Digitale Ausgabe – Übersetzung

Friedrich Alexander von Humboldt hat unterirdische Pflanzen beschrieben

Es erfreut, sich frischen Quellen zuzuwenden. Lukrez Im Begriff, die Freiberger kryptogamischen Gewächse zusammenzustellen, wollte ich bekannt machen, was ich über einige unterirdische Algen und Pilze aufmerksam beobachtet habe, bevor die Vorlage der Flora selbst dem Druck anvertraut würde, im Glauben, daß dies den Anhängern der Botanik nicht unwillkommen sein wird. 1. Lichen verticillatus, filamentosus, pendulus, ramis omnibus verticillatis, teretibus, glabris, intus tomentosis [fädig, hängend, alle Äste quirlförmig, stielrund, kahl, innen filzig] Vorkommen1 in größter Menge auf Kurprinz-Friedrich-August-Erbstollen zu Großschirma (im Strossenbau unter der dritten Gezeugstrecke 10 Lachter vom Treibschacht gegen Ost). Jüngst habe ich einige Exemplare gesammelt auf Seegen-Gottes-und-Herzog-Augustus-Fundgrube (im Johann-Georgs-Stollen) und auf Krieg-und-Frieden-Fundgrube (im Thurmhöfer Hülfs-Stollen, wo der Donather Spat übersetzt). Synonym nicht gefunden. Diagnose. Pflanze von der Länge eines Zolls – vier Fuß, hängend, aschgrau-braun, mit Wasser benetzt schwarz, überaus ästig, alle Äste quirlförmig, zwei bis fünf Linien breit, stielrund, kahl, da anastomosierend. Die trockenen, sehr brüchigen Exemplare knistern, wenn sie verbrannt werden, was der hochberühmte Scopoli (Dissertationes ad scientiam naturalem pertinentes, Teil I, Seite 95) auch bei Lichen radiciformis beobachtet hat. Die äußere Umhüllung ist kahl, zuweilen gerillt. Die innere Substanz ist fädig, sehr weich, mit federigen, hellen, glänzenden Fäden. Die jüngeren Ästchen sind sattgrün!2 Ein Fruchttragen habe ich nicht gesehen. 3 Unsere Grubenpflanze habe ich den Lichenes filamentosi, den Usneae von Dillen, zugeordnet, mit dem gleichen Recht, mit dem Lichen radiciformis unter die Lichenes gerechnet wird. Unterscheidung des Lichen verticillatus von Usnea mollis Baumgarten (Flora Lipsiensis, Nr. 1445, Lichen divaricatus Lin., Systema vegetabilium , Seite 964) 1. durch nicht gegliedertes Laub, 2. nicht wiederholt-gabelteilige, nicht zusammengedrückte, nicht grubige Äste. Von Lichen lanatus Hudson (Flora Anglica, Zweite Auflage, Seite 562) durch hängendes, nicht niederliegendes Laub, 2. quirlförmige, nicht sehr kurze Ästchen. Beobachtung. Die Pflanze, die der hochberühmte Scopoli (a. a. O., Seite 91, Tafel 3) unter dem Namen Byssus fruticulosus beschrieb, ist offenbar nur ein Ästchen von Lichen verticillatus, an dessen Spitze Byssus penicellum Scop. angewachsen ist. Denn ich sah in unseren Gruben, zumal auf Seegen-Gottes-und-Herzog-August-Fundgrube an demselben Balken eine Alge, die Scopolis Abbildung sehr ähnlich ist, und einen wahren Lichen verticillatus ohne schneeweiße, fädige Bündelchen. Bei genauerer Untersuchung fand ich, daß die endständigen Bündelchen auf dem Lichen schmarotzend und in keiner Weise mit ihr verbunden waren. Zwillingspflanzen bilden also Byssus fruticulosa Scop., und Byssus kann sich durch sie nicht in Usneae oder Lichenes filamentosi verwandeln! Ein sehr schönes Exemplar des Lichen verticillatus, das die Länge von viereinviertel Fuß übertrifft und vom Felsen hängt, wurde auf Kurprinz-Friedrich-August-Erbstollen gefunden. Fast nie, wenn man die Fucus ausnimmt, ist je eine größere Alge entdeckt worden, auch nicht, daß ein wunderbarer, mit so verschiedenartigen und zugleich sehr langen Ästen wuchernder Pflanzenkörper in der großen Finsternis von Bergwerksgruben und in einer Tiefe von 440 Fuß entsteht. 