Digitale Ausgabe – Übersetzung

Über die Reizbarkeit der Nerven- und Muskelfaser

Da der Naturforscher sich zur Zeit in Paris aufhält, habe ich ihn gebeten, mir seine interessanten Arbeiten zukommen zu lassen, um unseren Lesern einen Auszug daraus vorzustellen. Wir kennen die große Genauigkeit und den Scharfsinn, mit denen er seine Versuche durchführt. Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt, B. 1 und 2, 1797, 1798, oder Expériences sur l’irritation de la Fibre nerveuse & musculaire, suivies d’un Essai sur les agens chimiques qui modifient la vie dans le règne animal & végétal, 2 vol. par Frédéric-Alexandre Van Humboldt, avec 8 planches [Versuche über die Reizung der Nerven- und Muskelfaser, gefolgt von einer Abhandlung über die chemischen Stoffe, welche das Leben im Tier- und Pflanzenreich verändern, 2 Bände von Friedrich-Alexander Van Humboldt, mit 8 Tafeln]. Alius error est praematura atque proterva reductio doctrinarum in artes & methodos, quod cum sit plerumque scientia aut parum aut nihil proficit. [Ein anderer Fehler ist die voreilige und hartnäckige Beschränkung der Lehren auf Künste und Methoden. Da dies meistens der Fall ist, kommt die Wissenschaft zu wenig oder gar nicht voran.] Baco Verulam, Buch I.1 Seit mehreren Jahren, so schreibt der Verfasser am Beginn dieses Werkes, bin ich bemüht gewesen, die Phänomene der tierischen Materie mit den Gesetzen zu vergleichen, welchen die unbelebte Natur unterworfen ist. Bei dieser Arbeit waren mir Entdeckungen vergönnt, die uns in die Lage zu versetzen scheinen, die Finsternis teilweise zu lichten, welche die chemischen Hauptursachen der tierischen Funktionen vor uns verbirgt. Ein von dem Körper, dem es angehörte, getrenntes, aber aus irritablen und sensiblen Fibern bestehendes Organ kann innerhalb einiger Sekunden aus tiefer Lethargie (Apathie) erweckt und zum höchsten Grad der Reizempfänglichkeit gebracht werden, wobei diese erhöhte Reizempfänglichkeit in der gleichen Zeitspanne wieder herabgestimmt oder aufgehoben werden kann. Dieser Ausgleich, dieser periodische Wechsel der Lebenskraft kann an einem Nerv vier- bis fünfmal herbeigeführt werden; es ist genauso Sache des Physikers, die Reizempfänglichkeit der organischen Materie zu vermindern oder zu steigern, wie es Sache des Musikers ist, die Spannung der klingenden Saiten zu verändern. Ich habe die tierische Faser stundenlang mit oxygenierter Kochsalzsäure, Alkalien, Salpetersäure, Opium, Arsenikkalchen oder Alkohol behandelt. Stets sah ich sie im Kampf dieser exzitierenden Elemente einen gewissen Grad der Irritabilität beibehalten. Ich entdeckte, daß die tierischen Substanzen, solange sie die Lebenskraft besitzen, imstande sind, aus der Entfernung zu wirken, und daß diese Wirkung geringer wird, je mehr die Reizempfänglichkeit schwindet. Ich habe Mittel gefunden, diese irritablen Atmosphären sichtbar zu machen, die bald die Nerven, bald die Muskeln um sich verbreiten. Ich glaube durch eine Vielzahl von Fakten beweisen zu können, daß die Irritabilität der tierischen Materie nicht (wie einige Physiologen behaupten und wie meine eigenen Versuche an Vegetabilien zu bestätigen scheinen) von der im Körper enthaltenen Menge an Sauerstoff abhängt, sondern daß Stickstoff und Wasserstoff eine ebenso wichtige Rolle spielen und der Grad der Vitalität nur vom gegenseitigen Gleichgewicht und den chemischen Affinitäten aller Stoffe abhängt, aus denen tierische und pflanzliche Materie bestehen. So gibt der Verfasser im Vorwort in großen Zügen einen Überblick über seine Entdeckungen und bietet eine kurze Zusammenfassung der interessanten Gegenstände, die in diesem Werk behandelt werden. Seit dem Herbst 1792 hat er sich, wie er mitteilt, beharrlich mit den Versuchen über Muskeln und Nerven beschäftigt. Obwohl er seither mehrere Länder Europas bereist hat und obwohl seine Pflichten als Oberbergrat sowie andere Arbeiten sehr unterschiedlicher Art ihn daran gehindert haben, die Entdeckungen anderer Physiker zu verfolgen, gab er seine Forschungen niemals auf. Die gleichen Ideen, die er in seiner Chemischen Physiologie der Pflanzen dargelegt hatte (Aphorismi ex Physiologia chimica plantarum, im Anhang der Flora subterranea Fribergensis 1793 und ins Deutsche übertragen von Doktor Fischer, mit Anmerkungen des berühmten Professors Hedwig aus Leipzig); eben diese Ideen leiteten ihn bei seinen Forschungen zur tierischen Materie. Wenngleich er weit davon entfernt ist, Vegetabilien als eine Art von Polypen zu betrachten, obwohl er die Grenzen, durch welche die Natur diese beiden Reiche getrennt zu haben scheint, sehr wohl kennt, glaubt er doch, daß Pflanzen und Tiere unter dem gleichen Gesichtspunkt, nämlich als Gegenstände einer v ergleichenden Anatomie und Physiologie, behandelt werden müssen . Man dürfe nicht vergessen, daß der Mensch und die Byssus im Grad ihrer Erregbarkeit vom gleichen Stimulus verändert werden. – Der Verfasser schrieb einen Teil seines Werkes Anfang 1795. Er war im Begriff, es zum Druck zu geben, als Doktor Pfaff (gegenwärtig Professor in Kiel) seine hervorragende Abhandlung über tierische Elektrizität veröffentlichte. Nie zuvor war dieser bedeutende Gegenstand mit solchem Scharfsinn behandelt worden. Obwohl Humboldt und Pfaff weit voneinander entfernt gearbeitet hatten und in keinerlei Gedankenaustausch standen, scheint der Zufall sie doch zu den gleichen Entdeckungen geführt zu haben. Letzterer [gemeint ist Humboldt] entschied sich, sein Manuskript umzuarbeiten; er entfernte alles, was der Öffentlichkeit nicht mehr neu erscheinen konnte; und seine seither folgenden Aufenthalte in Italien, in der Schweiz und bei der Rheinarmee verzögerten das Erscheinen des physiologischen Werkes wiederum um zwei Jahre. In dieser Zeit wurde ein Teil der Versuche unseres Verfassers bekannt gemacht, sowohl durch ihn selbst (in seinen drei Physiologischen Briefen an Professor Blumenbach in Göttingen) als auch durch andere Gelehrte, denen er seine Manuskripte zukommen ließ. Es ist dem Verfasser ein Anliegen, seinen Freunden Alessandro Volta in Como, Scarpa in Pavia und Pictet in Genf seine tiefe Dankbarkeit auszusprechen, den berühmten Physikern, deren erhellendes Wissen ihn oft zu Versuchen geführt hat, die ohne ihren Rat vernachlässigt worden wären. Er schließt sein Vorwort mit zwei äußerst wichtigen Bemerkungen: 1. daß in diesem Werk kein Versuch dargestellt ist, der nicht mehrere Male an acht bis zehn Individuen wiederholt wurde, im Beisein mehrerer Zeugen, die fähig waren, die Bedingungen zu beurteilen, welche die Reizwirkungen hätten verändern können (obgleich einige Versuche große Sorgfalt verlangen und man nicht nach Belieben innerhalb von ein paar Tagen die gleichen Erscheinungen herbeiführen kann, wie sie der Verfasser in sechsjähriger Arbeit beobachtet hat, wurden selbst die erstaunlichsten Fakten, wie die Wirkung aus der Entfernung oder die sensible Atmosphäre und das spontane Wiedererwachen der Lebenskraft durch chemische Stoffe, kürzlich von anderen Physikern bestätigt. Siehe die beiden Abhandlungen von Doktor Reinhold über den Galvanismus und den Physiologischen Brief von Doktor Philipp Michaelis in Grens Journal der Physik); 2. daß der Leser aufgefordert wird, sorgfältig die Fakten von den Mutmaßungen zu unterscheiden, welche man sich hier und da hinzuzufügen erlaubt hat. Erstere werden als kostbares Material betrachtet werden können, während letztere mit künftigen Systemen nicht mehr vereinbar sein werden. Als gründlicher Forscher fügt der Verfasser hinzu, man müsse die Fakten zusammentragen, es sei aber noch zu früh, auf Behauptungen über so komplizierte Phänomene, wie sie die belebte Natur uns bietet, Theorien zu errichten. Es wäre uns nicht möglich, in diesem Auszug den zahllosen im Werk des Verfassers beschriebenen Versuchen zu folgen. Wir begnügen uns damit, die Inhalte der Abschnitte wiederzugeben, welche die beiden Bände enthalten. Da das Institut National diesen Entdeckungen besondere Aufmerksamkeit widmet und da mehrere Gelehrte vorhaben, das gesamte Werk ins Französische übertragen zu lassen, wäre es überflüssig, im Voraus noch näher auf Einzelheiten einzugehen. Der erste Band enthält zehn Abschnitte. Sie stellen die Phänomene des Galvanismus unter sämtlichen Gesichtspunkten dar. Es geht darin um die Lösung der großen Fragen der Muskeltätigkeit. Im zweiten Band ist beschrieben, wie die Reizempfänglichkeit der organischen Materie durch chemische Stoffe erhöht (verstärkt) oder herabgestimmt (verringert) wird. Darin wird bewiesen, daß die Reizempfänglichkeit durch die Affinitäten der Elemente verändert wird, aus denen die belebte Materie besteht. Der Band handelt streng die Veränderungen ab, die jede Elementarsubstanz in der sensiblen und irritablen Faser auslösen kann; jene Veränderungen, aus deren Gesamtheit sich ergibt, was man als die physische Konstitution der belebten Körper bezeichnet. Jeder der beiden Bände kann, obwohl sie vollkommen miteinander verbunden sind, mit Gewinn einzeln gelesen werden. Beginnen wir mit der Analyse des ersten. ERSTER ABSCHNITT Über die Begriffe tierische Elektrizität und Metallreiz, irritamentum metallorum Diese Ausdrücke sind unrichtig, weil die in diesem ersten Band enthaltenen Versuche beweisen, daß das elektrische Fluidum sich deutlich von jenem unterscheidet, das vom Nerv zum Muskel fließt, und weil Kontraktionen ohne Metall, ja sogar ohne kohlenstoffhaltige Substanzen hervorgerufen werden können. Der Verfasser verwendet die Begriffe Galvanismus, g alvanisieren, g alvanischer Reiz, seither in andere Sprachen übernommene Wörter, welche uns nur den Namen desjenigen in Erinnerung rufen, dem wir die erste Entdeckung über die Muskelbewegung verdanken, welche aber nicht die sehr heterogenen Phänomene in ihren Ursachen und Wirkungen umfassen. Galvanismus kann nur auf die organische Materie wirken, welche mit erregbaren, sensiblen Fibern ausgestattet ist; es ist eine vitale Aktion. Obwohl das galvanische Fluidum nur den belebten Teilen innewohnt, wäre es doch möglich, daß es beim Durchströmen unbelebter Stoffe in diesen Elementen Veränderungen auslöst. Diese letzteren Versuche beweisen, daß solche Veränderungen, sollten sie existieren, zu schwach sind, um für unsere Sinne wahrnehmbar zu werden. Die Reagenzien haben ihre Farbe nicht verändert; Kristallisationen wurden nicht beschleunigt, mit S emen Lycopodii bestreute Metalle haben keine Chladnischen Figuren gezeigt, wenn sie Teil der leitenden Kette waren und der galvanische Strom stundenlang durch diese Kette geflossen ist. ― Valli und Kühn sind die einzigen Physiker, die behaupten, im Augenblick der galvanischen Entladung eine Abweichung des Elektrometers gesehen zu haben. Niemand hat nach ihnen dieses Phänomen beobachtet. Der Verfasser armierte 14–18 Froschnerven mit einem einzigen Metall; das empfindlichste Elektrometer war mit dieser Froschbatterie verbunden; und trotz all dieser günstigen Bedingungen erfolgte keine Abweichung. Es könnte sehr gut sein, daß bisweilen während der Muskelbewegung Elektrizität erzeugt wird, ohne daß diese Bewegung selbst die Ursache dafür wäre. Wir wissen, daß Theoderich, der König der Wisigoten, beim Gehen elektrische Funken schlug. Durch Muskelkontraktion werden Wasser und Kohlensäure erzeugt, und dennoch dürfen Sauerstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff sicherlich nicht als die Elemente des Nervenfluidums betrachtet werden. – Da die Phänomene des Galvanismus Reizerscheinungen sind, hängt die Stärke der