Digitale Ausgabe – Übersetzung

Herr von Humboldt und die Vulkane von Mexiko

An den Herausgeber des Courier

Paris, Grand Hotel de Richelieu, 12 Mai 1825. Verehrter Herr – ich selbst habe Neu-Spanien bereist, und aufgrund der Dinge, die ich dort gesehen und erlebt habe, bin ich mir des unschätzbaren Wertes und der Genauigkeit der Werke Herrn von Humboldts sehr bewußt; so hat es mich durchaus überrascht, daß dieser herausragende Reisende ständig der Übertreibung und Ungenauigkeit beschuldigt wird. Wenn diejenigen, die versuchen, auf diese Weise den Wert der Werke Humboldts zu schmälern, sich der Schönheit der Natur nicht in gleichem Maße bewußt sind wie er, sollten wir uns vor Augen halten, daß es heute wahrscheinlich niemanden gibt, der in fast allen Wissenschaften über so tiefe und detaillierte Kenntnisse und zugleich ein so großes allgemeines Wissen verfügt; und daß ein solcher Geist Dingen die größte Bedeutung beimißt, die von einfachen und oberflächlichen Beobachtern kaum bemerkt werden, weil sie nicht in der Lage sind, sie zu würdigen. Da ich erfuhr, daß Herr von Humboldt bezichtigt wurde, eine absichtliche Unwahrheit geäußert zu haben, die nicht durch leidenschaftliche Empfindung oder blühende Phantasie zu rechtfertigen ist; und da ich außerdem vergeblich versucht habe, die Interpretation der entsprechenden Passage richtigzustellen; und weil er zudem in einem kürzlich erschienenen Werk angegriffen wurde – (Bullock’s Mexico, siehe Anmerkung am Ende von Kapitel vii.) – bin ich nach Paris gereist, hatte die Ehre und Freude, Herrn von Humboldts Bekanntschaft zu machen, und habe bei dieser Gelegenheit den Vorgang erwähnt; darauf hat er mir sehr freundlich Folgendes geantwortet: In der französischen Originalausgabe des Politischen Versuchs, Quart-Ausgabe, Band 1, Seite 80, Vorwort, Seite 17, habe ich Folgendes geschrieben: „Um aktive Vulkane von erloschenen besser unterscheiden zu können, habe ich mir erlaubt, den Zeichnungen des Pico de Orizaba und des Gran Volcán de la Puebla eine kleine Rauchsäule hinzuzufügen, obgleich ich eine solche nie gesehen habe, weder in Xalapa noch in México. Am 24. Juni 1804 haben wir in der Ebene von Tetimba, bei San Nicolás de los Ranchos, eine große Menge Asche und sehr dichten Rauch aus dem Schlund des Popocatepetl aufsteigen sehen.“ Ich habe in Band 1, Seite 179, Kapitel 8 Folgendes gesagt: „Der Popocatepetl bildet einen riesigen Kegel, dessen Krater, immer brennend, Rauch und Asche ausstoßend, sich in der Zone des ewigen Schnees öffnet!“ Dieser Satz behauptet mit Sicherheit nicht, daß man aus México den Rauch sehen könne; er besagt lediglich, daß aus dem Krater jedes Jahr, ich hätte auch sagen können jeden Monat, Rauch aufsteigt; man sieht ihn in der Ebene von Tetimba am Gipfel des Vulkans. Das Erdbeben vom 13. Januar 1804 wurde von einem starken Ausstoß von Asche und Rauch begleitet. Ausbrüche sind im Monat Mai zwischen 4 und 6 Uhr abends nichts Ungewöhnliches. Die Richtung des Rauchs dient den Indianern der Umgebung als Wettervorhersage. Herr von Humboldt wäre Herrn Stapleton sehr dankbar, wenn dieser seine Klarstellungen weiter verbreiten würde, denn seine Reputation als zuverlässiger Reisender ist ihm bedeutend wichtiger als die eines Gebildeten oder Gelehrten. Heute, Dienstag, Quai de l’École 26. Es ist hier ganz klar ersichtlich, daß Herr von Humboldt in seiner gewissenhaften und eindringlichen Beschreibung (Band 1, Seite 179, Kapitel viii) des Ausblickes, den man an einem schönen Morgen vom Turm der Kathedrale von Méxiko oder vom Hügel Chapultepec hat, mit keinem Wort behauptet, man könne von einem der beiden Punkte aus den Rauch sehen, der aus dem Krater des Popocatepetl aufsteigt. Er sagt lediglich, daß dieser immer brennt und Rauch daraus aufsteigt und daß er, als er einmal zusammen mit Herrn Bonpland in der Nähe des Kraters war, einen Ausbruch von Rauch und Asche gesehen hat. Die größten Wunder unserer Erde sind für die Einwohner Neu-Spaniens ein alltägliches Schauspiel, und sie nehmen diese weniger wahr als der Fremde, den es, wenn er sich in der direkten Umgebung solcher Naturwunder (die zu sehen er den Atlantik überquert hat) nach ihnen erkundigt, überrascht herauszufinden, daß die Menschen dort oft nichts darüber wissen. Ich hatte in Méxiko völlig vergeblich verschiedene eindringliche Erkundigungen