Digitale Ausgabe – Übersetzung

Anmerkung von Friedrich von Humboldt

Über die vorstehenden Beobachtungen

Die Abhandlung des Grafen Morozzo betrifft einen sehr wichtigen Gegenstand, mit dem ich mich seit einigen Monaten viel beschäftige. Der italienische Physiker hat den Unterschied zwischen der natürlichen atmosphärischen Luft und einem künstlichen Gemisch aus Stickstoff und Sauerstoff sehr wohl erkannt; er geht aber meines Erachtens viel zu weit, wenn er behauptet, daß der atmosphärische Sauerstoff keine Lebensluft sei. Obwohl ich genauso wenig wie er glauben kann, daß wir imstande seien, ein luftartiges Fluidum herzustellen (wie der große und berühmte Lavoisier in seinen Grundzügen der Chemie behauptet), das demjenigen der Atmosphäre vollkommen gleicht, meine ich doch, daß diese Schwierigkeit weder in unserer Unkenntnis über die Quantität noch in derjenigen über die Qualität dieser beiden gasförmigen Grundstoffe besteht. Der Unterschied zwischen der Wirkung der natürlichen atmosphärischen Luft und der künstlichen beschränkt sich auf den Zustand der Verbindung des Sauerstoffs mit dem Stickstoff. Die Atmosphäre ist keine physische Mischung, sie nähert sich bereits dem Zustand einer chemischen Verbindung. Das ist der Grund, weshalb sich die zwei Grundstoffe mit so unterschiedlichem spezifischem Gewicht (dem des Stickstoffs und dem des Sauerstoffs) nicht völlig trennen, wenngleich die höheren Regionen bereits reicher an Stickstoff sind. Deshalb hält der Stickstoff die letzten Teile von Sauerstoff so stark zurück, die Phosphor, Schwefelalkali oder andere säuerungsfähige Basen ihm entziehen müssen; und deshalb konnte ich sehen, daß Salpetergas in ganz unterschiedlichen Anteilen wirksam ist, indem es die natürliche atmosphärische Luft, oder eine Zusammensetzung aus 27 Sauerstoff und 73 Stickstoff, zersetzt. Wie kann es aber sein, daß Morozzo glaubt, die Atmosphäre nachzuahmen, indem er Kohlensäure und Sauerstoff mischt? Er hat Stickstoff mit Kohlensäure verwechselt. Er versichert jedoch, daß seine atmosphärische Luft auf der Grundlage von Kohlensäure das gleiche spezifische Gewicht gezeigt habe wie die atmosphärische Luft. Hier ein sehr überraschender Versuch: 1 Kubikzoll Stickstoff wiegt 0,46624 Gran, während der gleiche Kubikzoll Kohlensäure 0,67500 Gran wiegt! Auch sagt Morozzo uns, daß in seinem künstlichen Gemenge eine Kerze con fiamma lucidissima, mit einer sehr hellen Flamme, gebrannt habe. Als ich 0,25 Kohlensäure und 0,75 Sauerstoff mischte, sah ich eine Kerze erlöschen. Das gleiche geschah, als ich (mit Tassaert, im Labor von Vauquelin) 2 Teile Kohlensäure und 10 Teile atmosphärischer Luft vermengte. Dabei entsteht eine neue chemische Verbindung, die Kohlensäure hält den Sauerstoff der Atmosphäre so stark zurück, daß die Affinität, welche die brennende Kerze aufweist, nicht die Kraft hat, ihn ihr zu entziehen. Aus meinem Werk über die unterirdischen Gasarten, das ins Französische übersetzt werden wird, geht hervor, daß es irrespirable Luftarten gibt, die sich aus 0,27 Sauerstoff, 0,70 Stickstoff und 0,03 Kohlensäure zusammensetzen. Es ist der Zustand der Verbindung und nicht immer die Menge an Sauerstoff, wodurch eine Luft mehr oder weniger fähig ist, Kerzen zu ersticken oder auszulöschen.