Verſuche und Beobachtungen über die grüne Farbe unterirrdiſcher Vegetabilien. von F. A. von Humboldt. Die geiſtreichen Verſuche der Hrn. Bonnet, Prieſtley, Ingenhouß und Senebier über den Einfluß des Sonnenlichts auf die vegetabiliſche Organiſation haben ein ſo allgemeines und lebhaftes Intereſſe erregt, daß ich es ohne Unbeſcheidenheit wagen darf, die Aufmerkſamkeit der Phyſiker auf einen damit verwandten, aber noch wenig bearbeiteten Theil der Pflanzenphyſiologie, durch die Erzählung meiner Beobachtungen zu leiten. Ich werde ſuchen, die Thatſachen, die ſich mir darboten, von den Hypotheſen zu trennen, welche ich darüber entwarf, damit ich „die Geſchichte der Natur nicht mit der Geſchichte meiner Meinungen vermenge.“ — Die Raſenſtücke, welche in den Gruben bei gewiſſen Vorrichtungen in der Waſſerſeige (bei Verſtopfung des Tragewerks, beim Sumpfſtoßen u. ſ. w) gebraucht werden, ſchienen mir oft einer genauern Betrachtung werth zu ſeyn. Ich fand ſie, wenn ſie auch mehrere Monate lang dem wohlthätigen Sonnenlichte entzogen waren, grün; ich ſah’ in einer Teufe von 2 bis 300 Ellen Poa compreſſa, P. triuialis, Briza media und Bromus mollis, ſelbſt Plantago lanceolata, Trifolium officinale, T. aruenſe und andere keimen, neue Blätter treiben, die alten nicht abwerfen, mit Riſpen blühen — alles wie auf der Oberfläche der Erde. Ich bemerkte, daß die Farbe dieſer unterirrdiſchen Gewächſe bey einigen völlig grasgrün (eigentlich von einer Mittelfarbe zwiſchen gras- und piſtatiengrün); bey andern, und zwar häufig nach dem Stengel zu, etwas lichter-grasgrün, wie die jungen Frühlingsblätter, bey noch andern, beſonders da, wo die Halme ſtark trieben und vom Waſſer beträufelt wurden, hell-apfelgrün war. Die neuen, in der Grube getriebenen Blätter glaubte ich da am dunkelgrünſten zu finden, wo die Wetter am böſeſten, d. h. am wenigſten mit Lebensluft gemiſcht waren. Doch gründet ſich dieſe letzte Meinung auf zu wenig Beobachtungen, um für entſcheidend zu gelten. Die lichte-apfelgrünen Halme zeigen ſich am häufigſten auf verdorrten Raſen, der von neuem befeuchtet worden. Sie ſind gewöhnlich ſtark eingebogen (culmi infracti) faſt wie beim Alopecurus geniculatus, und tragen weit abſtehende Blätter (folia horizontalia). Alle dieſe Erſcheinungen ſind dem gemeinen Bergmanne ſehr bekannt. Da nach den bisherigen Entdeckungen Pflanzen, die von keinem Sonnenſtrahl getroffen werden, und höchſtens bisweilen den dürftigen, unwirkſamen Schein eines Grubenlichts genießen, gänzlich verbleichen , nie aber grün ſeyn ſollten, ſo wurde meine Aufmerkſamkeit doppelt geſpannt, als ich eine Flechtenart (der das Innere des Erdkörpers zum ausſchließenden Wohnplatz beſtimmt ſcheint) mit grünen Keimen fand. Dieſes rieſenmäßige Gewächs, das ich Lichen verticillatus nenne, und welches bey einer ſehr zarten innern Structur bisweilen eine Länge von 7 — 8 Fuß erlangt, iſt wenigſtens auf drey der hieſigen (Freiberger) Gruben, auf Seegen Gottes Herzog Auguſtus Fdgr., Krieg und Frieden Fdgr., und Kurprinz Friedrich Auguſt Erbſt. zu Großſchirma einheimiſch. An dem letztern Orte, wo es das Geſtein überzieht, ſind die jungen Spitzen der quirlförmigen Aeſte anfangs weich und lichte grasgrün, erhärten aber bald und verändern ihre Farbe in die ſchwärzlichbraune des übrigen Pflanzenkörpers. Nach Hrn. Bonnet ſollte die Bleichſucht ſogar mit der Finſterniß in gleichem Verhältniſſe zunehmen. L. verticillatus, filamentoſus, pendulus, ramis omnibus verticillatis, teretibus, glabris, intus tomentoſis — Die Meerpflanzen abgerechnet, ohnſtreitig das größte cryptogamiſche Gewächs, das bisher entdeckt worden. Eine weitläuftigere Beſchreibung davon habe ich in einer eigenen Abhandlung de plantis ſubterraneis