Digitale Ausgabe – Übersetzung

Auszug eines Briefes von dem Freiherrn Alexander von Humboldt an den Herausgeber (Über die Bestimmung der Lichtstärke südlicher Sterne)

Berlin, Februar 1839. Sie kennen seit langem meine besondere Vorliebe für die Sterne des südlichen Himmels. Ich möchte indes nicht, daß diese Vorliebe mir schadet. Ich habe mit dem lebhaftesten Interesse die schönen photometrischen Beobachtungen von Sir John F. W. Herschel gelesen, die Sie jüngst in der Nummer 372 Ihrer Zeitschrift veröffentlicht haben. Die aufrichtige Bewunderung, die ich seit so vielen Jahren für Herrn Herschel bekunde, verpflichtet mich, einige etwas ungenaue Bemerkungen, die ich bei meiner ersten Rückkehr nach Europa geäußert habe, noch zu erläutern. Ich bezweifle nicht, daß Herr Herschel, hätte er meine eigenen Werke konsultiert anstatt Tilloch’s Philosophical Magazine von 1802, das, wie ich höre, den Auszug eines Briefes an Lalande enthält, die Güte besessen hätte, die Ausführungen hinzuzufügen, welche ich zu dem wahren Sinn meiner numerischen Schätzungen gemacht habe. Diese Schätzungen habe ich zuerst in der Einleitung meines 1810 veröffentlichten Recueil d’observations astronomiques (Band I, Seite LXXI) und dann 1814 im ersten Band der Voyage aux Régions équinoxiales (Seiten 518 und 624, immer die Quart-Ausgabe) behandelt. Im ersten dieser Werke setze ich Zahlen neben 16 Sterne (die Anmerkung C der Relation historique enthält 26) und füge dann hinzu: „Ich habe die Sterne untereinander verglichen, indem ich Sirius = 100 setzte und die Sterne erster Größe zwischen 100 und 80 einordnete; diejenigen zweiter Größe zwischen 80 und 60 usw. Um die relative Lichtstärke von zwei Sternen festzustellen, habe ich Plangläser von unterschiedlichen Dicken verwendet, weiß oder gefärbt, und vor das Okular des Fernrohrs gesetzt; Diaphragmen, welche die Öffnung des Objektivs verkleinerten, und vor allem ein Reflexions-Instrument, das zwei Sterne in das teleskopische Gesichtsfeld zu holen und ihr Licht in gleicher Intensität zu zeigen vermag, indem es je nach Wunsch mehr oder weniger Strahlen empfängt, welche der große Spiegel reflektiert. Alle diese Mittel sind, darin stimme ich zu, äußerst unvollkommen, vor allem wegen der ungleichen Verdunkelung des Lichts unter verschiedenen Inzidenzwinkeln. Dennoch werden sie einen Beitrag zur Lösung der wichtigen Frage leisten können, ob zwei Sterne, deren Glanz sich wenig unterscheidet, im Lauf der Jahrhunderte merkliche Veränderungen erfahren haben. Die photometrischen Forschungen werden erst dann auf soliden Grundlagen ruhen, wenn die Physik uns eine präzise Methode gelehrt hat, die Lichtmenge zu messen, die uns von den Planeten und den Sternen zurückgesandt wird.“ Diese Ausführungen zeigen zur Genüge, daß die Zahlen, die ich den Namen der Sterne beigefügt hatte, nicht unmittelbar mit denen verglichen werden können, die Herr Herschel als Maß für die Intensität angibt. Meine Zahlen beruhen auf einer jener willkürlichen Klassifikationen, die der große Astronom in § 584 seines Treatise on Astronomy in Erinnerung ruft. Ich nenne (zweifellos zu Unrecht) die Sterne erster Größe 80°–100°, diejenigen zweiter Größe 60°–80°, dritter Größe 45°–60°, vierter Größe 30°–45°, fünfter Größe 20°–30° (Voyage, Band I, Seite 624). Ich habe die astrometrische Skala in dem Maße verkleinert, wie das Licht der Sterne schwächer ist und mir der Vergleich, sei es mit bloßem Auge, sei es unter