galvanischen Kontraktionen ebensosehr von der Quantität und der Qualität des Stimulus wie von der Rezeptivität (Reizempfänglichkeit, Erregbarkeit) der organischen Materie ab. In gleicher Anordnung werden dieselben Metalle, wenn man die Reizempfänglichkeit der tierischen Faser verändert, deutlich unterschiedliche Wirkungen zeigen. Weil dieser Gesichtspunkt vernachlässigt wurde, sind so viele Jahre verstrichen, bis die Gesetze des Galvanismus erhellt wurden. Der Verfasser hat zum Beispiel erkannt, daß matte Frösche keinerlei Kontraktion zeigen, wenn die heterogenen Metalle und die Teile von feuchtem Muskelfleisch so angeordnet sind, daß im gesamten Leitkreis zwei Metalle (statt sich unmittelbar zu berühren) jeweils durch tierische Substanzen getrennt sind. Ändert man die Anordnung der Leiter nicht, sondern nimmt man einen stärker reizempfänglichen Nerv, dann erscheinen die Kontraktionen so, als berührten sich die heterogenen Metalle unmittelbar. So kann ein bei geringerer Reizempfänglichkeit negativer Versuch bei stärkerer Erregbarkeit positiv sein. Der Verfasser hebt hervor, daß weibliche Tiere sehr viel reizempfänglicher sind als männliche, daß Amphibien in den Monaten Februar und März, wenn man sie aus dem Winterschlaf weckt, auf dem höchsten Punkt ihrer Reizempfänglichkeit sind. Dann zeigen sie die gleichen Erscheinungen, wie wenn sie mit alkalischen Lösungen, oxydiertem Arsenik, oxygenierter Kochsalzsäure oder mit anderen Flüssigkeiten, deren stimulierende Kraft entdeckt wurde, behandelt worden wären. ZWEITER ABSCHNITT Das Phänomen der Muskelbewegung im Zustand der höchsten Reizempfänglichkeit der organischen Faser Der einfachste galvanische Versuch läßt sich ohne jegliche dritte Substanz durch die einfache Berührung eines organisch verbundenen Nervs oder Muskels durchführen. Der Verfasser löste galvanische Kontraktionen aus, indem er ein Tier an den Ischiadnerven präparierte (das heißt so, daß dessen vordere und hintere Extremitäten nur noch durch den Ischiadnerv oder Sympathikus in Verbindung stehen) und den Schenkel gegen den entblößten Nerv zurückbeugte; wodurch bewiesen wird, daß diese Kontraktion nicht die Wirkung eines mechanischen Stimulus ist. Volta nahm an, die Entladung komme nur durch die Berührung des tendinösen Teils des musculus gastro-cnaemius zustande. Gegenteilige Erfahrungen. Ritter hat jüngst mit Erfolg galvanisiert, indem er das Ende des Cruralnervs gegen den Muskel zurückbeugte, in welchen er inseriert ist. Doktor Reinhold beschreibt ähnliche Versuche. Wenn diese Berührung belebter, verbundener Teile keine Wirkung mehr hervorruft, muß man die Kette durch tierische Substanzen bilden, die von dem Körper, welchem sie angehören, getrennt sind. Schneidet man das Stück des Cruralnervs ab und bringt es mit Hilfe einer Glasröhre mit dem Muskel und demselben Nerv, dem es zuvor angehörte, in Berührung, so treten augenblicklich starke Kontraktionen auf. All diese Versuche, endlos variiert und in Abbildungen dargestellt, wurden auf vollkommen trockenen Glastafeln durchgeführt, damit die Einfachheit der Bedingungen besser beurteilt werden kann. Teilt man das Herz eines Frosches in drei Stücke, bringt zwei davon in Kontakt mit dem Nerv und dem Muskel und schließt mit dem dritten Stück die Lücke in der Kette, so tritt die galvanische Entladung in dem Augenblick ein, in dem die Kette vollständig ist; sie ist noch stärker, wenn der Kontakt auf der Seite des Muskels beginnt. Offenbar ist der Stimulus wirksamer, wenn das galvanische Fluidum vom Muskel zum Nerv und nicht vom Nerv zum Muskel zirkuliert. Der Verfasser merkt jedoch an, daß dieser sehr bedeutsame Unterschied nur an Tieren mit einem geringen Grad an Reizempfänglichkeit zu beobachten ist. DRITTER ABSCHNITT Galvanische Versuche mit leitenden, entweder metallischen oder kohlenstoffhaltigen Substanzen Die galvanischen Kontraktionen, welche Galvani, Volta, Valli, Fowler, Monro, Delamétherie und all die experimentierenden Physiker beschrieben haben, wurden nur durch die Bildung eines Leitkreises erzeugt, das heißt einer Kette, welche zugleich mit dem Nerv und dem Muskel oder mit zwei Nervenpunkten in Verbindung stand; selbst in dem einfachsten Versuch, bei dem man das Ende des Nervs gegen den Muskel zurückbeugt, in welchen er inseriert ist, scheint sich aus den belebten Organen selbst eine Kette zu bilden. So ist es nicht immer. Der Verfasser machte am 20. November 1796 die interessante Entdeckung, daß es bei sehr hoher Reizempfänglichkeit eines Tieres ausreicht, seinen Cruralnerv mit Zink zu armieren und dieses Zink A (und sei es in 3 Zoll oder 4 Fuß Abstand) mit einem anderen heterogenen oder homogenen Metall B zu berühren. Freiesleben, Keutsch und Reinhold haben diesen Versuch ohne Kette zu ganz unterschiedlichen Zeiten mit dem gleichen Erfolg wiederholt. Der Verfasser hat ihn vielfach variiert, um ganz sicher zu sein, daß das Metall B unmerklich mit den reizbaren Organen kommuniziert. Er legte zwei sorgfältig präparierte Cruralnerven auf eine Zinkplatte und ließ zwei isolierte Personen die beiden Schenkel mittels einer Glasplatte anheben; nur die Nerven waren in Kontakt mit dem Zink geblieben, aber sehr weit voneinander entfernt. Das Zink war durch einen Kupferdraht mit einem Silberstück in 5 Zoll Entfernung verbunden, das Ganze lag auf vollkommen trockenen und sauberen Glastafeln. Klopfte man mit Holz oder Siegellack auf das Silber, so zeigte sich keine Kontraktion, aber die galvanische Entladung war heftig, sobald das Silber mit einem Stück Kupfer oder Eisen in Kontakt trat. Weitere, noch kompliziertere Versuche, bei welchen die Armaturen in Öl unter Glasglocken ruhten, damit die Feuchtigkeit der Atmosphäre keine Kommunikation zwischen dem Metall B und den belebten Teilen herstellen konnte, lassen sich nicht beschreiben, ohne einen Blick auf die dem Werk unseres Verfassers beigegebenen Tafeln zu werfen; galvanische Kontraktionen mittels eines leitenden Bogens, gebildet aus homogenen Metallen. Der Verfasser beweist, indem er für Aldini gegen Volta Partei ergreift, daß homogene Exzitatoren wie gereinigtes Quecksilber fähig sind, sehr starke Entladungen auszulösen, wenn das Tier einen hohen Grad an Reizempfänglichkeit besitzt. VIERTER ABSCHNITT Versuche mit heterogenen Substanzen Diese wurden als erste entdeckt, und da sie zu den kompliziertesten gehören, kann es nicht verwundern, daß das Augenmerk so lange Zeit auf die Metalle gerichtet war, welche bei den galvanischen Erscheinungen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Ein matter Frosch zeigt keine Kontraktionen mehr, wenn die heterogenen Armaturen der Nerven und der Muskeln sich nicht unmittelbar berühren; doch wenn der Verfasser mit Hilfe eines kleinen Stücks Muskelfleisch den Nerv mit einigen Tropfen alkalischer Auflösung benetzte [solution de potasse; in Humboldts hier referiertem Buch ist an dieser Stelle jedoch von Oleum tartari per deliquium, Weinsteinöl, die Rede], erschienen die Kontraktionen wieder. Er verminderte die Reizempfänglichkeit erneut durch Salpetersäure [acide nitreux; bei Humboldt steht hier jedoch „Salzsäure“]; und danach war der unmittelbare Kontakt der Armaturen oder das Einbringen eines neuen Metalls zwischen das Stück Muskelfleisch und die Armatur des Nervs erforderlich für ein erfolgreiches Galvanisieren. Ist die Erregbarkeit der sensiblen Nervenfasern weniger stark, gelingen die in den Abschnitten I und IV beschriebenen Versuche nicht; dann müssen heterogene Substanzen in die Kette eingefügt werden. – Doch (was bisher nicht bekannt war und sehr beeindruckende Phänomene zeigt) es sind die verdampfenden Flüssigkeiten, die feuchten Substanzen, welche in Versuchen dieser Art eine wichtige Rolle spielen. Stattet man Nerv und Muskel des Tieres mit homogenen Armaturen aus; setzt man zwischen diese Armaturen beliebig viele heterogene Metalle, wird es nie gelingen, Kontraktionen zu erregen. Befeuchtet man eines der Metalle, treten augenblicklich die heftigsten Bewegungen auf. Diese Entdeckung machte der Verfasser im April 1795 und beschrieb sie in seinem ersten Physiologischen Brief an Professor Blumenbach. Seither haben viele Physiker diese Versuche wiederholt, die man als Hauchversuche oder Versuche mit dem Dampfelektrophor bezeichnete. Es gibt nichts Beeindruckenderes, als zu sehen, wie riesige Massen Muskelfleisch durch ein Atom Feuchtigkeit bewegt werden. (Der berühmte Professor Volta machte, ohne zu wissen, was in Deutschland gedruckt wurde, zur gleichen Zeit ganz ähnliche Entdeckungen, aber er zögerte, sie zu veröffentlichen.) Liegt der Cruralnerv eines matten Frosches auf Zink und ist der Muskel ebenfalls mit Zink bewehrt, bleibt das Tier reglos. Bringt man diese beiden homogenen Metalle in Kontakt oder verbindet sie durch eine heterogene Silberplatte, scheint es, als würde nur die Homogenität der Metalle, welche die Organe berühren, die Wirkung bestimmen; aber sobald das heterogene Metall, welches zwischen den beiden homogenen liegt, auf einer Seite, entweder der Ober- oder der Unterseite, befeuchtet wird, treten die galvanischen Kontraktionen auf. Befeuchtet man dieses heterogene Metall von beiden Seiten, oder legt man, um sicherer zu sein, daß die Armaturen es an keiner Stelle seiner Oberfläche unmittelbar berühren, zwei Stücke verdampfenden Muskelfleischs über und unter das heterogene Metall, erscheint keinerlei Bewegung mehr in den reizbaren Fasern. Entfernt man eines der Fleischstücke und wischt das heterogene Metall auf einer seiner Oberflächen sorgfältig ab, so treten die Muskelbewegungen von neuem auf. Das zwischen zwei homogenen Metallen plazierte heterogene Metall darf also nur auf einer Seite mit einer verdampfenden Flüssigkeit bedeckt sein; es ist einem Elektrophor ähnlich, der eine metallische und eine harzige Oberfläche aufweist. Säuren, Alkalilösungen und feuchte Seife zeigen die gleiche Erscheinung wie Wasser oder nur der Hauch; die Kontraktionen scheinen sogar stärker zu sein, wenn die Verdampfung durch Erhitzen des heterogenen Metalls oder durch Verwendung von Alkohol oder Naphta anstelle von Wasser gesteigert wird. All diese Versuche schließen sich den von Volta beschriebenen an, bei denen er einen homogenen Bogen auf der einen Seite mit einer Säure, auf der anderen mit einem Alkali benetzte. FÜNFTER ABSCHNITT Die vorangegangenen Abschnitte stellen die bisherigen Entdeckungen des Verfassers zu den Gesetzen des Galvanismus vor. Wir haben gesehen, wie man von den einfachsten bis zu den kompliziertesten Versuchen schreitet. Muskelkontraktionen finden statt, 1. wenn man den Nerv gegen den Muskel zurückbeugt, in welchen er inseriert ist; 2. indem man mit tierischen Substanzen wie Stücken von Muskelfleisch, abgetrennten Nerven … eine Kette zwischen Nerv und Muskel oder von einem Punkt des Nervs zum anderen herstellt; 3. indem man die metallische Armatur eines Nervs mit einem anderen Metall in Kontakt bringt, ohne daß es eine unmittelbare Verbindung zwischen diesem Metall und den reizbaren Teilen gäbe: Versuch ohne geschlossene Kette; 4. indem man die reizbaren Teile durch eine homogene metallische oder kohlenstoffhaltige Substanz miteinander verbindet: homogene Armaturen; 5. indem man die Kette aus zwei heterogenen Substanzen herstellt; 6. indem man zwischen zwei homogenen Armaturen ein heterogenes, auf einer Seite mit einer verdampfenden Flüssigkeit benetztes Metall einsetzt. Um die großen Phänomene der Muskelbewegung leichter in einer Tabelle deutlich zu machen, hat der Verfasser sehr