Fribergenſibus im 3ten Stück der Annalen für die Botanik entworfen. Eine ähnliche Bemerkung ſtellte ich vor kurzem zu Marienberg, im Obergebirge und zwar auf dem Weißtaubener Stolln an, wo ein ungemein feiner, noch unbeſchriebener Lichen filamentoſus (eine Uſnea nach Dillenius und Scopoli) die Thürſtöcke, wie Epheu, umſchlingt. Um mich von der Möglichkeit, daß Pflanzen auch in ihrem unterirrdiſchen Wohnorte eine grüne Farbe erhalten können, noch mehr zu überzeugen, ſtellte ich eigene Verſuche darüber an, deren Reſultate ich hier kürzlich mittheilen will. Ich wählte einen Ort aus, der in mehr, als einer Rückſicht bequem zu dieſen Verſuchen ſchien, den Eſelsſtolln 6 — 8 Lachter vom Wieſenſchacht (auf Neu beſcheert Glück Erbſt. vor der Stadt) gegen Mittag, wo er 10 [Formel] Lr. Teufe einbringt und wenig befahren wird. Die Luft iſt hier ziemlich verdorben, und von wäſſerichten Dünſten feucht. Ich ſetzte geſunde Pflanzen von Cheiranthus incanus und C. cheiri auf den Stolln. Beide Arten behielten mehrere Wochen lang ein auffallend friſches Anſehen und warfen ihre alten Blätter nicht ab . Die jungen, die ſchon über Tage getrieben waren, wuchſen ſichtbar, ohne mit dem Wachsthum ihre Farbe merklich zu verändern und eine Menge neuer ſproßten üppiger, als gewöhnlich, hervor. Nach den bisherigen Verſuchen über der Erde vergilben und entblättern ſich ſehr ſchnell auch die geſundeſten Pflanzen, wenn ſie dem Sonnenlichte entzogen werden. — Nach den Beobachtungen des Hrn. Meeſe, welche Hr. van Swinden bekannt gemacht, verwelken Blumen im Finſtern eher, als im Hellen. In den Gruben erhalten ſich, wie Bergleuten bekannt iſt, Roſen und Fliederblüthen (Syringa vulgaris) ungleich länger friſch, als über Tage. Die neuen Blättchen des Cheir. cheiri blieben nach ihrer Entfaltung länger lichtegrün, als in ihrem freien Standorte. Die Farbe derſelben entwikkelte ſich zwar, aber ſelbſt, als ſie völlig ausgewachſen ſchienen, waren ſie an der innern Seite heller, als an der äußern. Die Spitzen, oder etwa der vierte Theil des ganzen Blatts wurden ſehr dunkel graßgrün, die übrigen [Formel] aber verliefen ſich durch mehrere Nüancen bis ins lichte-apfelgrüne des Stengels. Die mittlere Blattrippe (neruus) war mehr aufgeſchwollen, als gewöhnlich, dunkel-röthlichgrau, und wenn man ihn ins Sonnenlicht hielt, ſo zeigte er mehrere undurchſichtige, faſt roſenrothe Bläschen. Die Seitenäſte des C. cheiri wuchſen weniger üppig, als die mittlere Krone; auch waren die jungen Blätter hier faſt von gewöhnlicher grasgrüner Farbe, und kaum an den Spitzen dunkler gefärbt. Auf den C. incanus war der Einfluß der Dunkelheit noch geringer. Seine Blüthen blieben eben ſo farbig, als ſie über Tage waren, neue Kronenblätter (petala) entfalteten ſich ſchnell, und eine zahlloſe Menge von Blüthenknoſpen brach überall hervor. Dieſe waren ungewöhnlich klein und abortirend. Die grünen Kelchblätter nahmen zwar an Größe zu, öffneten ſich aber nie. Erſt nach einem Zeitraum von 4 — 5 Wochen wurden die ältern Blätter gilb und fielen ab. Die Näſſe ſchien dies zu befördern. — Die Erbſen- und Kohlſaamen, welche ich in den Stollen ſäete, zeigten ſich ſchon in wenigen Tagen. Sie trieben ungewöhnlich ſtarke und viele Wurzeln und (beſonders die Erbſen) zwölf bis vierzehn Zoll lange Stengel. Blätter kamen ſparſam hervor (eine Folge der übermäßigen Vegetation!) wo ſie erſchienen, waren ſie von friſcher grasgrüner Farbe, aber von kurzer Dauer. Zu der Erzählung dieſer einfachen Verſuche füge ich nun einige Vermuthungen über die chemiſchen Urſachen dieſer ſonderbaren Erſcheinungen hinzu — Die Erfahrung, daß Pflanzen tief im Inneren der Erde, wo kein Lichtſtrahl ſie trift, grüne Blätter treiben können, ſcheint mir