2. Lichen palmatus erectus, ramosissimus, cinereo-fuscus, ramis palmatis, apice dilatatis [aufrecht, sehr ästig, aschgrau-braun, mit handförmigen, an der Spitze verbreiterten Ästen] Handförmige Usnea, dünner, weicher Nabelstrang, mit verbreiterten Enden der Äste. Scopoli, Dissertationes, Teil I, Seite 94, Tafel 7, Figur 1. Diese sehr seltene Alge habe ich gesammelt auf Prophet-Samuel-Fundgrube (im alten tiefen Fürsten-Stollen) und Neue-Hoffnung-Gottes-Fundgrube zu Bräunsdorf (auf der dritten Gezeugstrecke gegen Mittag). Diagnose. Pflanze von drei Zoll, aufrecht, kahl, aschgrau-braun, mit schwärzlicher Spitze, sehr ästig, mit zusammengedrückten, handförmigen, starren, zur Spitze hin verbreiterten Ästen. Ein Fruchttragen habe ich nicht gesehen. Unterscheidung von Lichen radiciformis4 durch aufrechte, nicht niederliegende, nicht wiederholt gabelteilige handförmige Äste. 3. Byssus clavata erecta nivea, versus basim attenuata, clavaeformis [aufrecht, schneeweiß, zur Basis hin verdünnt, keulenförmig] Ich sammle sie in größter Menge auf Güte-Gottes-Erbstollen zu Tuttendorf (im tiefen Nachtigallstollen, wo der Treue-Hand-Gottes-Spat übersetzt). Synonym nicht gefunden. Diagnose. Keulenförmige Byssus, einzelnstehend, zollang, aufrecht, mit schneeweißen Fäden, die an der Spitze sehr dicht verwebt sind. 4. Byssus digitata simplex, nivea, dependens, apice 5-7 dactyla [einfach, schneeweiß, herabhängend, an der Spitze fünf- bis siebenfingerig] Synonym nicht gefunden. Siehe auf Thurmhofer Hülfs-Stollen, wo Donater Spat übersetzt, von einem Balken herabhängend. Zahlreich. Diagnose. Algenfäden drei bis vier Zoll lang, schneeweiß, an der Spitze gefingert, aus sehr dünnen, parallelen Fäden bestehend. Vorkommen sehr beständig. 5. Byssus penicellum filamentosa, alba, in fasciculos coadunata [fädig, weiß, zu Bündeln zusammengewachsen]. Scopoli, Dissertationes, Teil I, Seite 91 Gleditsch, Methodus fungorum, Seite 22 a. Gesehen im Treibschacht auf Jung-Himmlisch-Heer-Fundgrube äußerst zahlreich. Beobachtung. Halbzollang, starr, aufrecht, schneeweiß, starkglänzend, mit ganz einfachen Fäden. Unterscheidung von Byssus candida Leysser, Flora Halensis, Nr. 1180 (Dillen, Historia muscorum, Tafel I, Figur 15!) durch weder sehr ästige noch zottige Fäden. Wird sie an ein Feuer gebracht, brennt sie mit Rauch und ekelhaftem, brandigem Gestank, fast wie von Tierhaaren, was ich in den Stollen oft erfahren habe. „Unterirdische Individuen“, sagt der hochberühmte Scopoli, der überaus tüchtige Erforscher der Pflanzen von Bergwerksgruben, „sind dem Boden des Ozeans näher, nehmen eine korallenartige Gestalt an. Byssus penicellum kommt den kleinen Korallinen von Ellis, Tafel 15, Nr. 24, sehr nahe.