſich, der ſich durch eine punk-tirte Linie von 1 bis \( \frac{5}{4} \) Linien Abſtandvom Nerven angeben laͤßt. Kommt ein an-deres Nervenſtuͤck innerhalb dieſer Graͤn-ze, ſo iſt die Zuckung augenblicklich da. Dieſer Verſuch iſt fuͤr die Phyſiologie, welche bisher im-mer Nerven brauchte, wo die Zootomie ſie nicht findenlehrte, wichtig. Ich habe ihn in- und außerhalb Deutſchland auf meinen Reiſen ſo vielen Perſonen ge-zeigt, auf Glastafeln ſo behutſam angeſtellt, daß hie-bey keine Taͤuſchung moͤglich war. Fuͤr diejenigen, wel-che einwenden, der Nerv laſſe Feuchtigkeit ausfließenund dieſe Feuchtigkeit verbinde die zerſchnittenen Ner-venſtuͤcke, flicke ſie gleichſam, (ſo wie ich ſie wirklich mitkahlen Rattenſchwaͤnzen, gekochtem Schinken, Maͤuſe-embryonen und Morcheln auf 5 bis 6 Zoll gluͤcklich ge-flickt habe,) merke ich an: daß ich zweymal, da derNerv mit Zink armirt und der dem Froſch zugebrachteFuß der ſilbernen Pincette mit 2 bis 3 Kubiklinien fri-ſchem Muskelfleiſch umwickelt war, ſehr lebhafte Zu-ckungen erregt habe, indem ich mich mit dieſerPincette dem Froſche irgendwo auf \( \frac{3}{4} \) Linienahete. Es ſah wie ein Anblaſen aus, und hier troͤp-felte nichts herab, wenigſtens kein Nervenſaft, dengewiſſe Menſchen, (wie den Sauerſtoff und Stickſtoff)gern in Pillenſchachteln und Glaͤſern einfach dargeſtellthaͤtten. Daß aber etwas Materielles von einem Nerven-ende ins andere, oder (wie im lezten Verſuche) vomMuskelfleiſch an der Pincette in den Schenkel uͤber-gieng, leugne ich nicht. Wie waͤre ſonſt eine Wirkung par diſtance denkbar? Die Annahme gasfoͤrmiger Ausſtroͤhmung iſt aber dem Einwurf, als habe die naſſeGlasplatte das unbekannte Fluidum G von Nerv zuNerv geleitet, voͤllig entgegen. Der Verſuch mit derPincette ſcheint nur bey auffallend lebhaften Individuen |124| zu gelingen. Er ſah einem Zauber aͤhnlich und ich kannnie ohne Wohlgefallen an ihn zuruͤckdenken. Der unbe-wickelte Theil der Pincette leitete nicht par diſtance. Ebenſo wenig thun es Morcheln und andere nicht animaliſch-belebte Subſtanzen. Ein Nerv erregte keine Zuckungen,wenn er auf \( \frac{1}{4} \) Linie nur von der mit Gold armirten Mor-chel entfernt lag, ſelbſt wenn ich Oel zwiſchen Morchelund Nervenende goß. Daß in allen dieſen Dingen ein gelingender Verſuch mehr entſcheidet, als zwoͤlf nicht ge-lingende, daran, lieber B., darf ich Sie nicht erinnern.Eine ziemlich allgemein verbreitete, ſehr nahrhafte Fluͤſ-ſigkeit, deren Beſitz man neuerdings einem Queckſilber-kalche abſtreiten wollte, ſollte uns bey jedem Athemzugedaran erinnern. Ich habe das Experiment uͤber dasNichtwirken der Morchel in der Ferne eine volle Stundelang fortgeſezt, und doch werde ich jedem glauben, der mirſagt, er habe die Morchel in der Ferne wirken ſehen. Der Galvaniſche Verſuch gelingt, ohne daß ſichMetall auf Metall bewegt. Ich habe den Reitz eintre-ten ſehen, da Muskelfleiſch, l, auf der Zinkarmatur desNerven lag (verſteht ſich, daß derſelbe das Muskelfleiſchnicht beruͤhrte,) indem ich l und den Wadenmuskel desFroſches mit Silber verband. Dieſer Fall tritt aberauch nur bey einigen lebhaften Thieren ein. Erfolgt dieZuckung nicht (und dieß iſt fuͤr die Urſach des Metall-reitzes aufklaͤrend,) ſo lege man Gold oder Silber auf je-nes Muskelfleiſch l, und beruͤhre dieß Gold oder Silbermit der Pincette. Nun wird der Reitz auch bey matternFroͤſchen ſich zeigen! Ich habe eine Reihe von Verſuchen uͤber abwech-ſelnde Ketten von leitenden und reitzenden Stoffen ange-ſtellt, und glaube, daß man auf dieſem Wege zu frucht-baren Reſultaten, gelangen koͤnne. Ich habe verſucht, ſiedurch allgemeine Zeichen, wie analytiſche Gleichungen, |125| auszudruͤcken, und bin dadurch auf folgende uͤberſicht-liche Saͤtze gefallen. R R mag gleichartige Reitzer, Goldund Gold, Kohle und Kohle, bezeichnen, eben ſo r und r. Dagegen druͤckt R und r eine Verbindung ungleicharti-ger Metalle, von Zink und Silber, Bley und Eiſen aus.Iſt L jede nicht excitirende, leitende Subſtanz, ſo iſt dieFormel fuͤr den gewoͤhnlichen Fall, wo die Nervenarma-tur von Zink die Silberarmatur des Muskels beruͤhrt,folgende: Froſch R. r. liegt der Froſchnerv nicht un-mittelbar auf R, ſondern iſt zwiſchen ihm und dem Zink einStuͤck Morchel, ſo heißt die Formel: Froſch. L. R. r. Auf die Weiſe ſind der poſitiven Faͤlle, wo Reitzerfolgt, drey:
  • 1. Froſch. R. r.