einfache Zeichen erdacht, an deren Kombination man auf den ersten Blick erkennt, wie die leitenden Substanzen angeordnet sind. Diese Art, Entdeckungen der Physik mit ähnlichen Gleichungen wie in der Algebra darzustellen, erscheint überaus nützlich. Jegliche Theorie kann nur eingeführt werden, wenn sie nicht in direktem Widerspruch zu irgendeinem der Fakten steht, die sie erklären soll. Nichts ist also besser geeignet, zu den Gesetzen und sogar zu den Hauptursachen eines komplizierten Phänomens zu führen, als die Betrachtung sämtlicher möglicher Veränderungen. Die die galvanische Kette bildenden Substanzen sind entweder feuchte Körper wie Muskelfleisch, nasses Papier, Wasser … oder säuerungsfähige Körper wie Metalle und Kohle. Nennen wir erstere H [humides, feucht] und letztere A [acidifiables, säuerungsfähig]. Der Verfasser beschreibt die Anordnung der leitenden Substanzen durch die Nähe, die er in den Formeln zwischen ihnen herstellt; so bedeutet zum Beispiel Nerv A. h, daß der Nerv mit einem Metall (säuerungsfähiger Körper) armiert ist und daß dieses Metall Kontakt mit einem feuchten Körper hat. A. A und a. a bezeichnen den Kontakt zwischen homogenen metallischen oder kohlenstoffhaltigen Substanzen, während A. a den Kontakt zwischen zwei heterogenen Substanzen bezeichnet. Das Zeichen steht für die Bildung einer geschlossenen Kette. Die am häufigsten angewandte Methode zum Galvanisieren, bei der zwei heterogene Armaturen verbunden werden, läßt sich durch die Formel Nerv A. a ausdrücken. Legt man eine feuchte Substanz (Muskelfleisch) zwischen die beiden Armaturen aus Zink (A) und aus Silber (a), so erhält man die Formel Nerv A. h. a. Der Versuch ohne geschlossene Kette (Abschnitt III) wird mit Nerv A. a bezeichnet, jener mit dem Hauch oder dem heterogenen Metall, das zwischen zwei homogene Metalle gelegt und auf einer Seite befeuchtet wird, erhält die folgende Formel: Nerv A. a. h. A. Die Formel Nerv A. h. a. h. A steht für ein auf beiden Seiten befeuchtetes Metall, also einen negativen Versuch (–) ohne Wirkung, ohne Kontraktionen. Wir teilen unseren Lesern die Tabelle der galvanischen Gesetze mit, wie der Verfasser sie auf Seite 97 des ersten Bandes darbietet. I. Zustand hoher Reizempfänglichkeit + Nerv und Muskel (mit dem ersterer organisch verbunden ist) + Nerv H. + Nerv A. a. + Nerv H. h. + Nerv A. a. A. + Nerv A. A. + Nerv A. a. h. a. + Nerv A. A. + Nerv A. h. a. h. A. II. Zustand minderer Reizempfänglichkeit + Nerv A. a. + Nerv A. a. h. A. + Nerv A. a. h. A. a. + Nerv A. h. a. h. a. A. Im Gegensatz dazu sieht man bei der Faser dieses geringeren Grades an Reizempfänglichkeit in den nachstehenden Fällen keine Kontraktionen; sie werden daher als negativ betrachtet. – Nerv und Muskel, mit dem ersterer verbunden ist – Nerv H. h. – Nerv A. A. – Nerv A. a. – Nerv A. h. a. (Fortsetzung im nächsten Heft) Fortsetzung der Versuche über die Reizung der Nerven- und Muskelfaser Für den Fortschritt der Physiologie wäre zu wünschen, daß diese (seither bereits von anderen Gelehrten übernommenen) Zeichen allgemeine Verwendung fänden, weil sie ein sehr einfaches Mittel bieten, leicht und ohne Abbildungen die kompliziertesten Sachverhalte zu beschreiben. Stellte man jeden Versuch mit dieser Methode dar und richtete den Blick auf die Tabelle der oben erläuterten Phänomene, so wäre es leicht, zu erkennen, ob es sich um eine neue Entdeckung oder ein bereits seit langem bekanntes Gesetz handelt. VI. ABSCHNITT Veränderungen der galvanischen Wirkung Die Muskelkontraktionen sind stärker, wenn man die Kette so schließt, daß der leitende Bogen zuerst mit der Armatur des Muskels in Berührung kommt, nach den beiden Formeln: Nerv A. a. Nerv A. a. [[Pfeile und Bögen bitte aus Textband I, Verweis-PDF, S. 313, übernehmen.]] Häufig wird nur die letztere positiv sein, wenn das Tier sehr matt ist. Die Wirkung oder die Kraft der Muskelkontraktion wird durch die Anzahl der Kontaktpunkte der Metallarmatur mit dem Muskel verstärkt. Beim Nerv ist es anders; es ist gleichgültig, ob er das Metall nur mit einem Ende berührt oder ob er in ganzer Länge darauf liegt. Kann man (wie mehrere Autoren annahmen) nur die Muskeln ohne Nerv galvanisieren? Der Verfasser stellt fest, daß es unmöglich ist, einen Muskel so zu präparieren, daß kein einziges Atom einer Nervenfaser darin bleibt. Immer wenn er ein erfolgreiches Galvanisieren von Muskeln sah, entdeckte er darin Reste von Nerven; schnitt er diese heraus, gab es keine Kontraktionen mehr. Die sogenannten Armaturen von Muskeln sind also nur Armaturen von Nerven, übertragen durch einen leitenden Muskel. Chemische Analyse der Substanzen, welche die galvanische Kette bilden können Gekohlte und geschwefelte Metalle sind ausgezeichnete Exzitatoren. Geschwefelte Metalle, wie alle Erze, in welchen die Metalle mehr oder weniger oxydiert sind, wirken isolierend. Es ist sehr schwierig, Metalle nach ihrer Reizkraft zu ordnen, da sie in ihren binären oder ternären Kombinationen (mit zwei oder drei anderen Metallen) untersucht werden müssen und die Wirkung durch die Reizempfänglichkeit der Organe verändert wird. Versuche mit magnetisiertem Eisen oder den heterogenen Polen zweier Magnete Der Verfasser beweist, daß der Einfluß des magnetischen Fluidums, wenn er existiert, zu gering ist, um sich bemerkbar zu machen. Die besten Wärmeleiter scheinen die besten Leiter des galvanischen Fluidums zu sein. Über die Kapazitäten Die Kapazität einer säuerungsfähigen Substanz steigt mit ihrer Oxydation. Schwarz-Braunsteinerz erregt galvanische Kontraktionen; es ist das einzige Oxyd mit dieser Wirkung. Chemische Experimente belegen, daß Mangan stets mit Kohlenstoff vermischt ist und seine Reizkraft dieser Mischung zuzuschreiben ist. Kohlenstoff in Verbindung mit Wasserstoff isoliert. Daher wird fossiler Kohlenstoff nur dann reizend, wenn er einem bestimmten Grad an Wärme ausgesetzt wurde. Als der Verfasser den Bertholletschen Versuch wiederholte, bei welchem Kiefernholz bei einer Temperatur von 10 bis 12 Grad schwarz wird durch den Kontakt mit dem Sauerstoffgas, beobachtete er, daß diese schwarzen Flecken dem Galvanismus dienen können; er entdeckte sogar Petrosilex (den Wernerschen Lydischen Stein, der dem pétrosilex schisteux oder Kieselschiefer der Deutschen ähnelt), der ebenso starke Muskelkontraktionen hervorrief wie Zink. Die chemische Analyse bewies, daß die Kiesel- und Tonerden dieses Steins mit einem Minimum an Kohlenstoff vermengt sind. Eis und Dampf isolieren, während Wasser das galvanische Fluidum leitet; Öl und aufgelöstes Alkali unterbrechen dieses Fluidum; die aus der Mischung von Öl und Alkali sich bildende Seife leitet stärker als reines Wasser. Chemische Beobachtungen zu den Ursachen der Leitungskräfte Jede tierische Substanz verbreitet die galvanische Wirkung leichter als vegetabilische Substanzen. Blut leitet stärker als der Saft der Euphorbia esula; gebratenes Fleisch stärker als die Epidermis oder das Parenchyma einer Agave. Es gibt Personen, welche zu verschiedenen Zeiten die Zirkulation des galvanischen Fluidums unterbrechen. Es scheint, daß Rheumatismus eine der Hauptursachen für diesen isolierenden Zustand ist. (Reinhold hat beobachtet, daß Kranke mit rheumatischen Leiden wenig empfänglich für den Galvanismus sind, als er Humboldts Versuche mit den Kantharidenpflastern wiederholte und den Kranken dabei die Nerven mit heterogenen Metallen armierte.) In Amerika sah man Frauen, die während eines Nervenfiebers den Gymnotus electricus berühren konnten, ohne seine Erschütterungen zu spüren: Dies sind durchaus analoge Fakten. Die Zähne werden zu Leitern des galvanischen Fluidums, wenn man sie mit Säuren einreibt. Physiologische Beobachtungen zu diesem Phänomen Mehrere Schwammarten, vor allem jene aus der Gattung der Morcheln (Phallus esculentus, Elvela mitra, Elvela sulcata) leiten das Nervenfluidum; die chemische Analyse nähert sie tierischen Substanzen an; sie enthalten viel Stickstoff, Phosphor … Es gelang dem Verfasser, Morcheln durch mit Wasser verdünnte Schwefelsäure in eine fettige Materie umzuwandeln: Dieser Versuch entspricht vollkommen dem von Gibbes und dem Vorfall am Cimetière des Innocents, bei dem sich Muskelfleisch in Fett umwandelte. Die mit Salpetersäure behandelten Pilze ergaben eine nach Wachs riechende Substanz. Die Muskeln der Tiere bilden sich sehr langsam in einem beträchtlichen langen Zeitraum; eine Substanz, welche ihnen in der Zusammensetzung der chemischen Bestandteile vollkommen gleicht, die Morcheln, entstehen innerhalb einer Nacht, wenn ein Gewitterregen die Erde benetzt. VII. ABSCHNITT Übersicht über mehr als 60 Substanzen, die das galvanische Fluidum leiten und isolieren, dargestellt in Form einer Tabelle der Leitung von 200 bis 250 Fuß. Sofortige Ausbreitung. Die reizbaren Organe müssen nicht immer Teil der Kette selbst sein. Der Verfasser beobachtet (was sehr interessant ist), daß die Muskelkontraktionen auftreten, wenn das Ende des Nervs mit einem Tropfen einer alkalischen Auflösung in Kontakt steht und die beiden heterogenen Metalle, ohne den Nerv zu berühren, in die leitende Flüssigkeit eintauchen. – Erschütterung der reizenden Metalle. – Dauert der Reiz so lange an, wie die galvanische Kette bestehen bleibt? Wirkung zweier gleichzeitig eingesetzter Ketten oder Bögen. – Das aus den Nerven eines kaltblütigen Tieres austretende galvanische Fluidum wirkt nicht stimulierend auf die reizbaren Organe des Menschen; ein Versuch, mit dem der Verfasser beweist, daß das galvanische Fluidum des Menschen bei einer 4 oder 5.000 Fuß von demjenigen mit armierten Nerven entfernt stehenden Person die Empfindung von Licht oder einen sauren Geschmack auszulösen vermag; um diese überraschende Eigenschaft zu entdecken, verätzte Humboldt sich mehrmals den Rücken mit Kantharidenpflastern und brachte sich selbst Wunden an verschiedenen Stellen des Körpers bei. – Unterbindung des Nervs. – Man hat vergebens darüber diskutiert, ob diese Unterbindung die Zirkulation des galvanischen Fluidums hemmt oder nicht; diese Hemmung besteht nur, solange der zwischen der Unterbindung und dem Eintritt in den Muskel liegende Teil des Nervs von tierischen Substanzen umhüllt ist, welche den Galvanismus leiten; sobald dieser Nerventeil den geringsten Kontakt mit der atmosphärischen Luft hat, kommt es zu Muskelkontraktionen, und die Unterbindung hat keine Wirkung. Dieser Abschnitt schließt mit einer Schilderung der Versuche mit sensiblen oder irritablen Atmosphären der belebten Organe; Humboldt hat sie als erster entdeckt, und sie sind vielleicht das Erstaunlichste, was sein Werk enthält. Ein mit Lebenskraft ausgestatteter Nerv muß als eine mit einem Reizfluidum geladene Substanz betrachtet werden; dieses Fluidum bildet um ihn herum eine Atmosphäre von 1,5 bis 2 Linien Durchmesser. Die Empfindung oder die Bewegung wird verbreitet, wenn ein Stimulus in diese Atmosphäre eintritt, ohne die Nervenfaser selbst unmittelbar zu berühren. Die Wirkung dieser Atmosphären zeigt sich unter sehr unterschiedlichen Bedingungen: 1. Wenn man einen Nerv von sehr hoher Reizempfänglichkeit quer durchschneidet und beide Teile 1,5 bis 2 Linien voneinander entfernt, treten Kontraktionen auf, obwohl eine Luftschicht die Zirkulation des Fluidums zu unterbrechen scheint. Humboldt machte diese Beobachtung mehrmals, und sie wurde jüngst von Doktor Reinhold bestätigt. Einige Male hängte man die abgetrennten Nerventeile an Seidenfäden in der Luft auf, um ganz sicherzugehen, daß nicht die Feuchtigkeit eines Tisches oder einer Glastafel eine Verbindung zwischen den empfindlichen Organen herstellen konnte. 