Digitale Ausgabe – Übersetzung

Einleitung

Der Verleger dieser Übersetzung, der den Gelehrten eine Sammlung wertvoller Fakten bietet, hat mich gebeten, der Reisebeschreibung von Herrn von Buch eine Einleitung voranzustellen. Was mich bewog, diesen Wunsch zu erfüllen, war nicht die eitle Hoffnung, noch mehr Aufmerksamkeit auf ein Werk zu lenken, das in Deutschland, in England und im Norden gleichermaßen ehrenvoll aufgenommen worden ist; vielmehr bin ich einer Empfindung gefolgt, die keiner Rechtfertigung bedarf; ich wollte der Öffentlichkeit meine Hochachtung und persönliche Wertschätzung für einen Reisenden bezeugen, der den gleichen Werdegang durchlaufen hat wie ich, dessen Arbeiten ich manches Mal teilte, und den ein unstillbarer Wissensdurst vom Vesuv bis in den Schnee des Polarkreises führte, von den kahlen Felsen des Nordkaps bis zu den Ufern der Inseln der Seligen. Obwohl sie nicht von den unterirdischen Feuern zerrissen ist, obwohl sie keine Vegetation bietet, deren Anblick sich wesentlich von dem der Landschaft in der gemäßigten Zone unterscheidet, vereinigt die große Skandinavische Halbinsel an ihrem nördlichen Rand eine Vielzahl von Phänomenen, die uns durch neue und gegensätzliche Eindrücke in Erstaunen versetzen können. Auf die lange Nacht eines Winters, dessen mittlere Temperatur auf 18° C. unter dem Gefrierpunkt sinkt, folgt ein Sommer, in dem selbst unter 70° Breite das Thermometer oft auf 26 oder 27 Grad im Schatten steigt. Jener Gürtel ewigen Eises, der unter der heißen Zone auf der Höhe des Mont-Blanc-Gipfels liegt, erreicht an den Küsten der Finnmark Hügel, die kaum fünf- oder sechsmal höher sind als die Kirchtürme unserer großen Städte. Doch obwohl die Fröste auf den Alpen in der Nähe des Pols der Entwicklung organischer Lebewesen wenig Raum lassen, erreichen die meisten, die dieser Region angehören, ein hohes Maß an Stärke und Kraft. Die schroffen Steilufer der Meeresarme, zu deren salzigem Wasser die Rentiere zum Trinken kommen, und die mit ihren Krümmungen, ihren Verzweigungen und Strömungen majestätischen Flüssen ähneln, sind von Kiefern und Birken gekrönt. Nach einem langen Winterschlaf strömen die Laubbäume während der hellen Jahreszeit, angeregt durch die Sonnenstrahlen, ununterbrochen und ohne doch ihre Lebenskräfte zu erschöpfen, eine äußerst reine Luft aus. Wenn der Botaniker im Sommer durch die Gebirge Lapplands zieht, findet er in der Zone der Rhododendren und der Andromeden jene Heiterkeit des Himmels, jene fast unveränderliche Beständigkeit des schönen Wetters, die man zwischen den Wendekreisen bestaunt, ehe die Regenzeit beginnt. Die Wirkung des schrägen Einfalls der Sonnenstrahlen wird durch die lange Tagesdauer ausgeglichen, und unter dem Polarkreis, nahe der unteren Grenze des ewigen Schnees, ist die Luft, wie in den feuchten Wäldern des Orinoco, von bösartigen Insekten erfüllt. All diese Phänomene des organischen Lebens sind jedoch auf einen kurzen Zeitraum begrenzt. Das Gestirn, das auf der Erde eine so große Menge an Licht verbreitet hat, nähert sich immer mehr dem Horizont. Die Strenge des Winters kündigt sich an, sobald die Sonnenscheibe zum ersten Mal verschwindet und die Nächte in kurzen Abständen aufeinander folgen; so ist das Dasein der Pflanzen, die der Erde ihre Schönheit geben, gleichsam auf die Dauer eines Tages beschränkt, der sie werden und vergehen sieht. Dieser Einfluß des belebenden Lichts wird in den Gesängen der alten Skandinaven gefeiert. Mit dem Symbol eines kahlen, feuchten und kalten Felsens (Unnar oder Salarsteinn) schildern sie die ursprüngliche Kruste des Erdballs, welche die ersten Strahlen der Mittagssonne mit Gräsern bedecken. Mit dem Schauspiel dieser raschen Wandlungen in der physischen Welt verbinden sich Phänomene von sittlicher Bedeutung. Das äußerste Ende Europas wird von einem Menschenschlag bewohnt, der sich wesentlich von dem unterscheidet, welchen man vom Kaukasus bis zu den Säulen