Digitale Ausgabe – Übersetzung

Über die Länge von Valparaíso und Callao, in einem Brief von Baron Alexander von Humboldt

Sans Souci, bei Potsdam, den 6. September 1839 Mein Herr, – erst sehr spät drücke ich meine lebhafteste Dankbarkeit aus für die Freundlichkeit, mit der Sie es mir so rasch ermöglichen, in den Genuß der bedeutenden Beobachtungen zu kommen, die den Zweiten Teil von Band IX des London Geographical Journal bereichern. Eine Reise mit dem König von Preußen nach Böhmen verzögerte den erneuten Ausdruck meiner hohen Wertschätzung und meines ständig wachsenden Interesses, hervorgerufen durch die Lektüre eines Journals, das so reich an neuem Material und so sorgfältig redigiert ist. Durch die überaus schmeichelhafte Weise, in welcher der Präsident der Gesellschaft, Herr W. Hamilton, in seiner ausgezeichneten Ansprache meine unbedeutenden und vorsintflutlichen astronomischen Arbeiten im tropischen Amerika erwähnte, sehe ich mich verpflichtet, die Position einiger Punkte, denen Kapitän Fitz Roy in seinem bewundernswerten Werk (Appendix to the Voyages of the Beagle) besondere Aufmerksamkeit widmete, noch einmal zu überprüfen und mit neuen und guten Beobachtungen zu vergleichen. Von den Punkten, die ich an der Küste des Pazifischen Ozeans bestimmt habe, ist Callao, der Hafen von Lima, vielleicht der wichtigste. Er ist ebenso wichtig, wie es Cumaná, Puerto Rico und Havanna in Westindien sind. In der erhellenden und präzisen Darstellung seiner chronometrischen Bestimmungen, in denen beim ganzen Erdumfang nur 33 Zeitsekunden in Rechnung gestellt werden müssen, welche auf eine große Zahl einzelner Meridiandistanzen zu verteilen sind, schreibt Kapitän Fitz Roy: „Callao, Sydney und das Kap der Guten Hoffnung (Appendix, Seite 345) sind drei weit entfernte Punkte, die (zum Vergleich) eher herangezogen werden könnten als andere, da sie allgemein als genau bestimmt gelten; wenn die durch die Beagle ermittelte Position von Callao sich als nicht korrekt herausstellt, dann muß auch die nach Humboldt (berechnet von Oltmanns) falsch sein.“ Es wird Ihnen, mein Herr, sicherlich angenehm sein, von den Ergebnissen einiger neuer Untersuchungen über diesen Punkt zu erfahren. Meine Länge von Callao beruht, wie Sie wissen, auf dem Merkurdurchgang vom 9. November 1802. Der innere Kontakt, der gesichertere von den beiden, ergab 5h 18m 18s. Die Mittelzahl beider Kontakte lag bei 5h 18m 16s, immer vom Meridian von Paris aus gerechnet. Herr Oltmanns hat meine Beobachtung mit anderen verglichen, die in Greenwich, Paris, Seeberg, Lilienthal, Berlin, Celle und Kopenhagen gemacht wurden (Humboldt, Recueil d’Observations Astronomiques, Band 2, Seite 421–427). Eine lange Reihe von Monddistanzen, die während der Reise von Kapitän Duperrey ermittelt wurden, ergibt 5h 18m 16,3s; Lartigue kommt mittels Distanzen und chronometrischen Messungen von Quilca aus auf 5h 18m 0,7s (Givry, Connaissance des Tems, 1827, Seite 258), Kapitän Fitz Roy stellt 5h 18m 16s fest (Appendix, Seite 349), beruhend auf der Länge von Valparaíso. Nun wurde auf der Expedition der Beagle für Valparaíso eine Länge von 4h 56m 7s angenommen und die Längendifferenz zwischen Valparaíso und Callao mit 0h 22m 9s bestimmt. Tatsächlich ist 5h 18m 16s genau die Länge, die ich aufgrund der beiden Kontakte gefunden habe, das sind 2 Zeitsekunden weniger, als bei dem äußeren Kontakt der Merkurpassage von 1802 gemessen. Der Durchgang des Merkur über die Sonnenscheibe im Jahr 1832 wurde von Herrn Scholtz in Lima und in Breslau von Herrn Boguslawski beobachtet. Ich habe Herrn Galle, Hilfs-Astronom am Königlichen Observatorium in Berlin, gebeten, den Durchgang zu berechnen. Herr Galle fand für die Länge von Lima: h m s 5 17 41,4 beim inneren Kontakt, 5 17 48,5 beim äußeren Kontakt, Mittelwert: 5h 17m 45s. Nun habe ich mit dem Chronometer die Lage von Lima östlich