2. Bisweilen sieht man Muskelkontraktionen, bevor die mit dem einen Schenkel an Zink gedrückte silberne Pinzette (Armatur des Nervs) mit dem anderen Schenkel in unmittelbaren Kontakt mit dem Muskel gelangt. Die Muskelteile verbreiten dann eine irritable Atmosphäre um sich herum; denn wenn man die Schenkel der Pinzette 3 oder 4 Linien weit voneinander entfernt, verschwindet jede Bewegung. (Diese beiden Arten, die Wirkung aus der Entfernung zu untersuchen, dürfen nur bei höchster Reizempfänglichkeit angewendet werden; es scheint sogar, daß für die Bildung dieser sensiblen Atmosphäre ein gewisser Grad an Luftfeuchte erforderlich ist.) 3. Ein dritter Weg, auf dem die Wirkung aus der Entfernung sich gewöhnlich zeigt, ist der Effekt des Galvanismus unter Wasser. Die Atmosphäre breitet sich in den Wasserschichten, welche die Nerven und Muskeln umgeben, 2 Linien weit aus; die galvanischen Bewegungen erscheinen, sobald der metallische Leiter mit dieser Wasserschicht in Kontakt tritt, ohne die Organe selbst zu berühren; der Wirkkreis verkleinert sich in dem Maße, wie die Reizempfänglichkeit des Tieres abnimmt; anstelle von 2 Linien muß man sich nach und nach auf 1,5 bis 0,5 Linien nähern. Eine zwischen den metallischen Leiter und den Nerv innerhalb der sensiblen Atmosphäre eingebrachte Glastafel unterbricht die Zirkulation des Fluidums, auch wenn sie weder das Metall noch den Nerv unmittelbar berührt. Das Wasser kann bei diesem (vor dem Institut national und der École de Médecine durchgeführten) Versuch nicht als Leiter, wohl aber als Medium betrachtet werden, in welchem sich das galvanische Fluidum ausbreitet und eine Atmosphäre bildet; wäre es nur eine leitende Substanz, schiene es gleichgültig, ob die Schicht zwei Linien oder 40 Fuß dick wäre; Einfluß der sensiblen und irritablen Atmosphären bei Phänomenen der Empfindung, der Muskelbewegung und der partiellen Konvulsionen. VIII. ABSCHNITT Wirkung des Wärmestoffs und der Reibung der Exzitatoren Die galvanischen Kontraktionen werden stärker, wenn man die Temperatur der Metalle erhöht. Der Verfasser hat entdeckt, daß die Reizkraft eines Metalls sich durch einfachen Kontakt auf ein anderes überträgt; ein überraschendes Phänomen, über dessen Ursachen wir uns noch bei weitem nicht äußern können. Erzeugen die homogenen Metalle (zum Beispiel zwei Zinkstücke) bei geringer Reizempfänglichkeit keine Wirkung, genügt es bisweilen, mit dem Zinkplättchen auf ein Silberstück zu schlagen, damit es die Eigenschaft des letzteren übernimmt. Man kann ganz sicher sein, daß das Zink sich nicht durch leichtes Reiben mit einigen Atomen von Silber überzieht, denn die Reizkraft wird auf seine gesamte Masse übertragen, also auch auf Teile, welche die Silberplatte nicht unmittelbar berührt haben. Doktor Wells stellte bei der Wiederholung dieser Versuche fest, daß Zink die Eigenschaft eines anderen Metalls bis zu zwölf Stunden lang behält. (Humboldt hatte nur bis zu 30 Sekunden beobachtet.) Galvanische Experimente in Sauerstoffgas, nitröser Luft, kohlensaurem Gas, Wasserstoffgas, Stickgas, oxygeniertem Kochsalzdunst und Gas hydrogène-pesant Die verschiedenen Gase verändern zwar nicht die galvanische Wirkung, beeinflussen aber unmittelbar die Reizempfänglichkeit der Organe. Können Pflanzen erfolgreich galvanisiert werden? Der Verfasser hat zahlreiche Versuche mit Mimosa pudica, Berberis vulgaris und Hedisarum gyrans durchgeführt. Nie hat er irgendeine Wirkung beobachtet. Er weist nach, daß eine mögliche Wirkung von Metallen auf die belebte vegetabilische Materie nur durch eine raschere Kontraktion der ringförmigen Fasern der Beschleunigungsgefäße geschehen könne, die das Aufsteigen des Saftes fördern, was aber nur schwer mit Genauigkeit zu beobachten sei. Es ist keineswegs erwiesen, daß Pflanzen keine Nerven besitzen. Bislang bestritt man diese Organe; aber die anatomischen Arbeiten von Abilgaard, Angéli, Bresciani und Humboldt (Cuvier wird diesen Arbeiten in Kürze eine Vielzahl höchst interessanter Entdeckungen hinzufügen) beweisen das Gegenteil. Galvanismus ist ein ausgezeichnetes Mittel, um Nerven zu erkennen und sie von einem Gefäß zu unterscheiden. Man armiert die weiße Faser, deren Natur fraglich ist, mit Zink; man stellt die geschlossene Kette zwischen dem Zink und einem Muskel her. Treten in letzterem Kontraktionen auf, kann man gewiß sein, daß es eine Nervenfaser ist. Humboldt hat eine Methode erfunden, die allerkleinsten Tiere unter dem zusammengesetzten Mikroskop zu galvanisieren, und hat mit diesem Mittel das Nervensystem der Naiden und der Lernaeen entdeckt. Dieser Abschnitt schließt mit überaus bemerkenswerten Beobachtungen zur Anatomie und Physiologie der Mytilus, Lumbricus, Helix, Sepia, Nais, Lernaea, Ascaris, Taenia, Cerambyx, Blatta, Lucanus, Vespa und Cancer. – Versuche mit Fischen, Erforschung der Ursachen ihrer großen Reizempfänglichkeit. IX. ABSCHNITT Amphibien Warum ist ihre Reizempfänglichkeit während des Winterschlafs am höchsten? Die Funktionen des Gehirns schwächen die Muskeltätigkeit und das Absonderungsvermögen der Gefäße. Ein Fünftel [in Humboldts Monographie steht „ein Sechstel“] des gesamten Blutes strömt durch das Hirn des Menschen und kehrt daraus entsäuert zurück. Was wird aus diesem Sauerstoff? Geht er in die Zusammensetzung des galvanischen Fluidums ein? Und wäre die Marksubstanz von Hirn und Nerven das Eingeweide, in dem sich dieses wertvolle Fluidum bildet? Die Verdauung wird gehemmt, wenn man beim Verdauen viel nachdenkt oder grübelt; dumme Menschen werden fett. Zum Zeitpunkt der Verdauung ist die Energie des Hirns schwächer, selbst die Muskeln sind weniger stark, und in den Extremitäten wird Kälte erzeugt. Liegt der Grund all dieser Erscheinungen nicht in der Existenz eines Fluidums, welches sich in großer Menge vom Hirn und den Extremitäten gegen die Abdominalnerven (plexus coeliacus) ausbreitet, die Energie der ersteren mindert und dabei jene des Magens und der Eingeweide erhöht? Vögel Diese Tiere, die am meisten Sauerstoff aufnehmen (und die vollkommensten Atmungsorgane besitzen), haben auch mehr tierische Wärme als vierbeinige Säugetiere. Die Reizempfänglichkeit ihrer Muskeln nimmt sehr rasch ab, und der Galvanismus wirkt bei ihnen nur wenige Minuten nach ihrem Tod. Galvanische Erscheinungen des menschlichen Organismus. Blitz durch Sympathie zwischen den naso-okularen Nerven und dem Maxillaris superior Armiert man die Zunge mit Zink und den After mit einem Silberplättchen, verspürt man in dem Augenblick, in dem die beiden Metalle über einen Messingdraht verbunden sind, einen sauren Geschmack, Blitze vor den Augen, Unwohlsein und Krämpfe im Unterleib. Einige Personen hatten bei dieser Galvanisierung eine sehr heftige Darmentleerung. Diese Wirkung hängt mit einer Reizung des Sympathikus zusammen, welcher mit annähernd dem gesamten Nervensystem in Verbindung steht. Der Verfasser erweckte durch diese Anwendung der heterogenen Metalle sterbende Vögel wieder zum Leben. Versuche, die er an sich selbst durchführte, indem er sich an mehreren Körperstellen Wunden und Abschürfungen beibrachte An den durch Kantharidenpflaster bloßgelegten Rückennerven sah man, wie sich die (aus der Wundöffnung austretende) Lymphe durch die metallische Reizung in weniger als einer Sekunde rot färbte. Die Natur dieser Flüssigkeit wurde so stark verändert, daß sie überall, wo sie herabfloß, rote Spuren (Striemen) hinterließ. 5–8 Stunden lang war es unmöglich, diese mit Wasser, Milch oder Öl abzuwaschen. Da Scarpa, der berühmte Professor in Pavia, Zweifel an der Konstanz dieses außergewöhnlichen Phänomens hegte, beschloß Humboldt bei seiner Rückkehr aus Italien, den Versuch an sich selbst noch einmal zu wiederholen. Der Erfolg war der gleiche. Das galvanische Fluidum, welches aus einer Entfernung von 4–5 Fuß durch die Münder mehrerer Personen geleitet wurde, löste bei ihnen die Empfindung von saurem Geschmack und einem phosphorischen Leuchten aus; die Muskeln des Leidenden schwollen sichtbar an; er spürte sehr starke und schmerzhafte Erschütterungen, die Lymphe wurde rot und färbte den Rücken überall, wo sie herabfloß. Vor kurzem wurden diese Wirkungen des Galvanismus im Hospital zu Leipzig beobachtet, wo sie jedoch bei Personen mit rheumatischen Leiden nicht eintraten. – Man nahm lange Zeit an, daß Muskeln, deren Bewegung unwillkürlich ist, wie das Herz und die Eingeweide, für Muskelreize nicht empfänglich seien. Versuche, die das Gegenteil beweisen. Doktor Grapengiesser armierte das Colon und das Coecum eines Kranken, dessen Gedärm seit vielen Jahren nach außen hing. Die peristaltische Bewegung wurde angeregt; sie verstärkte sich noch, als man die ringförmigen Fasern dieser Eingeweide durch mit Wasser verdünnte Alkalilösung [bei Humboldt Oleum tartari per deliquium, Weinsteinöl] benetzte. Herzkontraktionen verändern ihren Takt und setzen, wenn sie aufgehört haben, nach Anwendung der heterogenen Metalle wieder ein. Der Bruder des Verfassers, Wilhelm Van-Humboldt (bekannt durch seine Arbeiten über Pindar), verdoppelte die Pulsationen eines Herzens, als er nur die Herznerven galvanisierte. Bei diesem Versuch wurde die Substanz des Herzens nicht berührt; er beweist offensichtlich, daß es kein mechanischer Reiz ist, der die Muskelfasern des Herzens erregt, und daß die Herznerven diesen letzteren angehören und nicht nur den Gefäßen, wie Professor Sömmerring in seiner Dissertation Cor Nervis carere, Scarpa widersprechend, nachzuweisen glaubte. X. ABSCHNITT Hat der Verfasser bis hierher sorgfältig unterschieden zwischen der Darlegung der Fakten und hypothetischen Mutmaßungen, durch welche diese Fakten auf gemeinsame Ursachen zurückgeführt werden können, so befaßt er sich in diesem letzten Abschnitt mit der Theorie der Muskelbewegung. Dieser Teil seines Werkes (Seite 349–486) duldet, obwohl er der interessanteste von allen ist, keinen so detaillierten Auszug wie die vorigen Abschnitte. Es genügt, einige allgemeine Betrachtungen wiederzugeben. Theorien von Galvani und Valli über die heterogenen Elektrizitäten der Nerven- und Muskelfaser Versuche, bei denen die Metalle nur den Nerv berühren, entkräften diese Theorien. (Voltas Hypothese über die elektrischen Ströme, die beim Kontakt dreier heterogener Substanzen entstehen.) Der Verfasser äußert sich mit höchstem Lob über diese geistreiche Hypothese und den Scharfsinn ihres Urhebers; er weist aber nach, daß viele seiner (in den ersten vier Abschnitten erörterten) Entdeckungen in unmittelbarem Gegensatz zur Theorie des elektrischen Stromes stehen. Es scheint überraschend, daß eine elektrische Ladung, die stark genug ist, um die Bennetsche Elektrizität um 4 Linien divergieren zu lassen, nicht ausreicht, um Muskelbewegungen hervorzurufen, während eben diese Bewegungen nur einem Minimum an Elektrizität zuzuschreiben sind, deren Existenz selbst die feinsten Duplikatoren kaum anzuzeigen vermögen. Humboldt glaubt, daß man noch zu wenig über dieses große Problem weiß, um eine Lösung erarbeiten zu können. Er äußert jedoch einige hypothetische Ideen, die man zu einer Theorie vereinigen kann. Die Ursachen für das galvanische Phänomen dürfen nicht als ergründet betrachtet werden, solange es nicht gelingt, den einfachsten Versuch (denjenigen ohne Reizstoffe, bei welchem man den Nerv gegen seinen Muskel beugt) wie auch den kompliziertesten (denjenigen mit dem Hauch, wobei das heterogene Metall nur auf einer