Anwendung der bescheidenen Mittel, die mir zur Verfügung standen, schwierig erschien. Da ich seit der Zeit von Lacaille Veränderungen der Lichtintensität bei einigen Sternen in den Konstellationen des Schiffs und des Kranichs wahrgenommen zu haben glaubte, habe ich in meinen handschriftlichen Tagebüchern vom Jahr 1799 die Schätzungen von fünfzehn Sternen des Kranichs festgehalten und zu diesem Zweck die willkürliche Skala bis zu den Sternen siebter Größe erweitert (10°–15°). Nach diesen Daten hätte ich neben Canopus die Zahl 91 statt 98 setzen müssen, wenn ich gewußt hätte, was Sir John herausgefunden hat, daß nämlich Sirius zu Canopus wie 4102 zu 2281 ist und daß das Verhältnis von Sirius zum letzten Stern unter denen erster Größe wie 4102 zu 179 ist. Die Zahlen, die ich in meiner Arbeit präsentiert habe, entsprechen jenen Unterteilungen in drei Ordnungen (große, mittlere und kleine), welche die arabischen Astronomen nach dem Beispiel von Ulugh Beg in jeder Gruppe von Sternen erster oder zweiter Größe vornehmen, um die relativen Intensitäten besser einschätzen zu können. Der an Sie gerichtete Brief enthält zwei Arten der Klassifikation. In der einen sind 25 Sterne einfach auf einer abnehmenden Skala von Sirius bis α des Kranichs angeordnet, ohne daß für einen von ihnen der Grad der Lichtstärke numerisch spezifiziert würde. In der anderen Klassifikation sind 13 Sterne einzeln photometrisch geschätzt. Was ich während eines langen Aufenthaltes in der heißen Zone versucht habe, gehört zur ersten dieser Methoden. Die Zahlen, die ich hinzugefügt habe, dienten nur dazu, anzuzeigen, welche Stelle der Stern auf meiner Skala innerhalb der zehn Grade zwischen 80 und 100 einnimmt. Ich habe bevorzugt ein Reflexions-Instrument verwendet, mit dem ich zwei Sterne zugleich ins Gesichtsfeld des Fernrohrs holte, nachdem ich ihr Licht gleich stark gemacht hatte, indem ich nach Belieben mehr oder weniger der durch den beschichteten Teil des Spiegels reflektierten Strahlen empfing. Damals bedauerte ich, daß ich an dem beweglichen Fuß des Fernrohrs meines Sextanten keine Skala anbringen konnte (Voyage, Band I, Seite 518). Mein verehrter Freund Herr Arago, der ganz andere photometrische Mittel besitzt als die bisher bekannten, hatte mich wegen des Anteils an Fehlern beruhigt, welche von der Veränderung der Neigung eines auf der Innenfläche beschichteten Spiegels ausgehen könnten (Band I, Seite 624). Im übrigen kritisierte er das Prinzip meiner Methode und bezeichnete sie als kaum der Verbesserung fähig. Sir John Herschel betrachtet ebenfalls Sirius, Canopus und α Centauri als die schönsten Sterne am Himmel. Ich setze Achernar unmittelbar hinter α Centauri. Herr Herschel läßt Rigel dem Achernar vorausgehen. Nach Sir John Herschel _ _ Nach Humboldt. Sirius _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Sirius Canopus _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ Canopus α Centauri _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ α Centauri _______________________________ Rigel _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ Achernar Achernar _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ _ β Centauri _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ Fomalhaut _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ _ Rigel _________________________________ Procyon _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ Procyon α Orion _ _ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ _ α Orion β Centauri Fomalhaut ___________________________________ ε Großer Hund _ _ _ _ _ ε Großer Hund α Kranich _ _ _ _ _ _ α Kranich In dem Vergleich der Klassifikationen habe ich die beiden Sterne (β Centauri und Fomalhaut), bei denen ich am stärksten abweiche, kursiv hervorgehoben. Der Irrtum ist zweifellos meinerseits, denn man darf nicht unvorsichtig Veränderungen der Intensität annehmen, wo nur ein Mangel an Präzision in der Schätzung des Verhältnisses der Lichtstärken vorliegen mag. Ich sehe mit einiger Befriedigung, daß ich bei meinen direkten Messungen die Verhältnisse zwischen Sirius, Canopus, α Centauri und Achernar besser erfaßt habe. „Ich habe nach vielen Kombinationen erkannt (schrieb ich im Bericht über meine Reise), daß Sirius lichtstärker ist als Canopus, wie α Centauri lichtstärker ist als Achernar.“ Die photometrische Methode, die ich anwandte, ließ mich nicht erkennen, ob ein Stern die Hälfte oder ein Drittel der Lichtstärke des Sirius hat, aber sorgfältig ausgeführt müßte sie dazu dienen, gleiche Verhältnisse zwischen den Lichtstärken von 3 oder 4 Sternen festzulegen. Herr Herschel schreibt Ihnen: I make α Eridani half α Centauri, I cannot estimate the light of Canopus as much more than half that of Sirius and the step from Canopus to α Centauri is fully as wide as that from Sirius to Canopus. [Ich setze α Eridani als die Hälfte von α Centauri an, ich kann das Licht von Canopus nicht viel mehr als halb so stark schätzen wie das von Sirius, und der Schritt von Canopus zu α Centauri ist genau gleich weit wie der von Sirius zu Canopus.] (Sirius = 4102, Canopus = 2281, α Centauri = 1000, α Eridani = 519). Ich hatte neben diese vier Sterne die Zahlen 100, 98, 96 und 94 gesetzt. Die steps waren die gleichen. Die Urteile über die relative Lichtstärke der Sterne, die wir uns mit bloßem Auge bilden, sind ganz erheblich von dem Wert entfernt, den ihnen die absoluten photometrischen Messungen zuweisen. Ein hervorragender Beobachter, Herr Steinheil, setzt die Kornähre der Jungfrau über Rigel, während Rigel in der Klassifikation von Herrn Herschel bereits an 8. und die Kornähre erst an 16. Stelle steht. Regulus steht bei Herrn Steinheil über Aldebaran, während Herr Herschel Aldebaran den 11. und Rigel den 22. Rang zuweist. Für ein gewöhnliches Auge ist es schwierig, sich davon zu überzeugen, daß Arcturus nur mit dem sechsten Teil des Lichtes von Sirius leuchtet. Wenn dieser letzte Stern doppelt so lichtstark ist wie Canopus, wie es die photometrischen Messungen von Sir John Herschel ergeben, dann täuscht der Augenschein bei Canopus nach dem individuellen Eindruck, den ich beim Anblick dieses Sterns vor 38 Jahren hatte, als er er mir so oft dazu diente, die Breitengrade von Orten zu bestimmen, noch mehr. Vor mir haben andere Reisende gleichermaßen lebhafte Eindrücke gehabt. Lalande schreibt in seiner Astronomie, § 670: „Über dem Steuer des Schiffes steht Canopus, der manchmal heller erscheint als Sirius, Herrn d’Angos zufolge“, und dann in § 2261: „Canopus ist ein Stern, der so groß erscheint wie Sirius, zumindest in einer klaren Nacht; manche sagen, sein Licht sei etwas weniger weiß oder etwas trüber und man sehe es nicht ganz so leicht in der Abenddämmerung; andere finden ihn schöner als Sirius.