Digitale Ausgabe – Transversalkommentar

Transversalkommentar 11

Humboldts Tierleben

Vom Fettschwalm, Manati und Zitteraal – Alexander von Humboldts Tierleben

„Man kann sagen, er hat an Kenntnissen und lebendigem Wissen nicht seinesgleichen […]. Wohin man rührt, er ist überall zu Hause und überschüttet uns mit geistigen Schätzen. Er gleicht einem Brunnen mit vielen Röhren, wo man überall nur Gefäße unterzuhalten braucht und wo es immer erquicklich und unerschöpflich entgegenströmt.“ (Johann Wolfgang von Goethe, 11. Dezember 1826)1 Was Goethe nach einem Gespräch mit dem über zwei Jahrzehnte jüngeren Alexander von Humboldt sagte, gilt sicher für Vieles; aber im Vergleich insbesondere zur Botanik deutlich weniger für dessen Interesse an Zoologie. Humboldt selbst schreibt einleitend zu seinem Bericht der Südamerikareise in der Relation historique: „Ich liebte die Botanik und einige Bereiche der Zoologie mit Leidenschaft; ich durfte mir schmeicheln, daß unsere Forschungen die bereits beschriebenen Arten durch einige neue vermehren würden. Da ich aber die Verbindung längst beobachteter der Kenntnis isolierter, wenn auch neuer Tatsachen von jeher vorgezogen hatte, schien mir die Entdeckung einer unbekannten Gattung weit minder wichtig als eine Erforschung der geographischen Verhältnisse in der Pflanzenwelt.“2 Meist in Kombination mit seinen Mitautoren Aimé Bonpland und insbesondere Karl Sigismund Kunth zeichnet Humboldt für die Beschreibung von etwa 3.600 Pflanzenarten auf der Grundlage seiner Südamerika-Reise verantwortlich;3 immerhin ist dies der größte Zuwachs zwischen 1810 und 1840 in der Geschichte der modernen botanisch-systematischen Forschung.4 Man bedenke, dass Humboldt mit traumwandlerischer Sicherheit gleich zwei der von der modernen Biodiversitätsforschung erkannten globalen Zentren biologischer Megadiversität unseres Planeten bereist hat: die von Kolumbien bis Costa Rica reichende Chocó-Region und die Ost-Anden-Region; eine dritte in Mexiko hat er gestreift.5 Verglichen mit dem tatsächlichen biologischen Reichtum und der Artenvielfalt insbesondere Südamerikas, gerade der Tropen am Orinoco und der Anden, ist die weniger stark ausgeprägte Bezugnahme auf zoologische Gegenstände in Humboldts Schriften ebenso deutlich wie bisher meist unkommentiert geblieben. Lediglich zwei sehr kurze Beiträge widmeten sich bislang explizit der Zoologie Humboldts.6 In Humboldts Aufzeichnungen aus dem Feld, im Journal botanique, stehen 4528 numerierten Pflanzen-Einträgen 33 numerierte Tier-Objekte gegenüber.7 Sicher einer der Gründe dafür ist, dass Humboldt kein Zoologe und auf das Tierleben fokussierender Biodiversitäts-Forscher im heutigen Sinne war. Dennoch vermag dies zu verwundern und muss erklärt werden, was im vorliegenden Beitrag unternommen werden soll. Zugleich wird dabei beleuchtet, in welchem Verhältnis damaliges und heutiges zoologisches Wissen und die Bestrebung um zoologische Kenntnis stehen.

