Digitale Ausgabe – Übersetzung

Brief von Herrn von Humboldt an die Mitglieder des Conseil des Mines de France

Die Abhandlung von Herrn M. G. A. Deluc über die Vulkane und die Laven, die Sie mir unmittelbar nach ihrer Drucklegung für die Nr. 95 des Journal des Mines zukommen ließen, habe ich mit großem Interesse gelesen; ich bin sehr ärgerlich, daß meine gegenwärtigen Beschäftigungen mir nicht erlauben, die Zweifel zu beseitigen, die dieser durch sein großes Wissen und seinen Einsatz für die Fortschritte der Geologie ausgezeichnete Mineraloge über meine Beobachtungen geäußert hat. Die Werke, die ich für die Veröffentlichung vorbereite, vor allem der Atlas géologique et physique de la Cordillère des Andes und der dritte und vierte Band meiner Voyage au Tropique, werden es den Mineralogen ermöglichen, die brennenden Vulkane Perus und Mexikos zu beurteilen. Daß Herr Deluc das, was man über meine Voyages dans l’hémisphère austral veröffentlicht hat, weder genau noch zutreffend findet, wundert mich nicht; ich habe seit fünf bis sechs Jahren nichts drucken lassen; alles, was man von mir publiziert hat, sind Freundschaftsbriefe an einige Wissenschaftler in Frankreich, Deutschland und Spanien, in denen nur vereinzelte Fakten zu finden sind. Doch in der Geologie kann nur die Gesamtheit der Lagerung und Beschaffenheit der Gebirgsarten unsere Beurteilung bestimmen. Im übrigen möchte ich unterscheiden zwischen der geologischen Beschreibung des Erdballs, einer gesicherten Wissenschaft, und den Zweifeln, die man sich gestattet hinsichtlich seiner Geschichte und des Ursprungs der Gebirgsarten. Je größer der Teil des Erdballs ist, den ich mit eigenen Augen untersucht habe, um so klüger erscheint es mir, im Ungewissen zu bleiben über eine große Zahl von Dingen, die andere Naturwissenschaftler für gesichert halten. Meiner Ansicht nach wäre es ein Gewinn für die Wissenschaften, wenn man keine historischen Begriffe in die Benennung der Fossilien Eingang finden ließe. Aus diesem Grund benutze ich die Worte Obsidiane, Basalte und Porphyre statt vulkanisches Glas, erstarrte und porphyrische Laven In einem meiner Briefe schrieb ich, „die Porphyre der Umgebung von Riobamba und des Tunguragua hätten eine Mächtigkeit von 2.080 Toisen“. In den Notizen, die ich an Ort und Stelle gemacht habe, finde ich, daß diese Feststellung offenbar auf folgender Berechnung beruht: Der Tunguragua liegt nicht in einem Tal auf 1.462 Toisen Höhe. Das Terrain, aus dem er sich erhebt, liegt so niedrig, daß man dort Zuckerrohr anbaut. An seinem Fuß, auf der Seite von Penipe, beim Fluß Puela (auf 1.181 Toisen über dem Meeresspiegel) sah ich Porphyr, der auf Syenit ruht. Dieser Porphyr setzt sich fort durch die Ebenen von Tapia und von Lican bis zum Gipfel des Chimborazo, der auf 3.267 Toisen liegt. Daher: 3.267 – 1.181 = 2.086 Toisen. Im Königreich Neu-Spanien, am Nevado de Toluca, reicht ein Porphyr mit toniger Grundmasse, der glasigen Feldspat und Hornblende einschließt, vom Gipfel des Fraile (auf 2.364 Toisen), auf den wir Instrumente getragen haben, bis auf 240 Toisen über dem Pazifischen Ozean herab. Die Mächtigkeit der Schichten ist unter den Tropen ein sehr erstaunliches Phänomen. Der Flöz-Sandstein bei Cuença in Peru ist 700 Toisen mächtig. Ein anderer älterer Sandstein, der von Yanaguanga, hat 1.450 Toisen Mächtigkeit. Die Existenz des Kalksteins auf der Insel Teneriffa, die ich, wie ich glaube, in einem Brief an Herrn de la Métherie erwähnt hatte, wurde wieder in Zweifel gezogen. Da es sich um eine Tatsache handelt, ist es angebracht, auf die Kalkfelsen in der Montana-de-Roxas, bei Adexa, in der Nähe von San-Juan-de-la-Rambla hinzuweisen, und vor allem bei Rialexo-de-Abaxo, wo der Fels eine ganze Welt von versteinerten Fischen und Muscheln enthält. Herr Deluc behauptet, „wenn Peru von Naturforschern, die in der Kenntnis der Vulkane bewandert sind, gründlich untersucht sein wird, werden sie erkennen, daß der Zustand (in den Anden) so ist, wie er ihn in seiner Abhandlung dargestellt hat“. Ich würde nicht wagen, mich dieser Hoffnung hinzugeben, selbst in Ländern, die ich mit eigenen Augen gesehen habe. Wenn es so schwer ist, den Zustand aus der Nähe richtig zu beurteilen, welche Schwierigkeiten hat man dann erst aus so riesiger Entfernung zu überwinden! Ich wünsche natürlich ebenso dringend wie Herr Deluc, daß kundige Mineralogen diese hohe Gebirgskette, die ich mit Herrn Bonpland zwei oder drei Jahre lang bereist habe, untersuchen und beschreiben. Sie werden sicherlich viele meiner Irrtümer berichtigen, und unsere schöne Wissenschaft, an deren Fortschritt wir alle arbeiten, wird unendlichen Nutzen davon haben. Sie, meine Herren, waren so freundlich, die geologischen Sammlungen und die Zeichnungen, die ich von meiner Expedition mitgebracht habe, zu betrachten, und Sie werden zumindest gesehen haben, daß es nicht an einem Mangel an Aktivität und Opfern jeglicher Art lag, wenn die Geologie durch meine Arbeiten so wenig gewinnt.