“ Dies sind, mein verehrter Freund, ein paar recht diffuse Erläuterungen zu einer Arbeit, die bald vierzig Jahre zurückliegt und die der Vergessenheit anheimfallen müßte. Vor kurzem habe ich den fünften Band meiner Geschichte der Geographie des 15. Jahrhunderts herausgebracht. Am Ende der zweiten Abteilung (Examen critique, Band V, Seite 226–238) findet sich eine lange Bemerkung über die Beschreibung, die Vespucci von mehreren Canopi resplendenti gibt, sowie über die Sterne im Kreuz des Südens, die Ptolemäus in die Füße des Zentauren gesetzt hatte. Zur Zeit von Amerigo Vespucci fand sich der Südpol noch in der Konstellation des Oktanten, und die Erläuterungen zu einigen sehr verworrenen Passagen des florentinischen Seefahrers, die ich, dem Rat meines gelehrten Kollegen Herrn Ideler folgend, gebe, werden zweifellos in neuem Licht erscheinen, wenn Sir John Herschel, der die Wunder des südlichen Himmels so gründlich kennt, meinem Werk einen Blick zu gönnen bereit ist. Ich werde nicht behaupten, Vespuccis Canopo fosco (ein Canopus schwarz und wunderbarlich groß, sagt die alte deutsche Übersetzung), sei einer der Kohlensäcke, doch ich möchte Ihnen eine wenig bekannte Passage von Petrus Martyr von Anghiera (Oceanica, Dekade I, Buch IX, Ausgabe Köln 1574, Seite 96) in Erinnerung bringen. „Interrogati a me nautae qui Vicentium Agnem Pinzonum fuerant comitati an antarcticum viderint polum: stellam se nullam huic arcticae similem quae discerni circa punctum (polum?) possit, cognovisse inquiunt. Stellarum tamen aliam, ajunt, se prospexisse faciem densamque quandam ab horizonte vaporosam caliginem, quae oculos fere obtenebraret.“ [Von mir gefragt, ob sie den Südpol gesehen haben, sagen die Seeleute, die Vicente Yáñez Pinzón begleitet hatten, daß sie keinen diesem arktischen Stern ähnlichen, der um den Punkt (den Pol?) herum unterschieden werden kann, haben erkennen können. Sie haben jedoch, sagen sie, ein anderes Aussehen der Sterne erblickt und einen gewissen dichten dunstigen Nebel vom Horizont aus, der die Augen beinahe verdunkelte.] Diese Worte scheinen mir die älteste Beschreibung der coalbags zu sein. Die Expedition von Vicente Yáñez Pinzón war 1499, und die Passage der Oceanica stammt wahrscheinlich von 1510. Der Pater Acosta erörtert später die Ursache dieser Flecken, die „dem verfinsterten Teil der Mondscheibe ähneln.“ Man kann sich schwer vorstellen, wie Herr von Zach (Bode, Jahrbuch 1788, Seite 167) aus dieser Passage hat schließen können, daß Acosta, dessen Werk zum ersten Mal 1590 in Sevilla erschien, „von Sonnenflecken“ gesprochen hätte, „die man in Peru, aber nicht in Europa sieht.“ (Examen critique, Band 4, Seite 316–336). In dem geistlichen Werk von Anghiera (Dekade III, Buch I, Seite 217) habe ich auch den ersten Hinweis auf die Magellanischen Wolken gefunden. „Assecuti sunt Portugallenses alterius poli gradum quintum quinquagesimum amplius: ubi punctum (polum?) circumeuntes quasdam nubeculas licet intueri, veluti in lactea via sparsos fulgores per universum coeli globum intra ejus spatii latitudinem.“ [Die Portugiesen haben mehr als den fünfundfünfzigsten Grad des anderen Pols erreicht, wo man einige Nebel, die um den Punkt (den Pol?) herumwandern, betrachten kann, wie die in der Milchstraße über die gesamte Himmelskugel innerhalb der Breite ihres Raumes verteilten Glanzpunkte.] Man kann nachweisen, daß diese Passage von 1514 stammt, also sieben Jahre vor der Reise von Pigafetta, selbst vor der Reise von Andrea Corsali nach Cochin in Indien. Diese Angaben sind durchaus nicht ohne Interesse für die Geschichte der Astrognosie.