Die Zoologie in Humboldts Werk

Humboldts einschlägige botanische Kenntnisse und Beiträge sind hinlänglich untersucht worden.8 Im Vergleich dazu fehlte ihm vor der Südamerika-Reise eine zoologische Schulung.9 In Humboldts Gesamtwerk finden sich dennoch immer wieder auch Hinweise auf die Fauna der von ihm bereisten Länder. So gibt es eine Fülle von Bezugnahmen in seinen großen Schriften, insbesondere seiner Voyage aux régions équinoxiales du nouveau continent (1814–1825). Vor allem aber hat er seine zoologischen Beobachtungen, Befunde und Materialien gemeinsam mit Ko-Autoren in den beiden 1811 und 1833 erschienenen Bänden des Recueil d’observations de zoologie et d’anatomie comparée abgehandelt. Fasst man dagegen die hier näher zu beleuchtenden Schriften hinsichtlich der Zoologie zusammen, so werden in sämtlichen 15 Beiträgen von Humboldt insgesamt 112 Tierarten aus 11 Tierklassen näher behandelt; darunter einige von ihm selbst neu beschriebene Arten und solche, die er näher untersucht oder illustriert hat und die alle auf die amerikanische Forschungsreise zurückgehen. Diese 112 betrachteten Tierarten mögen im Verhältnis zu den Abhandlungen anderer Zoologen seiner Zeit auf den ersten Blick wenig erscheinen; dennoch lohnt sich ein genauer Blick darauf, was Humboldt insbesondere in seinen Schriften zuerst, noch vor dem Recueil, behandelt und warum er diese Arten auswählt. Angesichts beispielsweise der von Charles Darwin nachweislich gesammelten 5435 zoologischen Objekte (davon 3906 getrocknete und 1529 in Spiritus konservierte Tiere), im Vergleich etwa zu den überschlägig 17.000 naturkundlichen Objekten bei Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied oder gar den 125.660 Sammlungsstücken von Alfred Russel Wallaces Reise im Indomalaiischen Archipel, zeigt sich, wie wenig die reine Objektzahl Auskunft über die wissenschaftlichen Beiträge eines Sammlers zu geben vermag oder gar etwas zu dessen disziplinärer Bedeutung aussagt, die sich letztlich auf diese Materialien und ihre Auswertung stützt.10 Es bietet sich hier an zu untersuchen, unter welchen Umständen Humboldts zoologische Sammlung zustande kam und was letztlich aus dieser Ausbeute wurde; und zwar nicht nur im Sinne der Rekonstruktion eines ‚paper trail‘, von Einträgen im Reisetagebuch als unmittelbarstem Zeugnis seiner Expedition bis hin zu den einschlägigen Veröffentlichungen. Humboldt, so werden wir dabei feststellen, betreibt seine zoologische Forschung nicht methodisch und systematisch, sondern anekdotisch und inspiriert vorrangig von einzelnen Exemplaren, denen er auf seinen Reisen begegnete (und dies keineswegs immer gezielt). Rein zahlenmäßig überwiegen in Humboldts Tierleben der Schriften mit 77 Arten die Gliederfüßer (Arthropoda), was indes weniger seine besondere Interessenlage reflektiert, um die es gleich gehen wird, als vielmehr das natürliche Verhältnis von Wirbeltieren zu Wirbellosen und innerhalb derselben die Dominanz insbesondere der Insektenarten.11 Im Einzelnen sind unter Humboldts Tieren: 44 Käfer (Coleoptera), 11 Schmetterlinge (Lepidoptera), 11 Wanzen (Hemiptera), 6 Zweiflügler (Diptera; hierzu gehören etwa die zur Gattung Culex gestellten Mücken) und 3 Hautflügler (Hymenoptera) sowie 2 Skorpione (Scorpiones). Einer Bemerkung in der Einleitung zur Voyage aux régions équinoxiales ist zu entnehmen, dass diese Insektenarten sämtlich von Aimé Bonpland gesammelt wurden.12 Sie sind dann von dem Entomologen Pierre-André Latreille im Band 1 des Recueil d’observations de zoologie (1811) beschrieben worden. Ebenso werden im selben Werk, in Band 2 (1833), von Achille Valenciennes die marinen und limnischen Muscheln sowie die Land- und Süßwasserschnecken aus Humboldt und Bonplands Südamerika-Sammlung abgehandelt. In den Schriften Humboldts werden zudem drei Arten mariner Wirbelloser erwähnt, aber nicht näher beschrieben: ein Nesseltier (Medusa pelagica; Cnidaria: Hydrozoa), ein Meeresborstenwurm (Nereis noctiluca; Annelida: Polychaeta) und die heute zu den Manteltieren (Tunicata) gestellte Monophora noctiluca (Thaliacea: Pyrosoma).13 Dazu kommen unter den Wirbeltieren in seinen Schriften acht Arten von Fischen, von denen Humboldt drei selbst beschreibt: Eremophilus mutisii, Astroblepus cyclopus (bei Humboldt Pimelodus cyclopum) und Astroblepus grixalvii. Humboldt beschäftigt sich zudem mit vier Vogel-Arten, von denen er in einem seiner interessantesten Beiträge den nachtaktiven Fettschwalm Steatornis caripensis aus der Guácharo-Höhle als für die Wissenschaft neue Gattung und Art beschreibt (den Chaima-Indianern und Missionaren waren diese ungewöhnlichen Vögel indes lange bekannt). Schließlich erwähnt Humboldt in den Schriften insgesamt 18 Säugetiere, von denen er sich mit zweien ausführlicher beschäftigt: Zum einen den Braunen Sattelrückentamarin Leontocebus fuscus (Lesson, 1840) aus der Familie der Krallenaffen (Callitrichidae) vom Rio Putumayo im westlichen Amazonasbecken, für den er das Synonym Simia leonina kreiert.14 Insgesamt beschreibt Humboldt in seinen kleineren und größeren Schriften fünf Arten von Neuweltaffen unter dem invaliden Gattungsnamen Simia (siehe Abb. 1); diese werden heute indes sämtlich anderen Gattungen zugeordnet. Zum anderen widmet er sich ausführlich der Seekuh oder dem Manati Trichechus manatus Linnaeus, 1758. Innerhalb der kleinen Schriften ist die 1838 erschienene Abhandlung „Ueber den Manati des Orinoko“, mit 20 Seiten eine der umfangreichsten zoologischen, neben der Arbeit über elektrische Fische.15
Abb. 1: Tafel XXIX („Simia melanocephala“) aus Humboldts Recueil [Bildnachweis]
Angesichts der Fülle der heute geschätzten rund neun Millionen Tierarten auf der Erde beschreiben Humboldt und die Bearbeiter seiner zoologischen Sammlungen, Latreille, Valenciennes und Cuvier, nur eine verschwindend geringe Anzahl innerhalb der in den Neotropen überaus artenreichen Fauna. Interessanterweise sind es weniger die artenreichsten Gruppen (etwa Arthropoden und Mollusken), die Humboldts spezielle Aufmerksamkeit finden und von denen sich sicherlich noch weitaus mehr als neue Arten hätten beschreiben lassen, wäre nicht ein Teil der vorab nach Europa geschickten Sammlungsausbeute wieder verlorengegangen (siehe unten). Vielmehr fokussiert Humboldts Tierleben – konkret das in den zoologischen Schriften behandelte – auf ein exquisites Dutzend markanter und in jeweils besonderer Weise auffälliger und ungewöhnlicher Tierarten.16 Es sind Arten, wie etwa der Anden-Kondor (Vultur gryphus) – heute sowohl Wappenvogel Ecuadors als auch stark bedrohte Art – oder Neuweltaffen wie der Rotrückensaki (Chiropotes chiropotes, von Humboldt noch als Simia beschrieben) und der Schwarzgesicht-Uakari (Cacajao melanocephalus), deren kolorierte Kupferstiche bis heute oft zur Illustration von Humboldts Reiseergebnissen verwendet werden; obgleich sie diese am wenigstens repräsentieren. Gerade diese Tier-Motive wurden indes zu Ikonen für tropische Expeditionen schlechthin. Kurioserweise zeugen so die nach Skizzen Humboldts angefertigten, teils kolorierten Kupferstiche, trotz der hier konstatierten Absenz ihrer Vorlagen in den Sammlungen heute, von einer Präsenz der dargestellten Naturobjekte, die Humboldt einmal mehr zu einem Pionier der ästhetischen Inszenierung wissenschaftlicher Erkenntnisse werden lässt.17 Humboldt geht es bei den Tieren ganz offenkundig, anders noch als bei den erheblichen Pflanzensammlungen Bonplands, nicht um die auch nur ansatzweise vollständige Erfassung und Beschreibung der Artenvielfalt in den bereisten Regionen. Warum er aber einzelnen Arten besondere Aufmerksamkeit schenkt, andere trotz ihrer Vielfalt unberücksichtigt lässt, soll hier näher beleuchtet werden. Humboldt schrieb zu einer Zeit, in der die Zuordnung einzelner Arten wie ganzer Organismen-Komplexe weitaus weniger gesichert war. Wenigstens einige der in seinen Schriften behandelten und hier berücksichtigten Arten sind nach jüngster biologischer Systematik genau genommen gar keine zoologischen Objekte.18 So führt Humboldt das Meeres-Leuchten wenigstens teilweise auf „Mollusken“ zurück; es wird aber, wie wir heute wissen, tatsächlich von Einzellern (Dinoflagellaten) verursacht, die zu den Algen zu rechnen sind. Auch handelt es sich bei den von ihm als Verursacher angenommenen Medusen nicht um „Weichtiere“ im Sinne der Mollusca nach heutigem zoologischem Verständnis, sondern um Cnidaria (Nesseltiere). In den Schriften werden von Humboldt zudem sieben neue Arten sowie eine neue Gattung der Chromista behandelt und weitere 19 Arten genannt. Diese heute zu den Protista gestellten Einzeller werden nach neuerer Systematik weder dem Tier-, noch dem Pflanzen-, sondern einem eigenen Organismen-Reich zugeordnet.19 Diese Arbeit macht auch insofern eine Ausnahme, als Humboldt hier zu Organismen referiert, die nicht von ihm selbst und nicht während der Südamerika-Reise gesammelt wurden. Auch wenn sich Humboldt, nicht zuletzt dank seiner Pflanzengeographie, vor allem einen Ruf als Botaniker erwirbt, hat er offenbar doch auch versucht, lebende Tiere, etwa vom Orinoco, für die Menagerie im Jardin de Plantes in Paris mitzubringen.20 Die vor der Weiterreise nach Kuba an ein französisches Geschwader übergebenen Affen und Vögel gingen bei einem Zwischenstopp auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe zugrunde. Nur das Fell einer bis dahin unbekannten Affenart vom Orinoco, des Rotrückensaki Chiropotes chiropotes, wurde später nachweislich dem Museum in Paris übereignet. Eine Vogelsammlung ist nicht erhalten; die Existenz einer Insekten- und Molluskensammlung dürfen wir unterstellen, die der Fische ist unklar.21 Andere konservierte Sammlungsteile gingen verloren, etwa eine „weit größere Sammlung“ mit Teilen des Herbariums bei einem Schiffsuntergang vor der Küste Afrikas.22 Verlustig gingen auch andere zoologische Objekte, wie etwa die Humboldts anatomischen Studien zugrundeliegenden Skelett-Teile des Anden-Kondors. Diesen untersuchte er erstmals am Pichincha, später in Riobamba am Fuße des Chimborazo; Teile des Tieres sowie andere Sammlungsstücke verlor er kurz darauf bei einer Floßfahrt auf einem Amazonaszufluss wieder.23 In Ermangelung der faktischen Naturobjekte aus dem Tierreich, die anders als die Humboldtschen Herbarbelege in den einschlägigen Museen heute mithin offenbar weitgehend fehlen oder verschollen sind, bietet sich stellvertretend die Analyse von deren bildhafter Repräsentation in Humboldts graphischem Gesamtwerk an.24 Diese gehen oft auf Zeichnungen mit Bleistift und Tinte zurück, die Humboldt während der Reise anfertigte und als seinen „größten Schatz“ mit sich führte; und die gleichsam als „papierener Ersatz“ für Tierpräparate dienten.25 Wie die Auswertung zeigt, sind von den einschlägigen 1334 Tafeln immerhin 1274 (95,5 Prozent) der Flora gewidmet; dagegen nimmt die Darstellung der Fauna auf 60 Tafeln (4,5 Prozent) einen deutlich geringeren Anteil ein. Die 259 Abbildungen von Tieren werden ergänzt durch 21 Tafeln mit anatomischen Details. Diesem prozentual verschwindend geringen Anteil steht indes entgegen, dass Humboldt später in etwa gleicher Weise von Zoologen wie Botanikern als Namenspate für wissenschaftliche Gattungs- und Artnamen bemüht wurde. So lassen sich 17 botanische Benennungen nach Humboldt beinahe ausgewogen immerhin 15 zoologischen Benennungen gegenüberstellen (hinzu kommen weitere vier als landessprachliche Vulgärnamen). Zu diesen zählt etwa auch der nach ihm benannte Pinguin Spheniscus humboldtii, den Humboldt im Hafen von Callao beobachtet hat und für den er (ebenso wie im Fall einer Ohrenrobbe) Bleistiftskizzen und Aufzeichnungen anfertigte.26 Für die in den Schriften relevanten Tiere erfasst das graphische Gesamtwerk Abbildungen von 67 der 68 beschriebenen Arten. Insgesamt gehen sechs Tafeln auf die südamerikanischen Insekten zurück.27 Auf acht weiteren Tafeln im Recueil d’observations de zoologie et d’anatomie comparée werden Abbildungen von Arten gegeben, die zuvor auch in den Schriften behandelt werden; insgesamt finden sich im Gesamtwerk 18 Abbildungen, die im Zusammenhang mit diesen stehen.28 Damit beinhalten die Schriften Humboldts, neben seinen umfangreichen botanischen und geologischen Berichten, in weitaus geringerem Maße auch zoologische Forschungsergebnisse und Beschreibungen. Dennoch komplettiert die häufige Verknüpfung der Zoologie mit dem kulturanthropologischen Kontext sowie die umfangreiche Bebilderung seiner Berichte aus drei Jahrzehnten Humboldts faunistische Untersuchung Südamerikas.29 Von den relevanten insgesamt 15 Schriften erschien die Mehrzahl, mit immerhin zehn Arbeiten, im kurzen Zeitraum unmittelbar nach Humboldts Rückkehr von der amerikanischen Reise. Es sind dies jene drei Jahre zwischen 1805 und 1807, die er hauptsächlich in Berlin verbringt und die eine aktive Hauptphase der Auswertung der eigenen Reisebefunde darstellen. Drei bzw. zwei der hier besprochenen Abhandlungen wurden dann in weitaus längeren Abständen zur Reise verfasst und publiziert, während seiner Pariser Zeit zwischen 1815 und 1822 sowie anschließend in Berlin zwischen 1829 und 1838.30 Diese Beiträge liegen in drei Sprachen vor: Während die Hälfte (acht) in deutscher Sprache verfasst wurde, liegen vier in französischer Sprache vor, drei weitere auf Englisch; dies reflektiert recht gut die Verhältnisse in den Schriften insgesamt.31