  • 2. Froſch. R. L. r.
  • 3. Froſch. R. r. L. R.
Der zweyte Fall iſt nur bey lebhaften Froͤſchen poſitiv,verdient aber ſchlechterdings aufgefuͤhrt zu werden. Derdritte Fall iſt der Kardinalverſuch, wo gleichartige Ner-ven, und Muskelarmaturen nur dann wirken, wenn einheterogenes Metall r dazwiſchen mit einer feuchten Sub-ſtanz L (Hauch, Waſſer, Morchel,) in Verbindungſteht. Negative Faͤlle, wo keine Zuckungen erfolgen,ſind zwey:
  • 1. Froſch. R. R.
  • 2. Froſch. R. r. R.
|126| Bey nicht ſehr lebhaften Individuen iſt die Formel: Froſch. R. L. r. wo ſich Metall und Metall nicht un-mittelbar beruͤhren, auch negativ. Der zuſammenge-ſezten Ketten, als:
  • 1. Froſch. R. L. r. L. r.
  • 2. Froſch. R. r. R. r. R.
  • 3. Froſch. R. L. R.
wovon der erſte poſitiv, die lezten negativ ſind, erwaͤh-ne ich nicht, da es hier nur gleichſam auf einfacheGrundformeln ankommt. Eben ſo uͤbergehe ichfuͤr jezt meine vielfachen Verſuche mit Inſekten und warmbluͤtigen Thieren; die Verſtaͤrkung derZuckungen durch gleichzeitige Anwendung von Saͤuren und Metallreiz; eine Methode, durchSchlaͤge auf Zink dem Golde eine Faͤhigkeit zu geben,mit Gold zu reitzen, und zwar in Punkten, wo der Zinkdas Gold nicht beruͤhrt hat, ein Galvaniſiren derMetalle, wie man durch Beruͤhrung magnetiſirt; das Ausſtroͤhmen durch Spitzen, Beſtreichen der Leitermit Graphit; die Wirkung irreſpirabler Gasarten u. ſ. f.Ich werde alle dieſe Verſuche waͤhrend meines Aufent-halts in den Schweizer- und Lombardiſchen Alpen, (wohinich in wenigen Tagen abgehe,) von neuem wiederholen.Je ſpaͤter ich ſie bekannt mache, deſto mehr Thatſachendarf ich hoffen, ſicher aufſtellen zu koͤnnen. So wenigMuße mir auch meine Geſchaͤfte als praktiſchem Berg-mann uͤbrig ließen, ſo glaube ich doch, alle meine Kraͤfteaufgeboten zu haben, um neue und lehrreiche Reſultatezu erforſchen. Moͤgen meine Bemuͤhungen um Wahr-heit nicht fruchtlos geweſen ſeyn, moͤge das Publikum |127| dieſen phyſiologiſchen Verſuchen nur einen Theilder Aufmerkſamkeit ſchenken, deren es meine fruͤhern mineralogiſchen und botaniſchen Arbeiten inſo reichem Maaße gewuͤrdigt hat! In der Schrift ſelbſtwerde ich die Thatſachen ſelbſt von meinen Vermuthun-gen trennen. Dieſe Art, Naturerſcheinungen zu behan-deln, ſcheint mir am fruchtbarſten und gruͤndlichſten zuſeyn. Thatſachen ſtehen feſt, wenn das fluͤchtig auf-gefuͤhrte theoretiſche Lehrgebaͤude laͤngſt eingeſtuͤrzt iſt.Auch ſagt ein großer Mann, der neuern gelehrten Zeit-genoſſen uͤberſetzt werden muͤßte, um ihn im modi-ſchen Gewande wieder aufſtehen zu laſſen, ſo treflich: „Alius error eſt praematura atque proterua reductio doctri-„narum in artes atque methodos, quod cum fit plerumque„ſcientia aut parum creſcit aut nil proficit. Quamdiu„enim in aphorismos et obſervationes ſpargitur, creſcere„poteſt et exſurgere, ſed methodis ſemel circumſcripta„et concluſa, expoliri forſan aut ad uſus homanos edo-„lari poteſt, non autem porro mole augeri.“ BacoVerulam. de augm. ſcient. Lib. I. — — — Im Junius 1795.

