Digitale Ausgabe – Übersetzung

Brief an Berthold Seemann

„Berlin, den 18. Juni 1855. Mein lieber Freund und ‚Reisegefährte’,1 Ihr freundlicher Brief von 13. dieses Monats war mir ein Quell großer Freude. Ich erhielt ihn bei meiner Rückkehr aus Potsdam, ganz früh heute morgen, weil in Berlin sonntags keine Post zugestellt wird. Da mir bis zur Abfahrt des Postzuges nur eine Stunde verbleibt und Sie eine rasche Antwort zu wünschen geruhten, muß ich mich leider sehr kurz fassen, um meiner großen Dankbarkeit für die Ehre Ausdruck zu verleihen, mit der Sie mich bedenken wollen. Eine Widmung von Ihnen, mein lieber Seemann, kann nichts als größte Freude bedeuten und mir schmeicheln. Gerne nehme ich diese Gunst an, jedoch nur unter einer Bedingung, daß Sie mich Ihren Freund nennen und jegliche Erwähnung von Titeln vermeiden, denn das liefe meiner Denkungsart sehr zuwider… Ihr Buch wird sicher, davon bin ich fest überzeugt, in mehreren Auflagen erscheinen; es beginnt in heiterem Ton, überschreitet aber aus meiner Sicht nie die Grenzen des guten Geschmacks. Man kann es populär nennen, denn ohne daß es nennenswerte botanische Kenntnisse vom Leser erwartet, bereitet es ihm eine angenehme literarische Erholung. Die ‚niedrigen Verbindungen’ (S. 12) zu den plebejischen Gräsern haben sich für Ihre vornehmen aristokratischen Palmen nicht als wirklicher Nachteil erwiesen … Ich habe die Seiten, die Sie mir zugeschickt haben, Zeile für Zeile gelesen. Als Beweis dafür hier leider zwei mißliche Druckfehler, die ich auf den Seiten 33 und 34 entdeckt habe. Der erste ist Moricheles statt Morichales. Termini, die sich auf Wälder beziehen (Waldendigungen), werden im Spanischen immer mit ‚al’ oder ‚ar’ gebildet, daher: Pino, Pinal oder Pinar (Kiefern-/Pinienwald); Olivo, Olivar (Olivenhain); Roble, Robledal (Eichenwald). Der zweite Druckfehler ist Cauca und Erenato statt Caura und Erevato. Über den Caura, der in den Erevato fließt, habe ich eine Spezialkarte veröffentlicht. Der Caura ist jedoch ein Zufluß des Orinoco, während der Cauca in den Río Magdalena fließt. Sie können daraus ersehen, daß ich Ihre aufschlußreichen Seiten sorgfältig durchgesehen habe. Die Beschreibung des großen Palmenhauses in Kew und besonders die darauf folgenden Abschnitte haben mir wirklich große Freude bereitet. Bitte vergessen Sie nicht, die Überraschung der Reisenden zu erwähnen, wenn sie zum ersten Mal auf europäische Formen stoßen (Pinus zum Beispiel), die zusammen mit tropischen (Palmen etc.) in einem Wald wachsen, wie es in Chilpanzingo, auf den westlichen Abhängen der mexikanischen Hochebene, vorkommt oder auf der Insel Pines, südlich von Kuba, die wegen ihrer Mahagoni-Bestände besucht wird. Petrus Martyr (von Angheria) schreibt, sich auf einen von Kolumbus’ Briefen beziehend, daß Pineta und Palmite dort gemeinsam wuchsen. Die Konquistadoren bemerkten ein Nadelgewächs mit Früchten, die Oliven ähnelten (parezen azeytunos del Azarate de Sevilla), welche ich für eine Spezies der Gattung Podocarpus halte. Da Ihr Werk sehr viel gelesen werden wird, dürfen Sie nicht vergessen, etwas über das oppositum der zahlreichen Küstenpflanzen zu schreiben, – über die wenig bekannte Gruppe der alpinen beziehungsweise Berg-Palmen (Ceroxylon Andicola, Oreodoxa frigida und Kunthia montana). Ceroxylon Andicola habe ich in der Kordillere auf dem Paß von Quindío zwischen Ibagué und Cartago gesehen, auf den Hängen nicht unterhalb von 7.930 und nicht oberhalb von 9.700 Englischen Fuß (man könnte sagen, zwischen 7.900 und 9.700 Fuß) und dort zusammen mit Steineibengewächsen und Quercus Granatensis. Ich verbleibe, etc., Alexander von Humboldt.“