Humboldts Schriften zum Tierleben im Überblick

Zu den Schriften mit den wichtigsten Tierporträts als Ergebnis von Humboldts Feldforschungen in Südamerika wird hier auch die Abhandlung „Ueber den Guano“ (1805) gestellt, obgleich diese kein Tierporträt im eigentlichen Sinne enthält. Zudem stammt sie nur indirekt von Humboldt selbst (siehe unten), anders als ein weiterer Guano-Beitrag Humboldts (von 1807).32 In der vielzitierten Fußnote seiner Florae Fribergensis von 1793 unterschied Humboldt zwischen drei mit der Erforschung der Erde beschäftigten Wissenschaften, neben der „Geognosia“ (oder Erdkunde) und der „Historia telluris“ (der Erdgeschichte) auch die „Physiographia“ – also die Naturbeschreibung, mit der „Zoognosia“, der Tierbeschreibung, die „nur die Formen, die Anatomie, die Kräfte etc. der einzelnen Tiere erforscht“.33 Humboldts eigene „Zoognosia“, die zoologischen Beschreibungen der Schriften, lässt sich dabei in zwei Gruppen einteilen: 1. Erstens widmete sich Humboldt in mehreren seiner Abhandlungen zwischen 1805 und 1829 der Aufklärung besonderer Eigenschaften einzelner Tiergruppen, wie zum Beispiel der Nützlichkeit des Vogelkots, den bioelektrischen Eigenschaften einiger Fische, dem Meeresleuchten oder den in Massen auftretenden Mücken. Die galvanische Bioelektrizität behandelt Humboldt dabei gleich in drei seiner Schriften. 2. Die zweite Textgruppe besteht aus den eigentlichen Beschreibungen von – für die Wissenschaft – neuen Arten. Darunter finden sich insbesondere der nachtaktive Guácharo-Vogel (Steatornis caripensis, siehe Abb. 2) sowie mit mehreren Welsartigen drei neue Fischarten und eine neue Affenart.34
Abb. 2: Tafel XLIV („Steatornis caripensis“) aus Humboldts Recueil [Bildnachweis]
Über die hier erwähnten, von Humboldt überwiegend selbst verfassten Beschreibungen neuer Arten hinaus haben er und offenbar vor allem Bonpland zudem die Materialgrundlage für andere geschaffen. Als sogenanntes Typus- und mithin Referenzmaterial lag es jeweils den Artbeschreibungen der überwiegend neuen Insekten- und Molluskenarten vor allem seitens Latreille und Valenciennes zugrunde. Insgesamt fällt auf, dass sich Humboldt selbst sehr wenigen Tieren widmet; darunter insgesamt 12 verschiedenen Taxa; und zwar in sechs Arbeiten den Fischen und in jeweils drei den Wirbellosen und Säugern bzw. Vögeln. Dies sind zum einen solche Tiere, die massenhaft auftreten und/oder auffällig, weil störend sind, wie etwa Mücken und die das Meeresleuchten verursachende Organismen; zum anderen sind es jene Tiere, die aufgrund besonderer physiologischer Eigenarten Humboldts Interesse wecken, etwa die Biolumineszenz mariner Wirbelloser, die elektrischen Fische oder eine in einmaliger Weise Höhlen bewohnende nachtaktive Vogelart. Hinzu kommt der eigenartige „Kuhfisch“, die Manati genannte Seekuh des Orinocos. Es ist mithin eine sehr eingeschränkte, eher zufällige Auswahl, die zudem nur partiell auf tatsächlich gesammeltes bzw. erhaltenes Material zurückgreift. So ist, im Gegensatz zu Humboldts Pflanzen und zu anderen bedeutenden Expeditionen auch nicht bekannt, dass er – von Insekten und Mollusken abgesehen, die er zur Bestimmung und Beschreibung Fachleuten im Pariser Museum vorlegte – überhaupt nennenswerte zoologische Sammlungen anlegte. Am Versuch ist dies nicht gescheitert. Einleitend zu seiner Voyage hat Humboldt erläutert, dass es „durchaus unmöglich war, Fische und Reptilien in Spiritus, und in der Eile präparierte Tierhäute zu erhalten. Diese an sich sehr unwichtigen Umstände anzuführen schien mir nötig, um zu zeigen, dass es nicht von uns abhing, mehrere zoologische und anatomische Objekte, die wir beschrieben und abgebildet haben, in natura mitzubringen.“35 Tatsächlich legen die verfügbaren Quellen nahe, dass Humboldt und Bonpland eine Fülle zoologischer Objekte nicht nur beobachtet und gesammelt, sondern gezeichnet und beschrieben haben. Beispielsweise finden sich in Humboldts Reisetagebüchern Zeichnungen und Beschreibungen von Flussfischen des Orinoco, die uns in dem von ihm gemeinsam mit Achille Valenciennes verfassten und 1821 erschienenen Kapitel über die Flussfische Südamerikas wiederbegegnen.36 Der Verbleib von Humboldts zoologischen Objekten ist heute weitgehend unbekannt oder noch unerforscht. So werden die von Humboldt im Feld angefertigten Beschreibungen und Skizzen, die Grundlage seiner wenigen und verstreuten zoologischen Schriften waren, zum oben erwähnten ‚papiernen Ersatz‘ der Tierpräparate.

Humboldts ‚Zoognosia‘ im Detail

Im Folgenden werden die einschlägigen Schriften Humboldts, die sich mit den beiden oben erwähnten Aspekten von Humboldts Tierbeschreibungen beschäftigen (bestimmte Eigenschaften und neue Arten), in chronologischer Reihung näher besprochen.

„Expériences sur la torpille“ (1805)37

In einem Brief an Claude-Louis Berthollet berichtet Humboldt über Experimente, die er mit dem französischen Chemiker und Physiker Joseph Louis Gay-Lussac am Zitterrochen Torpedo torpedo (Linnaeus, 1758) des Mittelmeeres unternommen hat und vergleicht die elektrischen Eigenschaften gelegentlich mit denen des südamerikanischen Zitteraals Electrophorus electricus (Linnaeus, 1766).

[Note sur des poissons rejetés par un volcan au Pérou] (1805)38

In einem hier referierten Vortrag Humboldts am Institut National in Paris erwähnt er erstmals eine neue Welsart, die er vor Ort zeichnete und als Pimelodus cyclopum benennt.39 Er vermutet, dass die Tiere ihren Ursprung in Seen des Berginneren haben, die zwischen 2200 und 2400m Höhe liegen; und berichtet, dass diese Tiere bei Eruptionen aus Vulkanen der Anden geschleudert werden, wobei die Tiere keinen Schaden zu nehmen scheinen und nach Aussagen einiger Indianer noch leben, wenn sie die Flüsse am Fuß des Berges erreichten, wo Humboldt sie fand.

[Sur le guano] (1805)40

Basierend auf Humboldts Aufzeichnungen vom 27. November 1803 beschreibt dieser Text die von Antoine François Fourcroy und Nicolas Louis Vauquelin in Paris durchgeführten Analysen der 1804 von Humboldt als erstem nach Europa mitgebrachten Guano-Proben aus Peru; ein Umstand, auf den Humboldt noch ganz gegen Ende seines Lebens stolz war, wie eine Bemerkung im Kosmos schließen lässt.41 Demnach besteht etwa ein Viertel des Guanos aus Harnsäure, die der Harnsäure aquatischer Vögel gleicht. Humboldt hatte Fourcroy und Vaugelin neben Guano-Proben auch Notizen hinterlassen, in denen er die Begebenheiten vor Ort beschreibt. Diese Erkenntnisse brachten Humboldt auf den Gedanken, dass der Guano der Inseln vor der peruanischen Küste, auf denen viele Vögel brüten, aus ebendieser Harnsäure bestehen könnte. Humboldt beschreibt, dass die Inseln durch Ardea (Reiher) und Phoenicopterus (Flamingo) hochfrequentiert sind und diese die Nächte auf den Inseln verbringen. So brachte das Vorkommen an durch Vögel hochfrequentierten Orten sowie seine Zusammensetzung Aufschluss über den Ursprung des Guanos – oder „Huanu“, wie dieser „Mist, mit dem man düngt“, bei den Inkas hieß, die seit dem 12. oder 13. Jahrhundert damit in den sandigen Gegenden Perus düngten (und bei denen die Tötung junger Vögel auf den Guano-Inseln bei Todesstrafe verboten war).42 Beim Guano interessiert Humboldt mithin die Herkunft und die Mächtigkeit der Ablagerungen, auch wenn der Schwerpunkt des hier besprochenen Berichtes auf der chemischen Zusammensetzung des Guanos liegt, aus der sich eine Nutzung unmittelbar ergibt. Es existiert noch ein weiterer Text Humboldts über den Guano, und zwar ein Aufsatz zur Geschichte des Guanos als Einführung zu Beiträgen Martin Heinrich Klaproths (1807), der von Humboldt ebenfalls Guano-Proben erhalten hatte.43 Humboldt erwähnt in diesem Text einerseits „Wasservögel“, aus deren Exkrementen der Guano auf Inseln entsteht, die ausschließlich zwischen dem 13. und 21. südlichen Breitengrad liegen. Zudem nennt er „viele Tausende Kormorane und Flamingos“ (letztere wohl irrtümlich), die jene mächtigen Lagen anhäuften, mit denen sich der peruanische Ackerbau verbessern ließ.44 Hier zeigt sich Humboldts Interesse, der als ehemaliger Kameralist an der Vermehrung der Ernteerträge und weniger an der Aufdeckung neuer chemischer Verbindungen oder gar Elemente interessiert war.

