Digitale Ausgabe – Übersetzung

Ein Gespräch mit Humboldt – Sein Brief an Herrn Heine

New York, 6. Mai 1851. Während der jüngsten politischen Auseinandersetzung zwischen England und den Vereinigten Staaten in Mittelamerika hielt sich Mr. E. George Squier als Amtsträger der USA in diesem Teil des Kontinents auf. Diese Auseinandersetzung führte zur Besetzung und anschließenden Räumung der Insel El Tigre durch die Engländer und zu zwei Verträgen über die Öffnung des Isthmus von Nicaragua. Er schickt sich nun an, nach Mittelamerika zurückzukehren. Es scheint, daß Mr. Squier auf seiner neuerlichen Reise keine diplomatische Mission zu erfüllen hat, sondern in jenen interessanten Ländern, in denen sich die wertvollsten Überreste der alten amerikanischen Zivilisation befinden, die archäologischen Untersuchungen fortsetzen will, mit denen dieser fähige und gelehrte Altertumsforscher zuvor begonnen hatte. Begleitet wird Mr. Squier auf seiner wissenschaftlichen Expedition von dem ausgezeichneten deutschen Künstler Herrn Heine, der sich seit einiger Zeit in dieser Stadt aufhält. Wir hatten das Vergnügen, ein Antwortschreiben des Altmeisters der Wissenschaften, des berühmten Barons von HUMBOLDT, an Herrn Heine zu Gesicht zu bekommen, ebenso wie einen Brief des Vaters von Herrn Heine, in dem dieser ein Gespräch beschreibt, das er mit Baron von Humboldt hatte, um diesem den Brief zu überreichen, in dem Herr Heine den hochbetagten Philosophen um einige Ratschläge bat, welches die wichtigsten Dinge seien, die er auf seiner Reise durch Mittelamerika untersuchen und studieren sollte. In der Folge übersetzen wir den Brief des Barons von Humboldt. „Mein verehrter Herr Heine: da ich derzeit sehr beschäftigt bin, kann ich Ihren freundlichen Brief nur mit einigen Worten beantworten. Ich glaube, Sie können sich glücklich schätzen, daß sich Ihrem Talent eine günstige Gelegenheit bietet, die großen Szenen der tropischen Welt und die ehrwürdigen Überreste der antiken Kultur zu beschreiben. Ich empfehle Ihnen ein genaues Studium der vulkanischen Gipfel; dies halte ich für sehr viel wichtiger als jenes der Physiognomie der Pflanzenwelt, die schon von den getreuen, umfassenden Skizzen von Rugendas, Eduard, Hildebrandt und Bellermann beleuchtet wurde. Doch all jene großen mit Inseln übersäten Seen werden dem Landschaftsmaler viele Szenerien darbieten. In Bezug auf die Monumente (in Yucatán, Guatemala und Nicaragua) fehlt es vor allem an Zeichnungen, die deren wahre Proportionen zeigen. Ihre Kenntnisse der Architektur werden es Ihnen erleichtern, diesen Mangel zu beheben. Die Oktav-Ausgabe meines dreiteiligen Folio-Werkes Ansichten der Kordilleren könnte meiner Meinung nach für Sie sehr hilfreich sein. Darin werden Sie eine Vielzahl von Ansichten finden, die einen Eindruck davon vermitteln, was es für Sie auf dem Gebiet der ornamentalen Bildhauerkunst zu entdecken gibt, mit der alle alten Gebäude der Azteken, der Bewohner Yucatáns und der südlichen Region nahe dem Isthmus bedeckt sind. In Yucatán findet man eine Art Spitzbögen, die indes aus hervorstehenden Steinen konstruiert sind, wie in den antiken Monumenten der Ägypter. Hier werden Sie Teile von Skulpturen des aztekischen Kalenders finden, Überlieferungen der vier Weltalter oder auch den Namen Votun, der, wie es scheint, eine gewisse Verbindung mit dem des Odin hat, welcher bei unserer Einteilung des Jahres eine Rolle spielt. Ihre Beziehung zu Mr. Squier freut mich sehr; übermitteln Sie ihm bitte meine besondere Wertschätzung; ich danke ihm für seine bewundernswerten Forschungen zu den rätselhaften Monumenten in den Vereinigten Staaten. Ich wünsche Ihnen Glück und guten Erfolg, die Ihren lobenswerten Forschergeist sicherlich krönen werden! HUMBOLDT. Sie werden sicher auch mit Interesse die folgenden Abschnitte lesen, die wir aus dem Brief des Vaters von Herrn HEINE übersetzen: „Der große Philosoph erschien mir als der liebeswürdigste Herr, der mir je begegnet ist; er ist ein Menschen- und Naturfreund. Seine heiteren, klaren Augen, die sympathischen Gesichtszüge, gekrönt von weißem Haar, machten auf mich großen Eindruck; ich könnte nicht sagen, ob dieser Eindruck eher ein Gefühl der Hochachtung oder eines von spontaner Zuneigung war. Er spricht sehr schnell, aber deutlich. Seine Stimme ist sanft und überzeugend, und sein leicht gebeugter Körper verrät kaum sein hohes Alter von 81 Jahren. Er lud Deine Mutter und mich ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen, und schob mit familiärer Geste einen Stuhl neben mich. Auf meine Andeutung hin erwiderte er: ‚Ich setze mich niemals auf Sofas.‘ Ich gebe Dir jetzt seine Worte so genau wie möglich wieder: ‚Ich bitte Sie, mich nicht zu unterbrechen, denn meine Zeit ist sehr begrenzt. Ihr Sohn hat mir einen sehr freundlichen Brief geschrieben, der mir große Freude bereitet hat und in dem er mir von seinen Plänen berichtet. Ich kenne Mr. Squier und seine Unternehmungen. Ich habe darüber auch mit dem König gesprochen, der sich freut, daß ein junger deutscher Künstler Mr. Squiers Begleiter sein wird. Der König schätzt Mr. Squier sehr, anfänglich jedoch überraschten ihn dessen Berichte über die monströsen Ausmaße der antiken amerikanischen Monumente. Diese Berichte später vollständig bestätigt zu sehen, fand das Wohlwollen seiner Majestät, und so verfolgt er das Unternehmen jetzt mit nicht weniger Anteilnahme als ich. Sie können sich kaum vorstellen, welch lebhaftes Interesse ich an all den Dingen habe, die dort in der Ferne unternommen werden, um neue Wahrheiten und Schönheiten zu entdecken etc. – … Der höchste Grad der Vollkommenheit, den der Mensch erreichen kann, ist das Wissen darum, was es noch zu tun gilt. Ich habe in die Wege geleitet, was Ihr Sohn für mich tun möge. Aber warten Sie einen Moment, ich muß noch etwas schreiben.‘ Und mit diesen Worten ging er ins Nebenzimmer und kehrte sogleich mit zwei Bänden zurück, lächelte und sprach die folgenden Worte: ‚Wenn ich schreiben will, muß ich sehr langsam schreiben. So ist es eben mit 81 Jahren!‘ …“