Seite mit einer verdampfenden Flüssigkeit benetzt ist) mit der gleichen Leichtigkeit zu erklären. – Der Ton der Muskelfaser oder ihre Dichtigkeit scheint von den gegenseitigen Affinitäten ihrer Moleküle bestimmt zu sein. Alles, was diese Affinitäten verändert, ändert den Ton der Faser und die Position dieser Moleküle zueinander. Die Muskelkontraktion ist nur das Ergebnis oder die Wirkung einer Veränderung von Affinitäten; die kleinsten Teile des Muskels dringen inniger in die Sphäre ihrer gegenseitigen Ziehkraft oder der Elektrizität ein; auch die Verbindung des Wärmestoffs mit den Elementen verstärkt häufig deren Affinitäten und regt sie dazu an, sich zu verbinden; aus einem ähnlichen Grund scheint das galvanische Fluidum auch die Moleküle der Muskelfaser einander stärker anzunähern. Im Ruhezustand (wenn der Nerv in den Muskel inseriert ist) sucht das galvanische Fluidum ein Gleichgewicht in den einander berührenden Organen. Die spontane Bewegung kommt durch eine Überladung des Nervs zustande. Es scheint, daß in dem Augenblick, in welchem wir diese oder jene Bewegung ausführen wollen, das im Hirn erzeugte galvanische Fluidum in großer Menge in jenen Teil strömt, der sich bewegen soll. Durch diese Anhäufung findet eine Überladung der Nervenfaser statt. Es kommt zur einer Entladung des Nervs in den Muskel, bei der die durch verstärkte Affinitäten angeregten Moleküle des letzteren näher aneinander rücken; und diese Annäherung bewirkt das Phänomen der Kontraktion. Die säuerungsfähigen Elemente, aus denen die Muskelfaser zusammengesetzt ist (Stickstoff, Wasserstoff, Phosphor, Kohlenstoff…) verbinden sich untereinander und mit dem Sauerstoff der Arterien. Die Muskelbewegung erzeugt folglich Wasser (den Schweiß), Kohlensäure, oft Salpetersäure, Phosphoroxyd, Ammoniak und Soda… Wenn das galvanische Fluidum zerlegt ist oder durch die Kontraktion und die damit einhergehenden chemischen Phänomene beseitigt wurde, entfernen sich die Moleküle des Muskels wieder voneinander, das heißt, sie kehren in die Sphäre ihrer ursprünglichen Anziehung zurück. Wenn bei Nervenkrankheiten das galvanische Fluidum (ohne unser Wissen) vom Hirn in die Nerven oder von einem Nerv in den anderen übergeht, oder auch wenn durch eine Überreizung der sensiblen Faser ein Teil davon eine größere Menge dieses Fluidums freisetzt (erzeugt) als in gesundem Zustand, entladen sich die überladenen Nerven in den Muskel und rufen jene Erscheinungen hervor, die wir Spasmen oder Konvulsionen nennen. Häufig entstehen diese Spasmen offenbar durch die Nähe zweier Nerven, deren irritable Atmosphären sich nur bei der Reizung eines dieser Organe berühren. Das galvanische Fluidum strömt um so stärker zu den Extremitäten, je mehr die Funktionen des Hirns (das Denken …) geschwächt sind. Dies ist der Grund, weshalb der gesündeste Mensch häufig im Augenblick des Einschlafens eine konvulsivische Bewegung in den Beinen hat. Das ist der Grund, weshalb der Zustand der Demenz häufig die Muskelkräfte verstärkt. Die gleiche Überladung des Nervs, welche zu unwillkürlicher Bewegung reizt, wird beim galvanischen Versuch erzeugt, wenn ein Teil des Nervs freigelegt wird; dieser entblößte Teil ist in der atmosphärischen Luft isoliert. Wenn die Nervenfaser, welche in Muskelfleisch eingehüllt ist, eine m entsprechende Menge galvanischen Fluidums erzeugt und wenn der Teil, der Kontakt mit der Luft hat, die gleiche Menge m hervorbringt, so verliert die erstere in jedem Augenblick an Ladung, da sie mit leitenden Substanzen verbunden ist, während letzterer Teil, von atmosphärischer Luft umgeben, keinen solchen Verlust erleiden kann. Dies ist der Grund, weshalb die Ladung des einen Nerventeils = m–n sein wird, während der andere die Ladung = m haben wird; wenn man das Ende des überladenen Nervs auf den Muskel zurückbeugt, kommt es also zu einer Muskelkontraktion. Dies ist der einfachste galvanische Versuch. Überläßt man den Nerv sich selbst, ohne ihn zurückzubeugen, wird sich der überladene Teil nach und nach in ein Gleichgewicht mit jenem Teil bringen, welcher nur die Ladung m–n besitzt. Wird diese Wiederherstellung des Gleichgewichts behindert, geschieht sie mit Heftigkeit und löst jene ungeklärten Kontraktionen aus, die wir häufig beobachten, wenn ein Frosch an den sympathischen Nerven präpariert ist und wenn er, ohne daß er berührt wird, auf einer isolierenden Platte liegt. Da die durch den Kontakt mit Luft verursachte Überladung nur sehr schwach ist, ist es nicht verwunderlich, daß der Versuch mit dem auf den Muskel zurückgebeugten Nerv (ohne Metall, ohne Exzitator) nur beim höchsten Grad der Reizempfänglichkeit eine Wirkung zeigt. Diese Wirkung wird von neuem auftreten, wenn man ein Stück Muskelfleisch mit dem Muskel und dem Nerv in Berührung bringt. Warum wirkt diese Kette als Exzitator? Einfach, weil sie sich dem Strom des galvanischen Fluidums entgegenstellt, das sie durchdringen soll. In einem bestimmten Augenblick häuft sich das Fluidum in der Kette an, und beim Überwinden der Hindernisse, beim Brechen des Deiches wird die Wirkung verstärkt. Wir sehen, daß eine starke Ladung der Leidener Flasche, durch Draht geleitet, Schießpulver nicht zu entzünden vermag. Unterbricht man die Kette durch einen schlechten Leiter (wie feuchtes Holz), entzündet man augenblicklich das Pulver, selbst bei sehr viel geringerer Intensität der Elektrizität. Nimmt die Reizempfänglichkeit des Muskels nach und nach ab, so reichen die tierischen Substanzen nicht mehr aus, um Kontraktionen zu erzeugen. Die Hindernisse, welche sie dem Strom entgegenstellen, sind nicht stark genug. Man benötigt Metalle, durch welche das galvanische Fluidum, als tierisches Fluidum, weniger leicht fließt als durch Stücke von Muskeln oder Nerven. Zunächst genügen homogene Metalle, um Kontraktionen hervorzurufen. Ist die Empfänglichkeit des Tieres verringert, so benötigt man heterogene Metalle, um so stärker heterogen, je matter Muskel und Nerv sind. Wahrscheinlich fließt das galvanische Fluidum leichter von Zink zu Zink als von Zink zu Silber. Mit wachsendem Widerstand gegen den Durchfluß des Stromes wird der Reiz stärker. So lassen sich die einfachsten und die kompliziertesten Versuche unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt betrachten. Der Verfasser wendet diese dynamische Theorie im Folgenden auf das Phänomen des Hauchs an. Er weist nach, daß sich häufig zwei Ströme bilden, deren einer vom Nerv und der andere vom Muskel ausgeht, und daß die Wirkung von der entgegengesetzten Kraft dieser beiden Ströme abhängt, die einander bald ausgleichen, bald verstärken. Es ist uns nicht möglich, in diesem Auszug auf die feinsten Nuancen dieser Versuche einzugehen. Es genügt, sich ins Gedächtnis zu rufen, was Humboldt über den Unterschied zwischen dem galvanischen und dem elektrischen Fluidum entdeckt hat. Vergleicht man sorgfältig, was sie an Ähnlichkeiten besitzen, so erkennt man, daß diese vermeintliche Gleichheit nicht besser fundiert ist als jene zwischen Magnetismus und Licht. Es könnte sehr gut sein, daß Wärmestoff, Licht, Elektrizität, Magnetismus und galvanisches Fluidum (wir wagen nicht, es als Nerven fluidum zu bezeichnen, da auch der Muskel damit geladen ist), daß all diese Fluiden nur Modifikationen eines einzigen unbekannten Elementes sind; aber in der ernsthaften Physik hüten wir uns, Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, welche auf keinerlei unmittelbarer Beobachtung gründen. Die Substanzen, welche die Elektrizität nahezu am besten leiten, isolieren vollkommen das galvanische Fluidum , wie Flamme, Rauch, Knochen von Tieren, das Torricellische Vakuum und heißes Glas. Man darf also nicht annehmen, daß alles, was Metalle leiten und harzige Substanzen isolieren, damit Elektrizität sei. Zudem beweisen die Versuche mit Zunge und Augen keinesfalls, daß das galvanische Fluidum Sauerstoff oder Lichtstoff enthielte. Jedes Organ erzeugt die ihm eigene Wirkung. Bei einem Schlag ins Auge sehen wir Blitze; bei Elektrizität schmecken wir Säure; nicht, weil wir die Elektrizität an sich schmecken würden, sondern weil Elektrizität in der Atmosphäre, die sie zersetzt, eine Säure erzeugt und wir dieses Erzeugnis des Milieus (des Mediums), in dem wir uns befinden, schmecken. Gleichermaßen bringt das galvanische Fluidum, wenn es die Geschmacksorgane reizt, dort neue chemische Verbindungen hervor. Phosphor, Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff…, welche in der irritablen Faser enthalten sind, bilden Säuren oder Alkalien, und wir schmecken nur uns selbst und nicht das galvanische Fluidum, das nur die Affinitäten der muskulären Elemente anregt. Forschungen zu den elektrischen Fischen Elektrometer werden von ihnen nicht affiziert. Der Funke erscheint nur sehr selten, und bei den stärksten Erschütterungen zeigt sich kein Leuchten. Der Verfasser hat keinen Zweifel daran, daß die Phänomene der Raja torpedo, des G ymnotus electricus, des Trichiurus indicus und des Tetrodon patersonii zum großen Teil dem Galvanismus zuzuschreiben sind. Die Kapazität der Metalle für den Wärmestoff, ihre elektrische Ladung, ihr Kontakt mit feuchten Substanzen, die Verdunstung, vielleicht sogar die Zersetzung von Wasser spielen eine große Rolle bei den Muskelreizungen. Der Verfasser trägt eine Vielzahl von Fakten zusammen, die bei den galvanischen Erscheinungen von Einfluß zu sein scheinen. Wir führen hier nur zwei Entdeckungen an, welche die höchste Aufmerksamkeit der Naturforscher verdienen. Scherer in Wien, derselbe, der vor kurzem eine ausgezeichnete Abhandlung über die Eudiometrie veröffentlicht hat, beobachtete im Hospital, wie Konvulsionen in dem Augenblick aufhörten, in dem er die Muskeln mit einem Eisen plättchen berührte. Ein Annähern oder eine Berührung mit einem anderen kalten oder heißen Metall, wie Zink, Kupfer, Zinn… zeigte keine Wirkung. Humboldt beweist (dieser Versuch wurde unter den Augen Vauquelins erfolgreich wiederholt), daß sich, wenn ein Zinkplättchen mit einem befeuchteten Silberplättchen in Kontakt gebracht wird, in weniger als 20 Minuten eine sichtbare Schicht von Zinkoxyd um dieses Plättchen bildet. Legt man das Zink auf befeuchtetes Zink oder eine Glasplatte zwischen die beiden Metalle, tritt die (durch eine Zersetzung von Wasser bewirkte) Oxydation erst nach mehreren Stunden ein. In einem Abstand von 20 Stunden verhält sich die auf dem Silber gebildete Menge an Oxyd zu der auf dem Glas entstandenen wie 3:1, bisweilen wie 5:1. In manchen Fällen oxydiert das Silber selbst stark durch den Kontakt mit dem Zink; dann zeigen sich die oxydierten Stellen (was höchst bemerkenswert ist) weder unter dem Zink noch unter dem Zinkoxyd, sondern dort, wo der Rand des letzteren endet. All diese Oxydationen sind am stärksten zwischen Metallen, deren Heterogenität bei den Phänomenen des Galvanismus die größte Wirkung hat. Sie zeigt ein Geschehen in den Metallen an, dessen Wirkung wir kennen, ohne die Ursache herauszufinden. Fortsetzung der Versuche über die Reizung der Nerven- und Muskelfaser Von Friedrich-Alexander Van-Humboldt XI. ABSCHNITT Über den Nutzen der Forschungen über den Galvanismus Ihr wichtigstes Ziel muß die genaue Kenntnis der Nervenfunktionen sein. Wenn wir die neuen Entdeckungen übereilt in der praktischen Medizin anwenden, laufen wir Gefahr, durch die Therapie die Physiologie in Frage zu stellen. Man kann aber die wichtigen Punkte festhalten, auf welche wir unsere Hoffnungen für die Zukunft richten dürfen. 