„Memoir on a new Species of Pimelodus thrown out of the Volcanoes in the Kingdom of Quito; with some Particulars respecting the Volcanoes of the Andes“ (1806)45

Humboldt benennt in diesem Auszug aus dem Recueil mit dem Braunen Sattelrückentamarin Leontocebus fuscus (bei ihm noch Simia leonina) erstmals eine der von ihm als neu beschriebenen Neuweltaffen;46 wobei er neben phänotypischen Merkmalen (Färbung, Größe) auch das Verhalten und die Laute beschreibt.47 Er vergleicht mit Simia leucocephala, rosalia, pithecia, iacchus, oedipus und bezieht sich bei der Unterscheidung im Wesentlichen auf die Fellfärbung.
Diese Arbeit, die ebenfalls, wie auch die beiden nachfolgenden, zudem im Recueil aufgenommen wurde,49 ist eine inhaltliche Ergänzung zur „Note sur des poissons rejetés“ (1805).50 Humboldt, der erwähnt, dass er bei keiner Eruption dabei war und sich sein Bericht auf die Aussagen der Einheimischen stützt, berichtet hier jedoch nicht den sonderbaren Tatbestand, sondern beschreibt die Morphologie der neuen, vermutlich im Vulkaninneren in Dunkelheit lebenden Spezies Pimelodus cyclopum (von den Einheimischen prennadilla genannt) und stellt Vergleiche mit P. chilensis an, die jedoch in oberirdischen Gewässern vorkommen und damit dem Tageslicht ausgesetzt sind.
Morphologische Kurzbeschreibungen (auf Latein) der beiden anderen, von Humboldt neu benannten Gattungen von Welsartigen aus Mexiko sowie der Vergleich dieser mit Cyclopterus dentex; zudem Angaben zum Vorkommen von Astroblepus grixalvii, für den aber keine detaillierte Beschreibung vorgelegt wird.
Abb. 3: Tafel X („Gymnotus electricus“) aus Humboldts Recueil [Bildnachweis]

„Versuche über die electrischen Fische“ (1806)

In Ergänzung zu seinem französischem Bericht über den Zitterrochen (Torpedo torpedo) in einem Brief an Berthollet aus dem Vorjahr (siehe oben), vergleicht Humboldt hier in einer seiner längeren Arbeiten diesen mit den elektrischen Fähigkeiten des Zitteraals Electrophorus electricus (Linnaeus, 1766), die er bereits 1805 erwähnt hat (siehe Abb. 3).52

„Jagd und Kampf der electrischen Aale mit Pferden“ (1807)

Diesen beiden obengenannten Veröffentlichungen über elektrische Fische ließ Humboldt im Jahr darauf erneut eine ebenfalls ausführliche und vor allem eindrückliche Schilderung zur Bioelektrizität des Zitteraals Electrophorus electricus folgen, die auf seinen Beobachtungen 1800 auf dem Weg zum Orinoco-Becken nahe dem Örtchen Calabozo fußt.53 Humboldt beschreibt die Zahl der Zitteraale in kleineren, stehenden und sauerstoffarmen Gewässern der Llanos de Caracas de Apure.54 Die Tiere, die mit den Aalen in unseren Gefilden nicht näher verwandt sind, können ein bis mehr als zwei Meter lang und 20 Kilo schwer werden. Wie wir heute wissen, können sie durch ein spezielles Organ, das sich an ihren Körperseiten entlangzieht, in Sekundenschnelle elektrische Impulse von bis zu 600 Volt Spannung und 100 Watt Leistung erzeugen (fast dreimal so viel, wie für gewöhnlich aus einer Steckdose kommt). Humboldt erwähnt, dass die Indianer Guyanas die Gefahr sehr wohl kannten, die von den Tieren ausgeht; so berichtet er etwa, dass die Stromschläge der Aale so stark und zahlreich waren, dass eine Straße, die durch einen Bach führte, aufgegeben werden musste, da jährlich Maulesel durch die Stromstöße umkamen. Bei der von Humboldt beschriebenen Methode des Fischfangs, „embarbascar con cavallos“, wurden 30 Pferde und Maultiere in einem kleinen trockenfallenden Wasserloch zusammengetrieben, die derart bedrängten Zitteraale kamen aus dem Schlamm, schnellten aus dem Wasser und drängen dabei ihre Körper so gegen die Bäuche und Beine der Pferde, dass diese erhebliche Stromstöße erlitten; wobei einige Pferde betäubt wurden und kollabierten, zwei sogar ertranken. Nach etwa einer Viertelstunde hatten sich die Aale weitestgehend entladen, was Humboldt erlaubte, fünf Aale zu fangen, an denen er und Bonpland Experimente vor Ort durchführten. Bereits als Student hatte sich Humboldt intensiv mit dem Galvanismus auseinandergesetzt, benannt nach Luigi Galvanis Entdeckung, dass die Schenkel eines frisch getöteten Frosches zucken, wenn sie mit Metall, etwa Silber oder Zink, berührt werden. Später als Oberbergmeister in Bayreuth hatte er dessen Experimente, um elektrische Nervenimpulse weiterzuleiten, durch Selbstversuche erweitert. In Südamerika war er nun „sehr zufrieden mit […] einem so wichtigen physiologischen Gegenstand“, den „lebendigen elektrischen Apparaten“, als die er die Zitteraale ansah.55 Tatsächlich nutzen Zitteraale die Stromschläge zur Verteidigung, lähmen damit ihre Beute und senden Signale zur Partnerwahl aus. Humboldts Beobachtungen von sich gegenüber Angreifern zur Wehr setzenden „Elektro-Aalen“ waren indes bezweifelt worden; die Verteidigungsstrategie der Tiere inklusive der Sprünge aus dem Wasser wurde aber unlängst – mehr als 200 Jahre nach Humboldts Beschreibung – durch Experimente bestätigt.56 Zudem ließ sich jetzt sogar gleichsam der biologische Stromgenerator des Zitteraals nachbauen.57 Dessen elektrisches Organ besteht aus einer Aneinanderreihung paralleler Stapel von spezialisierten Muskelzellen (Elektrozyten), die rund 80 Prozent des Aals ausmachen. In jeder dieser Zellen herrscht entweder ein leichter Überschuss von Kalium- oder Natrium-Ionen, beides voneinander durch die Zellmembranen getrennt. In den Zellzwischenräumen bauen sich Ladungsunterschiede auf und erzeugen so ein Spannungsfeld. Beim ‚Feuern‘ werden die trennenden Membranen blitzschnell durchlässig und erlauben das Mischen der Ionen, als Folge fließen Elektronen und es entsteht der Stromstoß. Aus Salz, Wasser und einem raffiniert gefalteten Hydrogel konnte nun eine Stromquelle konstruiert werden, die im Gegensatz zu herkömmlichen Batterien flexibel und bioverträglich ist und weder giftige noch metallische Komponenten benötigt. Das macht dieses Prinzip besonders geeignet als Stromquelle für Herzschrittmacher und andere medizinische Implantate.58 Letztlich hat Humboldt mit seiner Arbeit die Grundlage auch dafür gelegt.

„Auszüge aus einigen Briefen des Frhrn. Alex. v. Humboldt an den Herausgeber (Hierzu gehört die Skizze einer nächtlichen Scene am Orinoko)“ (1807)59

Neben verschiedenen anderen Bemerkungen zu seinen Reisen und den Arbeitsfortschritten kommentiert Humboldt hier in Briefauszügen, datiert vom 21. November 1806 in Berlin, vor allem die Zeichnung von Christian Gottlieb Schick, die eine vielbehandelte Szene eines Affenmahls während Humboldts Reise auf dem Orinoko wiedergibt. Er berichtet darüber, wie Feuer „gegen den grausamen Jaguar“ geschürt werden; und darüber, wie „ein Affe gebraten wird, um ihn zu essen“. „In der Mitte des Bildes hat Hr. Schick eine Indianische Küche abgebildet. Sie sehen, sie ist sehr einfach. Ein von Baumzweigen gebildeter Rost, auf dem man den Affen, die große Simia paniscus bratet. Affenschinken sind ein Leckerbissen dieser Welt.“ Im Unterschied zu späteren Reisenden überwiegt hier das kulinarische Interesse an Affen.
Die von Humboldt und vor allem von Aimé Bonpland gesammelten und im Unterschied zu weiteren Sammlungsteilen (siehe oben) erhaltenen Insekten von insgesamt 68 südamerikanischen Arten werden hier, im längsten zoologischen Beitrag der Schriften, von dem französischen Entomologen Pierre-André Latreille beschrieben, „wobei wir um den Raum zu schonen, ausser der lateinischen Artbestimmung, der Angabe der Größe, des Vaterlandes, der Synonimen [sic] bei den schon bekannten Arten und einigen anderen nothwendig geschienenen Bemerkungen, alle weitläuftigern Beschreibung weggelassen haben“.61 Latreille folgte bei der Behandlung der einzelnen Arten, die – nach den Fundortangaben zu schließen sowohl aus den Wäldern am Orinoco, Casiquiare und Río Negro als auch aus Quito, Cuenca und Ybara in Peru sowie anderswo aus Venezuela und Mexiko stammen – keiner systematischen Ordnung. Er benennt die Arten mit „Namen von Menschen aus der neuen Zeit“, wodurch er Vorbild für spätere, ähnliche Abhandlungen wird.62