“ 6. Byssus bombicina explanata, membranacea, alba, membrana ex filamentis constans dense intertextis [ausgebreitet, häutig, weiß, das Häutchen besteht aus dicht verwebten Fäden] Byssus bombicina Retz, Florae Scandinaviae prodromus, Nr. 1548; Willdenow, Flora Berolinensis, Nr. 1081; Leers, Flora Herbonensis, Nr. 1005; Baumgarten, Flora Lipsiensis, Nr. 1474; Roth; Flora Germanica, Seite 518. Byssus floccosa Schreber, Flora Lipsiensis, Nr. 1160; Scopoli, Dissertationes, Teil I, Seite 92, Tafel 4; Byssus cellaris, Weiss, Flora Gottingensis, Seite 18; Necker, Deliciae Gallo-Belgicae, Seite 532; Haller, Historia stirpium Helvetiae, Nr. 2108; Dillen, Historia muscorum, Seite 5. Vorkommen in fast allen unseren Schächten und Stollen, Felsen und Balken bedeckend. Beobachtung. Mit Byssus bombicina nah verwandt ist Byssus cryptarum Hudson (Flora Anglica, Zweite Auflage, Seite 607), die in kalkigen Felsgewölben entsteht. Unsere Exemplare waren dennoch nie aschgrau. Sie bildet oft sehr zierliche Teller von einem halben Fuß Durchmesser, wie ich sie im neuen Morgenstern-Erbstollen am Muldenberge und Joel-Fundgrube in St. Michaelis gefunden habe. 7. Boletus venosus, explanatus, flavescens, margine undulato, reflexo, superne papillaceo, poroso, inferne venoso [ausgebreitet, gelblich, Rand wellig, zurückgebogen, oben papillös, porös, unten geadert] Gesammelt auf Kurprinz-Friedrich-August zu Großschirma Erbstollen (im Treibschacht auf der ersten Gezeugstrecke) und Neue-Hoffnung-Gottes-Erbstollen zu Bräunsdorf. Synonym nicht gefunden. Diagnose. Ausgebreiteter Pilz, glatt, vom Weißen ins Gelbliche gehend, sehr zart, mit weißlichem, vorspringendem, welligem, durchsichtigem Rand, gleichsam mit Papillen besetzt, untere Fläche geadert. Adern schwarz-braun, hervortretend, von ein und demselben Mittelpunkt ausgehend, anastomosierend, machen bei der ausgewachsenen Pflanze die ganze Fläche des Pilzes braun. Dünnstehende, sehr feine Löcher. Man hüte sich, die jüngere Pflanze für Thaelaephora zu halten. Zylindrische, abfällige Papillen. Beobachtung. Zweizölliger Boletus. Sehr beständige Gestalt. 8. Boletus turritus, erectus, lobatus, lobus unus alteri impositus, apice explanatus concavus, superne porosus [aufrecht, gelappt, ein Lappen ist dem anderen aufgesetzt, an der Spitze ausgebreitet, vertieft, oben porös] Poria turrita [turmförmige Löcher], Scopoli, Dissertationes, Teil I, Seite 107. Wenige Exemplare dieses sehr seltenen Pilzes habe ich auf Güte-Gottes-Erbstollen zu Tuttendorf (im tiefen Nachtigallstollen am Mundloch) gesammelt. Beobachtung. Farbe aschgrau-dunkelgrau. Kein Stiel, sondern kahle Lappen oder Hüte, die einen den anderen aufgesetzt, zu einem Turm aufragend. Länge von einem halben Zoll. Meine Exemplare sind der Scopolischen Abbildung sehr ähnlich, was mich um so mehr erstaunt hat, weil ich Boletus turritus wegen seines einzigartigen Ansehens für eine mißgestaltete Pflanze gehalten habe. Boletus stipitatus ist mir bisher in den unterirdischen Gängen nicht begegnet. 9. Peziza cryptophila, sessilis, acute conica, glabra, ore integro [ungestielt, spitz kegelförmig, kahl, mit ungeteilter Mündung] Gesammelt an Türstöcken auf dem Kühschacht zu Bräunsdorf und Gelobt-Land-Fundgrube (im Seidenschwanzer Tageschacht zwischen Tauber und Brandstollen). Diagnose. Hellgelbe Peziza, vier Linien lang, mit zweischneidiger, oft dreikantiger Mündung. Weiche, zerfließende Substanz.