Digitale Ausgabe – Übersetzung

Auszug aus einem Brief von Herrn von Humboldt an Herrn Arago

„Aus politischen Zeitungen habe ich mit Erstaunen erfahren, in der Akademie sei bekanntgegeben worden, daß der Sternschnuppenfall vom 12. bis 14. November dieses Jahr um vierundzwanzig Tage verfrüht gewesen sei; der Asteroidenschauer habe vom 15. bis 17. Oktober stattgefunden. Diese Veränderung des Knotens (des Durchschnittspunkts des Asteroidenrings und der Erdbahn), so abrupt von einem Jahr zum anderen (das Phänomen ist von 1799 bis 1848 unverändert an den 12. bis 17. November gebunden gewesen), erschien mir wenig wahrscheinlich. Tatsächlich hat der Schauer, der vom 15. bis 17. Oktober 1849 zu beobachten gewesen sein soll, das große November-Phänomen im selben Jahr nicht aufgehoben. In der Sternwarte von Breslau waren Herr von Boguslawski und eine große Zahl junger Studenten, welche die Konstellationen kennen und das Wetter zu beobachten wissen, an sechs großen Fenstern aufgestellt, die den gesamten Horizont umfassen. Am 12. November zählte man von 10 h  30 m bis 12 h  30 m insgesamt 88 Sternschnuppen, von denen 78 in Karten eingezeichnet wurden: darunter 1 von der Größe der Venus, 1 wie Jupiter, 15 wie Sterne erster Größe, 31 zweiter Größe. Am 13. November wiederum sechsundzwanzig Beobachter, aber ein wenig Nebel. Man konnte nur von 10 h  30 m bis 12 h  15 m beobachten. 69 Sternschnuppen wurden gesehen, von denen 62 in die Himmelskarten eingetragen wurden. Eine Feuerkugel ging um 10 h  23′ 12″, mittlere Zeit von Breslau, von der Giraffe zum Großen Bären. Weiterhin 1 Sternschnuppe so groß wie Venus, 9 wie Sterne erster Größe, 20 zweiter Größe, 25 dritter Größe. Man wird, da ich im Kosmos auf diesen Zeitraum hingewiesen habe, in Breslau vom 6. bis 12. Dezember von 10 h  30 m bis 12 h  30 m beobachten. Du erinnerst Dich, die drei großen Meteorströme (wie man sie in Europa in diesem Jahrhundert nicht gesehen hat) waren: 12.–13. November 1799, Cumaná; 12.–13. November 1833, Nordamerika; 13.–14. November 1834, Nordamerika. Seitdem haben die Schauer oft in der Nacht vom 13.–14. November stattgefunden, und man konnte eine Bewegung des Knotens vermuten. Und 1849 war das Phänomen erneut am 12.–13. am stärksten, so wie Herr Bonpland und ich es bereits vor einem halben Jahrhundert beobachtet hatten. Der Oktoberschauer, der in diesem Jahr vom 15.–17. Oktober beobachtet wurde, ist unabhängig von dem Novemberschwarm, da sie in diesem selben Jahr 1849 beide gesehen wurden. Es ist recht bemerkenswert, daß auch die arabischen Schriftsteller zwei enorme Sternschnuppenschauer verzeichnen, einen vom 19. Oktober 1202 (Fraehn im Bulletin der Akademie von Sankt-Petersburg, Band III, Seite 308) und einen im Oktober 902, in der Nacht, als der König Ibrahim-ben-Ahmed starb (Conde, Historia de la dominación de los Arabes, Seite 346). Herr Sédillot könnte das genaue Datum des Todes dieses Königs herausfinden. Ich denke, daß sich etliche scheinbare Anomalien erklären lassen, wenn man annimmt, daß der Schwarm eine gewisse Breite, eine variable Breite hat und daß die Asteroiden in der Ringzone ungleich weit verteilt und dicht gedrängt zu finden sind. Haben wir nicht gesehen, wie der Komet von Biela sich seit dem 19. Dezember 1845 in zwei Kometen teilte, die jeder einen eigenen Schweif hatten und in einem Abstand von 20 Minuten parallel wanderten! Kosmische Wolken, die so wenig Masse haben, müssen, wie die Kometen, die Feuerkugeln und die Sternschnuppen, erheblichen Veränderungen in Form, Richtung und Geschwindigkeit unterworfen sein.“