„Sur le Steatornis, nouveau genre d’Oiseau nocturne“ (1817)63

In dieser Arbeit – die später auch Eingang in die Dokumentation der zoologischen Reisebefunde fand und sich auf zwei Vögel stützt, die zu schießen Bonpland gelang64 – berichtet Humboldt ausführlich von der Existenz des nachtaktiven Fettschwalms oder Fettvogels Steatornis caripensis aus der Guácharo-Höhle bei Caripe an der venezolanischen Küste nahe Cumaná. Humboldt nahm an, diese Art lebe ausschließlich dort; später fand man aber auch Kolonien dieser Vögel in anderen Grotten Venezuelas. Heute ist bekannt, dass sich die Verbreitung über große Teile Südamerikas erstreckt, von Venezuela bis Peru und Bolivien. Nach Humboldt ähnelt caripensis sowohl der Alpendohle als auch dem Europäischen Ziegenmelker; er diskutiert die Verwandtschaft mit den Sperlingsartigen, erwähnt dann aber, dass der Guácharo ein Fruchtfresser sei und daher möglicherweise eher zu den Papageien gehöre. Heute wissen wir, dass der Fettschwalm, der sich mit Hilfe eines sonarähnlichen Ortungssystems orientiert, isoliert im System der Vögel steht und eine eigene Familie darstellt. In der Sprache der Chaima ist ‚guácharo‘ synonym für gestorben; er wurde von diesen als Vogel der Unterwelt angesehen, weshalb auch Humboldt ihn nach der griechischen Mythologie als „stygisch“ bezeichnet. Humboldt schildert, dass die Einwohner jährlich um Johanni die Nester mit Stöcken von der Höhlendecke herunterschlagen, um aus den Jungtieren Öl zu gewinnen.65 Dabei werden jedes Jahr tausende Vögel getötet, um gerade einmal 150 bis 160 Flaschen Öl („manteca“) zu machen; ein Aderlass der natürlichen Population, den Humboldt durchaus kritisch vermerkt.
Moskitos, die „plaga de las moscas“ (die Plage der Fliegen), erwähnte Humboldt das erste Mal in Briefauszügen 1800.67 Hier nun werden sie ausführlicher behandelt; nicht zuletzt, weil laut Humboldt die Gefahr auf Reisen in Südamerika weniger von Raubtieren oder Menschen ausgeht, sondern vielmehr jene Moskitos die größte Qual darstellen. Humboldt bemerkt, dass das quantitative Vorkommen der Moskitos in verschiedenen Regionen variiert. Dies werde aber nicht allein durch Temperatur, Vegetationsdichte und Luftfeuchtigkeit bestimmt, sondern hänge – wie er richtig vermutet – mit den Gewässereigenschaften zusammen. Demnach sind an den sogenannten „Schwarzwasserflüssen“ Südamerikas, etwa dem Atabapo und Río Negro, nur wenige Stechmücken vorhanden; vermutlich, so Humboldt, weil dort die Larven nicht gut überleben. Sofern sie dort überhaupt vorkommen, sind es ausschließlich Vertreter der Gattung Culex, deren Arten sich an den einzelnen Nebenflüssen unterscheiden und von denen Humboldt fünf Spezies mit lateinischen Kurzbeschreibungen charakterisiert (chloropterus, cyanopennis, ferox, lineatus und maculatus). Dagegen kommen an den „Weißwasserflüssen“ hauptsächlich Arten von Simulium vor, die zu unterschiedlichen Zeiten des Tages fliegen. Übrigens sei der Stich der Tiere laut Humboldt weniger schlimm, wenn man sie ungestört trinken lasse; zu Beginn sei der Stich zwar schmerzhaft, lasse aber nach, wenn man das Tier nicht hindere. Humboldt nahm an, dass das Tier sein Gift wieder heraussaugt, wenn es „nach Gefallen“ seinen Durst stillen konnte. Als das beste Gegenmittel schlägt er vor, ständig in Bewegung zu bleiben; dagegen seien die Mittel der Einheimischen (Kuhmist oder Krokodilgeruch) wirkungslos. Er beschreibt, dass sich die Menschen in den Dörfern am Río Magdalena auf dem Marktplatz versammeln, da ihnen dort das Hornvieh Ruhe vor den Moskitos verschafft. Außerdem berichtet er von den in einzelnen Dörfern recht unterschiedlichen Ansichten zu Wirkung und Folgen der Mückenstiche. Während die einen den Biss als Mittel gegen entzündliche Krankheiten sehen, halten andere die Stiche für die Ursache von Krankheiten, was Humboldt bestätigt.

„On the Luminousness of the Ocean“ (1828)68

Humboldt stellt hier Vermutungen zur Verursachung des Meeresleuchtens an, wobei er richtigerweise Mikroorganismen, aber auch marine Wirbellose benennt. Für verantwortlich hält er „Weichtiere“ (nicht im Sinne der heutigen Mollusca; vgl. oben), und zwar konkret Nesseltiere (Cnidaria: Medusa pelagica), marine Meeresborstenwürmer (Annelida: Nereis noctiluca) und Manteltiere (Tunicata: Monophora noctiluca). Humboldt glaubte, dass das Leuchten durch Fasern toter Meerestiere verursacht wird. Man könne dies beobachten, wenn man das leuchtende Wasser durch ein Stück dichten Stoffes fließen lasse, da das Tuch dann leuchtende Punkte aufweise; außerdem blieben diese Fasern beim Baden am Körper haften und würden auch dort leuchten; und schließlich leuchteten auch Körperstellen, die man mit einer Medusa eingerieben habe. Humboldt, der davon ausging, dass das Leuchten durch Berührung hervorgerufen werde, testete dies, indem er eine dieser kleinen Quallen auf einen Zinnteller legte und diesen Teller mit einem anderen Metall anschlug; worauf die Vibrationen des Zinntellers die Medusa zum Leuchten brachte.69

„Infusoires fossiles“ (1836)70

Da Humboldt die tatsächlich zu den Chromista zu stellenden Einzeller noch als zu den Tieren (Animalia) gehörend betrachtet (siehe oben), seien diese hier kurz erwähnt; obgleich es sich zudem lediglich um eine Analyse der vom Berliner Naturforscher Christian Gottfried Ehrenberg im deutschen Original aus demselben Jahr verfassten Beschreibungen neuer Arten handelt, die er brieflich mitteilt.71 Humboldt interessiert hier vermutlich als einstigen Bergbauinspektor die Zusammensetzung von Kieselgur aus verschiedenen Regionen Europas, wobei er jeweils angibt, welche der Arten in Süß- oder Salzwasser vorkommen, und für wenige Arten Größenangaben macht.

„Ueber den Manati des Orinoko“ (1838)72

Auf der Grundlage eines im Original französischen Manuskripts, das Humboldt vier Jahrzehnte zuvor, etwa Anfang 1800, am Orinoco verfasste (und das sich heute noch im Nachlass befindet), fertigt der Herausgeber August Wiegmann für das Archiv für Naturgeschichte eine deutsche Übersetzung an.73 Dessen anschließende Kommentare zum Text von Humboldt machen dann immerhin die Hälfte des Beitrags aus. In Umkehrung der tatsächlich aus heutiger Sicht eher zutreffenden Verhältnisse erklärt Humboldt einleitend und wie zur Rechtfertigung seiner Motivation, dass Naturforscher kleine Tiere meist sehr detailliert beschrieben, sie sich indes im Vergleich um große Säugetiere kaum in gleichem Umfang gekümmert hätten.74 Humboldt diskutiert die irrtümliche Zuordnung des schwedischen Naturforschers Carl von Linné, der den Manati systematisch zu den Walrossen stellte, ebenso wie die irrige Ansicht Cuviers, der ihn den Walen und Delphinen (Cetacea) zuordnete.75 Humboldt verweist (wenngleich unzutreffenderweise) darauf, dass allein der Manati des Orinoko im Süßwasser vorkäme, was ihn von allen anderen Seekühen unterscheide; zudem habe es keine hinteren Gliedmaßen und „zeigt kaum eine Spur des Halses“. In Carichana am Orinoco bot sich Humboldt die Chance, ein Weibchen näher zu untersuchen, für das er hier unter Einbeziehung der Ökologie der Tiere die detaillierte Vermessung vorlegt; mit Angabe aller ermittelten Maße und der detaillierten morphologischen Beschreibung, inklusive einer näheren Betrachtung der Mundhöhle und der inneren Organe. Beinahe ebenso ausführlich widmete sich Humboldt der Beziehung zwischen Mensch und Manati, dessen Jagd, Nutzung und Weiterverarbeitung er behandelt. Demnach wird der Manati zum Verzehr gejagt und sein Fett für Kirchenlampen genutzt. Aus der Haut werden Riemen geschnitten und Peitschen gefertigt; in den spanischen Kolonien waren daher die Worte ‚Manati‘ und ‚Latigo‘ für ‚Peitsche‘ gleichbedeutend. Einige Einwohner scheuten den Fang des Tieres, da man von dem Verzehr des Fleisches sterbe. In einem längeren Zusatz des Herausgebers diskutiert dieser die Verschiedenheit der Manati-Arten aufgrund ihres geographischen Vorkommens und ihrer Backenzähne; Wiegmann stimmt Humboldt indes zu, dass sich die Art vom Orinoco von anderen Seekühen unterscheidet. Tatsächlich kennen wir heute insgesamt vier lebende Seekuharten, wobei die des Orinoco (anders als die des Amazonas) nicht als eigene Art abgegrenzt, sondern zum karibischen Manati (Trichechus manatus) gerechnet wird.76