eingezogen bezüglich der Aktivität des Vulkans Popocatepetl – und alle waren sich einig, daß es im gesamten vergangenen Jahrhundert keinen Ausbruch gegeben hatte. Eines Morgens schließlich, als ich vor dem Frühstück zum Peñol de los Baños ritt, traf ich einen Indianer, der mir auf meine Frage hin erzählte, daß er in der Trockenzeit, wenn der Wind aus Norden kommt, bisweilen den Rauch sogar von Méxiko aus gesehen habe! In Europa dürften wir überrascht sein, daß eine solche Tatsache nur einem Indio bekannt sein sollte. Doch diese Überraschung wird schnell verfliegen, wenn wir uns die Trägheit und Gleichgültigkeit der GEBILDETEN Klassen in diesem Land vor Augen führen, ebenso wie die große Entfernung von Méxiko bis zum Gipfel eines Berges, der 18.000 Fuß über dem Meeresspiegel hoch in den Himmel aufragt, von ewigem Schnee bedeckt, dem Menschen für immer unzugänglich. Cortéz schreibt in seinen Briefen von 1519 über den Rauch aus dem Popocatepetl. Ein großer Ausbruch, der im Jahre 1540 stattfand, wird bei Gómara erwähnt. – (Geschichte Mexikos, veröffentlicht 1553.) Torquemada zufolge fand der letzte Ausbruch 1594 statt. Ich füge einige Auszüge aus Herrn von Humboldts Reisetagebuch hinzu, die noch unveröffentlicht sind, die er mir aber freundlicherweise hat zukommen lassen: – „Das Gestein des Popocatepetl besteht aus Obsidian-Porphyr. Den Krater selbst kann man mit einem Fernglas leicht ausmachen; da er sich aber gen Osten neigt (wie alle großen Vulkankegel in dieser Gegend), ist er von Méxiko aus nicht zu sehen. Der Geruch schwefelhaltiger Dämpfe ist auch unterhalb der Schneegrenze wahrnehmbar. Diese Dämpfe gelten bei den Indianern als eine Art Wetterindikator. Wenn abends schwarzer Rauch aus dem Krater aufsteigt, der eine Wolke formt, welche sich nach Norden neigt, gehen sie davon aus, daß es bald regnet. Neigt sie sich gen Süden, erwarten sie starken Frost. Steigt die Wolke senkrecht auf, so kündigt sie einen Sturm an. Bisweilen steigen zwei bis drei Stunden lang, bevor sich ein Sturm in tiefer gelegenen Regionen bemerkbar macht, Wolken von Bimsstein und Asche aus dem Krater auf, und man kann sie wie Sandkörner auf den Schnee niederfallen sehen. Das Erdbeben vom 13. Januar 1804 wurde von einem heftigen Sturm und einem erheblichen Ausbruch von Rauch und Asche aus dem Schlund des Kraters begleitet. Nur selten kann man den Rauch am Morgen sehen; im allgemeinen von vier bis sechs Uhr abends, vor allem während des Sonnenuntergangs, und häufiger im Monat Mai. Die Indianer versicherten mir, um diese Zeit würde manchmal der gesamte obere Rand des Berges eine rötlich-gelbliche Farbe annehmen, die den schwefelhaltigen Dämpfen zugeschrieben werden kann. Nachts wurde jedoch seit Menschengedenken nie Feuer gesehen.“ All jene, welche die Vulkane der Neuen Welt und der Westindischen Inseln besucht haben, wissen, daß dieser Zustand des ständigen Brennens und des Austritts von Rauch auf fast alle von ihnen zutrifft. Letztes Jahr bin ich in den Krater des Vulkans von Guadalupe gestiegen (dessen Höhe fast 6.000 Fuß über dem Meeresspiegel beträgt) und habe mir die Hände verbrannt, als ich etwas brennenden Schwefel aufheben wollte, der durch die Wolken in verschiedenen Teilen des Kraterinneren hellgelb schimmerte. Auf der Insel Dominica habe ich mehrere brennende Krater gleicher Art gesehen. Und genau so war es auch bei dem Vulkan von St. Vincent vor dem bemerkenswerten Ausbruch von 1812, der Schiffe mit Asche bedeckte, die zwei- oder dreihundert englische Meilen entgegen der Windrichtung1 entfernt waren, ebenso wie die Insel Barbados, die 80 Meilen entfernt liegt, und dessen Donnern man in Antigua gehört hat (und ich glaube auch in St. Thomas), wo man es für eine Schlacht zwischen der französischen und der britischen Flotte hielt, während die Einwohner der kleineren Inseln in der direkten Nachbarschaft von St. Vincent (erstaunlicherweise) nichts vernahmen. Diese brennenden Berge sind vor allem interessant, weil sie sich, obwohl derzeit scheinbar in einem fast passiven Zustand, jederzeit durch ein Erdbeben, wenn man es am wenigsten erwartet, in riesige Quellen schrecklicher Zerstörung verwandeln können. Das Nachgeben einer Schicht Erde, ausgehöhlt von langsamem Feuer, kann einen Ausbruch herbeiführen und das Universum erschüttern. Ich verbleibe, etc. J. C. STAPLETON.