1. Behrends und Creve haben den Galvanismus als sicheres Prüfungsmittel vorgeschlagen, um den Tod vom Zustand der Asphyxie zu unterscheiden. Man entblößt einen Nerv des Kadavers und bringt ihn in Berührung mit zwei heterogenen Metallen: Kommt es zu einer Bewegung, wird der Kadaver nicht für tot erklärt; bleibt er regungslos, kann man ihn beerdigen. Es wäre also nicht länger notwendig, die Fäulnis abzuwarten, welche man bis jetzt aus gutem Grund als einziges Kriterium für den wahren Tod angesehen hat. Diese Ideen, die all jenen gefallen werden, die fürchten, scheintot beerdigt zu werden, haben in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit erregt; einige Regierungen haben erwogen, sie anzuwenden, als Zweig der Gesundheitspolizei. Der Verfasser legt jedoch dar, daß dieses neue Kriterium nur eine hohe Wahrscheinlichkeit, aber keine tatsächliche Gewißheit bietet. Galvanismus ist nicht das letzte Stimulans der Nerven; reizempfängliche Teile, die selbst auf die am stärksten heterogenen Metalle nicht mehr reagieren, sind noch durch elektrische Schläge reizbar. Der galvanische Versuch kann nur an einigen Gliedern durchgeführt werden, an welchen man die Nerven entblößt. Diese Glieder könnten gelähmt sein, während Eingeweide und Herz die Lebenskraft noch nicht ganz verloren haben. Ja, und mehr noch: Humboldt, Himly und Anschel haben das zahllose Fragen aufwerfende Phänomen beobachtet, daß Tiere, welche sich vor und nach dem Versuch jeglicher willkürlichen Bewegung erfreuten, gänzlich ohne Wirkung galvanisiert wurden. Es soll sogar möglich sein, daß ein durch Metalle nicht reizbarer Körperteil seine Reizempfänglichkeit von sich aus wiedererlangt. Chemische Versuche, bei welchen man die Reizempfänglichkeit 5- bis 6-mal nach Belieben verändert hat, beweisen, daß man nicht wagen darf, alles als tot zu betrachten, was im Augenblick nicht zu Muskelbewegungen fähig ist. Verließe man sich zu sehr auf den Galvanismus, so liefe man Gefahr, Menschen zu beerdigen, die nur im Zustand der Asphyxie sind; man würde die Zahl der bedauerlichen Unglücksfälle erhöhen, die man doch verringern wollte. Aber, sagt unser Verfasser, auch wenn Metalle nicht mit Gewißheit über den Zustand des Kadavers Auskunft geben können, so bieten sie doch einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, und man sollte sie in all jenen Fällen einsetzen, in denen es unmöglich ist, den Zeitpunkt der Fäulnis abzuwarten. Die Menschheit empört sich angesichts der Grausamkeiten, die alljährlich in den Hospitälern, auf den Transportschiffen und auf dem Schlachtfeld begangen werden. Im tiefsten, kältesten Winter wirft man die für tot erklärten Kranken in einen ungeheizten Raum, der als Leichenkammer dient. Wie schnell könnte man ihnen einen Nerv am Arm oder am Knie freilegen und mit Zink und Silber reizen! Diese beiden Metalle lassen sich in der Form eines Zirkels vereinigen, und die Größe dieses wohltätigen Instruments ist so gering, daß Feldchirurgen es leicht in der Tasche bei sich tragen könnten, um es bei den Verwundeten anzuwenden, die sie begraben oder halbtot auf dem Schlachtfeld liegen lassen zu müssen fürchten. Der Verfasser appelliert an all jene, die in Feldlazaretten tätig sind, diese für die Menschheit ebenso bedeutenden wie tröstlichen Ideen aufzugreifen. – 2. Der Galvanismus kann vielleicht dazu dienen, Scheintote wieder zum Leben zu erwecken. Valli und Sömmerring haben sich eingehend mit dieser Art von Versuchen an Tieren beschäftigt. Es ist ungünstig, Einschnitte vorzunehmen, um Nerven zu entblößen und den Stimulus anzuwenden. Der Verfasser bemerkt, daß die wirksamste Leitung für die Elektrizität und das galvanische Fluidum der Weg vom After zur Zunge ist. Wenn man diese beiden Teile in Verbindung bringt, werden die Abdominalnerven gereizt; und es gibt kein anderes Mittel, eine größere Zahl an Nerven gleichzeitig zu erregen. 3. Man müßte den Galvanismus bei Augenleiden, bei Lähmungen der Arme und bei Ischias nervosa erproben. Da das elektrische Bad sehr wohltuend für die Augen ist, steht zu vermuten, daß auch der Huntersche Versuch mit durch Zink und Silber erzeugten blitzähnlichen Erscheinungen den Sehnerven ihre Reizempfänglichkeit wiedergeben könnte. Ischias wird nach der Methode von Cotunni durch eine Anzahl kleiner Blasenpflaster geheilt, die man nebeneinander auf die Lumbalnerven legt. Der Verfasser schlägt vor, nur ein einziges Blasenpflaster aufzulegen und diese Wunde zwei- oder dreimal täglich zu galvanisieren, um die rheumatische Materie, welche als Hauptursache für diese schmerzhafte Erkrankung gilt, abfließen zu lassen. 4. Der Galvanismus dient den Anatomen dazu, Nerven von sämtlichen anderen Teilen, deren Funktionen nicht bekannt sind, zu unterscheiden. Der Verfasser weist auf eine sehr einfache Methode der Galvanisierung kleinster Tiere unter dem Mikroskop hin; auf diese Weise konnte er die Nerven der Lernaeen, der Naiden, der Vibrio sowie anderer mikroskopisch kleiner Lebewesen beschreiben. Er glaubt, daß diese Methode und die Entdeckung von Reil, die Nerven mit Salpetersäure zu festigen, eines Tages die Erforschung der gallertartigen Meeresbewohner sehr weit voranbringen wird. 5. Der galvanische Versuch zeigt auch den geringsten Grad an chemischer Heterogenität verschiedener Substanzen an; wir wissen, daß er dem Verfasser dazu gedient hat, in schwarzem Petrosilex (dem Wernerschen Lydischen Stein) Kohlenstoff zu finden. Die Nerven zeigen geringste Unterschiede in Metall-Legierungen an; Unterschiede, welche die chemische Analyse häufig nicht erkennen ließe. 6. Der größte Nutzen jedoch, welcher sich aus dem Galvanismus ziehen läßt, besteht in der Messung des Grades an Reizempfänglichkeit von Nerven- oder Muskelteilen mit Hilfe der Metalle. Die große Arbeit des Verfassers über die chemischen Stoffe, welche die organische Materie beeinflussen, wäre ohne dieses Mittel der Messung nicht möglich gewesen. Behandelt man einen Nerv zuerst mit Schwefelalkali, dann mit oxydiertem Arsenik oder oxygenierter Kochsalzsäure und ohne Metalle, so wird man die Veränderungen seiner Reizempfänglichkeit nicht erkennen können. Wendet man den Galvanismus an, wird man erstaunt feststellen, daß seine Reizempfänglichkeit zunächst geringer, dann aber wieder stärker wurde, mehr als zuvor. Dies ist ein weiteres Mittel, die großen Rätsel der belebten Natur zu enthüllen. XII. ABSCHNITT Gründen die Phänomene der Lebenskraft auf gegenseitigen Affinitäten aller Elemente der organischen Materie? Oder muß man ein einziges Prinzip der Reizempfänglichkeit annehmen? Da die Lebensluft oder der Sauerstoff eine große Rolle im Prozeß der Vitalität spielt, haben Physiker zu allen Zeiten in der atmosphärischen Luft ein Lebensprinzip gesehen. Der Verfasser legt dar, daß Chrysipp von Soli und Praxagoras Vorstellungen hatten, welche jenen der modernen Physiologen sehr ähnlich waren. Die Alten nahmen ein beständiges Pneuma in der atmosphärischen Luft an, das sich (nach Aristoteles) durch den Atmungsvorgang im Herzen mit dem Blut verband und über die Arterien in den Muskeln verbreitet wurde. Hippokrates erkannte sogar den Einfluß dieses Pneumas auf die Erzeugung von Wärme; daher betrachtete er latente Wärme als Prinzip der Lebenskraft von Tieren und Pflanzen. Die Problemata des Aristoteles vermitteln uns die Vorstellungen der Griechen von dieser Wärme; und Sprengel (eben jener, der vor kurzem ein Buch über die Pflanzen des Altertums verfaßt hat) entdeckte bei Aristoteles einen Passus, in dem dieser klar formuliert, daß man die Vegetabilien als Tiere betrachten müsse, da die Meereswürmer (die Zoophyten) einen sehr deutlichen Übergang von den Pflanzen zu den wahren Tieren darstellten. Die physiologischen Hypothesen über das Pneuma, zur Zeit des Einfalls der Barbaren in Vergessenheit geraten, wurden seit den Entdeckungen von Rueff, Servet und Harvey über den Blutumlauf wieder aufgegriffen. Der Kanzler Bacon war der erste, der den Einfluß des von Pneuma, oder spiritus vitalis, durchdrungenen Blutes auf die Nerven nachwies. Er bemerkt, daß das gesamte Leben als eine Art Brennen angesehen werden könne, incensio spiritus vitalis (Oxygenation) est multis partibus lenior ac mollissima flamma ex spiritu vini & peculiares praebet motus & facultates. [Der Brand des Lebensgeistes ist langsamer als viele Teile, und die schwächste Flamme aus dem Weingeist gewährt besondere Bewegungen und Fähigkeiten.] Dieses Brennen kann nur durch Luft und durch brennbare Substanzen in Gang gehalten werden. Daher, sagt Bacon, ist die Atmung der Tiere genauso wichtig wie die Nahrungsaufnahme. Sein spiritus vitalis, über das Blut in die Nerven geleitet, bewirkt die Funktionen des Nervenfluidums. Für ihn ist das Hauptorgan das Hirn, insbesondere die Hirnhöhlen; reparatur autem spiritus vitalis ex sanguine vivido & florido arteriarum exilium, quae insinuantur in cerebrum. [Der Lebensgeist wird aber aus dem lebendigen und frischen Blut der dünnen Arterien erneuert, die in das Gehirn eindringen.] (Hier liegt der Ursprung der meisten neuen Hypothesen, aus welchen man heute die Physiologie zu erdichten versucht.) Bacon kannte die Eigenschaften der Luft gut, er unterscheidet zwischen einer mehr oder weniger vitalen Luft ; ihm zufolge können sich Gase in einem Körper festsetzen und dessen Gewicht erhöhen; doch die Eigenschaften des Nitrum und des Sauerstoffs kannte er nicht; diese Entdeckung ist allein dem großen Mayow zuzuschreiben: Spiritus nitra-aereus (schreibt er) ad motum animalium confert; respirationes operum in cruoris massam transmitti, sanguinisque incalescentiam ab eadem provenire alibi a nobis ostensum est; jam vero circa usum spiritus vitalis istius insuper addo, quod idem in motibus animalibus instituendis partes primarias sortitus. [Der salpetrig-luftige Geist trägt zur Bewegung der Tiere bei; daß die Ausdünstungen der Anstrengungen in die Masse des Blutes überführt werden und daß die Erwärmung des Blutes von derselben herrührt, ist von uns an anderer Stelle gezeigt worden; nunmehr aber füge ich hinsichtlich des Nutzens jenes Lebensgeistes darüber hinaus hinzu, daß derselbe bei der Einrichtung der Bewegungen für die Tiere die vorzüglichste Rolle erhalten hat.] Der Verfasser hat viele solcher überaus bemerkenswerter Passagen aus jener Zeit zusammengetragen, in welcher diese Ideen entstanden sind. Der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts verstorbene Heinrich Mund hat eine Abhandlung de aere vitali verfaßt. Zwar bezeichnet er den respirablen Teil der Atmosphäre als aer nitrosus, sagt, der spiritus nitrosus dringe sogar durch die Haut ein (Hautatmung), und ohne dieses pabulum animae corporeae hätte der menschliche Körper ebensowenige Bewegungen wie ein Automat. Die englischen Physiker Fothergill, Goodwine, Thornton und Peart haben letzte Hand an die Theorie über das gasförmige Lebensprinzip gelegt. Die physiologischen Vorstellungen änderten sich in dem Maße, in dem das chemische Wissen wuchs; Systeme von Girtanner, Brandes, Gallini und Reil. Der Verfasser lehnt die Annahme eines Lebensprinzips ab; er glaubt, daß die Phänomene der Vitalität von dem Gleichgewicht zwischen allen Elementen der Materie abhängen; Analogie zwischen den Vorstellungen vom Irritablen und Azidifiablen; Quantität organischer Natur im Universum; Qualität; wie viele und welche Elemente gehören zur Zusammensetzung der animalischen und der vegetabilischen Natur; keinerlei Reizempfänglichkeit ohne chemische Affinität; der Moment der Reizung ist derjenige der Sättigung; organische Wesen besitzen eine