Zum Verhältnis der kleinen Schriften zu Humboldts größeren Abhandlungen

In den 15 hier relevanten Publikationen der Schriften Humboldts zum Tierleben überwiegen keineswegs, wie sich nach einer Forschungsreise in die artenreichen Tropen Südamerikas erwarten ließe, die Beschreibung neuer Arten. Zwar legt Humboldt solche Erstbeschreibungen, neben zahlreich beschriebenen Pflanzen, tatsächlich auch gelegentlich für Tiere vor, insbesondere während der Anfangszeit seiner Auswertung der Reise. Doch beschäftigt er sich unmittelbar nach seiner Rückkehr in erster Linie mit Fragen der Nützlichkeit des Guanos oder mit den elektrischen Eigenschaften einiger Fische, mithin mit speziellen Aspekten der Zoologie. Seine Schriften zum Tierleben belegen nur im Fall der Elektrizität, dass er sich wiederholt und über eine längere Lebensspanne hinweg mit diesem damals neuen Phänomen beschäftigt hat. Hier schließt seine Schrift, wie er selbst bemerkt, an die frühen Experimente an, die er vor seiner Amerika-Reise durchführte.77 Insgesamt ging es Humboldt auch bei den zoologischen Befunden um die Dokumentation seiner Reise-Ergebnisse; die Schriften stellen bis zuletzt zoologische Detailbeobachtungen dar. Vielfach sind seine kleineren zoologischen Schriften Keime für längere Abhandlungen in Humboldts Hauptwerken, sei es etwa die Voyage, insbesondere aber für den Recueil.78 Teilweise sind es direkte Vorarbeiten zu diesem Sammelband, wie etwa im Fall der Affen (1806), der südamerikanischen Insekten (1815), des Fettschwalms Steatornis (1817), der Moskitos (1822) und des Manati des Orinoko (1838), die in unveränderter Form dort nachgedruckt werden. Damit finden sich acht dieser kleineren Schriften später nochmals als Beitrag in dieser umfassenderen zoologischen Darstellung von Humboldts Reise. Die andere Hälfte stellt hingegen Briefauszüge und Vortragsmitschriften dar, oft in Übersetzungen. Als solche betonen sie noch mehr den fragmentarischen Charakter; sie stehen damit im Gegensatz zu einer eher systematischen Behandlung von Humboldts zoologischen Befunden insbesondere in den beiden Bänden des Recueil, die 1811 und 1833 erschienen sind und in denen Humboldt die eigentlichen zoologischen Arbeiten aufgenommen hat, etwa zur Naturgeschichte des emblematischen Andenkondors und des Zitteraals.
Abb. 4: Tafel XII („Proteus, seu Larva Salamandrae, Mexicanis Axolotl“) aus Humboldts Recueil [Bildnachweis]
Humboldts erster Beitrag zur systematischen Zoologie, während des Aufenthalts im venezolanischen Cumaná erarbeitet, ist der Beschreibung von Reptilien gewidmet. Darin stellt er der bis dahin unbekannten Klapperschlangenart (Crotalus cumanensis) mit C. loefflingii aus Kuba noch eine weitere hinzu. Dies wird später im Recueil veröffentlich, wo Humboldt auch im Detail vergleichend den Luftröhrenkopf der Krokodile behandelt.79 Im Recueil befindet sich auch eine umfangreiche Abhandlung von George Cuvier über den höchst bemerkenswerten mexikanischen Axolotl (Ambystoma mexicanum; aztekisch für „Wassermonster“) aus einem See in Mexiko-Stadt (siehe Abb. 4). Von dort hatte Humboldt 1804 zwei dieser Salamander in Alkohol konserviert nach Paris an den Anatom Cuvier am Muséum d’Histoire Naturelle gesandt. Dieser versuchte aufgrund der Atmungsorgane die Frage zu beantworten, ob sich Amphibien als eine von den Reptilien distinkte Wirbeltierklasse abgrenzen, als eine Art Übergangsklasse zwischen Fischen und Reptilien. Der Axolotl, der über äußerlich sichtbare Kiemen verfügte, schien dies zu bestätigten, da sich hier vermeintlich Luft- und Wasseratmen in einem Tier vereint. Cuvier, dem die Bedeutung des heute als Neotenie bekannten Phänomens beim Axolotl noch entgeht (die Geschlechtsreife im Jugendstadium), beschrieb ihn irrtümlich denn auch als Jungtier eines Reptils.80 Erst als 1864 eine Gruppe lebender Tiere nach Paris gelangte, die sich im Labor fortpflanzte, erkannte der französische Herpetologe Auguste Duméril den Axolotl als erwachsenes Tier, der sein Leben in Gestalt einer jugendlichen Larve verbringt. Heute in Vergessenheit geraten, war es indes Humboldt, der mit dem ersten Fund des „Wassermonsters“ in Mexiko für den Beginn einer erstaunlichen wissenschaftlichen Karriere des Axolotl in Europa sorgte, wo er wie kaum eine zweite Art große Bedeutung für die Entwicklungsbiologie und Regenerationsforschung hat.81 Bemerkenswert und für die Forschung interessant ist die Fähigkeit des Axolotl zur Regeneration von Körperteilen und Organen; er kann amputierte Gliedmaßen ebenso wiederherstellen wie Teile des Gehirns oder der Blutgefäße und Wunden heilen, ohne Narben zu bilden. Daher wird dieser Lurch aus der Familie der Querzahnmolche seit 150 Jahren als Labortier millionenfach vermehrt, während der Axolotl an seinem ursprünglichen Vorkommen in und um den Texcoco-See im Xochimilco-Distrikt im Süden von Mexiko-Stadt inzwischen praktisch verschwunden ist; nur wenige dieser Lurche (wohl kaum mehr als 500 Tiere) haben dort überlebt, die Art steht damit vor dem Aussterben im natürlichen Lebensraum.82 In Ergänzung zu diesen auf die Zoologie fokussierenden Arbeiten im Receuil finden sich zahlreiche Beobachtungen und Erwähnungen von verschiedenen Tieren auch in Humboldts anderen Schriften, insbesondere in der Relation historique sowie den Vues des Cordillères. Etwa im Fall der Affen werden dabei immer auch direkte Bezüge zum Umgang des Menschen mit den Tieren thematisiert; man denke nur an die Darstellung des vielfach zitierten Affenmahls oder die Wanderung von Affen anhand eines indigenen Bildercodex.