des Herkules findet, vom Bottnischen Meerbusen bis zum südlichen Peloponnes. Die Völker tatarischen, slawischen, germanischen oder cimbrischen Ursprungs, die in Sitten und Sprache so unterschiedlich sind, gehören alle zu jenem großen Teil der Menschheit, den man recht willkürlich die kaukasische Rasse genannt hat. Die für diese Rasse charakteristischen Züge scheinen bei den Lappen Europas, bei den Eskimos Amerikas und den Samojeden Asiens, drei Völkern der Polregion, die sich in mancher Hinsicht der mongolischen Rasse nähern, verschwunden. Ohne die Grenzen Europas zu verlassen, steht der Reisende, der versucht, die Geschichte seiner Art in der Physiognomie der Völker und in der Analogie ihrer Sprachen zu lesen, unter dem Polarkreis vor den gleichen Fragen, wie sie ihm die wilden Stämme stellen, von denen uns der Ozean trennt. Die Mitte Afrikas vereint zwei gleichermaßen dem Einfluß eines brennendheißen Klimas ausgesetzte Rassen, die Mauren und die Neger; ebenso gibt es am äußersten Ende Europas nebeneinander die ackerbauenden Finnen und die nomadischen Lappen, die ausschließlich als Hirten leben. Ungeachtet des erheblichen Unterschieds in der physischen Konstitution dieser Völker wird man nicht in Zweifel ziehen, daß der Dialekt der gedrungenen Rasse derselben Quelle entspringt wie diejenigen der Finnen und Esten. Die Ähnlichkeit dieser Sprachen, die mit dem gemeinsamen Namen der tschudischen Sprache bezeichnet werden, endet nicht dort, wo die Unähnlichkeit der physiognomischen Züge beginnt. Mehr noch: eine der schönsten Menschenrassen, die das gemäßigte Europa bewohnen, die Magyaren oder Ungarn, weisen in ihrem Idiom mehrere verblüffende Bezüge zum tschudischen Dialekt der Lappen auf. In diesem Hin- und Herströmen der Völker, die einander in Asien und in Europa unterworfen haben, hat sich das Reich der Sprachen durch das der Waffen und der Gesetze erweitert. Ich habe hier nur die bemerkenswertesten Züge des physischen und sittlichen Tableaus erwähnt, das eine Reise in den Norden darbietet. Zur Zeit Ariosts durften die Dichter die südlichen Küsten der Ostsee noch als ein sagenhaftes Land darstellen; und bei allen erstaunlichen Fortschritten, die Geistesleben und Zivilisation seit Jahrhunderten in Dänemark und in Schweden gemacht haben, waren die Finnmark und das schwedische Lappland vor dreißig Jahren in geringerem Maße bekannt, als es verschiedene Gegenden Indiens und Amerikas sind. Seitdem waren diese nördlichen Regionen Gegenstand von Forschungen der Herren Thaarup, Sommerſeldt, Charles Pontoppidan, Skjöldebrandt, Acerbi und Wahlenberg. Ihre Arbeiten sind von großer Bedeutung, aber der Reisebericht , dessen Übersetzung heute der Öffentlichkeit übergeben wird, hat ein ganz neues Licht auf die Skandinavische Halbinsel geworfen, wie die Einwohner des Nordens selbst bekennen. Herr von Buch hat die gesamte West- und Nordküste Norwegens beschrieben: Er ist der erste Naturwissenschaftler, der die Landenge untersucht hat, die das Eismeer vom Bottnischen Meerbusen trennt. Dieser Reisebericht zeugt von einem Beobachter, der im Studium von Natur und Menschen geübt ist, der sich durch die Vielfalt und die Tiefe seiner Kenntnisse auszeichnet und der mit jener Feinheit der Reflexion und Freiheit des Geistes begabt ist, die uns die Gegenstände unter ihrem wesentlichen Gesichtspunkt betrachten läßt. Die Arbeiten von Herrn von Buch umfassen außer Lappland die südlichen Teile Norwegens und Schwedens. Mit dem Barometer in der Hand hat er dort den Boden nivelliert: Er hat die Unterschiede der Temperatur beobachtet, die gleichermaßen zum Pol hin und zu den Berggipfeln hin abnehmen; er hat die großen Phänomene der Geographie der Pflanzen untersucht und die Grenze des ewigen Schnees bestimmt, sowohl im Inneren des Kontinents als auch an den Küsten des Nordens, wo wenig strenge Winter auf Sommer folgen, die weniger warm sind als die Winter in Marseille. Die große Bedeutung des