den vortrefflichen Beobachtungen der Hrn. Ingenhouß und Senebier nicht allein nicht zu widerſprechen, ſondern ſich vielmehr an ſie anzuſchließen. Die meiſten Pflanzen hauchen im geſunden Zuſtande und in der Helle des Tages eine gewiſſe Menge Lebensluft aus. Bei den harzreichen Vegetabilien (Pinus abies, Thuja occidentalis etc.) bei den ſukkulenten, die viel Zellgewebe haben (Cactus opuntia, Meſembrianthemum criſtallinum etc.) und bei der weitläufigen Familie der Gräſer iſt dieſe Menge am größten. Selbſt unter den Pflanzen, die wir mit dem ungerechten Namen der unvollkommenen belegen, giebt Tremella noctoe etwas Lebensluft. Nur einige Gewächſe, als Ilex aquifolium, Hyſſopus officinalis, Mimoſa ſenſitiua etc. geben, wie die Thiere, Stickluft von ſich. Verbleichende Vegetabilien, die dem Sonnenlicht entzogen ſind, (und das iſt ſehr aufklärend) hören auf, Lebensluft zu entwickeln. Eben dies thun ſolche, die durch ihr blaſſes Grün ihren kränklichen Zuſtand andeuten, weiße Keime und Schößlinge u. a. Die meiſten derſelben haben perennirende Blätter, folia aceroſa, perſiſtentia. Sollten die im Norden ſo weit ausgebreiteten Tannen und Fichten-Wälder nicht dazu beitragen, den Abgang an Lebensluft, den die Atmoſphäre in kalten Klimaten bey einer ſonſt ſo dürftigen Vegetation leidet, zu erſetzen? Sollten ſie nicht im Winter beſonders wirkſam ſeyn, wo der Schnee alle andere Kräuter erſtickt? und in denen das (von Botanikern ſo wenig beobachtete) innere Verhältniß zwiſchen feſten und flüſſigen Theilen ſo auffallend iſt, gleichſam die Würmer unter den Pflanzen. Dieſe für die Atmoſphäre ſo wohlthätigen Geſchöpfe ſind unter allen Pflanzenfamilien auch wahrſcheinlich die zahlreichſten auf dem Erdboden. Der Conferua riuularis wollte ich hier eben ſo wenig, als der ſogenannten grünen Prieſtleyſchen Materie (filmy matter) erwähnen, da beide wohl animaliſcher Natur ſeyn möchten. Auffallend iſt es immer, daß gerade dieſe bewegliche Pflanze das Hauchen der Stickluft mit den Thieren gemein hat; eine Aehnlichkeit, welche weder die Cerealien mit ihrer Phosphorſäure, ihrem thieriſchen Leim und ihrer Eiweißmaterie, noch die Tetradynamiſten mit ihrem flüchtigen Laugenſalze zeigen. Dieſer merkwürdige Zuſammenhang zwiſchen der grünen Farbe und dem Aushauchen der Lebensluft läßt mich vermuthen, daß die Bleichſucht eine Anhäufung des Oxigene’s (der Baſis der Lebensluft) in den Pflanzen iſt. Vielleicht wird die weiße Farbe mehrerer Körper durch ſolche Anhäufung bewirkt. Die Entfärbung durch die ſo genannte dephlogiſtiſirte Salzſäure (acide muriatique oxygené) in den Scheelſchen und Bertholletſchen Verſuchen, die Entfärbung vieler Stoffe durch Brennen, die ſchneeweiße Farbe der Salze und reinen Erden, der Umſtand, daß das Königswaſſer, in dem die Salzſäure durch Salpeterſäure oxigenirt (dephlogiſtiſirt) iſt, durch hinein geworfenes Gold gelb wird, weil das Gold ihm beym Verkalchen das Oxygene entzieht u. a. ſcheinen dies zu beweiſen. nicht aller; ich erinnere nur an den Braunſteinkalch. Man ſehe die merkwürdigen Wirkungen des Oxygene’s auf bunte Farben. Annales de Chimie T. VI. p. 240. Gehört nicht hieher auch das Blauwerden des Boletus bovinus beim Zerſchneiden? So wie die Bleichſucht der Pflanzen, nach jener Hypotheſe, von der Anhäufung des Säureſtoffs entſteht, ſo wird bei der Entbindung deſſelben die grüne Farbe ſichtbar. Die Urſachen dieſer Entbindung werden durch die Verwandtſchaften der Stoffe zum Oxygene modificirt. Der Lichtſtoff äußert dieſelbe ſehr ſtark, und die Herren Ingenhouß und Senebier haben ihn daher bei ihren Verſuchen über die Vegetation, wenn gleich in ſehr verſchiedener Rückſicht, als Hauptagens aufgeführt. Daß er ſich bei manchen Pflanzenkörpern (bei Byſſus lactea, Verrucaria faginea, Hydnum imbricatum, Agaricus virgineus etc.) weniger wirkſam zeigt, rührt wohl nur daher, daß das Oxygene durch andere Anziehungskräfte gehindert wird, ſich mit ihm zu verbinden. Um Misdeutungen zu vermeiden, erinnere ich mit Hrn. Gren (Journ. der Phyſ. 1791. H. 7. S. 165) ſelbſt, daß Anhänger der Lehre vom Phlogiſton die Worte Zuſatz, Entziehung vom Oxygene durch Dephlogiſtiſirung, Phlogiſtiſirung überſetzen können. wie die Wirkungen des Lichts auf die oxygenirte Salzſäure, auf Hornſilber etc. lehren. Außer dem Lichtſtoff, ſcheinen auch die Baſen der Stickluft und des entzündbaren Gas (azote und hydrogène) die Entbindung der Lebensluft zu befördern, und die Anhäufung des Oxygene, d. h. die Bleichſucht der Pflanzen zu verhindern. Dieſe Baſen, welche die Natur im Innern der Erde anhäuft, geben mir gleichſam den Schlüſſel zu den Erſcheinungen, die ſich bei meinem kleinen unterirrdiſchen Gartenbau darboten. Die Miſchung der Grubenluft iſt von der der oberirrdiſchen Atmoſphäre ungemein verſchieden, und wenn der Mangel an Lebensluft ſich auch nicht immer beim Athemholen oder dem Brennen der Grubenlichter gleich ſtark äußert, ſo laſſen doch ſehr einfache Verſuche ſchließen, daß der Antheil der Stickluft oder des entzündbaren Gas hier ſehr beträchtlich iſt. Das letztere Gas verräth ſich leicht durch eine eigene Schicht, die es wegen ſeines geringen ſpezifiſchen Gewichts an der Förſte der Strecken bildet. wo Lebensluft ſich zur Stickluft verhält = 27 : 73. Lavoiſier Traité elém. T. I. p. 40. = 0,03539. Sehr merkwürdig iſt dieſe eigene Schicht jetzt hier vor dem Moritzer Stollort (Ich bins nicht, Beilehn,) 370 Lr. vom Schachte weg, wo Lich. verticillatus ſich auch ſchon häufig zeigt. Beide, Stickluft und brennbares Gas entlocken den Pflanzen, doch ohne eine eigene Verbindung mit ihnen einzugehen, ihr Oxygene und färben ſie dadurch in den Gruben grün. Sie wirken auf die Raſenſtücke in der Waſſerſeige, auf die Keime des L. verticillatus, wie der Sonnenſtrahl auf die Kräuter über der Erde. Direckte Verſuche des Hrn. Senebier beſtätigen meine Vermuthung. Dieſer raſtloſe Experimentator entzog junge Pflanzen dem Lichte und verſchloß ſie in Stickluft oder entzündbarem Gas. Sie trieben dunkel-grüne Blätter und zeigten keine Spur der Bleichſucht. Selbſt ſolche Vegetabilien, die, in gemeiner Luft verſperrt, zu welken anfingen, lebten gleichſam auf, wenn man Stickluft zuließ. Daß die Gräſer in den Gruben nicht immer grasgrüne, oft auch lichte-apfelgrüne Halme und Blätter zeigen, kann mehrere lokale Urſachen haben, die ich nicht zu enträthſeln wage. Doch glaube ich, daß der Zuſtand der Atmoſphäre, deren kleinſte Veränderungen oft ſelbſt auf die thieriſche Organiſation ſo unaufhaltſam wirken, und die wäſſerichten Dünſte, (die, nach Hrn. Senebier, ſelbſt im Hellen eine Art von Bleichſucht hervorbringen) eine wichtige Rolle dabei ſpielen. Die aufgeſchwollenen Nerven und die rothen Bläschen, welche ich in den lichten Blättern des Cheir. cheiri fand, bemerkte Hr. Senebier bei bleichſüchtigen Schminkbohnen. Warum ſind bei unterirrdiſchen Pflanzen die Spitzen der Blätter oft ſo dunkel gefärbt? Sondern dieſelben etwa mehr oxygene, als andere Theile ab? Daß dieſe Abſonderung in den Gefäßen eines Blattes wenigſtens ſehr ungleichmäßig iſt, lehren mannichfaltige Verſuche. Ich bitte zum Schluß dieſer Abhandlung nochmals, daß man die Thatſachen, die ich aufſtelle, nicht mit meinen Vermuthungen darüber verwechſele. Videmus enim omnes rationes, quibus natura explicari ſolet, modos eſſe tantummodo imaginandi, nec nullius rei naturam, ſed tantum imaginationis conſtitutionem indicare. Spinoſa in der Ethik. (Opera poſthuma 1677. p. 39.)