Humboldts Tierleben zwischen Taxonomie und Evolutionstheorie

Überraschend ist angesichts der hier offengelegten Absenz von in Museen heute tatsächlich noch nachweisbaren zoologischen Belegstücken und Naturobjekten insbesondere seiner epochalen Südamerika-Reise die offensichtliche Präsenz entsprechender Tiere in Humboldts schriftlichem und graphischem Werk. Im Bereich der Botanik ist ein erheblicher Teil der von Bonpland und Humboldt gesammelten und sorgfältig katalogisierten Pflanzen noch erhalten, was sich etwa in Gegenüberstellung der eigentlichen Exemplare mit den graphischen Darstellungen mehr als nur exemplarisch demonstrieren lässt.83 Dagegen ist dies umgekehrt im Bereich der Zoologie nicht möglich; das Schicksal der Humboldtschen Tiersammlung ist weitgehend ungeklärt (von einzelnen Stücken der späteren Zentral-Asien-Reise abgesehen, die sich im Berliner Museum für Naturkunde nachweisen lassen).84 Aus verstreuten Hinweisen ableitbar ist (siehe oben), dass sich tatsächlich deutlich weniger Sammlungsobjekte noch erhalten haben. Darin spiegelt sich auch Humboldt Interessenlage wieder, die eindeutig auf der Botanik und eben nicht der Zoologie lag.85 Humboldt geht zudem weniger systematisch denn kursorisch vor; sein Tierleben ist mithin fragmentarisch. Zwar werden einige Tierarten, die offenkundig der Wissenschaft bis dahin unbekannt waren, als neue Arten beschrieben (etwa im Fall der Fische aus Vulkanseen, des Fettschwalms oder einiger Affen); dabei werden auch durchaus ins Detail gehende anatomische Besonderheiten herausgestellt, wie beispielhaft seine Studie am Fettschwalm oder dem Manati unterstreicht. Humboldt interessiert indes stets das Besondere und Kuriose der behandelten Tiere. Er widmet sich solchen Tieren, die etwas Bestimmtes und für ihn Relevantes mitbringen; die nicht bloß neu sind, sondern ihm bedeutsam erscheinen, etwa die das Meeresleuchten verursachenden Organismen, elektrische Aale oder ganze Landstriche dominierende Stechmücken („zancudos“). Seine Behandlung einzelner Arten oder Tiergruppen ist daher sehr unterschiedlich. Einige, wie die elektrischen Fische, beschäftigen ihn sehr intensiv und über einen längeren Zeitraum immer wieder. Andere, wie etwa die aus Vulkanseen beschriebenen neuen Fischarten, sind nurmehr kurios; oder sie sind lästig und von daher bemerkenswert, wie die Moskitos. Wieder andere sind aufgrund ihrer besonderen Lebensweise interessant, wie etwa der rätselhafte Guácharo oder die Seekuh im Orinoco. Während Humboldt morphologisch präzise beobachtet und beschreibt, beispielsweise die körperbaulichen Details beim Kondor, bei Schlangen und Krokodilen, hat er für das wohl bemerkenswerteste Phänomen der südamerikanischen Biota – die überwältigende Vielfalt der Arten – wenigstens im zoologischen Bereich keinen Blick. Nur selten finden sich Hinweise auf das, was heute einer der zentralen biologischen Forschungsgegenstände ist: die Biodiversität. Humboldt behandelt zoologische Themen in seinen Schriften stets in einem eher eng umrissenen Zusammenhang; oft ist sein Zugang zu diesen Themen utilitaristischer Natur, etwa wenn er den Nutzwert des Vogelmists Guano betont, der als Dünger dient; oder beim Fettschwalm, dessen aus den Jungvögeln gewonnenes Fett als brennbares Öl dient. Andererseits verurteilt er die Ausbeutung des Manatis zur Ölgewinnung. So wie Humboldt die Beschreibung der gesammelten Pflanzen anderen überlässt (Bonpland, Willdenow, Kunth), so versichert er sich für die wenigen in Serien vorliegenden Tierarten, wie dies seinerzeit durchaus üblich war, der Hilfe von Experten; etwa die des Entomologen Pierre-André Latreille und des Zoologen Achille Valenciennes, die für den Recueil die südamerikanischen Insekten, Mollusken und Fische beschreiben. Er überließ Fourcroy und Vauquelin sowie Klaproth Proben des Guanos für chemische Untersuchungen und hat bei seinen Untersuchungen mit Spezialisten anderer Disziplinen zusammengearbeitet, so bei seinen Studien zur elektrischen Leitfähigkeit mit Gay-Lussac. Gemeinsam mit Bonpland hat Humboldt die meisten der größeren und mithin zugänglicheren Tiere (im Gegensatz zu den kleineren wie Insekten und Mollusken) im Feld, während der Reise selbst, soweit wie möglich bereits im Detail morphologisch untersucht und dies in Skizzen und Notizen festgehalten. Seine unmittelbaren Aufzeichnungen haben Eingang in die entsprechenden Abhandlungen seiner späteren Schriften gefunden, anschließend auch in die Buchdarstellungen, etwa im Recueil. In einzelnen Fällen, wie beim Zitteraal, wurden in Ergänzungen zu den Beobachtungen vor Ort auch experimentelle Untersuchungen im Feld ausgeführt. Während gerade die Darstellung zum Fang der Zitteraale, wie wir heute wissen (siehe oben), durchaus natürliche Bedingungen und mithin einen entsprechenden Selektionsdruck in der Natur widerspiegeln, sind andere Verhaltensbeobachtungen unter den künstlichen Bedingungen der Gefangenschaft entstanden, etwa Humboldts Beobachtungen zum Braunen Sattelrückentamarin (bei Humboldt noch Simia leonina)86 oder die ausführliche Darstellung des Schwarzgesicht-Uakari (Cacajao melanocephalus). In einer Indianerhütte in San Francisco Solano im Flussgebiet des Orinoco und Casiquiare gekauft, begleitet dieser kaum armlange Neuweltaffe Humboldt und Bonpland als Haustier bei ihrer Bootsfahrt; während sie öfter Artgenossen sichten, die sich scharenweise in den Bäumen am Fluss tummeln. Humboldt (der ihm sogar aus Büchern vorliest) vergleicht den Uakari in einer unveröffentlichten Notiz mit einem menschlichen Kind und schreibt, er habe „die Physiognomie eines alten Negers“.87 Als das Tier stirbt, skizziert Humboldt es „nach dem Leben“; später wird es einer der besten Tiermaler und teuersten Kupferstecher im Druck wiedergeben und es so für die Nachwelt erhalten.88 Humboldt reagiert auch in anderen Fällen persönlich und affektiv auf Tiere seiner unmittelbaren Umgebung; man denke nur an seine Beschreibung des Hundes, der sie am oberen Orinoco und Río Negro lange begleitete, bis er dort des Nachts einem Jaguar zum Opfer fiel.89 Erwähnt sei hier am Rande (da ohne eigentlichen Bezug zu Humboldts eigener Forschung) auch der mehrfach in der Literatur behandelte Große Vasa-Papagei (Coracopsis vasa Shaw, 1811), den Humboldt 1828 von Großherzog Karl-August von Weimar und Sachsen erbte; ein madagassischer Papagei, der noch über 30 Jahre in der Wohnung Humboldts in Berlin lebte und dessen montiertes Präparat (obgleich im Krieg stark beschädigt) sich heute noch im Museum für Naturkunde in Berlin befindet.90 Unbeabsichtigt wird das Kursorische, Fragmentarische und eher Randständige in Humboldts Behandlung einzelner Tiere noch betont, wenn etwa dessen marginale Erwähnung eines grünen Papageis vom Orinoco (die Art bleibt unbekannt) in seinem Reisebericht später gleichsam Literaturgeschichte macht.91 Zoologisch bedeutsam indes war dies bereits zu Humboldts Zeiten nicht, und erst recht nicht heute. Häufig stellt Humboldt nicht nur im Reisebericht, sondern auch in seinen entsprechenden Schriften die Interaktion von Tier und Mensch in den Vordergrund. Nicht selten erwähnt er dabei Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. So gehen beispielsweise einige Volksgruppen am Orinoco auf Manati-Jagd, nicht zuletzt um das Fleisch zu essen, während sich andere davor fürchten; oder Humboldt beschreibt ausführlich die unterschiedlichen Ansichten über die Folgen von Moskito-Stichen. Dagegen lassen sich beispielsweise allgemeinere Aussagen zur Zoogeographie und/oder Ökologie der Tiere nur selten in Humboldts Schriften nachweisen, auch wenn verstreute Hinweise auf solche Zusammenhänge gelegentlich in ersten Ansätzen aufscheinen. So bemerkt er etwa im Aufsatz zum Vorkommen der Stechmücken, wie oben erwähnt, dass dieses von Umweltfaktoren (Schwarz- und Weißwasserflüsse) abhängig ist.92 Für weiterreichende biogeographische Einblicke – wie sie etwa später Alfred Russel Wallace zur Verbreitung von Affen im Amazonasgebiet aufstellt93 – fehlt Humboldt die faktische Grundlage, geschuldet dem idiosynkratischen, erratischen und fragmentarischen Sammeln während der Reise. Interessanterweise finden sich gelegentlich Bemerkungen über anthropogene Einflüsse auf die Tierwelt. Wenn Humboldt etwa auf die Plünderung der Bestände des Guácharo-Fettvogels oder des Orinoco-Manatis hinweist, zeigt dies ein bereits ausgeprägtes Bewusstsein für die Endlichkeit lokaler Artbestände. Andererseits darf dies nicht überbewertet werden, etwa im Sinne einer avant la lettre tierethischen Position. Humboldt äußert sich in seinen Schriften nicht im modernen Sinne zum Tier- und/oder Naturschutz, ebensowenig wie er als Vorläufer der modernen Ökologie heroisiert werden sollte, da dies einer retrospektiven Überhöhung Vorschub leisten würde.94 Bemerkenswert ist, dass Humboldt mit seinen Schriften zum Tierleben kein wirklich zusammenhängendes Konvolut zoologisch bedeutsamer Beiträge vorlegt; er erweist sich zumindest für die zoologischen Texte durchaus weniger als jener „Meister der kleinen Formen“ als anderswo.95 Nirgends erkennbar ist von ihm absichtsvoll zur Zoologie eine den Forschungsgegenstand umfassende Studie vorgelegt worden. Auch der Recueil ist, seiner Natur entsprechend, eine Sammlung zoologischer Abhandlungen bzw. eigener und von anderen verfasster Spezialarbeiten. Diese indes greifen – anders als etwa Humboldts pflanzengeographische Arbeiten im Essai sur la géographie des plantes (1807) – an keiner Stelle über deren Horizont hinaus. Angesichts der eher fragmentierten Einzelerkenntnisse und -befunde ist zu konstatieren, dass Humboldt zur Zoologie nichts Konzeptionelles, nichts grundsätzlich Neues vorgelegt hat, weder in den kleineren Schriften noch in seinen übrigen Werken. Ohnehin wurde unlängst in Frage gestellt, ob Humboldt überhaupt für einen epistemischen Wechsel im Sinne Michel Foucaults steht oder stehen sollte.96 Für die hier behandelten zoologischen Beiträge jedenfalls ist festzuhalten, dass sie lediglich insulare Fachbeiträge mit nur punktuell einschlägigen Beobachtungen enthalten, während seine übrigen zoologischen Untersuchungen meist anderswo, insbesondere im Recueil, vollständiger und monographisch abgehandelt werden. Daher verwundert es auch nicht, dass sich in den Schriften selbst keine erkennbare Veränderung etwa im Denken Humboldts über bestimmte Zusammenhänge widerspiegelt. Weder dort noch hier münden selbst seine intensiven zoologischen Spezialstudien in das in seiner Vorrede zum Kosmos formulierte Ziel, „die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganze“ zu erklären.97

