Digitale Ausgabe – Übersetzung

Brief von Humboldt an Jean-Claude Delamétherie

über die Absorption des Sauerstoffs durch die einfachen Erden

Einem Brief, den Saussure der Sohn Ihnen kürzlich schrieb, entnehme ich, daß der Physiker meine Versuche über die Absorption des Sauerstoffs durch befeuchtete Erden in Zweifel zieht. Er betrachtet diese Absorption „als eine bedeutende Entdeckung“; doch er meint „behaupten zu können, daß die Zersetzung der atmosphärischen Luft durch die Erden nicht geschieht, wenn diese frei von vegetabilischen Substanzen sind und kein abgekochtes Wasser verwendet wird“. Wenn man bekanntgibt, daß man über einfache Erden gearbeitet hat , und zwar in den Laboren eines Vauquelin und eines Fourcroy, dann versteht es sich von selbst, daß man Erden, welche frei von vegetabilischen Substanzen sind, und destilliertes Wasser verwendet hat. Ich weiß nicht, warum Saussure der Sohn die Absorption des Sauerstoffs bei den Versuchen, die er, wie er sagt, mit Tonerde und Kalkerde… durchgeführt hat, nicht sehen konnte. Ich weiß, daß manche Affinitäten nur bei einem bestimmten Grad an Feuchtigkeit wirken. Ich äußere mich nicht zur Sauerstoffsättigung, die man in befeuchteten und der Sonne ausgesetzten Erden annehmen muß. Gewohnt, die Natur auf dem Wege des Versuchs zu befragen, wage ich mich nicht über die Fakten hinaus, welche ich beobachtet habe. Ich halte sogar (wie ich bereits in meiner Abhandlung über die Erden erklärt habe) Folgendes für äußerst ungewiß: ob es die erdigen Grundstoffe sind, die sich mit dem Sauerstoff verbinden, oder ob (was nicht weniger erstaunlich ist) diese Grundstoffe dem Wasser die Eigenschaft verleihen, den Sauerstoff zu zersetzen. Ich spreche nur von dem, was ich gesehen habe, und dem, was ich mit anderen gesehen habe, die gewohnt sind, genauer zu sehen als ich. In mehr als dreißig bis vierzig Versuchen, durchgeführt mit Tonerde, Kalkerde, Schwererde …, ist die Luft entweder zu reinem Stickstoff reduziert oder desoxygeniert worden, bis auf 0,02 bis 0,09. Ich frage, ob je ein Chemiker atmosphärische Luft in reinen Stickstoff umgewandelt hat , indem er sie mit abgekochtem oder destilliertem Brunnenwasser in Berührung brachte? Die Azotation, welche die Luft durch jederlei Wasser erfährt, reicht nur bis zu einem gewissen Grad, den ich durch eine große Anzahl an Versuchen bestimmt habe, die in meinem Werk über die unterirdischen Gasarten beschrieben sind. Im Februar habe ich atmosphärische Luft mittels einer grauen Tonerde aus einer Steinsalzgrube von 40 Toisen Tiefe zerlegt. Es blieb nur 0,01 oder 0,02 Sauerstoff. Mehrere Monate später sah ich zusammen mit dem berühmten Vauquelin, daß weiße Tonerde von Montmartre bei einer Temperatur von 14 bis 17° Réaumur mehr atmosphärischen Sauerstoff absorbierte als Phosphor. Bei der Arbeit mit Humus und den Oxyden von Kohlenstoff und Wasserstoff, die er enthält, brachte ich befeuchtete einfache Erden mit Luft in Berührung. In 9 Tagen fand ich ganz reinen Stickstoff. Ich brachte einen Teil dieses Rückstands zu Fourcroy und zu Vauquelin. Ich analysierte ihn vor ihren Augen durch Salpetergas; wir stellten fest, daß keinerlei Verringerung des Gases stattfand. Erstaunt über die Einzigartigkeit dieses Phänomens, luden mich die beiden berühmten Chemiker ein, meine Versuche mit den Erden in ihren Laboratorien zu wiederholen. Diese Arbeit wurde in den letzten Dekaden, die ich in Paris verbrachte, gemeinsam mit meinem Freund Tassaert durchgeführt, dessen große Genauigkeit bei chemischen Analysen mich vor möglichen Fehlern bewahren sollte. Die Versuche in den Laboratorien von Vauquelin und Fourcroy ergaben die gleichen Resultate wie diejenigen, die ich zu Hause wiederholte, und es erschien überflüssig, ein so einfaches wie für die Pflanzenphysiologie interessantes Phänomen noch weiter zu bestätigen. Dies ist der getreue Bericht über die Art und Weise, wie ich meine Arbeit über die Erden durchgeführt habe. Sie werden selbst beurteilen, ob ein paar negative