von Callao wie folgt gefunden (Recueil d’Observations Astronomiques, Band 2, Seite 428), – Sekunden 1802, 9. November 28,6 1802, 14. Dezember 31,2 1802, 17. Dezember 27,8 1802, 27. Dezember 27,2 ______ 28,7 woraus aufgrund des Merkurdurchgangs von 1832 folgt, daß die Länge von Callao nach Herrn Galle 5h 18m 13,7s ist, während die Passage von 1802 5h 18m 18s ergibt und Kapitän Fitz Roy 5h 18m 16s feststellt. Die Genauigkeit der Bestimmung der Länge von Callao scheint sich also während der letzten 30 Jahre in ausreichend engen Grenzen bewegt zu haben. Da man absoluten astronomischen Beobachtungen den Vorrang vor relativen und chronometrischen geben sollte, gestatten Sie mir, einen Augenblick bei der Position von Valparaíso zu verweilen. Die Verfinsterung des Sterns 644 im Skorpion wurde am 28. Oktober 1821 sehr genau von Kapitän Basil Hall beobachtet. Herr Foster, im allgemeinen sehr präzise in seinen Beobachtungen und Berechnungen, hat bei der Berechnung dieser Verfinsterung versehentlich einen Fehler gemacht; sie ergibt für das Fort San Antonio in Valparaíso nicht 4h 55m 15s, wie Herr Foster dachte, sondern 4h 56m 16,6s. Laut Bode (Astronomisches Lehrbuch für 1829, Seite 197) hatte Herr Oltmanns diesen Berechnungsfehler in einem schon im September 1826 verfaßten Memorandum durch einen Vergleich der Elemente nachgewiesen. Die Verfinsterung des Antares 1 ergibt 4h 56m 42s: aufgrund zweier Verfinsterungen haben wir daher 4h 56m 29s = 74° 7′ 15″; aber da die Monddistanzen und die Satelliten 74° und 73° 59′ ergeben, nahm Herr Oltmanns in einem handschriftlichen Memorandum, das er mir kurz vor seinem Tod zukommen ließ, die Länge des Fort San Antonio in Valparaíso mit 74° 2′ = 4h 56m 8s an, was nur um eine Zeitsekunde von dem Ergebnis abweicht, das die denkwürdige Expedition unter den Kapitänen King und Fitz Roy ermittelte. Kapitän Beechey hat ein bedeutendes Ergebnis publiziert (Nautical Magazine, April 1838), das er anhand des Monddurchgangs durch den Meridian ermittelte. Die Beobachtungen von vierzehn Tagen, verglichen mit Cambridge, Paris, Edinburgh und dem Kap der Guten Hoffnung, weichen nur um 27 Zeitsekunden ab; die Gesamtheit dieser Durchgänge ergibt 4h 55m 59,1s; aufgrund von 120 Monddistanzen kommt Kapitän Beechey auf 4h 55m 53,4s; ein Mittel von 4h 55m 56,2s, das sind nur 12 Zeitsekunden weniger als mein Freund und Kollege Oltmanns aufgrund sämtlicher Finsternisse, Satelliten und Monddistanzen ermittelt hatte. Nehmen wir lediglich das Mittel der erstklassigen Beobachtungen, für Callao die der beiden Merkurdurchgänge über die Sonnenscheibe, für Valparaíso die der beiden Finsternisse, die Oltmanns berechnet hatte, und die der Monddurchgänge von Kapitän Beechey, so ergeben sich – h m s Callao ... 5 18 15,8 Valparaíso ... 4 56 12,42 _________________ Längendifferenz 0 22 3,4 was sehr gut zu den vier chronometrischen Versuchen paßt, von – ° ′ ″ Malespina ... 5 26 28 Kapitän Basil Hall ... 5 31 47 Lartigue ... 5 30 43 Fitz Roy ... 5 32 15 ___________ 0 22 1,4 Vielleicht sollte man zur Vorsicht das Ergebnis von Malespina weglassen, da es am stärksten abweicht. Da die astronomischen Tabellen nach und nach korrigiert werden, wird es notwendig, frühere Berechnungen zu überprüfen. Für Cumaná ermittelte ich durch eine Sonnenfinsternis 4h 25m 51s Durch Chronometer 4h 26m 4s Durch die Satelliten 4h 26m 6s ______________ 4h 26m 0,4s – (Recueil d’Observations Astronomiques, Band 1, Seite 86). Am 7. November 1799 konnte ich bei sehr klarem Himmel die Immersion des II. Trabanten gut beobachten. Diese Beobachtung, die Baron von Zach während meiner Reise auf dem Orinoco veröffentlichte, ergibt, nach den Tabellen von Delambre, 4h 25m 32s; eine korrespondierende Beobachtung in Marseille ergibt für Cumaná 4h 26m 21s. Diese Beobachtung des II. Trabanten wurde soeben von Herrn Wolfers, einem sehr genauen und