Humboldts Feldforschung im Kontext der Zoologie seiner Zeit

Exemplarisch sei dies abschließend an den im 19. Jahrhundert sich in der Zoologie herausbildenden Disziplinen der Biogeographie und der Evolutionsbiologie erläutert.98 Wer etwa aus Humboldts zoologischen Studien, während und zu seinen Reisen auf den Flüssen Südamerikas, ihren Ufern und den Gebirgen, Hinweise auf sein Verständnis von Verbreitungszusammenhängen der Arten herauszulesen sucht, wird sich schwertun, darin etwas zusammenhängend Relevantes und Theoretisches zu finden. Humboldt liefert, zumindest in der Zoologie, eine Fülle von Fakten und verstreuten Einzelbefunden, aber kein generelles Gesetz; stets stellt er auch hier die Empirie über die Theorie. Zwar wendet sich Humboldt etwa gegen Buffons anti-amerikanisches Vorurteil von einer angeblichen Schwäche des amerikanischen Naturells; Buffon hatte behauptet, Tiere der Neuen Welt seien im Vergleich zu Europa weniger zahlreich, kleiner und degeneriert.99 Aber er vermag die wenigen, von ihm selbst zusammengetragenen fragmentarischen Fakten zum Vorkommen einzelner Arten, oder gar mit synthetischer Kraft die Befunde anderer, nicht dazu zu nutzen, um eine allgemeinere und über die Ablehnung älterer Ansichten hinausgehende theoretische Konzeption vorzulegen; während andere dies vor ihm bereits getan haben.100 Zwar wendet sich Humboldt etwa auch gegen Cuviers Katastrophentheorie, doch verknüpft er eigene Erkenntnisse über Fossilien nicht mit Überlegungen zur Veränderlichkeit der Organismen, wie dies verschiedene Zeitgenossen getan haben, allen voran Charles Darwin. Humboldt verwendet zwar den Begriff „Fossilien“ mehrfach; etwa auch in den Schriften im Zusammenhang mit den Organismen des Kieselgurs.101 Sie werden indes von ihm nicht als genealogische Abstammungsformen gesehen wie in der Deszendenztheorie Darwins; sie werden nicht erkennbar als Hinweise dafür ausgelegt, dass sich Arten auseinanderentwickelt haben könnten. Humboldts erwähnt zwar, dass anhand der von ihm aus Süd- und Nordamerika mitgebrachten fossilen Säugerknochen von George Cuvier zwei neue Mastodonarten und ein fossiler Elefant beschrieben wurden.102 Zwar ließe sich spekulieren, dass Humboldts einschlägige Fossil-Funde Darwins Suche nach südamerikanischen Riesenfaultieren und Riesengürteltieren animiert haben könnten. Jedoch hat die Darwin-Forschung hier stattdessen stets den unmittelbaren Einfluss britischer Geologen konstatiert; etwa Adam Sedgewick, bei dem Darwin studierte, und Richard Owens, der diese Fossilien beschrieb.103 Tatsächlich haben die als „Mammutzähne“ bezeichneten Fossilien, die Humboldt in den Anden auf 3000 Meter Höhe fand, insofern eine besondere Bedeutung, als er sich mit ihrer Hilfe im Mai 1804 in seinem Brief an den auch paläontologisch interessierten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Thomas Jefferson, die Einladung nach Washington verschaffte.104 Zwar werden Fossilien später auch in Humboldts Kosmos erwähnt; doch stehen sie auch dort nicht in einem Kontext, der auf einen Evolutionsgedanken schließen ließe, wie er zu dieser Zeit (1845) von Darwin bereits formuliert wurde, und zwar ohne jeglichen Hinweis auf Befunde, Schriften oder Einsichten Humboldts.105 Humboldt nennt sie zwar gelegentlich, wie etwa im Kosmos, in durchaus widersprüchlicher Weise „Zwischenglieder von Entwickelungsstufen“.106 Doch sieht er sie nicht ebenso klar wie Darwin als fundamentale Belege eines genealogischen Zusammenhangs, also einer Abstammungslinie von Vorfahren und Nachfahren. Wenn sich Humboldt also gegen Buffons Degenerationstheorie und Cuviers Katastrophentheorie wendet, dann ohne jedoch wie Darwin alternative Überlegungen zum temporären und räumlichen Zusammenhang von Arten anzubieten. Wo Humboldt lediglich Analogien aufzeigt, erkennt Darwin Genealogien.107 Mithin muss der Vorstellung widersprochen werden, dass Humboldt durch seine Feldforschung Vorarbeiten für die Evolutionslehre Charles Darwins geleistet hätte;108 und zwar unabhängig davon, ob diese Vorarbeiten selbst nicht evolutionistisch oder doch kontextrelevant waren. Zwar hat Darwin Humboldt eingehend studiert, aber dieser diente ihm weniger als Forscher denn als Literat zum Vorbild; und auch von dieser Vorbildfunktion musste sich Darwin letztlich erst freimachen, um selbst erfolgreicher Verfasser von Reiseliteratur zu werden.109 Hatte sich Darwin von Humboldts Kosmos Anregungen für seine Arbeit zum Artenproblem erwartet, so wurde er darin enttäuscht und bezeichnete das Werk denn auch als „semimetaphorisch-poetisch“.110 Wohl zuerst Emil du Bois-Reymond hatte in Humboldt irrigerweise einen „vordarwinistischen Darwinisten“ gesehen; mit ihm sprach dann auch Walther May, im Gegensatz zu dem Zeitalter Darwins ab der zweiten Jahrhunderthälfte, von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „von einem Zeitalter Humboldts“ (dies durchaus im Vorgriff auf den 1978 von Susan Faye Cannon geprägten Epochenbegriff des „Humboldtian Science“).111 Dieser Ansicht, Darwins Werk sei die Fortführung des Kosmos hin zum evolutionsbiologischen Paradigmenwechsel, ist später oft gefolgt worden. Sie ist indes durch nichts in den Schriften oder anderen Werken Humboldts zu substantiieren. Tatsächlich blieb die Frage nach Ursprung und Entstehung von Arten für Humboldt ein ungelöstes (gar unlösbares) Problem, dessen Untersuchung er als bloße Spekulation ansah.112 Zwar war Humboldt das Schlagwort vom ‚Kampf ums Dasein‘ (wie vielen seiner Zeitgenossen) ein geläufiger Begriff. Doch bereits in den Ansichten der Natur zeigte sich seine skeptische Einstellung zum Speziesproblem.113 Allerdings ist diese hier mehr auf die eigentliche Frage nach dem Ursprung des Lebens ausgerichtet („… liegen unter dem undurchdringlichen Schleier, der noch unseren Augen alles verdeckt, was den Anfang der Dinge und das erste Erscheinen organischen Lebens berührt“114); und mithin nicht so sehr auf die von Darwin untersuchte und hier relevante Frage nach der Entstehung neuer Arten. Anders als etwa auf Goethe,115 haben die Schriften Humboldts auf Charles Darwin eher in marginaler Weise gewirkt, wenn es um dessen Evolutionstheorie geht. Unbenommen davon ist, dass Humboldts Reisebericht nachweislich einen Einfluss auf Darwins Reiseabsichten und Interesse an Tropenreisen hatte, wie dies vielfach nachgewiesen wurde.116 Doch sollte dessen Begeisterung für Humboldts Personal Narrative, die ihn eine eigene Reise nach Teneriffa planen ließ (aus der dann nichts wurde), nicht überbewertet werden. Weder für die eher zufällige Teilnahme an der „Beagle“-Reise noch für Darwins Theorienbildung kann Humboldt direkt verantwortlich gemacht werden. Auch beschränkt sich ihre erhaltene Korrespondenz auf zwei Briefe (überliefert ist ein Schreiben von Humboldt an Darwin und dessen Antwort von September bzw. November 1839), in denen es um Details – und um im Kontext der Evolution letztlich Irrelevantes (Daten zur Oberflächentemperatur des Meeres) – geht.117 Diese Korrespondenz sollte ebenso wenig überbewertet werden wie das einzige persönliche Treffen der beiden am 29. Januar 1842. Fest steht, dass Humboldts Personal Narrative (so der Titel der englischen Übersetzung der Relation historique) wegweisend für den reiselustigen jungen Darwin war, der diese 1831 mehrfach gelesen hat. Unbestritten ist auch, dass sich der Stil von Darwins Reisebericht durchaus an dem Humboldts orientiert, sich später aber davon bewusst im Sinne von Nigel Leasks „De-Humboldtizing“ löst.118 Umgekehrt fühlt sich Humboldt später, wie seinem ungewöhnlich ausführlichen Dankesschreiben zu entnehmen ist, von Darwins 1839 erschienenen Narrative positiv angeregt.119 Oliver Lubrich liest diese wechselseitigen Bezüge als „einen jahrzehntelangen Dialog“ und bezeichnet Darwin sogar als Humboldts „Schüler und Nachfolger“, Humboldt habe (in Asie centrale) zum Teil „Überlegungen im Sinne der Evolutionstheorie“ angestellt, „die Darwin noch gar nicht veröffentlicht hatte“.120 Entscheidend ist aber, dass Humboldt sich nicht zu den Evolutionstheorien etwa Jean-Baptiste de Lamarcks oder Robert Chambers äußerte, obgleich er mit letzteren nachweislich in Kontakt stand.121 Von Darwins früh ausgearbeiteter, aber erst am Ende von Humboldts Todesjahr publizierter Theorie zur Origin of Species ahnt dieser nichts. Es lässt sich nicht einmal nachweisen, dass Humboldt in irgendeiner Weise vom modernen Selektionsgedanken Kenntnis genommen hätte, etwa durch die Vorab-Veröffentlichung der sogenannten „Darwin-Wallace-Papiere“ im August 1858 (also noch zu Lebzeiten).122 Humboldt hat den mit Darwin und Wallace verknüpften Paradigmenwechsel nicht durch Befunde oder Abhandlungen in direkter Weise mit beeinflusst; es ließe sich lediglich konstatieren, dass Humboldts zahllose naturkundliche Beobachtungen, wie aber auch die unzähliger anderer Naturforscher, mitgeholfen haben, die Grundlage für die Ausarbeitung der Evolutionstheorie zu legen. Der Weg Charles Darwins zur Erkenntnis einer Theorie der Evolution durch natürliche Auslese kommt mithin ohne weiteren Rückgriff auf Humboldt und dessen Naturphilosophie aus. Gerade die anglo-amerikanische Wissenschaftsgeschichte hat die Genese von Darwins und Wallaces Selektions-Theorie derart ziseliert nachgezeichnet, dass keine Zweifel und Lücken über ihre wichtigsten Komponenten und deren Chronologie bleiben.123 Daher erstaunt, dass dennoch immer wieder Bezüge zur Evolutionstheorie hergestellt werden und Humboldt weiterhin für Darwin in direkter Vorläufer-Rolle gesehen wird.124 Tatsächlich belegen lässt sich statt dessen Humboldts statische Vorstellungen der Erde und der Ordnung des Lebendigen, insbesondere seine intellektuelle Verhaftung im Denken und den Ansichten des 18. Jahrhunderts mit den Vorstellungen der Romantik von kosmischer Ordnung, Harmonie und Gleichgewicht.125 Humboldts Tierleben, das sich in den kleinen Schriften artikuliert, fügt sich in dieses Bild.

Abbildungen

  • Abb. 1: „Pl. XXIX. Simia melanocephala. Huet fils, d’après une esquisse de M.r de Humboldt. Bouquet sculpsit. De l’Imprimerie de Langlois. [Kolor.]“, in: Recueil d’observations des zoologie et d’anatomie comparée, Band 1, zu S. 305–335. © Universitätsbibliothek Bern, Signatur MUE Kp IV 46; photographiert von Hans Grunert.
  • Abb. 2: „Pl. XLIV. [Fig.] 1–6. Steatornis caripensis. Huet, d’après un dessin de M.r de Humboldt. Gravé par Coutant 1817“, in: Recueil d’observations des zoologie et d’anatomie comparée, Band 2, zu S. 139–144. © Universitätsbibliothek Bern, Signatur MUE Kp IV 46; photographiert von Hans Grunert.
  • Abb. 3: „Pl. X. N.° I. Gymnotus electricus. N.° II. Fig. 1–3. Gymnotus aequilabiatus. A Humboldt del.t Leop. Müller perf.t Bouquet sculp. De l’imprimerie de Langlois. [Fig. II, 1 kolor.]“, in: Recueil d’observations des zoologie et d’anatomie comparée, Band 1, zu S. 49–92. © Universitätsbibliothek Bern, Signatur MUE Kp IV 46; photographiert von Hans Grunert.
  • Abb. 4: „Pl. XII. Fig. 1–4. Proteus, seu Larva Salamandrae, Mexicanis Axolotl. Laurillard del. Bouquet sculp.“, in: Recueil d’observations des zoologie et d’anatomie comparée, Band 1, zu S. 93–126. © Universitätsbibliothek Bern, Signatur MUE Kp IV 46; photographiert von Hans Grunert.

Bibliographie

  • Wilhelm Barthlott, „Alexander von Humboldt und die Entdeckung des Kosmos der Biodiversität“, in: Horst Albach und Erwin Neher (Hrsg.), Alexander von Humboldt und Charles Darwin. Zwei Revolutionäre wider Willen, Göttingen: Wallstein 2011, S. 35–42.
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