Versuche ausreichen, um ihre Fehlerhaftigkeit zu beweisen, die Saussure Ihnen gegenüber behauptet. Je mehr man selbst arbeitet, desto mehr erkennt man, wie zurückhaltend man urteilen muß, wenn man zunächst nicht die gleichen Phänomene sieht, die andere Chemiker beobachtet haben. Was der Genfer Physiker Ihnen über meine eudiometrischen Forschungen mitteilt, erschien mir nicht klar. Niemals habe ich empfohlen, die Luft mit Salpetergas und schwefelsaurem Eisen zu untersuchen. Meine Abhandlung über Salpetergas und diejenige von Vauquelin über schwefelsaures Eisen beweisen zur Genüge, daß diese letztere Substanz (wie die oxygenierte Salzsäure) mir nur dazu dient, die Menge an Sauerstoff zu bestimmen, die nötig ist, um ein Hundertteil Salpetergas zu sättigen, oder um die Grade des Fontana’schen Eudiometers in Tausendteile an Sauerstoff zu verwandeln. Es geht also keineswegs um eine Analyse durch schwefelsaures Eisen; vielmehr werden aufgeklärte Chemiker darüber urteilen, ob man vor meinen Versuchen die Menge des im Salpetergas enthaltenen Stickstoffs, die Bildung des salpetersauren Ammoniaks durch dasselbe Gas und destilliertes Wasser … genau kannte? Eine große Zahl von Versuchen beweist außerdem, daß die Lösung von schwefelsaurem Eisen, bei einer Temperatur von 30 bis 40 Grad angewandt, das mit dem Stickstoff vermischte Salpetergas bis zum letzten Atom absorbiert. Denn wenn man Sauerstoffgas zuführt, verringert sich das Volumen des Rückstands nicht. Die Kenntnis der Weise, wie schwefelsaures Eisen auf Salpetergas wirkt (ein Wissen, das wir dem Scharfsinn Vauquelins verdanken), hat also viel zur Vervollkommnung der eudiometrischen Arbeit beigetragen. – Was das Phosphor-Eudiometer betrifft, so behauptet er, ich hätte dessen Grenzen des Irrtums falsch bestimmt, wenngleich er selbst eingesteht, daß dieses Instrument einen Rückstand von 0,06 bis 0,07 an Sauerstoff läßt. Ich habe sehr oft Absorptionen von 0,25 gesehen, aber auch von 0,17, je nachdem, ob die Verbrennung schnell oder langsam war, und je nachdem, ob die Form des Gefäßes den atmosphärischen Sauerstoff beim Kontakt mit dem Phosphor entweichen ließ. Ich weiß also nicht, ob das Phosphor-Eudiometer dem von Fontana vorgezogen werden kann, das sehr deutlich absorbiert und in dem (wenn man exakt vorgehen will) zehn Versuche mit derselben Luft nicht einmal um ein Grad, das heißt um 0,003 Sauerstoff, voneinander abweichen. Im übrigen hat die Abhandlung über den Phosphor, die ich in den Annales de Chimie publiziert habe, den Zweck, die ternären Affinitäten zwischen Phosphor, Stickstoff und Sauerstoff zu bestimmen und nachzuweisen, wie ein Stickgas, in dem sich Phosphor ohne zu leuchten auflöst, bis zu 0,09 Sauerstoff enthalten kann. P. S. Da ich zufällig einen Teil der kleinen Notizen aufgehoben habe, die mir zur Abfassung meiner Abhandlung über die einfachen Erden gedient hatten, kann ich Ihnen die Einzelheiten einiger Versuche mitteilen. Die zersetzte atmosphärische Luft enthielt 107° bis 109°, oder 0,261 bis 0,256 Sauerstoff. Vier bis fünf Kubikzoll wurden mit ungefähr ebenso vielen Kubikzoll mit destilliertem Wasser befeuchteter Erden in Berührung gebracht. Die Flaschen waren mit Schliffstopfen verschlossen und viele Male in Wasser getaucht worden. Die mit dem destillierten Wasser in Berührung gebrachte Luft verlor in 10 bis 15 Tagen nicht einmal 0,005 Sauerstoff. Ihre Reinheit veränderte sich nie um mehr als 1,5°. Temperatur 10 bis 12° Réaumur. Tonerde vom 17. Fructidor bis zum 4. Vendémiaire in zwei Flaschen, reiner Stickstoff. Schwererde idem, Rückstand von 0,08 Sauerstoff, also 0,18 absorbiert. Tonerde vom 5. bis 14. Vendémiaire reiner Stickstoff. Tonerde vom 6. bis 14. Vendémiaire Rückstand von 0,08 Sauerstoff. Tonerde idem Rückstand von 0,12 Sauerstoff. Kalkerde vom 6. bis 14. Vendémiaire Rückstand von 0,20 Sauerstoff. Schwererde idem bei 0,11 Sauerstoff. Tonerde absorbierte in 2 Stunden (bei 60° Réaumur) 0,03. Das Eudiometer zeigte, statt 106 Grad, 117° an.