Digitale Ausgabe – Übersetzung

Der Freiherr Alexander von Humboldt an Jules Gérard

Der Erfolg der Chasse au Lion [Der Löwenjäger] nimmt mit jedem Tag zu, vorbereitet vor allem durch die Neugier, die dieses bemerkenswerte Buch seit seinem Erscheinen so gerechtfertigterweise in der Welt geweckt hat, und seither bestätigt durch die Meinung der gesamten Presse. Unter anderen Zeugnissen, die nicht schmeichelhafter sein könnten und die der Verfasser, Jules Gérard, unser Freund und Mitarbeiter, von überall erhalten hat, ist eines, das mit Vergnügen zu veröffentlichen wir uns nicht versagen können, es ist der folgende Brief, den ihm aus Berlin eine der größten Berühmtheiten des Jahrhunderts geschrieben hat, der gefeierte und gelehrte Reisende, Freiherr Alexander von Humboldt: „Mein Herr, es ist eine gar angenehme Pflicht, Ihnen zu sagen, wie glücklich ich über Ihr liebenswertes Souvenir bin, wie glücklich, die Chasse au Lion aus der Hand dessen zu besitzen, der die edle Energie des Charakters mit dem Talent verbindet, Naturgemälde voller Leben und Anmut mit Leichtigkeit zu entwerfen. Ich kenne nichts Fesselnderes als die Lektüre Ihres Werkes, und alle Personen, denen ich diese so frischen Bilder bereits mitgeteilt habe, von einer oft so erschreckenden Wahrheit, ungekünstelt, ohne auf den Effekt zielenden Schwulst, haben wie ich gespürt, daß es nicht lange und schwere literarische Studien sind, sondern die glückliche Darstellung des Menschen im Kontakt mit einer großartigen Natur, welche die Höhe Ihres Stils begründet und ihm eine so anziehende Wahrhaftigkeit verleiht! Wie glücklich war Herr Léon Bertrand inspiriert, mein Herr, als er Sie engagierte, uns dieses anmutige Werk zu schenken, als er Ihnen riet, sich ganz auf das innere Gefühl zu verlassen, als er Ihnen von jeder fremden Verbindung abriet, welche „ihre Farbe mit der Ihren gemischt“ und die Individualität hätte verschwinden lassen, die uns entzückt. Nein, es ist nicht nur die Komposition Ihres Werkes, die sein Verdienst ausmacht, es ist die Masse neuer Beobachtungen über die Gewohnheiten der Löwen und Panther, es ist das bezaubernde Bild der Falknerei, der Rasse der Hirsche, von der ich immer vermutet habe, daß sie nach Europa eingeführt wurde. Wenngleich die politischen Unruhen die literarischen Interessen gegenwärtig nicht begünstigen, wäre es mir das größte Vergnügen, mein lieber Herr, Ihr schönes Werk, begleitet von einem Brief, dem König von Preußen zu schenken. Ich hoffe, ihm selbst einige Kapitel daraus in Sans-Souci vorlesen zu können, wohin sich der Hof alsbald begeben wird. Bitte lassen Sie das Buch und den Brief an meine Adresse schicken, aber nicht per Post, sondern über das Büro der Kanzlei der preußischen Gesandtschaft in Paris. Da ich mich durch meine Korrespondenz mit dem russischen Kapitän Boutakoff, zur Zeit in Aralizer am Aralsee, kürzlich versichert habe, daß die Rasse der Tiger, die ich in Sibirien gesehen habe, identisch mit den Tigern Bengalens, einem Winter von 20° Réaumur unter Null widersteht, bitte ich Sie erneut um die Güte, mein Herr, mir zu sagen, wie sich Ihre Löwen im Winter verhalten, wenn sie durch Schnee gehen. Noch zu Aristoteles’ Zeiten gab es Orte in Mazedonien, wo das Thermometer im Winter gewiß einige Grad unter Null steht. Könnten Sie mir, indem Sie es abschätzen, ungefähr die größte Kälte bezeichnen, welche die Löwen von Constantine in strengen Wintern ertragen? Ich wünschte eine numerische Angabe in Centigraden unter Null, wenn es die Natur des Löwen erlaubt. Bitte nehmen Sie, mein Herr, den Ausdruck meiner herzlichsten Achtung entgegen, Freiherr von HUMBOLDT Berlin, den 1. Mai 1854. P. S.: Ich hatte vor, Algier und Constantine während der Expedition nach Ägypten zu besuchen; um der Expedition über Tunis zu folgen, hatte ich in Marseille ein Schiff gemietet. Nach der Schlacht von Abukir, als der Dey von Algier alle Franzosen verhaften ließ, mußte ich dieses Vorhaben aufgeben. Meinen Schicksalsgefährten, Herrn von Bompland, konnte ich dieser Gefahr nicht aussetzen. Ich bedauere, dieses schöne Land nicht gesehen zu haben.“