erfahrenen Rechner, nach den exzellenten Tabellen von Damoiseau berechnet. Das Resultat ist 4h 26m 3,9s; diese einzelne Beobachtung weicht nur um 4 Sekunden vom allgemeinen Mittelwert ab. Da es zur Zeit so wenige Personen gibt, die sich beharrlich und mit der Genauigkeit, die der heutige Stand der Wissenschaft ermöglicht, mit astronomischer Geographie beschäftigen, ganz besonders, wenn es um Punkte außerhalb Europas geht, wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich von Zeit zu Zeit über Beobachtungen von Verfinsterungen, Sonnenfinsternissen oder mit dem Mond kulminierenden Sternen in Kenntnis setzen würden, denn ich habe hier die Mittel, diese Beobachtungen einer strengen Berechnung zu unterziehen. Der Band von Herrn Charles Darwin ist eine bewundernswerte Ergänzung zur Reise der Beagle : es ist eine der bemerkenswertesten Arbeiten, deren Erscheinen ich im Laufe meines langen Lebens mit Freude zur Kenntnis nehmen durfte. Herr Darwin verbindet seinen Scharfsinn bei genauesten Beobachtungen mit einem weiten Blick über die allgemeine Physik, ich sollte besser sagen: die Naturphilosophie – einem Blick, der zugleich die Geologie, die Geographie der Pflanzen und den Einfluß der Temperatur auf die verschiedenen Typen organischen Lebens in der primitiven Welt umfaßt. Auch ist es ein Glück, daß diese großartige Expedition in die südlichen Regionen Amerikas Ihren tüchtigen Geographen, Herrn John Arrowsmith, in die Lage versetzte, seine schöne Karte des gesamten südamerikanischen Kontinents zu konstruieren. Der Magnetischen Expedition unter Kapitän James Ross und der Einrichtung der Stationen, die wir der Großzügigkeit der Britischen Regierung verdanken, wünsche ich allen erdenklichen Erfolg. Wenn es wahr ist, daß der Brief, den ich an Seine Königliche Hoheit den Herzog von Sussex und an die Royal Society schrieb, dazu beigetragen hat, diese für die Wissenschaft so förderlichen Unternehmungen auf den Weg zu bringen, dann darf ich mich beglückwünschen, daß ich den Mut hatte, mich für eine so großartige Sache einzusetzen. Ich hoffe, Kapitän Ross hat die notwendigen Instrumente zur Beobachtung der magnetischen Inklination auf See an Bord, so wie Herr Adolph Erman3 und seinerzeit ich. Da eine unermeßlich dicke Schicht Wasser die Oberfläche des Erdballs bedeckt, sind diese Beobachtungen, die weniger durch lokale Störungen beeinflußt sind, von großer Bedeutung, selbst wenn sie mit geringerer Genauigkeit ausgeführt werden. Außerdem werden wir erfahren, ob die Sternschnuppen-Schauer vom 10. bis zum 12. August und vom 12. auf den 13. November weit in Richtung Südpol zu sehen sind. Während der letzten sechs oder acht Monate war ich täglich mit dem Streichen der Gebirgsketten in Zentral-Asien beschäftigt, außerdem mit einer neuen Ausgabe der zwei Bände der Fragmens de géologie et de climatologie asiatiques, die ich nach meiner Rückkehr aus Sibirien veröffentlicht habe. Es bestehen noch immer große Zweifel an der Lage und den Namen der Seen, die auf der Hochebene des Pamir die Quellen des Oxus bilden; über die Entdeckung des Sini-gúl und des „Lake Victoria“ durch Leutnant Wood weiß ich nicht mehr als die wenigen Zeilen, die in der Bombay Gazette und im Asiatic Journal für November 1838 zu lesen waren. Hat die Geographical Society zur Topographie des Pamir nichts Genaueres als einige astronomische Beobachtungen von Leutnant Wood, dem Begleiter des mutigen Sir Alexander Burnes? Dieser See, 15.600 Fuß über dem Meer, ist um so wichtiger für mich, als ich dank der Freundlichkeit von Herrn Stanislas Julien, Professor für chinesische Literatur am Collège de France in Paris, einen sehr interessanten Bericht über die Hochebene des Pamir publizieren werde, die der unveröffentlichten Reisebeschreibung von Hiouenthsong, einem buddhistischen Reisenden aus dem 7. Jahrhundert, entnommen ist. ALEXANDER HUMBOLDT