Fähigkeit, der Sättigung zu widerstehen und sich reizempfänglich zu erhalten; die Funktionen des Ausatmens und der Ausscheidungen bei Tieren und Pflanzen als Mittel betrachtet, säuerungsfähig zu bleiben; worin die Kraft eines Stimulus besteht; warum die Gewächse der heißen Klimate und der Alpen allgemein stärker reizend sind als jene aus gemäßigten Klimaten und aus den Ebenen; Eigenschaften, welche eine Substanz nährend machen. XIV. ABSCHNITT Die Reizempfänglichkeit der organischen Materie kann durch chemische Stoffe modifiziert (variiert) werden Der ganze Erfolg der Pathologie hängt von der genauen Kenntnis dieser Veränderungen ab. Lebewesen sind ständig von einer Vielzahl von Stimulantien beeinflußt; von Licht, Wärmestoff, Elektrizität, Magnetismus, Sauerstoff, Stickstoff, Nahrung… Doch diese reizenden Substanzen wirken gleichzeitig, so daß es unmöglich ist, jede einzelne Erscheinung der Vitalität einer spezifischen Ursache zuzuordnen. Selbst wenn nur ein einziger Stoff zur Anwendung käme, würde er zugleich auf die Systeme der Nerven, der Muskeln und der Gefäße wirken. Es gibt eine so große Vielfalt an Funktionen dieser Systeme, unter denen manche (wie das Hirn und die Abdominalnerven, das Denkorgan und die Assimilationsorgane) sogar einen so entschiedenen Antagonismus zeigen, daß man nicht sagen kann, ob diese oder jene Substanz deprimierend oder exzitierend auf die Nerven gewirkt hat. Sollen Pathologie und Heilkunst je einen Grad an Gewißheit erlangen, will man sie in den Rang der physikalischen Wissenschaften erheben, so muß eine umfangreiche Arbeit über den chemischen Prozeß der Vitalität begonnen werden. Man muß die Veränderungen der Affinitäten oder Verbindungen, die in einem Organ stattfinden, wenn es von einem bestimmten Stimulus gereizt wird, genau kennen. Man muß einen einzigen Nerv mit einem Muskelstrang nehmen und bald nur den Nerv, bald den Muskel mit dieser und jener Substanz in Berührung bringen. Der galvanische Versuch wird dann entscheiden, ob die Reizempfänglichkeit (die Vitalität) der organischen Materie durch diese Reizung herauf- oder herabgestimmt wurde. Von den einfachsten Substanzen wie Licht, magnetisches Fluidum, Elektrizität und Wärmestoff geht man voran zu den zusammengesetzten, den Säuren, den Alkalien, den Ölen… Von den binären Verbindungen geht man über zu den ternären, den quaternären… So wie in der Chemie ein einziges Metall im Kontakt mit sämtlichen Säuren betrachtet wird, so muß die organische Materie in all ihren Beziehungen zu sämtlichen Substanzen untersucht werden, aus denen das Universum sich zusammensetzt. Damit ist der umfangreiche Plan, den der Verfasser sich vorgenommen hat, in großen Zügen dargestellt. Wenden wir uns nun seiner experimentierenden Arbeit zu. Die hohe Zahl an Fakten, die er zusammengetragen hat, zwingt uns, die Einzelheiten zu vernachlässigen. Das große Interesse, das die Chemie in Frankreich genießt, wird eine baldige Übersetzung dieses zweiten Bandes begünstigen. Wirkungen des Lichtes Es ist unendlich wichtig, die Wirkungen des Lichtes von jenen des Wärmestoffes zu unterscheiden; es hat sich jedoch gezeigt, daß bei gleicher Temperatur die der Sonne ausgesetzten Nerven eher ihre Reizempfänglichkeit verloren als jene, die im Dunkeln lagen. Dieser Verlust ist aber nur die Folge einer zu starken Reizung. Andere Phänomene beweisen uns, daß das Licht, wie auch Alkohol, Wein oder Wärmestoff, anfangs die Lebenskraft erhöht und daß die folgende Schwäche nichts anderes ist als die von Brown so bezeichnete indirekte Schwäche. Warum wirkt das Licht stärker auf Pflanzen als auf Tiere? Einfluß der Finsternis auf die Rachitis und sämtliche Knochenkrankheiten Man will beobachtet haben, daß Menschen, die im Dunklen arbeiten, stark zu diesen Leiden neigen. Humboldt weist darauf hin, daß man zwischen den Wirkungen des Lichtes und jenen einer irrespirablen Luft unterscheiden müsse. Bergleute, die rachitische Knochen haben, arbeiten in der Grubenluft. Die Kranken, welche die Heilkunst kuriert haben will, indem sie sie der Sonne aussetzte, haben dabei eine sehr sauerstoffreiche Luft genießen können. Valli erklärt diese Phänomene, indem er den Lichtstoff als Bestandteil des Phosphors bezeichnet. Doch Rachitis kommt nicht von einem Mangel an Phosphor (die Folge einer erhöhten Reizbarkeit der Saugadern und einer Lähmung der feinen Arterien); und die Fische, Molche und Schwämme in unseren Bergwerken enthalten reichlich Phosphor, obwohl sie von ihrer Entstehung an im Finstern leben. Das Licht spielt eine überaus bemerkenswerte Rolle bei den Nervenkrankheiten. Es gibt Kinder, die danach hungern, das heißt, die unwillkürlich den Kopf zum Himmel wenden, um in die Sonne zu starren. Die Gräfin von R… [bei Humboldt: K…r] in Mailand verlor ihre Stimme, wenn die Sonne unterging. Sie konnte erst wieder sprechen, wenn der erste Lichtstrahl den Horizont erhellte; diese außergewöhnlichen Erscheinungen traten auf, als die Kranke sich 24 Stunden lang in tiefer Dunkelheit aufhielt. Wahrscheinlich hat sogar das Licht des Mondes Einfluß auf den tierischen Organismus, vor allem auf die Sekretion; aber wie untersucht man Wirkungen von solcher Feinheit? Der Verfasser sah jedoch, daß die kleinen Blätter (folia stipulaeformia) des Hedysarum gyrans, deren Bewegung von jeder äußeren Reizung unabhängig ist, sich im Mondlicht häufiger bewegen, als wenn man sie an eine Stelle bringt, wo kein Lichtstrahl auf sie fällt. Auch werden kochsalzsaures Silber schwarz und Pflanzen grün, wenn man sie dem Mondlicht aussetzt. Wirkung des Magnetismus Die vom Licht der Sonne und des Mondes verursachte Reizung ist periodisch; doch jene der magnetischen und elektrischen Fluiden wirken kontinuierlich auf die organischen Wesen. Obwohl Eisen, Kobalt und Nickel die einzigen Metalle sind, welche die magnetischen Pole behalten können, muß doch der ganze Erdkörper als perpetuierlich von diesem universellen Fluidum geladen betrachtet werden. Diese Ladung wird durch den Einfluß der Jahreszeiten und des Sonnenstandes verändert. Organische Körper, die in eine magnetische Atmosphäre getaucht sind, müssen zwangsläufig von dieser affiziert sein. Der Verfasser beschreibt eine Vielzahl von Versuchen, die er durchführte, um diesen Einfluß sichtbar zu machen. All diese Bemühungen waren vergebens. Die Kontraktionen eines lebenden Herzens haben auf magnetisiertem Eisen nicht länger angehalten als auf einer Silberplatte. Das Hedysarum gyrans wurde von den Polen der stärksten Magnete nicht affiziert. Doch der Verfasser bemerkt, daß man nicht müde werden dürfe, stets neue Versuche durchzuführen. Das Phänomen des Eisens, dessen Auflegen Spasmen heilt, während Zink und Kupfer keinerlei Wirkung zeigen, beweist durchaus, daß es in organischen Wesen Stoffe gibt, welche wir nicht kennen und deren Erforschung uns noch lange Zeit beschäftigen wird. (Bemerkungen über die Vegetation der Magnetberge). Wirkungen der Elektrizität Hier geht es nur um neue Versuche. Die Arbeiten von Cavallo, Volta und Van-Marum haben inzwischen alle Physiker in Händen. Wird Elektrizität schwach angewandt, so steigert sie die Vitalität. Starke Ladungen stimmen sie herab. Der Verfasser beobachtet, daß man mit der Leidener Flasche den Keimling der Pflanzen töten kann. Er stellte fest, daß Kressesamen nicht keimten, als er geduldig eine ganze Stunde lang elektrische Erschütterungen durch sie hindurchgehen ließ. Jeder weiß, daß die Stengel von Lamium purpureum, von Galeopsis und anderen Pflanzen ihre Straffheit verlieren und welken, wenn man ihnen den wohltätigen Reiz des Wassers entzieht. Genauso welken sie innerhalb von 2 bis 3 Minuten und neigen sich herab, wenn man die Lebenskraft ihrer longitudinalen Fasern durch wiederholte Entladungen der Leidener Flasche zunichte macht. Oxygenierte Kochsalzsäure erweckt sie manchmal wieder zum Leben. In gleicher Weise kann man die reizempfänglichen Staubfäden von Berberis vulgaris und Parnassia lähmen. In welcher Weise beeinflußt Elektrizität die organische Materie? Es scheint, daß sie das Spiel der Affinitäten durch die große Masse von Wärmestoff steigert, welche das elektrische Fluidum enthält. Daher ist eine schwache elektrische Ladung wohltätig, weil sie die Funktionen des Organismus, die das Ergebnis der Verbindung und Zersetzung der Stoffe sind, aus denen die Faser zusammengesetzt ist, vollendet; richtet sich hingegen eine große Masse Elektrizität auf einmal auf die reizempfänglichen Teile, so löst die enorme Freisetzung von Wärmestoff einen Verbrennungsprozeß aus; die säuerungsfähigen Basen bemächtigen sich des ganzen Sauerstoffs; die Reizempfänglichkeit wird zunichte gemacht, weil die tierische Materie ihren Sättigungspunkt erreicht hat und weil die Lebenskräfte nicht mehr regenerieren, reproduzieren können, was durch die elektrische Entladung verbraucht wurde. Fakten, welche die Versuche von Van-Marum bestätigen. Wie die Salubrität der Luft vom Grad ihrer elektrischen Ladung abhängt Die Raumluft ist ungesund, weil sie fast gar nicht geladen ist. Von zwei Tagen mit gleicher Sauerstoffmenge in der Atmosphäre, an denen aber die Temperatur einmal 30° und einmal 26° Réaumur betrug, scheint die Wärme am zweiten stickiger als am ersten Tag. Warum? Weil am letzten Tag die unteren Schichten der Atmosphäre fast keine Elektrizität enthielten. Es ist ein gewaltiger Irrtum, zu behaupten, die Luft sei ganz elektrisch, wenn man vor dem Gewitter eine große Schwäche der Muskeln empfindet. Es ist gerade der Mangel an Elektrizität, jener Mangel eines wohltätigen Stimulus, der uns quält. Meteorologische Betrachtungen über den Unterschied der Klimate im Winter und im Sommer, in den Ebenen und im Hochgebirge Physiker werden erfreut zur Kenntnis nehmen, daß der Verfasser meist dem berühmten Saussure zustimmt, auf dessen Spuren er die Versuche wiederholte und erweiterte. Die Wirkung, welche der häufig vorkommende Unterschied der elektrischen Ladung zwischen dem menschlichen Körper und der umgebenden Luft erzeugt. Elektrizität verändert den Ton oder die Dichtigkeit der Muskelfaser. Das Ende des Nervs von einem aus dem Winterschlaf erweckten Frosch wurde in kohlensaures Alkali getaucht. Bald sah man die heftigsten Konvulsionen. Der Schenkel des Frosches erhob sich senkrecht und verharrte 20 bis 30 Sekunden lang in dieser Stellung, die Schwimmhaut zwischen den Zehen spannte sich; ein Zittern zeigte den höchsten Grad des Tetanus an. Der Verfasser brachte zwei Messingdrähte an, einen am Cruralnerv, den anderen an den Zehen. Er sandte eine sehr schwache Ladung einer kleinen Leidener Flasche durch das ganze Glied, und augenblicklich faltete sich die Schwimmhaut wie Schmetterlingsflügel zusammen. Das Bein verlor die Starre und fiel auf das Glas zurück. Bei anderen Versuchen, durchgeführt an Eidechsen, wurde der von oxygenierter Kochsalzsäure und oxydiertem Arsenik hervorgerufene Tetanus ebenfalls durch die Elektrizität aufgehoben. Doch eine durch Alkohol verursachte Starre wollte fast nie wieder weichen. Wirkung der Elektrizität auf die Kontraktionen des Herzens Diese Versuche sind außerordentlich interessant, weil die Human Society in England dieses Mittel, elektrische Schläge durch das Herz zu leiten, erfolgreich einsetzt, um Scheintote zu retten. Das Herz des Cyprianus tinca schlug 34mal in einer Minute. Benetzte man es mit Schwefelalkali, verringerten sich die Kontraktionen auf bis zu 9mal pro Minute. Durch schwache elektrische Schläge vermehrten sich die Kontraktionen wieder bis zu 28 pro Minute; doch