Humboldt, der Juͤngere.

Nachſchrift.

Erſt jezt finde ich in der ſo ungemein reichhaltigenSchrift des Herrn Pfaff S. 368. einen Verſuch, dermeinem oben erzaͤhlten Kardinalverſuche (der Belegungmit Hauch) nahe zu kommen ſcheint, aber doch we-ſentlich von ihm verſchieden iſt. Der ſcharfſin-nige Verfaſſer legte Zink auf die Silberarmatur des Ner-ven, verband dieſen Zink mittelſt eines naſſen Schwamm- |128| ſtuͤckchens mit der Nervenarmatur und erregte nun leb-hafte Zuckungen, wenn er den Zink unmittelbar mit derSilberarmatur des Muskels beruͤhrte. Hier war Herr Pfaff auf vollem Wege zu meiner Beobachtung zu ge-langen. Sein S. 368 erzaͤhlter Verſuch iſt aber we-ſentlich von dem der Belegung mit Hauch ver-ſchieden. Denn 1) reducirt der Verfaſſer den ſeinigenauf den bekannten Fall, wo ein Excitator ein Schwamm-ſtuͤckchen bewafnet, das mit dem Nerven durch ein be-liebiges Metall in Verbindung ſteht. Er haͤlt fuͤr noth-wendig, daß das Schwammſtuͤckchen zwiſchen demZink und Nervenexcitator liegt. In meinem Verſuchewird Zink unmittelbar auf die Silberarmatur desNerven gelegt, behauchen Sie nun die obere Seitedes Zinks, ſo entſteht keine neue Verbindung zwiſchen demſelben und der Nervenarmatur, der Zinkiſt feſt und trocken auf derſelben aufgedruͤckt, und die leb-hafteſte Zuckung iſt doch da. Wiſchen ſie den leiſenHauch Ihres Mundes von der obern Seite des Zinksab, ſo verſchwindet augenblicklich aller Reitz. 2) Glaubtder Verfaſſer die Muskelarmatur muͤſſe den Zink ſelbſt beruͤhren. Aber wenn Sie einen Tropfen Alkohol aufden Zink (der auf der Silberarmatur den Nerven liegt,)fallen laſſen, ſo braucht der Muskelreitzer nur dieſenTropfen zu beruͤhren, nicht das Metall, um die Zu-ckung zu erregen. Eben ſo wird bloß Morchel,Schwammſtuͤck, Muskelfleiſch, Seife, (welche leitendeSubſtanz Sie auch auf den Zink legen moͤgen) beruͤhrt,um zu reitzen. Es ſcheint ſogar, und dieſe Vorſtellungiſt wichtig, weil ſie das unbegreiflich Feine meinesVerſuchs zeigt, es ſcheint ſogar als waͤre bey der Bele-gung mit thieriſchem Hauche die Zuckung ſchon da, wennder Muskelreitzer den Hauch und noch nicht den darunter liegenden Zink beruͤhrt. Wenigſtens iſt dießdem vorigen analog. So iſt demnach der von Herrn |129| Pfaff erzaͤhlte Verſuch von dem meinigen weſentlichverſchieden. So wie mich gluͤckliche Combinationenmehrere Monathe fruͤher, als Herrn Pfaffs Bucherſchien, auf jene Entdeckung leiteten, eben ſo iſt er viel-leicht jezt ſchon ſelbſt darauf gefallen und es wuͤrde michunendlich freuen, mich hierin von neuem mit dieſem geiſt-reichen Manne, dem die Lehre vom Metallreitz ſo vielesverdankt, zu begegnen. Bey den Verſuchen, die ichan mir ſelbſt bey Blaſenpflaſtern oder andern Wundengemacht, habe ich deutliche, wenn gleich ſchwache, Zu-ckungen nach oben empfunden. Dieſe Erſcheinungwird durch die neueſten Beobachtungen von Scarpa beſtaͤtigt. S. deſſen Tabulae nevrologicae adilluſtr. hiſt. anatom. cardiacorum nervo-rum. Ticini 1794. pag. 6. not. o.

Humboldt.