geologischen Teils dieses Werkes mit all seinen neuen Erkenntnissen zu Gesteinsschichtungen und zum Alter der Formationen brauche ich nicht hervorzuheben. Die Description des montagnes trapéennes de Landeck [Versuch einer mineralogischen Beschreibung von Landeck], übersetzt von Herrn Daubusson, die Beobachtungen über die Vulkane Italiens und der Auvergne und mehrere Abhandlungen, die im Journal des Mines, der Bibliothèque britannique und dem Journal de Physique erschienen sind, haben seit langem Herrn von Buch einen herausragenden Rang unter den fähigsten Geologen zugewiesen. In der Reise durch Norwegen und Lappland verbinden sich rein wissenschaftliche Forschungen auf ganz natürliche Weise mit politischen und sittlichen Aspekten. Denn je urtümlicher die Völker sind, desto näher leben sie an jenem Zustand, den man Naturzustand zu nennen beliebt, und desto mächtiger ist der Einfluß, den der Boden, die Nahrung, das Klima, der Himmel und die Landschaft auf sie ausüben. Um sich das Dasein der Bergvölker, Nomaden oder Hirten vorzustellen, muß man alle Beziehungen kennen, die sie mit der umgebenden Natur verbinden. Die Darstellung dieser Beziehungen macht, so scheint es mir, diesen Reisebericht ganz besonders interessant. Der Stil des Originals ist knapp, lebendig und zeichnet sich oft durch anregende Originalität aus. Es kommt mir nicht zu, den schätzenswerten und kundigen Literaten zu loben, der es freundlicherweise übernommen hat, dieses Werk zu übersetzen. Dem Können von Herrn Eyriès ist es zum allergrößten Teil zu verdanken, daß das Publikum meine Tableaux de la Nature [Ansichten der Natur] mit seinem Interesse beehrt hat. Spräche ich nun lobend von dieser neuen Übersetzung, könnte der Eindruck entstehen, ich täte es weniger aus Überzeugung als in einem Gefühl der Dankbarkeit. Ich beschränke mich hier also darauf, die Sorgfalt und die Genauigkeit der Ausdrucksweise zu bezeugen, mit denen Herr Eyriès alles wiedergegeben hat, was die Geologie und die Naturwissenschaften im allgemeinen betrifft. Unter den verschiedenen Eindrücken, die dieses Tableau der nördlichen Regionen weckt, ist wohl keiner angenehmer als das Bild des wachsenden Wohlstands, der Verbesserung der wohltätigen Einrichtungen, der zunehmenden Milderung der Sitten und jener Kultur des Geistes, deren Einfluß sich heute ebenso weit ausdehnt wie der europäische Kontinent. Noch ist kein halbes Jahrhundert vergangen seit jener Zeit, als man in Drontheim eine Station für die Missionare in Lappland errichtete, wie Spanien und Portugal sie seit langem für die wilden Stämme Amerikas haben. Der Zustand der Lappen hat sich wenig verändert. Aber die Zivilisation ist über jene grobschlächtigen ländlichen Völker bis zu den Küsten vorgedrungen. Herr von Buch teilt uns mit, in Rebvog, 4 Grad jenseits des Polarkreises, finde man „sowohl Corneille als auch Racine und die Meisterwerke der dänischen Dichtung“. Glückliches Privileg des Genius, der über die Jahrhunderte und die Unterschiede der Sprachen hinweg seine Stimme bis an die Grenzen der bewohnten Welt ertönen läßt! Aber beim Studium der Völker wie im Leben des Menschen mischt sich fast immer ein trüber Gedanke in unsere schönste Freude. Umfassen wir mit einem Blick die Ostsee und das Mittelmeer, die man beide als Binnenmeerbecken bezeichnen kann, sehen wir zur Glanzzeit des römischen Reiches den Norden Europas jenseits von Rhein und Donau in der Barbarei versunken, während in Ägypten, der Cyrenaika und in Mauretanien in prächtigen Städten alle Künste Griechenlands und Italiens erstrahlen. Heute sind eben diese Gegenden Afrikas, von kriegerischen Horden heimgesucht, wieder in Unwissenheit und Knechtschaft zurückgeworfen: eine unheilvolle Umwälzung, die – wenn nicht andere historische Tatsachen dieser Auffassung widersprächen – zu beweisen schiene, daß seit Tausenden von Jahren die Ausdehnung der Zivilisation auf dem Erdball unverändert geblieben ist. ENDE DER EINLEITUNG