sie brachen sofort ab, als der Verfasser eine starke elektrische Ladung durch das reizempfängliche Organ leitete. Diese Versuche und andere, durchgeführt mit kochsalzsaurer Zinnauflösung anstelle von Schwefelalkali, beweisen, wie sorgfältig man die Stärke des Reizes der Empfänglichkeit des Scheintoten anpassen muß, um ihn nicht zu töten, statt ihn wiederzubeleben. Elektrizität scheint vor allem auf die Funktionen der Perspiration der Haut oder der Ausscheidung zu wirken Daher erweist sich bei allen Krankheiten, bei welchen durch eine Schwäche (Lähmung) der Lymphgefäße die Drüsen anschwellen, künstliche Elektrizität oder der Kontakt mit reiner, von natürlicher Elektrizität geladener Luft als wohltätig. Überlegungen zum Zustand der Atmosphäre im Wallis und in allen feuchten, warmen und mit laubreichen Bäumen bewachsenen Tälern Die Luft scheint dort ärmer an Sauerstoff, weil die Pflanzen zu sehr beschattet sind und weil die Winde sie nicht reinigen. Wegen der Verdunstung ist die Elektrizität hier meist bei Null (wie in Zimmern) oder negativ. Rühren Kropf und Kretinismus nicht zu einem großen Teil von diesen Phänomenen der Elektrizität und der Reinheit der Luft her? Schneewasser kann keine Erschlaffung des Gefäßsystems verursachen, weil dieses Wasser, mit Sauerstoff überladen, ein Reizstoff ist. Die isolierten Höhen der Alpen, wo man reine und elektrisierte Luft atmet, verhindern, soweit wir wissen, die Ausbreitung des Kretinismus. Fortsetzung der Versuche über die Reizbarkeit der Nerven- und Muskelfaser Von Friedrich-Alexander Von-Humboldt Wirkungen des Wärmestoffes Die Anhänger des erfindungsreichen Systems von Brown haben einen großen Disput über die exzitierende oder deprimierende (sthenische oder asthenische) Wirkung von Kälte und Wärme ausgelöst. Der Verfasser beantwortet die Frage mit einem Versuch. Er beweist, daß der Wärmestoff (wie alle Stimulantien, Licht, Elektrizität, Alkohol…) die Nervenfaser reizt, bei zu langer Reizung jedoch eine indirekte Schwächung verursacht, einen Schwächezustand, den man fälschlich für die direkte Wirkung des Reizes hält. Das Herz eines Tieres verliert seine Reizempfänglichkeit, wenn man es auf Eis legt. In auf 40° erwärmtem Wasser beginnt die Pulsation wieder. Wenn man mit Wasser von 53° beginnt? Dann sind die ersten Kontraktionen konvulsivisch; sie steigern sich bis zu 72, 75 oder 88 pro Minute; doch das zu stark gereizte Organ stellt die Bewegung nach 3 oder 4 Minuten ein. Oxygenierte Kochsalzsäure verliert beim Erhitzen ihren Sauerstoff; der Stimulus der Wärme auf die Muskelfaser ist jedoch so mächtig, daß eine schwache Säure bei 14° stärker wirkt als eine überoxygenierte Säure bei 38°. Versuche mit Alkohol und erwärmter Milch. Wirkung des Wärmestoffs auf die Keimung der Pflanzen. Warmes Wasser verstärkt die Kontraktionen des Herzens; und dennoch verlangsamt sich der Puls im warmen Bad, es sei denn, dieses enthielte geschwefelten Wasserstoff. Erklärung dieses einzigartigen physiologischen Phänomens durch den Antagonismus zwischen den Hautnerven (denen der Integumente), den Abdominalnerven und denen des Herzens. Das auf der Haut empfundene Jucken durch die Reibung von wollenem Stoff kommt von einer partiellen Erregung der Nerven, hervorgerufen durch die Freisetzung von Wärmestoff. Warum treten Sommersprossen nur im Frühling auf und warum verschwinden sie nicht durch oxygenierte Kochsalzsäure? Die Abwesenheit des Wärmestoffs, die Kälte, hat zwei Wirkungsarten, welche nicht sorgfältig genug unterschieden werden. Sie stimmt die Nervenkraft herab (schwächt sie), indem sie das Spiel der vitalen Affinitäten verlangsamt, zugleich erhöht sie die Straffheit, den Zusammenhang oder den Ton der Muskelfaser. Daher kann uns Kälte stärkend und sthenisch erscheinen, wenn sie auf Teile angewandt wird, an denen der zweite Effekt deutlicher ist als der erste. Durch Opium geschwächte Muskeln gewannen an Kraft, wenn man sie in auf 2° gekühltes Wasser tauchte, vorausgesetzt, sie blieben nur einige Sekunden lang darin und der größere Teil des Cruralnervs kam nicht in Kontakt mit dem Wasser. Wirkungen der Dichtigkeit der Luft Die Dichtigkeit des Mediums, in welchem Tiere und Pflanzen leben, hat sehr deutlichen Einfluß auf die Respiration, die Ausdünstung und die Turgeszenz der Gefäße. Bemerkungen über Alpenpflanzen. Einflüsse der Schwankungen des Barometers auf die Konstitution der Tiere. Das venöse Blut ist im Winter stärker oxydiert als im Sommer, nicht nur, weil die Winterluft mehr Sauerstoff enthält, sondern weil die mittlere Höhe der Quecksilbersäule im Januar am größten ist und weil jede Einatmung mehr Luft in die Lungen bringt. Allgemeine Ursachen der Phthisis und der Peripneumonie. Die Konstitution in den Tropenländern, wo das Barometer kaum schwankt. Einfluß der Sonnenfinsternisse. Wirkungen des Wassers Es wirkt in drei sehr unterschiedlichen Weisen, nämlich 1. indem es das Verhältnis der festen und flüssigen Teile in organischen Körpern verändert; 2. indem es sich in seine Hauptbestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt; und 3. durch die in seinen Zwischenräumen enthaltene Luft. Dieser letzte Zusammenhang wurde bisher kaum untersucht. Versuche zu der stickstoffreichen Luft, die in Wassern enthalten ist. Unterschiede zwischen Regenwasser, Quellwasser und Schneewasser. Von der ungesunden Wirkung der Sümpfe. Wahrscheinlich entsteht in der Atmosphäre Alkohol. Über das sauerstoffhaltige Stickgas und die Rolle, welche Mitchill ihm für das Gelbfieber der Antillen zugeschrieben hat. Über die Atmung der Fische. Durst erhöht die elektrische Ladung der Vögel. Wirkungen des Blutes Man erweckt die Kontraktionen eines Herzens, das jede Reizempfänglichkeit verloren zu haben scheint, neu, indem man es mit arteriellem Blut benetzt. Versuche, die den Unterschied zwischen arteriellem und venösem Blut beweisen. Einfluß von Eidechsenblut auf die Organe einer Maus. Wirkungen des Pflanzensaftes Ähnlichkeit dieser Säfte mit dem Blut. Vergleichende Versuche mit Kuhmilch und dem Saft der Euphorbia esula, auf 20° Réaumur erwärmt. Über Flüssigkeiten, die in Agaricus muscarius enthalten sind, und über sthenische Kraft. Wirkungen von Sauerstoff-, Stickstoff-, Wasserstoff-, Kohlensäure- und Salpetergas Die zahlreichen Versuche, welche in diesem Abschnitt dargestellt sind, bilden sozusagen eine gesonderte Abhandlung über die Meteorologie, betrachtet unter den Gesichtspunkten der allgemeinen Physiologie . Der Verfasser hat hier seine eigenen sowie die von anderen Physikern vor ihm durchgeführten Arbeiten über die Zerlegung des Luftkreises versammelt. Obwohl dieser Teil seines Werks mit äußerster Sorgfalt ausgearbeitet ist und die höchste Aufmerksamkeit des Naturforschers verdient, ist es uns unmöglich, die Einzelheiten wiederzugeben, ohne die Grenzen dieses Auszugs zu überschreiten. Wir begnügen uns also damit, die darin behandelten Gegenstände zu nennen. Über den Einfluß des Sauerstoffgases auf die Kontraktionen des Herzens. Unterschiedliche Dauer der Reizempfänglichkeit bei einem hängenden und einem horizontal ruhenden Herzen. Verhältnis zwischen der Zahl der Einatmungen und der Kontraktionen des Herzens bei den verschiedenen Tierklassen. Wie man die Unreinheit der Luft durch die Zahl der Einatmungen eines Frosches beurteilen kann. Einfluß des Sauerstoffgases auf die Nerven. Minimum und Maximum an Sauerstoff in der atmosphärischen Luft . Unterschied dieses Sauerstoffgehalts der Luft in den oberen und unteren Schichten, auf See und zu Lande, in heißen und gemäßigten Klimaten. Das in der Atmosphäre enthaltene Wasser, die Zusammensetzung und die Zersetzung dieses Wassers hat mehr Einfluß auf den Grad der atmosphärischen Reinheit als die Pflanzen. Über die Nebel. Eigenschaft der Winterluft. Über die körperliche Konstitution der Gebirgsbewohner. Von der Luft der Zimmer und der Städte. Über das Minimum an Sauerstoff für die Atmung. Versuche, welche die Engländer mit den auf ihren Schiffen zusammengedrängten Negern machen. Über die Judengasse in Frankfurt. Über die Hospitäler. Über den Einfluß des Sauerstoffs auf Wunden. Verbrennung der Oberhaut. Farbe der Haut. Über die verschiedenen Wirkungen des Wasserstoffs, des Stickstoffs und der Kohlensäure. Über die Grubenluft. Über die Kohlensäure der starken Liqueurs. Wirkungen von Alkohol und Äther Diese Substanz, deren Einfluß auf die Nervenfaser so mächtig ist, schwächt nur durch eine zu rasche Reizung. Ihre Wirkung hängt von den Ziehkräften ab, welche die Basen von Wasserstoff und Kohlenstoff auf die Elemente der organischen Faser ausüben. Sie ist säuerungsfähig (brennbar), obwohl sie viel Sauerstoff enthält. Versuche an Insekten. Alkohol verdichtet die Muskelfaser und entfärbt sie. Ursachen dieses Phänomens. Wirkungen von Schwefel-, Kochsalz-, Salpeter-, Phosphor- und Pflanzensäuren Die Säuren schwächen die Energie der Nerven und stärken jene der Muskeln. Einfluß dieser Schwächung auf die Abdominalnerven. Über einen säuernden Stoff, der als Krankheitsursache gilt. Über Diabetes und Skrofeln. Wirkung der Alkalien Die alkalische Auflösung ist von allen Nervenreizen der stärkste. Ein durch Gewächsalkali im Schenkel eines Frosches ausgelöster Tetanus kann durch Opium aufgehoben werden. Versuche mit Alkali am phrenischen Nerv eines Hundes, an Fischen und Insekten. Anwendung dieser Phänomene bei der Behandlung von Nervenkrankheiten. Über die Konstitution von Völkern, die sich von Fischen ernähren. Alkalien wirken hauptsächlich durch den Stickstoff, den sie enthalten. Wirkungen der Mittelsalze Versuche, die ihre schwächende oder asthenische Eigenschaft beweisen. Wie behutsam man bei ihrer Anwendung sein muß. Wirkungen von Kalkerde und salzsaurer Schwererde Über die Bildung von Kalkerde in den organischen Körpern. Nerven von Amphibien, die jegliche Reizempfänglichkeit verloren haben, reagieren auf den galvanischen Stimulus, wenn man sie in salzsaure Schwererde (murias barytae) taucht. Wirkungen von Schwefelalkali und oxygenierter Kochsalzsäure Die erste Substanz nimmt der Faser, was die zweite ihr zurückgibt. Die Pulsationen des Herzens können nach Belieben verlangsamt oder beschleunigt werden. Oxygenierte Kochsalzsäure wirkt in gleicher Weise auf die Respiration, auf mikroskopische Insekten der Sumpfwasser und auf Vierfüßer. Wirkung von Opium, Moschus und Kampfer Wiederholte Versuche an allen Tierklassen. Chemische Ursachen dieser Wirkungen. Wirkungen von Öl, Kohle, China, Galläpfeln, Ipecacuanha und Metallen Brechweinstein löst ein für das Auge wahrnehmbares Zittern der Muskelfasern der Amphibien aus. Metalle wirken, indem sie den Organen Sauerstoff zuführen oder ihnen Sauerstoff entziehen, um stärker zu oxydieren. Oxydierter Arsenik vernichtet die Reizempfänglichkeit von Pflanzen. Metallische Gifte. Schwefelalkali gilt als Gegengift. Der letzte Abschnitt des Werkes ist den Resultaten der zahlreichen Versuche an der Nerven- und Muskelfaser gewidmet. Der Verfasser erläutert hier das wechselseitige chemische Wirken der Elemente der organischen Körper, das er den chemischen Prozeß des Lebens nennt. Er schließt sein Werk mit allgemeinen Betrachtungen über den Zustand des Lebens und des Todes, über die gegenseitige Abhängigkeit der Organe und den Begriff der Individualität in der belebten Natur. Er legt dar, daß noch unermeßlich viel Arbeit über organische Körper zu leisten ist; eine Arbeit, die zu den glänzendsten Entdeckungen führen wird, wenn man unermüdlich auf dem Weg der Versuche und des Beobachtens voranschreitet.